Ein Fall für zwei

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

Valverde3007
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Beitrag: # 6798771Beitrag Valverde3007
5.12.2009 - 15:36

Die Startliste
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Valverde3007
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Beitrag: # 6798985Beitrag Valverde3007
7.12.2009 - 19:35

Tour de France 1997: Prolog - Der Auftakt

„Mensch Ulle, jetzt bleib doch mal ruhig sitzen.“
Die mahnenden Worte von Heppe rissen ihn aus seinen Gedanken. Ohne es bewusst wahrzunehmen, war er aufgestanden und tigerte wieder durch den Raum. Die Nervosität war allgegenwärtig und größer als im letzten Jahr. Wenige Stunden musste er noch warten, dann begann für ihn das Rennen des Jahres, vielleicht das Rennen seines Lebens. Im Vorjahr war er ohne Druck angereist und hatte es genossen, mitten im Trubel der Großen Schleife zu sein. Er hatte sein bestes gegeben und zufrieden festgestellt, dass er problemlos in der Weltspitze mitfuhr. Im Lauf der Tour hatte er sich wie sein gesamtes Team in einen Rausch gefahren und tatkräftig mitgeholfen, Bjarne und Ete zu ihren Trikots zu verhelfen. Als Sahnehäubchen hatte er das letzte Zeitfahren gewonnen und war neben seinem Chef mit aufs Podium gesprungen. Doch schon in Paris hatte er gewusst, dass er diese Unbeschwertheit nie wieder genießen könnte. Jetzt hatten er selbst und die ganze Welt andere Ansprüche an ihn. Nachdem er auch noch die Tour de Suisse gewonnen hatte, war er auf einmal Topfavorit, obwohl er nur als Helfer und Kronprinz antrat. Die Situation brachte ihn zum Nachdenken. War er wirklich stark genug, um zu gewinnen? Sollte er die Chance bekommen, an Bjarnes Stelle zu treten, weil der dänische Routinier augenscheinlich nicht in Form war? Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf und erlaubten es ihm kaum, Konzentration für das Rennen aufzubauen.
Das schlimmste war allerdings ein anderes Gefühl, dass er zum ersten Mal spürte, die Angst, zu versagen. Alle erwarteten fabelhafte Leistungen von ihm, die deutsche Presse sprach offen vom gelben Trikot, das er schon im Prolog angreifen sollte. Er sollte gewinnen, er musste gewinnen. Selbst seine Loyalität zu Bjarne wurde untergraben, Reporter stellten Fragen, wann die Wachablösung erfolgen würde, Redakteure kündigten Bjarnes Abschied an. Doch nicht genug, dass sie seine Rolle im Team diskutierten, jetzt war alles wichtig. Schamlos stürzten sich die Journalisten auf sein Privatleben, man diskutierte, seinen Ohrring und seine Beziehung zu seiner Freundin. Immer mehr wurde er zum gläsernen Athleten, zu einem Idol für die Massen, zu einem deutschen Sportstar. Und die deutschen wollten ihren Star siegen sehen. Er würde nicht der erste Sportler sein, der an seinen Siegen gemessen werden würde. Jeder Erfolg machte ihn beliebter, aber er wollte sich nicht vorstellen, was eine Niederlage bewirken würde.

„Bonne chance, monsieur Ullrik.“
Als der französische Offizielle, der ihn in wenigen Sekunden auf die Strecke schicken sollte, seinen Nachnamen ungewollt komisch aussprach, musste Ulle lachen. Jetzt, wo auf der Startrampe stand, war die Nervosität verflogen. Alle Nebengedanken waren ausgeblendet, er dachte nur noch daran, weswegen er hier war, Radfahren und zwar schnell. Mit siebeneinhalb Kilometern Länge war der Prolog naturgemäß recht kurz, dafür musste man von der ersten Sekunde an Druck machen. Da Ulle in der vorletzten Startgruppe startete, hatte er nun die Chance den anderen Kapitänen eine schwer schlagbare Zeit vorzulegen. Bis jetzt führte noch der Spanier Leanizbarrutia mit einer Zeit von 9:38 vor Fabian Jeker, Ulle würde noch einmal ein paar Sekunden schneller sein müssen.
„Cinq, quatre, trois, deux, un…“
Es ging los. Mit einem energischen Antritt schoss Ulle von der Startrampe. Die ersten Meter beschleunigte er im Wiegetritt, dann suchte er seine ideale Position auf seiner Zeitfahrmaschine. Er merkte schnell, dass er relativ gute Beine hatte und jagte mit Höchstgeschwindigkeit über den Parcours. Euphorisiert von tausenden Fans am Straßenrand, die seinen Namen schrieen, als er an ihnen vorbeiflitzte und Deutschlandfahnen, die in die Höhe gehalten wurden, als er vorbeikam, ging er höchstes Risiko und nahm jede Kurve mit der engsten möglichen Linie. Mehr und mehr fuhr er sich in einen Rausch und verschwendete als er den letzten Kilometer erreichte langsam aber sicher Gedanken an das gelbe Trikot. Das Herz, das ohnehin schon einer enormen Belastung ausgesetzt war, schlug ihm nun bis zum Hals. Als hätte er Angst vor der eigenen Courage bekommen, merkte er nun, wie ihm das Laktat in die Beine schoss und er Mühe bekam, das Tempo zu halten. Er biss auf die Zähne und quälte sich weiter. Entkräftet sprintete er die letzten Meter ins Ziel, wusste aber sofort, dass ihn sein Einbruch auf dem letzten Kilometer einige Sekunden gekostet hatte. Die Bestätigung kam sofort. Ulle war nur auf dem zwischenzeitlichen zweiten Platz, zwei Sekunden hinter Jalabert, der gerade die Bestzeit übernommen hatte. Trotzdem überwog bei ihm die Erleichterung. Er hatte sich bewiesen, dass er in Form war und der Belastung standhalten konnte. Für gelb sollte es nicht reichen, aber eine gute Platzierung war ihm sicher.

Nach seinem Zieleinlauf brauchte Ulle ein paar Minuten, um wieder zur Ruhe zu kommen. Erschöpft verzog er sich in den Mannschaftsbus und verfolgte dort die letzten Minuten des Rennens. Seine Fahrt war erst der Anfang einer turbulenten Schlussphase gewesen. Kurz nach ihm entbrannte der Kampf um den Tagessieg. Der erste Fahrer mit einer sehr starken Zeit war Olano, Ulles Dauerrivale aus der Schweiz, den er wieder um wenige Hundertstelsekunden hinter sich lassen konnte. Der nächste Fahrer setzte ein Ausrufezeichen. Evgeni Berzin, der schon bei der Tour de Suisse den Prolog gewonnen hatte, war ein Wahnsinnsrennen gefahren und pulverisierte die bisherige Bestzeit. Zwölf Sekunden hatte er Jalabert abgenommen. Und trotzdem reichte es für den Russen nicht ganz. Chris Boardman war noch eine Sekunde schneller und schob sich hauchdünn auf Platz eins, von dem ihn keiner mehr verdrängt. Ugromov, Zülle und Rominger schoben sich zwar noch unter die besten zehn, schafften es aber nicht mehr an den Briten heran. Nur noch der letzte Fahrer, das gelbe Trikot hatte die Chance, ihn zu erreichen. Aber als Bjarne die Zielgerade erreichte, war klar, dass er die Zeit nicht erreichen könnte. Sekunde um Sekunde verrann und schließlich kam er mit sechzehn Sekunden Rückstand ins Ziel.
Damit beendete Ulle das Rennen auf einem guten fünften Platz als bester seines Teams. Und es kam noch besser. Da er so auf das gelbe Trikot fokussiert gewesen war, hatte er gar nicht mitbekommen, dass er zur Siegerehrung musste, bis ein Mitarbeiter der Organisation an der Tür des Teambusses klopfte und nach ihm verlangte.
„Monsieur Ulrik, le maillot blanc. Vite!”
Ulle bekam also doch ein Trikot, zwar nur das weiße des besten Jungprofis, doch für den Start war das gar nicht so schlecht. Er folgte dem Franzosen zur Siegerehrung und vernahm dort zum ersten Mal seit fast einem Jahr wieder die typische Tourmusik, die ihn als Trikotträger ankündigte. Als er hinter der Trennwand hervortrat und unter dem Jubel der Fans sein Trikot übergestreift bekam, wusste er, dass er auch vom Kopf in Frankreich angekommen war. Er würde die nächsten drei Wochen dafür kämpfen, jeden Abend wieder an der Siegerehrung teilnehmen zu dürfen. Die Tour hatte begonnen.

Ergebnisse:

Tages-/Gesamtwertung:
1. Chris Boardman GAN 9:14
2. Evgeni Berzin Batik 0:01
3. Piotr Ugromov Roslotto 0:10
4. Laurent Jalabert ONCE 0:13
5. Jan Ullrich Telekom 0:15
6. Abraham Olano s.t.
7. Bjarne Riis Telekom 0:16
8. Alex Zülle ONCE 0:21
9. Tony Rominger Cofidis 0:23
10. Alberto Leanizbarrutia ONCE 0:24

Sprintwertung:
1. Chris Boardman GAN 15
2. Evgeni Berzin Batik 12
3. Piotr Ugromov Roslotto 10

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 9:29
2. George Hincapie US Postal 0:18
3. Peter Luttenberger Rabobank 0:20

Teamwertung:
1. ONCE 29:31
2. Festina 0:23
3. Telekom s.t.
Zuletzt geändert von Valverde3007 am 9.12.2009 - 10:52, insgesamt 1-mal geändert.

ulle91
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Beitrag: # 6799001Beitrag ulle91
7.12.2009 - 23:24

Ich will mich auch mal zu Wort melden, nicht dass du denkst, du hast keine Leser. Mir gefällts hier wirklich gut, was du machst. Grundsolide Arbeit. Weiter so!
Man ist das lang her, George Hincapie noch in der Nachwuchswertung. :D
Go, Ulle!
BBC!

Valverde3007
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Beitrag: # 6799093Beitrag Valverde3007
9.12.2009 - 10:53

Tour de France 1997: Etappe 1 - Startschwierigkeiten

Entsetzt keuchte Ulle. Gerade hatte das Feld sich für wenige Minuten beruhigt, da gab es schon die nächsten Angriffe. Franco Ballerini attackierte und wurde sofort von Skibby und de las Cuevas verfolgt. Die Situation an sich wäre nicht ungewöhnlich gewesen, sie war geradezu typisch für die Startphase einer Flachetappe in der ersten Woche der Tour, ungewöhnlich war es nur, dass diese Startphase nun bereits achtzig Kilometer andauerte, die das Feld in eineindreiviertel Stunden absolviert hatte. Vom Start weg war es ein einziger Schlagabtausch zwischen den verwegenen Kämpfern, die ihre Chance in der Flucht suchten und den Sprinterteams. Erst konnte sich eine kleine Gruppe mit Zanini und van Bon absetzten, dann initiierten van Petegem und Vainstains eine nächste Gruppe, bevor das Duo Auger/Artunghi es schaffte, eine halbwegs stabile Führung herauszufahren. Immerhin schafften sie es, ihren Vorsprung auf eineinhalb Minuten auszubauen, bevor Mapei ihnen hinterherfuhr. Schließlich stellten sie die beiden Ausreißer und nun ging das Rennen wieder von vorne los. Das schmeckte Rundfahrern wie Ulle, die sich in dieser Phase des Rennens nur darauf konzentrierten, Kraft für die folgenden schweren Bergetappen zu sparen, überhaupt nicht. Deshalb beteiligte sich das Telekomteam nicht an der Verfolgungsarbeit, obwohl Ete das Signal gegeben hatte, sich gut zu fühlen. Ulle hätte es ohnehin vorgezogen, die Ausreißer fahren zu lassen und sich zu entspannen. Aber als Gan schon wieder das Tempo anzog und Jagd auf Ballerini und seine beiden Begleiter machte, musste er sich wohl oder übel darauf einstellen, bis zum Ziel in Forges-les-Eaux keinen ruhigen Moment mehr zu erleben.

Ete nahm gerade dankbar eine Trinkflasche von Steffen Wesemann entgegen, als er von der Seite angesprochen wurde. Trotz des hohen Tempos war einer der schnellsten Sprinter, sein Landsmann Marcel Wüst zu ihm nach vorne gefahren und hatte offensichtlich Lust auf einen kleinen Plausch.
„Na, Ete, warum ruht ihr euch den ganzen Tag aus und lasst uns die Arbeit machen? Bist du nicht gut drauf?“
Ete ließ sich nicht provozieren und antwortete kurz angebunden.
„Kräfte sparen für die Berge.“
„Glaubst du, das wollen wir nicht. Richard wird schon ganz unruhig. Hör mal, Ballerini ist verdammt stark, wenn ihr nicht bald einsteigt, kannst du den Massensprint vergessen.“
„Das werden wir ja sehen. Wir pokern noch eine Runde.“
Wüst schnaufte erbost und ließ sich zurückfallen. Ete wusste, dass es unklug war, sich Feinde zu machen, aber beim Festinateam war ihm das egal. Er war sich sicher, dass alles auch so wieder zusammen laufen würde. Dennoch hatte ihn das Gespräch heiß gemacht. Wüst war anscheinend gut in Form, wenn er sein Team so hart arbeiten ließ, aber Ete war nun hochmotiviert ihn hinter sich zu lassen.

Die Ausreißer enttäuschten Ulle nicht. Bis an die Stadtgrenze von Forges-les-Eaux dauerte die Hatz, bis schließlich Ballerini als letzter der drei gestellt wurde und resigniert aufgab. Nun lief alles also auf die erwartete Entscheidung im Sprint hinaus. Ulle hatte sich dazu bereit erklärt, Ete im Finale zu unterstützen und nun setzte er sich gemeinsam mit Wesemann vor Giovanni Lombardi und Ete, um sie aus dem Wind zu halten. An der Spitze sorgten immer noch Festina und nun auch Saeco für das Tempo, dahinter hatte sich Ulle eingereiht. Sie erreichten nun beinahe sechzig Stundenkilometer, einerseits war es daher extrem kräftezehrend, sich in den vorderen Positionen aufzuhalten, andererseits verhinderte es weitere Angriffe. Während Ulle versuchte, seine vordere Position zu behaupten, achtete er auf die Entfernungsangaben bis zum Ziel. Er zählte rückwärts, drei Kilometer, zwei Kilometer, ein Kilometer, dann setzte er zum Sprint an. Seine Teamkollegen, die auf das Manöver vorbereitet waren, folgten ihm, als er mit voller Kraft aus der Reihe ausbrach und am roten Zug von Mario Cipollini vorbeiging. Er spulte sein Pensum ab, hielt sein Tempo bis siebenhundert Meter vor dem Ziel, dann scherte er aus. Während er immer weiter zurückfiel, beobachtete er die Position der verschiedenen Sprinter. Sein Manöver hatte bewirkt, dass Wesemann und Lombardi nun an der Spitze für Ete den Sprint anzogen, dahinter erkannte er Wüst, Minali und einen Saecofahrer. Es war allerdings nicht der Topfavorit Cipollini, sondern einer seiner Helfer. Der italienische Sprintstar war ein ganzes Stück zurück. Ulle lächelte in sich hinein. Sein Manöver hatte also etwas gebracht, die Zahl der Gegner war reduziert.

Bis dreihundert Meter vor dem Ziel lief alles wie am Schnürchen. Wesemann machte seine Arbeit gut, dann übernahm Lombardi. Aber natürlich hatten einige Fahrer etwas gegen den reibungslosen Ablauf und so griff Nico Eeckhout etwa 250 Meter vor dem Ziel an. Ete zögerte einen Augenblick, dann ging er hinterher. Es kostete ihn allerdings schon einiges an Kraft, die Lücke zum Belgier zu schließen. Er wartete kurz am Hinterrad, dann eröffnete er den Sprint. Er wechselte die Straßenseite, um zu verhindern, dass seine Verfolger seinen Windschatten genießen konnten, dann zog er durch. Doch es kam wie es kommen musste. Da er zu früh im Wind war, gingen ihm auf den letzten Metern die Körner aus und er musste darauf vertrauen, dass sein Vorsprung reichte. Er legte seine letzte Kraft in die Pedalen und riss auf der Ziellinie den Lenker nach vorne, aber rechts von ihm war jemand anderes erfolgreicher. Obwohl alles in einer extrem hohen Geschwindigkeit ablief, wusste Ete, dass er noch überholt worden war. Als er die Rückseite des Festinatrikots von Marcel Wüst sah, der sich aufgerichtet und eine Siegerpose eingenommen hatte, wurde er in seinem Verdacht bestätigt. Der lange Sprint hatte seinen Tribut gefordert und ihn den Sieg gekostet. Und dann war es auch noch ausgerechnet Wüst. Ete schlug enttäuscht auf seinen Lenker. Er hatte die erste Chance verpasst und nun durfte sich Wüst auch noch über das grüne Trikot freuen, das Ete gebührte. Morgen würde er sich dafür rächen.


Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Marcel Wüst Festina 4h15:37
2. Erik Zabel Telekom s.t.
3. Mario Scirea Saeco s.t.
4. Angel Edo Kelme s.t.
5. Roberto Petitio Saeco s.t.
6. Nicola Minali Batik s.t.
7. Benoit Salmon Lotto s.t.
8. Massimo Strazzer Roslotto s.t.
9. Niko Eeckhout Lotto s.t.
10. Christophe Mengin FdJeux s.t.

Gesamtwertung:
1. Chris Boardman GAN 4h24:51
2. Evgeni Berzin Batik 0:01
3. Piotr Ugromov Roslotto 0:10
4. Laurent Jalabert ONCE 0:13
5. Jan Ullrich Telekom 0:15
6. Abraham Olano s.t.
7. Bjarne Riis Telekom 0:16
8. Alex Zülle ONCE 0:21
9. Mario Scirea Saeco 0:22
10. Tony Rominger Cofidis 0:23

Sprintwertung:
1. Marcel Wüst Festina 35
2. Erik Zabel Telekom 30
3. Mario Scirea Saeco 26

Bergwertung:
1. Marco Artunghi Mercatone Uno 8
2. Ludovic Auger BigMat 8
3. Franco Ballerini Mapei 5

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 4h25:06
2. George Hincapie US Postal 0:18
3. Peter Luttenberger Rabobank 0:20

Teamwertung:
1. ONCE 13h16:22
2. Festina 0:23
3. Telekom s.t.

Valverde3007
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Beitrag: # 6799212Beitrag Valverde3007
10.12.2009 - 16:49

Tour de France 1997: Etappe 2 – Angstgegner

Jedes Mal, wenn Ete Marcel Wüst im grünen Trikot an sich vorbeifahren sah, versetzte es ihm einen kleinen Stich ins Herz. Nach seinem zweiten Platz auf der ersten Etppe befand er sich auch in der Sprintwertung auf dem zweiten Platz. Um sich das grüne Trikot zurückzuholen musste er also im Zielsprint in Vire und im letzten Zwischensprint, der noch anstand, zwanzig Kilometer vor dem Ziel fünf Punkte auf seinen Landsmann aufholen. Trotz der Niederlage am Vortag rechnete er sich allerdings gute Chancen darauf aus, da ihm die Länge der Etappe mit 262 Kilometern ganz klar entgegenkam. In gewisser Weise erinnerte ihn das Rennen an sein Lieblingsrennen Mailand-San Remo, das sogar noch ein bisschen länger war. Nach über sechs Stunden im Sattel sollte er in der Lage sein, Wüst hinter sich zu lassen und dann würde er auch das Sprinttrikot zurückbekommen.

Ulle fing beinahe an zu gähnen. Bei dreißig Grad dümpelte das Rennen in der Mittagssonne vor sich hin, wobei das interessanteste Geschehen der bisherigen Etappe die von Chris Boardman initiierte Pinkelpause gewesen war. Sonst blieb alles im Gegensatz zum Vortag ruhig, nachdem die Gruppe des Tages sich gebildet hatte. Bis jetzt waren etwa 80 Kilometer, also nicht einmal ein drittel der Gesamtdistanz, absolviert und das Feld hatte mittlerweile einen Rückstand von fast einer Viertelstunde auf fünf Ausreißer. Mit dabei war Nico Eeckhout, der gestern ihre Sprintvorbereitung gestört hatte, der litauische Meister Kasputis, Romans Vainstains und Fontanelli. So langsam wachte das Feld aber auf. GAN und Festina hatten schon zwei Fahrer für die Verfolgungsarbeit abgestellt und nun gesellten sich Michel Lafis und Steffen Wesemann dazu. Ulle ließ sich dagegen wieder ein Stück zurückfallen und, bis er sich neben seinem neuen Freund Guiseppe Guerini wieder fand und versuchte, durch ein Gespräch die Zeit zu überbrücken. 262 Kilometer konnten extrem lang sein.

Ete konzentrierte sich auf Giovannis Hinterrad. Eben hatten sie mit Fontanelli den letzten Ausreißer eingeholt, was bedeutete, dass er beim anstehenden letzten Zwischensprint zwanzig Kilometer vor dem Ziel die vollen sechs Punkte holen konnte. Hinter sich konnte er Wüst erkennen, dahinter fuhren einige weitere Sprinter. Giovanni erhöhte kurz vor der Sprintwertung explosiv das Tempo und lancierte den Sprint für Ete. Kurz vor dem Zielstrich schoss er vorbei und überquerte die Linie als erstes, gefolgt von Wüst. Zwei Punkte hatte er also schon aufgeholt, wenn er nun den Zielsprint gewinnen würde, wäre er sicher vorne. Er drehte sich zu seinem Konkurrenten und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Dafür erntete er nur einen bösen Blick.
„Freu dich nur, Ete. Dein Lachen wird dir schon vergehen.“
Ete hatte eine andere Meinung. Heute würde er den Sprint nicht zu früh eröffnen und so lange wie möglich abwarten. Dann hätte Wüst wie eben beim Zwischensprint keine Chance. Ete musste nur den richtigen Moment abpassen, dann würde sein Plan aufgehen.

Im Finale wurde Ulle wieder aktiver. Udo Bölts hatte eine Reifenpanne gehabt und nun fehlte ein Fahrer, der Ete unterstützen konnte. Deshalb war Ulle eingesprungen und hatte bereitwillig auf den letzten zehn Kilometern die Tempoarbeit übernommen. Zwischendurch hatte es erst Skibby und dann den Bakker mit Attacken versucht, aber im Verbund mit Lotto hatte Telekom das Rennen im Griff gehabt. Als sie eine kleine Welle erreichten, griff sogar eines der Idole der Franzosen, Luc Leblanc, an. Doch Ulle merkte schnell, dass der ehemalige Weltmeister nicht mehr so stark wie vor wenigen Jahren war. Fast im Alleingang schaffte es Ulle mit einem Kraftakt schnell, ihn wieder einzuholen und im Feld für Ruhe zu sorgen. Danach wagte es kein Fahrer mehr anzugreifen, bis das Feld zu den letzten eineinhalb Kilometern kam. Anschließend ging es dafür richtig los.

Beat Zberg eröffnete das turbulente Finale mit einem Angriff, der sofort vom Team Telekom gekontert wurde. In der Reihenfolge Lafis, Wesemann, Lombardi und Zabel führten sie nun das Peloton an und führten es vor der Flame Rouge an Zberg heran. Unmittelbar darauf attackierte der Weltcupführende Laurent Jalabert mit einem wuchtigen Antritt. Lafus warf einen kurzen verzweifelten Blick über die Schulter zurück zu Wesemann und ließ sich zurückfallen, während Wesemann versuchte aufzuschließen. Aber die Lücke wurde kaum kleiner. Fünfhundert Meter vor dem Ziel waren es immer noch zwanzig Meter, die auf Jaja fehlten und nun ging Lombardi an die Spitze; Ete immer noch an seinem Hinterrad. Immer noch hielt Jalabert den Vorsprung, nun wurde er von einem Lottofahrer gekontert, der an Ete und Lombardi vorbei an Jalaberts Hinterrad sprang und ihn sofort stehen ließ. Als er Meter um Meter zwischen sich und Lombardi legte, warf Ete alle guten Vorsätze über Bord und sprintete los, obwohl es noch weit mehr als die zweihundert Meter bis zum Ziel waren, die er sich problemlos zutraute und bis zu denen er warten wollte. Überraschend schnell kam er an den Lottofahrer heran und fünfzig Meter vor dem Ziel ging er sogar vorbei. Doch dann rächte sich seine Ungeduld schon wieder. Als wäre es eine Kopie des ersten Massensprints überholte ihn der Mann in grün kurz vor der rettenden Ziellinie. Ete landete wieder auf Platz zwei. Es war wie verhext. Heute war der Sieg möglich gewesen und er hatte ihn wieder verschenkt. Den Lottofahrer, Benoit Salmon, wie er nun erfuhr, hätte er auch mit einem späteren Antritt noch erreicht, Wüst hätte ihn wahrscheinlich kaum noch geschlagen. Zwei grobe taktische Schnitzer hatten ihn zwei Siege gekostet, das würde er morgen nicht mehr zulassen.


Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Marcel Wüst Festina 6h16:35
2. Erik Zabel Telekom s.t.
3. Benoit Salmon Lotto s.t.
4. Pascal Derame US Postal s.t.
5. Massimo Strazzer Roslotto s.t.
6. Mario Scirea Saeco s.t.
7. Nicola Minali Batik s.t.
8. Alessio di Basco Saeco s.t.
9. Angel Edo Kelme s.t.
10. Ivan Cerioli Batik s.t.

Gesamtwertung:
1. Chris Boardman GAN 10h41:26
2. Evgeni Berzin Batik 0:01
3. Piotr Ugromov Roslotto 0:10
4. Laurent Jalabert ONCE 0:13
5. Marcel Wüst Festina 0:14
6. Jan Ullrich Telekom 0:15
7. Abraham Olano s.t.
8. Bjarne Riis Telekom 0:16
9. Alex Zülle ONCE 0:21
10. Erik Zabel Telekom 0:22

Sprintwertung:
1. Marcel Wüst Festina 74
2. Erik Zabel Telekom 66
3. Mario Scirea Saeco 46

Bergwertung:
1. Marco Artunghi Mercatone Uno 8
2. Ludovic Auger BigMat 8
3. Niko Eeckhout Lotto 8

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 10h41:41
2. George Hincapie US Postal 0:18
3. Peter Luttenberger Rabobank 0:20

Teamwertung:
1. ONCE 32h06:07
2. Festina 0:23
3. Telekom s.t.

Fus87
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Beitrag: # 6799220Beitrag Fus87
10.12.2009 - 18:31

Sehr unterhaltend geschrieben! Weiter so!

Valverde3007
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Beitrag: # 6799708Beitrag Valverde3007
16.12.2009 - 18:04

Tour de France 1997: Etappe 3 - Drei auf einen Streich

Der heutige Sprint würde einer der härtesten seiner bisherigen Karriere werden, da war Ete sich sicher. Die letzten eineinhalb Kilometer bis zum Ziel wiesen Steigungsprozente von über sechs Prozenten auf, teilweise waren es sogar bis zu zehn Prozent. Daraus entstanden zwei Probleme. Erstens würde die Anfahrt bis zur Zielgeraden Ete schon enorm viel Kraft kosten, die ihm im Spurt fehlen könnte. Das war allerdings halb so schlimm, da er die steilen Passagen mit Sicherheit besser meistern würde als andere Sprinter. Viel schwieriger würde es sein, die explosiven Fahrer unter Kontrolle zu halten, die auf dem letzten Kilometer Attacken fahren würden. Ganz entscheidend war deshalb die Mitarbeit von Bjarne und Ulle, die in der Lage waren, das Feld zusammen zu halten. Wenn ein Brochard, Zberg oder Camenzind angriff, würde eine heikle Situation entstehen. Dann müsste das Team perfekt arbeiten. Dass er gewinnen würde, wenn er mit den besten auf die letzten zweihundert Meter kommen würde, stand für Ete außer Frage. Mühelos hatte er den dritten Zwischensprint 25 Kilometer vor dem Ziel abgegrast und Wüst dabei klar abgehängt. Von dem Mann in grün drohte ihm weniger Gefahr, wichtiger waren andere Fahrer.

Ulle fuhr nun schon beinahe direkt im Wind. Fünf Kilometer waren noch bis ins Ziel zurückzulegen und Telekom kontrollierte das Feld von der Spitze. Hinter ihnen hatte sich das Festinateam geschlossen eingereiht, um seine Kapitäne aus der Hektik des Finales herauszuhalten. Damit hatten sie keinen Fehler gemacht, denn anscheinend wollten mehrere Dutzend Fahrer in den Kampf um den Tagessieg eingreifen und drängten an die Spitze, um eine optimale Situation für eine späte Attacke zu bekommen. Daher überraschte es Ulle kaum, als er es hinter sich krachen hörte. Irgendjemand hatte nicht aufgepasst oder war von einem Kollegen abgeräumt worden und sofort gingen einige Fahrer zu Boden. Walter teilte über Funk mit, dass es mindestens zehn Fahrer erwischt hatte, darunter auch Hochkaräter. Der Weltmeister Johan Museeuw war in den Sturz verwickelt, außerdem Bruyneel, der Amerikaner Bobby Julich, Fabian Jeker und einer der großen Favoriten, Richard Virenque. Damit verabschiedete sich also schon der erste Fahrer vom Kampf um den Sieg, bevor er angefangen hatte. Ulle spürte zwar Mitleid für Virenque, wusste aber, dass er trotzdem Tempo machen musste, um Ete zum Sieg zu fahren. Also mobilisierte er seine Reserven und führte das Feld an der Spitze in den Schlussanstieg.

Ete fuhr an dritter Stelle hinter Ulle und Bjarne in die letzte Steigung. Seine eigentlichen Kapitäne machten fantastische Arbeit und sorgten für das hohe Tempo, dass notwendig war, um Angriffe im Keim zu ersticken. Trotzdem versuchten es bald die ersten. Der junge Italiener Paolo Bettini eröffnete das Finale kurz vor der Tausendmetermarke, aber das Telekomtrio blieb noch ruhig und beschränkte sich darauf, die Lücke auf zwanzig Meter zu reduzieren. Bjarne löste Ulle, der sich direkt vor Ete wieder einreihte, in der Führung ab und legte ein wenig zu. Erst als Camenzind konterte, gingen Ulle und Ete mit. Camenzind überholte schnell Bettini und zog durch. Meter um Meter legte er zwischen sich und Ulle. Vierhundert Meter vor dem Ziel holte Ulle das letzte aus sich heraus und scherte dann aus. Daraufhin suchte Salmon seine Chance und forcierte das Tempo. Ete wartete noch einen Moment und hängte sich dann an Brochard, der die Führung der Verfolger übernahm. Während er etwas weiter vorne sah, wie Salmon Camenzind einholte und stehen ließ, wartete Ete bis zweihundert Meter vor dem Ziel, bevor er seinen Turbo zündete und an Brochard vorbei ging. Mit einem wuchtigen Antritt löste er sich von dem französischen Meister und sog sich an Salmon heran. Hundert Meter vor dem Ziel sah Ete, dass es wieder knapp werden würde, aber heute hatte er zum ersten Mal Glück. Salmon konnte sein Tempo nicht halten und brach auf den letzten Metern entkräftet ein, so dass Ete ihn kurz vor dem Zielstrich passierte. Er riss die Arme in die Luft und stieß einen Jubelruf aus. Endlich hatte er es geschafft, er hatte seinen Etappensieg geholt. Und es kam noch besser. Ein Betreuer seines Teams fing ihn im Zielbereich ab und berichtete ihm vom neuen Stand in den Klassements.
„Du hast nicht nur die Etappe gewonnen. Du hast auch grün. Und außerdem sogar noch mit vier Sekunden Vorsprung das gelbe.“
Ete jauchzte auf vor Freude. Gestern war er noch unzufrieden mit dem Verlauf der Tour gewesen, jetzt hatte er zum Rundumschlag ausgeholt. Zwei Trikots und der Etappensieg. Drei auf einen Streich, er war der Mann des Tages.



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Erik Zabel Telekom 5h08:15
2. Benoit Salmon Lotto s.t.
3. Laurent Brochard Festina s.t.
4. Gabriele Colombo Batik s.t.
5. Alexander Gonchenkov Roslotto s.t.
6. Pascal Derame US Postal s.t.
7. Ivan Cerioli Batik s.t.
8. Francesco Casagrande Saeco s.t.
9. Angel Edo Kelme s.t.
10. Jan Ullrich Telekom s.t.

Gesamtwertung:
1. Erik Zabel Telekom 15h49:37
2. Chris Boardman GAN 0:04
3. Evgeni Berzin Batik 0:05
4. Marcel Wüst Festina 0:14
5. Piotr Ugromov Roslotto s.t.
6. Laurent Jalabert ONCE 0:17
7. Jan Ullrich Telekom 0:19
8. Abraham Olano s.t.
9. Bjarne Riis Telekom 0:20
10. Alex Zülle ONCE 0:25

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 107
2. Marcel Wüst Festina 88
3. Benoit Salmon Lotto 75

Bergwertung:
1. Marco Artunghi Mercatone Uno 8
2. Ludovic Auger BigMat 8
3. Niko Eeckhout Lotto 8

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 15h49:56
2. George Hincapie US Postal 0:18
3. Benoit Salmon Lotto s.t.

Teamwertung:
1. ONCE 47h30:52
2. Festina 0:23
3. Telekom s.t.

Valverde3007
Beiträge: 1769
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6800386Beitrag Valverde3007
27.12.2009 - 17:50

Tour de France 1997: Etappe 4 - Immerhin vor Wüst

Ete betrachtete es als Ironie des Schicksals, dass er noch einen Tag ohne sein geliebtes grünes Trikot auf den Schultern verbringen musste. Zwar hatte er die Führung in der Sprintwertung übernommen, aber eben auch die Gesamtführung, weshalb er nun in gelb unterwegs war. Natürlich war das kein Grund sich zu beschweren und trotzdem hoffte Ete, dass er das grüne Trikot so lange verteidigen konnte, bis er das gelbe wieder verlor. Seine gute Position in der Gesamtwertung hatte allerdings noch den zusätzlichen positiven Aspekt, dass er nun noch motivierter an die Zwischensprints heranging, die ihm wichtige Bonussekunden sichern konnten. Deshalb animierte er seine Teamkameraden schon in der Startphase der vierten Etappe dazu, das Tempo hochzuhalten und Angriffe von größeren Gruppen, die schwer einzufangen wären, zu unterbinden. Deshalb fuhr er auch selber weit vorne im Feld, wo er die Übersicht über das Renngeschehen hatte. Wie gewohnt ging in der ersten Rennstunde eine Attacke nach der nächsten und das Team Telekom versuchte mit der Hilfe von Saeco und Festina, die Angriffe zu vereiteln. In Etes Nähe fuhr auch Mario Cipollini, der bisher bei den Sprints noch nicht in Erscheinung getreten war. Nun zeigte er sich an der Spitze und als der neue italienische Meister Guiseppe Tartaggia eine zehnköpfige Spitzengruppe initiierte ging sein Vorgänger im Meistertrikot Cipollini aus dem Sattel und folgte ihm. Da es nur noch wenige Kilometer bis zum ersten Zwischensprint waren, nahm Ete das Risiko in Kauf, wichtige Kräfte für den Schlussspurt zu verschleudern und schloss sich der Gruppe mit einigen anderen Fahrern an. Insgesamt fanden sich 25 Fahrer an der Spitze wieder, eine gefährliche Gruppe, die gegen das Feld bestehen konnte.

So langsam war Ulle genervt von den vielen Ausreißern. Es war klar, dass in der ersten Woche kleine Fluchtgruppen gehen würden, aber nicht, dass es immer zwei Stunden dauern würde, bis es zu einer Zusammensetzung kam, die den Sprinterteams gefiel. In der großen Gruppe, aus der Ete inzwischen den Zwischensprint gewonnen hatte, fuhren über zwanzig Fahrer aus fast allen Teams. Nur Roslotto und Festina waren nicht vorne vertreten und machten daher die Führungsarbeit im Feld. Allerdings schafften sie es nicht, die Ausreißer einzuholen, sondern brachten mit aller Kraft gerade mal den Vorsprung dazu, zu stagnieren. 223 Kilometer waren es heute insgesamt und nach zwei Stunden hatten sie schon neunzig davon zurückgelegt. Ulle schaute auf die Kreidetafel, die eins der Begleitmotorräder dem Feld nun zeigte. Eine Minute war es noch, der Vorsprung schmolz also. Er konnte nur hoffen, dass die Ausreißer bald gestellt waren und dann Ruhe einkehrte.

Ete nahm ein paar Tritte heraus und schaute sich nach hinten um, wo das Feld nun wieder an die Spitze heranrollte. Seit einigen Kilometern hatte sich diese Entwicklung abgezeichnet, da das Feld einen Zahn zugelegt hatte und die Gruppe immer unharmonischer fuhr. Einige Fahrer hatten sich bei Ete beschwert, dass dieser nicht durch die Führung ging und kaum jemand wollte mit vollem Tempo weiterfahren, wenn der schnellste Sprinter sich schonte. Schließlich hatten sich Durand und Davy aus dem Staub gemacht und der Rest der Gruppe hatte den Kampf aufgegeben. Ete trauerte der verpassten Chance nicht nach. Er hatte sein Ziel, die sechs Punkte beim Zwischensprint erreicht und hatte immer noch gute Chancen, die Etappe im Massensprint für sich zu entscheiden.

Als die Zahl seiner Teamkollegen sich immer weiter reduzierte, entschloss Ulle sich dazu, heute wieder bei der Sprintvorbereitung zu helfen. Drei Fahrer hatten sie schon in der Tempoarbeit verschlissen, Lombardi wurde für die letzten Meter gebraucht, Riis hielt sich aus dem Sprint heraus. Das bedeutete, dass nur noch Heppe, Wese und er zum Tempobolzen übrig waren. Dabei hatten sie sich das Leben selber schwer gemacht. Als Durand und Davy ihren Vorsprung auf acht Minuten ausgedehnt hatten, war Ete unruhig geworden und hatte seine helfer zu Höchstleistungen angetrieben, um die beiden Franzosen wieder einzuholen. Dann war Durand allerdings gestürzt und Davy als Solist an der Spitze eingebrochen, so dass zwanzig Kilometer vor dem Ziel wieder alles zusammen lief. Somit konnte Ete zwar den letzten Zwischensprint locker gewinnen, dafür wurde das Feld unruhig. Statt des kalkulierten Kampfes des Spitzenduos gegen das Feld wollte nun wieder jeder attackieren und seine Etappe gewinnen. An der letzten Bergwertung waren es Eeckhout und Sastre, danach probierte es Gaumont. Aber mit vereinten Kräften schafften es Ulle und seine Kameraden unterstützt durch Festina, die große Gruppe geschlossen auf den letzten Kilometer zu bringen. Ulle sorgte höchstpersönlich bis zur Flame rouge für das Tempo. Dann war seine Aufgabe abgeschlossen und er ließ gemütlich ausrollen.

Es war ein extrem enges Finale. Enorm viele Sprinter wollten am Massenspurt teilnehmen und kämpften mit allen Mitteln um ihre Positionen. Dadurch verlor Ete den Kontakt zu Lombardi und fand sich am Hinterrad von Marcel Wüst wieder. Zunächst akzeptierte er seine neue Ausgangsposition und setzte darauf, dass Wüst an vorderer Position in den Sprint eingreifen würde. Aber sein Landsmann schien nicht die besten Beine zu haben und verlor einige Positionen. Ete ging vierhundert Meter vor dem Ziel an ihm vorbei und suchte sich ein neues Hinterrad. Währenddessen sah er einige Meter weiter vorne, wie Mario Traversoni einem Teamkollegen den Sprint anzog. Ete war immer noch zehn Positionen weiter zurück. Wegen des hohen Tempos schaffte er es auch kaum, sich weiter nach vorne zu schieben und so erlebte er die Eröffnung des Sprints aus der zweiten Reihe. Noch dazu musste er eine Welle fahren, als direkt vor ihm Angel Edo seine Linie verließ. Er war einige Augenblicke im Wind und zog dann in den Windschatten von Nicola Minali. Einige Positionen hatte er zwar schon gewonnen, aber er schätzte, dass noch vier Fahrer vor ihm waren. Er ging an Minali vorbei und legte nun alle verbliebenen Körner in seinen Sprint. Doch es sollte nicht ganz reichen. Aus dem Augenwinkel sah er rechts neben sich Salmon und einen Fahrer von Mercatone Uno, die etwa eine Radlänge vor ihm die Ziellinie überquerten. Es war also nur Platz drei geworden. Seine hohe Endgeschwindigkeit hatte ihm nichts genutzt, die schlechte Ausgangsposition und die Anstrengungen des Tages hatten ihm den Sieg gekostet. Immerhin war er vor Wüst geblieben und hatte damit beide Trikots verteidigt. Den nächsten Etappensieg wollte er am nächsten Tag feiern, an seinem Geburtstag.




Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Benoit Salmon Lotto 5h05:22
2. Stefano Checchin Mercatone Uno s.t.
3. Erik Zabel Telekom s.t.
4. Massimo Strazzer Roslotto s.t.
5. Nicola Minali Batik s.t.
6. Laurent Jalabert ONCE s.t.
7. Mario Scirea Saeco s.t.
8. Marcel Wüst Festina s.t.
9. Angel Edo Kelme s.t.
10. Pascal Derame US Postal s.t.

Gesamtwertung:
1. Erik Zabel Telekom 20h54:59
2. Chris Boardman GAN 0:24
3. Evgeni Berzin Batik 0:25
4. Marcel Wüst Festina 0:30
5. Piotr Ugromov Roslotto 0:34
6. Benoit Salmon Lotto 0:37
7. Laurent Jalabert ONCE s.t.
8. Jan Ullrich Telekom 0:39
9. Abraham Olano s.t.
10. Bjarne Riis Telekom 0:40

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 145
2. Marcel Wüst Festina 110
3. Benoit Salmon Lotto 110

Bergwertung:
1. Niko Eeckhout Lotto 13
2. Marco Artunghi Mercatone Uno 8
3. Ludovic Auger BigMat 8

Nachwuchswertung:
1. Benoit Salmon Lotto 20h55:36
2. Jan Ullrich Telekom 0:02
3. George Hincapie US Postal 0:20

Teamwertung:
1. ONCE 62h47:50
2. Festina 0:23
3. Telekom s.t.

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ScÔtt
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Beitrag: # 6800387Beitrag ScÔtt
27.12.2009 - 18:11

Mhhh... macht immer Spaß bei dir zu lesen. Mhh.. könnteste villeicht mal villeich 1 Screen aus dem Rennen bringen *liebgug*
"Wenn du Kritik vermeiden willst: tu’ nichts, sag’ nichts, zeig’ nichts." Stephen Roche

Valverde3007
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Beitrag: # 6800440Beitrag Valverde3007
28.12.2009 - 21:26

Tour de France 1997: Etappe 5 - Geburtstag ohne Feier

Traurig pustete Ete die Kerzen auf der großen Torte aus. Es war seine Geburtstagstorte, die die Betreuer zu seinem Ehrentag organisiert hatten, doch nun war ihm gar nicht mehr zum Feiern zu Mute. 260 Kilometer hatte er an diesem besonderen Tag bei 35 Grad Celsius im Schatten zurückgelegt und das Ergebnis war ernüchternd gewesen. Er war als Träger des gelben und grünen Trikots an den Start gegangen, noch dazu als Favorit auf den Tagessieg, aber das Rennen nahm eine ungünstige Entwicklung. Nach etwa fünfzig Kilometern hatten sich vierzehn Fahrer abgesetzt und schnell einen großen Vorsprung erarbeitet, während im Feld niemand reagieren wollte. Etes Kameraden waren von den Kräfte zehrenden letzten Tagen zu erschöpft, um wieder über zweihundert Kilometer das Rennen zu bestimmen. Stattdessen machten sie heute eine Pause und überließen den anderen Teams die Verantwortung. Das Problem war, dass keiner sie übernehmen wollte. Und so wurden es schnell fünfzehn Minuten, die zwischen dem Feld und den Ausreißern lagen, bevor sich einige Teams erbarmten und mitarbeiteten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ete schon keine Hoffnung mehr gehabt, sein gelbes Trikot zu behalten. Der Abstand schmolz zwar bis ins Ziel wieder auf sechseinhalb Minuten zusammen, aber das Trikot war weg. Nun trug es wieder der Fahrer, von dem Ete es erobert hatte, Chris Boardman. Und als ob es nicht schlimmer kommen konnte, verlor Ete auch noch den Sprint des Feldes gegen Marcel Wüst und Nicola Minali. Es war einfach ein Tag zum Vergessen.



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Fabiano Fontanelli MG Technogym 5h44:37
2. Stefano Zanini Mapei 0:33
3. Alessio di Basco Saeco s.t.
4. Thierry Gouvenou BigMat 1:00
5. Arturas Kasputis Casino s.t.
6. Torsten Schmidt Roslotto s.t.
7. Romans Vainstains Polti s.t.
8. Chris Boardman GAN s.t.
9. Christophe Mengin FdJeux 2:04
10. Ludovic Auger BigMat 2:36

Gesamtwertung:
1. Chris Boardman GAN 26h41:00
2. Torsten Schmidt Roslotto 0:53
3. Stefano Zanini Mapei 3:22
4. Erik Zabel 5:14
5. Evgeni Berzin Batik 5:39
6. Marcel Wüst Festina 5:44
7. Piotr Ugromov Roslotto 5:48
8. Benoit Salmon Lotto 5:51
9. Laurent Jalabert ONCE s.t.
10. Jan Ullrich Telekom 5:53

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 158
2. Marcel Wüst Festina 125
3. Benoit Salmon Lotto 121

Bergwertung:
1. Thierry Gouvenou BigMat 15
2. Niko Eeckhout Lotto 13
3. Alessio di Basco Saeco 10

Nachwuchswertung:
1. Torsten Schmidt Roslotto 26h41:53
2. Stefano Zanini Mapei 2:29
3. Benoit Salmon Lotto 4:58

Teamwertung:
1. BigMat 80h13:10
2. MG Technogym 3:05
3. Saeco 3:17



PS: Danke für den Kommentar. Screens gibt es wahrscheinlich erst ab den Bergen, zum Teil, weil ich vergessen hatte, fssscreen vor dem Spielen zu starten, zum Teil, weil die Screens einfach nicht gelungen sind. (Auch wegen den schlecht gestalteten Zielankünften der Database.) Dafür gefallen mir die von der ersten Bergetappe ganz gut.

Valverde3007
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Beitrag: # 6800483Beitrag Valverde3007
29.12.2009 - 15:14

Tour de France 1997: Etappe 6 - Im Stile eines Champions

Die Pleite vom Vortag wollte Telekom heute nicht noch einmal erleben, was das gesamte Team vom ersten Rennkilometer an zeigte. Als sich gleich am Anfang der sechsten Etappe über 215 Kilometer von Le Blanc nach Marennes eine große Gruppe bildete, organisierten sie sofort die Verfolgung. Nach einem kurzen Gespräch mit Marcel Wüst und dem aufstrebenden Sprinter dieser Tour, Benoit Salmon, hatte Ete in Form der Teams Festina und Lotto Verbündete gegen die fünfzehn Fahrer starke Ausreißergruppe gefunden, so dass früh ein Kampf zwischen den mutigen Ausreißern und den engagierten Helfern begann. Doch trotz aller Anstrengungen dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis die gefährliche Gruppe gestellt war. Nach zwanzig Kilometern war sie entstanden, bei Kilometer 50 wieder gestellt. Kurz darauf bildete sich zwar schon das nächste Duo, dem neben dem spanischen Kletterer Zarrabeitia schon wieder der Ausreißerkönig Durand angehörte, die beiden stellten aber keine Gefahr dar und wurden fahren gelassen. In der Folge verlief das Rennen ruhig, Ete staubte bei einem der beiden Zwischensprints zwei Punkte ab und verhielt sich sonst ruhig, während die Ausreißer an der Spitze ihre Kreise zogen. Die Sprinterteams hielten den Abstand dabei jederzeit so gering, dass kein Zweifel an einer Sprintankunft aufkam.

Zwischen dem Feld und den Ausreißern war eine Pattsituation eingetreten. Ulle hatte aufmerksam die Abstände verfolgt und fünfundzwanzig Kilometer vor dem Ziel war der Abstand auf eine Minute gesunken, worauf die die Ausreißer rausnahmen, da Zarrabeitia kein Interesse mehr daran hatte, den aussichtslos gewordenen Fluchtversuch fortzusetzen. Stattdessen schien er Kraft für die Berge sparen zu wollen, wo er wertvolle Helferdienste für Jalabert und Zülle verrichten müsste. Daraufhin hatte auch das Feld, das aus den Fehlern der Vortage gelernt hatte, die Geschwindigkeit reduziert und hielt die beiden an der langen Leine um keine Konterattacken zu provozieren. Das führte dazu, dass sie im Schnitt nicht einmal mehr vierzig Strundenkilometer fuhren, was im krassen Gegensatz zu den irrsinnig schnellen ersten Rennstunden stand. Ulle war es zwar recht, dass es endlich einmal langsamer wurde, aber trotzdem nagte die Situation ihm wie den Sprintern an den Nerven. In der Anfahrt zum letzten Zwischensprint wurde es zwar wieder etwas schneller, aber da sich nur Wüst, zwei Fahrer von Roslotto und Jalabert am Sprint beteiligten, nahm es keinen Einfluss auf den Rückstand auf die Ausreißer. Ete hielt sich sogar aus dem Sprint heraus, um seine Kräfte für den Massensprint zu sparen, wo ihm in den letzten Tagen anscheinend immer ein wenig Kraft gefehlt hatte. Ulle beobachtete, wie Nacheinander die Sprinter ins Feld zurückfielen. Erst Gonchenkov, dann sein Kapitän Strazzer, der sich die beiden Punkte gesichert hatte und schließlich Marcel Wüst. Ulle schaltete beinahe schon wieder ab, als ihm etwas auffiel. Einer fehlte. Der Weltcupführende Laurent Jalabert hatte sich mit den Sprintern vom Feld gelöst, war aber nicht wieder zurückgekommen. Das konnte nur bedeuten, dass er entweder vor dem Feld seine Verwandten begrüßte, was Ulle kaum annahm, oder dass der Franzose zum Angriff blies.

Ete war versucht, selber in die Führungsarbeit zu gehen, um Jalabert wieder einzufangen. Still und leise hatte der Franzose sich nach dem Zwischensprint aus dem Staub gemacht, zu Durand und seinem Teamkollegen Zarrabeitia, der auf ihn wartete nach vorne gefahren und bevor die Sprinterteams reagierten einen Vorsprung von eineinhalb Minuten herausgefahren. Zwölf Kilometer vor dem Ziel war Zarrabeitia zurückgefallen, sechs Kilometer vor dem Ziel folgte Durand, aber Jalabert hielt sich an der Spitze. Zehn Kilometer vor dem Ziel hatte er 1:10, Acht Kilometer vor dem Ziel noch fünfzig Sekunden, fünf Kilometer vor dem Ziel noch vierzig Sekunden. Nun zwei Kilometer vor dem Ziel waren es noch fünfzehn Sekunden. Bei den meisten anderen Fahrern wäre er sich sicher gewesen, dass sie noch eingeholt werden würden, aber bei Jalabert war es etwas anderes. Auf der einen Seite hatte er sich den ganzen Tag ausgeruht und war erst vor zwanzig Kilometern aktiv geworden, weshalb er noch Kraft haben sollte, auf der anderen Seite war einem Jalabert in Frankreich im Finale einer Etappe alles zuzutrauen. So sehr der Telekomexpress rollte, der Rückstand schmolz nicht in der erwarteten Geschwindigkeit. Seine Helfer gaben zwar alles, aber Jalabert hielt sich gut. An der Flame rouge waren es noch ungefähr hundert Meter. Wesemann übernahm nun die Spitze. Ete spürte die Müdigkeit in seinen Beinen, die ihm zeigte, dass das Tempo extrem hoch war und nun wurde er auch wieder zuversichtlicher, dass sie Jalabert noch holen würden. Wenn Lombardi ihm den Sprint perfekt anziehen würde, hätte er noch eine Minimalchance. Dieses Vorhaben wurde aber sofort wieder durchkreuzt, als sechshundert Meter vor dem Ziel Salmon mit seinem Anfahrer Eeckhout vorbeifuhr. Ete gab Lombardis Hinterrad auf und folgte Salmon. Zweihundert Meter vor dem Ziel eröffnete der junge Franzose den Sprint mit einem explosiven Antritt. Ete hatte einige Mühe, sich an seinem Hinterrad zu halten und musste kämpfen, um Anschluss zu halten. Währenddessen registrierte er, dass neben ihm Massimo Strazzer vorbeizog. Ete musste noch eine Schippe drauflegen. Er mobilisierte seine letzten Kräfte und zog aus Salmons Windschatten. Zentimeter um Zentimeter gewann er, aber es reichte nicht bis zur Ziellinie, so dass er sich sowohl Salmon als auch Strazzer geschlagen geben musste. Als er vor sich die Rückseite des Trikots des Weltcupspitzenreiters sah, der sich aufgerichtet und seine Faust in Richtung Himmel gestreckt hatte, wurde ihm schließlich klar, dass das Feld wieder nur um die Plätze gefahren war. Gewonnen hatte der stärkste, mutigste und klügste Fahrer des Tages, Laurent Jalabert.


Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Laurent Jalabert ONCE 4h55:13
2. Massimo Strazzer Roslotto s.t.
3. Benoit Salmon Lotto s.t.
4. Erik Zabel Telekom s.t.
5. Marcel Wüst Festina s.t.
6. Mario Scirea Saeco s.t.
7. Stefano Checchin Mercatone Uno s.t.
8. Nicola Minali Batik s.t.
9. Beat Zberg Mercatone Uno s.t.
10. Angel Edo Kelme s.t.

Gesamtwertung:
1. Chris Boardman GAN 31h36:13
2. Torsten Schmidt Roslotto 0:53
3. Stefano Zanini Mapei 3:22
4. Erik Zabel Telekom 5:12
5. Laurent Jalabert ONCE 5:31
6. Evgeni Berzin Batik 5:39
7. Marcel Wüst Festina 5:42
8. Benoit Salmon Lotto 5:43
9. Piotr Ugromov Roslotto 5:48
10. Jan Ullrich Telekom 5:53

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 184
2. Marcel Wüst Festina 149
3. Benoit Salmon Lotto 147

Bergwertung:
1. Thierry Gouvenou BigMat 15
2. Niko Eeckhout Lotto 13
3. Alessio di Basco Saeco 10

Nachwuchswertung:
1. Torsten Schmidt Roslotto 31h37:06
2. Stefano Zanini Mapei 2:29
3. Benoit Salmon Lotto 4:50

Teamwertung:
1. BigMat 94h58:49
2. MG Technogym 3:05
3. Saeco 3:17

Valverde3007
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Beitrag: # 6800563Beitrag Valverde3007
30.12.2009 - 18:25

Tour de France 1997: Etappe 7 - Der König der Sprinter


Nicht wenige Sprinter sahen Bordeaux als die zweitprestigeträchtigste Sprintankunft im Rahmen der Tour de France an. Die Organisatoren sahen das nicht anders und so war Bordeaux im dritten Jahr in Folge Etappenort. Ete hatte gute Erinnerungen an die letzten beiden Jahre. Vor zwei Jahren hatte er hier bei seiner ersten Tourteilnahme den zweiten Etappensieg gefeiert, im Vorjahr war er knapp hinter Frederic Moncassin zweiter geworden, wobei er bis kurz vor Schluss geführt hatte. Bei beiden Gelegenheiten hatte er also sehr gut ausgesehen und daher hatte er sich fest vorgenommen heute aufs Treppchen zu fahren. Nach den vielen guten Platzierungen wollte er heute wieder gewinnen und war hochmotiviert. Das immer noch sehr warme und sonnige Wetter passte zu seiner Stimmungslage. Es waren perfekte Verhältnisse für ein gutes Rennen.

Zum ersten Mal in der schnellen ersten Woche verlief das Rennen komplett ruhig. Direkt nach dem offiziellen Start hatte sich Marco Finco aus dem Staub gemacht und sein Glück als Solist gesucht. Das Feld hatte keine Reaktion gezeigt, Konterattacken und Tempoverschärfungen blieben überraschenderweise aus. Also baute Finco seinen Vorsprung in Ruhe aus, bis er eine knappe Viertelstunde betrug, präsentierte seinen Sponsor vor den Fernsehbildschirmen und sammelte die Bonussprints ein. Bei diesen Zwischenwertungen zeigte das Feld seine einzige Aktivität. Zweimal gewann Marcel Wüst den Sprint um den zweiten Platz, beim dritten Sprint setzte sich Ete durch, so dass sich in der Sprintwertung kaum Veränderungen ergaben. Anschließend machte das Feld Druck, um den mittlerweile entkräfteten Finco wieder einzuholen. Der Italiener kämpfte zwar bis an die Stadtgrenzen von Bordeaux um seine kleine Chance, den Etappensieg zu holen, doch das Feld machte seine Bemühungen zunichte. Pünktlich zur Einfahrt auf die Zielgerade war Finco wieder gestellt.

Als Ete auf die Zielgerade einbog, erinnerte er sich sofort wieder an die letzten Ankünfte zurück. Beide Male war er offensiv in den Sprint gegangen und hatte sich an die Spitze gesetzt. Dieses Jahr war die Ausgangslage sogar noch besser, da er im Gespann mit Lombardi noch stärker war als je zuvor. Nun brachte ihn sein italienischer Anfahrer in eine ideale Position. An der Spitze zogen Traversoni und della Santa von Mercatone Uno für ihren Sprinter Checchin den Sprint an, direkt dahinter befanden sich Lombardi und Zabel. Erfolgreich neutralisierten sie einen letzten erfolglosen Angriff eines Fahrers von Cofidis, dann eröffnete Lombardi den Sprint und zog an Checchin und seinen Männern vorbei in den Wind. Ete hielt sich an seinem Hinterrad und beobachtete die Entfernungsangaben. Bei 250 Metern ließ er ein kleines Sprinterloch zu Lombardi, dann trat er an nutzte die letzten Meter den Windschatten und sprintete los. Er zog einmal quer über die Straße auf die rechte Seite und hielt dann konsequent seine Linie. Motiviert davon, dass er seine Führung halten konnte, legte er noch ein bisschen zu. Auf den letzten fünfzig Metern spürte er, dass Wüst ihm näher kam. Mit letzter Kraft zog Ete die letzten Tritte durch. Es reichte. Er hatte Wüst knapp geschlagen. Jubelnd richtete er sich auf, während Wüst links von ihm mit der höheren Endgeschwindigkeit sichtlich unzufrieden vorbeihuschte. Ete hatte seinen zweiten Sieg, nach dem Erfolg am Hügel von Plumelec den ersten in einem reinen Massensprint, einem „Sprint royal“. Und er war der König.


Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Erik Zabel Telekom 4h21:04
2. Marcel Wüst Festina s.t.
3. Massimo Strazzer Roslotto s.t.
4. Stefano Checchin Mercatone Uno s.t.
5. Angel Edo Kelme s.t.
6. Nicola Minali Batik s.t.
7. Benoit Salmon Lotto s.t.
8. Mario Scirea Saeco s.t.
9. Niko Eeckhout Lotto s.t.
10. Pascal Durame US Postal s.t.

Gesamtwertung:
1. Chris Boardman GAN 35h57:17
2. Torsten Schmidt Roslotto 0:53
3. Stefano Zanini Mapei 3:22
4. Erik Zabel Telekom 4:46
5. Marcel Wüst Festina 5:20
6. Laurent Jalabert ONCE 5:31
7. Evgeni Berzin Batik 5:39
8. Benoit Salmon Lotto 5:43
9. Piotr Ugromov Roslotto 5:48
10. Jan Ullrich Telekom 5:53

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 225
2. Marcel Wüst Festina 189
3. Benoit Salmon Lotto 166

Bergwertung:
1. Thierry Gouvenou BigMat 15
2. Niko Eeckhout Lotto 13
3. Alessio di Basco Saeco 10

Nachwuchswertung:
1. Torsten Schmidt Roslotto 35h58:10
2. Stefano Zanini Mapei 2:29
3. Benoit Salmon Lotto 4:50

Teamwertung:
1. BigMat 106h02:01
2. MG Technogym 3:05
3. Saeco 3:17

Valverde3007
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Beitrag: # 6800806Beitrag Valverde3007
4.1.2010 - 11:33

Tour de France 1997: Etappe 8 – Das falsche Hinterrad

Wehmütig musste Ete sich daran erinnern, dass die letzte Flachetappe anstand, die im Massenspurt entschieden werden konnte, bevor das Feld die Pyrenäen erreichte. Heute war der letzte Tag, an dem Telekom nur für ihn fuhr, ab morgen würde sich alles darauf konzentrieren, das Unternehmen Titelverteidigung durchzuführen. Umso entschlossener war Ete, seine letzte Chance zu nutzen und den bisherigen zwei Tageserfolgen einen weiteren hinzuzufügen. Die Etappe von Sauternes nach Pau war nur 161 Kilometer lang, sollte also mit mehreren Sprinterteams zu kontrollieren sein, insbesondere, da in der Hitze von 30 Grad im Schatten wenige Fahrer angriffslustig waren. Außerdem mussten sich einige Helfer heute auf Anweisung ihrer sportlichen Leiter zurückhalten, weil sie in den Bergen gebraucht werden würden. Das Team Telekom musste den gefährlichen Spagat schaffen. Einerseits wollten sie heute einen Massensprint, andererseits morgen das gelbe Trikot. Wenn es optimal lief, konnten sie beides schaffen.

In der Theorie hatte alles perfekt ausgesehen. Viele Fahrer versuchten sich zu schonen, ein Ausreißerduo kämpfte gegen das übermächtige Feld und schließlich gab es einen ungefährdeten Massensprint. In der Praxis lief es natürlich anders. Angetrieben vom Weltmeister und Flandernrundfahrt-Sieger Johan Museeuw machten sich bei Kilometer eins acht Fahrer aus dem Staub, darunter Klassikerspezialisten wie Peter van Petegem und Lokalmatadoren wie Ludovic Auger, der mit dem Gewinn der beiden Bergwertungen der vierten Kategorie das gepunktete Trikot des besten Bergfahrers von seinem Teamkollegen Thierry Gouvenou eroberte. Allerdings funktionierte das Oktett nicht gut und verlor unter dem Tempodiktat von Lotto schnell einen Großteil des maximalen Vorsprungs von vier Minuten, so dass zwanzig Kilometer vor dem Ziel schon der Zusammenschluss näher rückte. Nachdem Jalabert es vor zwei Tagen mit seinem Husarenritt geschafft hatte, die Sprinter zu düpieren, war es heute Museeuw, der alles auf eine Karte setzte und sich von seinen Begleitern löste. Mit einer Dreiviertelminute nahm er zwar wahrscheinlich etwas zu wenig Vorsprung mit auf die letzten fünfzehn Kilometer, aber Jalabert hatte bewiesen, dass ein Klassemann auch aus dieser Ausgangsposition Erfolg haben konnte.

Ete klopfte Museeuw aufmunternd auf die Schulter, als er zwei Kilometer vor dem Schluss gestellt wurde und an ihm vorbei zurückfiel. Lange Zeit hatte es recht gut für den Belgier ausgesehen, dann hatte sich aber doch gezeigt, dass er im Gegensatz zu Jalabert nicht seine Topform hatte und daher dem heranstürmenden Feld unterlegen war. Sekunde um Sekunde, Meter um Meter war sein Vorsprung geschmolzen, bis er schließlich geschluckt wurde. Nun lief die Sprintvorbereitung wieder auf Hochtouren. Das Telekomteam hatte es zwar nicht geschafft, sich in voller Mannschaftsstärke nach vorne zu fahren, dafür hatte Ete immerhin das Hinterrad von Lombardi gefunden, der ihn nun in eine gute Position brachte. Vor ihm sah er zum ersten Mal bei der Tour das Bild, was er und beinahe jeder andere Fahrer nach den Massenspurts vom Giro d’Italia erwartet hatten. Fünf Fahrer vom Team Saeco hatten sich an der Spitze formiert, Mario Cipollini fuhr an letzter Position und schien heute wohl zum ersten Mal eine entscheidende Rolle in einem Sprint spielen zu wollen. Lombardi setzte Ete fünfhundert Meter vor dem Ziel an Cipollinis Hinterrad ab und ließ sich dann zurückfallen, so dass Ete nun auf sich allein gestellt war. Mit einigem Ellenbogeneinsatz schaffte er es seinen Platz bis zur Eröffnung des Sprints zu halten. Als der drittletzte Saecomann aus dem Wind ging registrierte Ete, dass links von ihm Traversoni mit Checchin und Edo am Hinterrad vorbeikam. Sofort spurtete Scirea hinterher und zog Cipollini und die folgenden Sprinter mit. Allerdings zeigte sich nun, dass Ete auf das falsche Pferd gesetzt hatte. Cipollini bemerkte schnell, dass er nicht die Beine hatte, um vorne reinzufahren und ließ eine Lücke zu Scirea aufreißen. Ete ging zwar sofort an ihm vorbei, aber der Schaden war angerichtet, da er sich nun im Wind zurück kämpfen musste, während Scirea vorne an Checchin und Edo vorbeizog. Ete gab zwar alles, aber er schaffte es nicht mehr die ersten drei zu erreichen. Stattdessen musste er sogar noch Massimo Strazzer passieren lassen. Enttäuscht schüttelte er den Kopf. Saeco und Scirea hatten ihn an der Nase herumgeführt. Cipollini hatte nur seinen Sprint gestört, Scirea hatte stattdessen die Etappe gewonnen. Immerhin blieb ihm das grüne Trikot, dass er nun mit einem ansehnlichen Vorsprung durch die Berge tragen würde. Alles in allem war die Tour bis jetzt sehr gut verlaufen und seine Ausbeute übertraf seine kühnsten Erwartungen. Nun war seine Rolle zu einem Großteil gespielt, er gab die Bühne frei für die Klassementfahrer.



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Mario Scirea Saeco 3h40:22
2. Stefano Checchin Mercatone Uno s.t.
3. Angel Edo Kelme s.t.
4. Massimo Strazzer Roslotto s.t.
5. Erik Zabel Telekom s.t.
6. Marcel Wüst Festina s.t.
7. Benoit Salmon Lotto s.t.
8. Pascal Durame US Postal s.t.
9. Nicola Minali Batik s.t.
10. Alessandro Spezialetti Batik s.t.

Gesamtwertung:
1. Chris Boardman GAN 39h37:39
2. Torsten Schmidt Roslotto 0:53
3. Stefano Zanini Mapei 3:22
4. Erik Zabel Telekom 4:46
5. Marcel Wüst Festina 5:20
6. Laurent Jalabert ONCE 5:31
7. Evgeni Berzin Batik 5:39
8. Benoit Salmon Lotto 5:43
9. Piotr Ugromov Roslotto 5:48
10. Jan Ullrich Telekom 5:53

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 247
2. Marcel Wüst Festina 209
3. Benoit Salmon Lotto 185

Bergwertung:

1. Ludovic Auger BigMat 16
2. Thierry Gouvenou BigMat 15
3. Niko Eeckhout Lotto 13

Nachwuchswertung:
1. Torsten Schmidt Roslotto 39h38:32
2. Stefano Zanini Mapei 2:29
3. Benoit Salmon Lotto 4:50

Teamwertung:
1. BigMat 119h03:07
2. MG Technogym 3:05
3. Saeco 3:17

Valverde3007
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Beitrag: # 6801162Beitrag Valverde3007
8.1.2010 - 23:47

Tour de France 1997: Etappe 9 - Das Spiel beginnt (Teil1)

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„Ab heute zählt es wieder. Ete hat sein grünes schon fast sicher, das bringt er bis Paris. Jetzt kämpfen wir um gelb. Bjarne und Jan sind bisher ordentlich im Rennen, wenn es gut läuft, haben wir schon nach den Pyrenäen das gelbe. Heute werden sie noch keine große Attacke fahren, sondern bei den wichtigsten Leuten bleiben. Wie ihr im Roadbook seht..“
Walter zückte das kleine Heft, das die Fahrer und die sportlichen Leiter vor Beginn der großen Schleife von den Organisatoren erhalten hatten und blätterte ein wenig darin herum, bis er die richtige Seite fand und fortfuhr.
„… haben wir heute vier schwere Berge und fast zweihundert Kilometer zurückzulegen. Weil es ziemlich heiß ist, wird das Rennen vielleicht nicht ganz so schnell. Dann sollten es fünfeinhalb bis sechs Stunden Fahrzeit sein. Also passt auf, dass ihr euch genug verpflegt und Kräfte spart. Heute soll am besten keiner von uns in eine Gruppe gehen, wir brauchen alle Kräfte im Feld. Bei Kilometer 55 kommt der Aspin, da wird wenig passieren, erst am Tourmalet nach 115 Kilometern dürften die ersten Fahrer angreifen. Udo, Jens und Georg müssen dann hinterherfahren. Der Aspet ist dann wieder etwas leichter und am letzten Berg, dem Val-Louron Azet geht dann die Post ab. Jan muss die Angriffe dann abwehren, wenn er nicht mehr kann, geht Bjarne selbst hinterher. Am besten kommt ihr beide mit der ersten Gruppe über den Berg. Wichtig ist, dass ihr an der Bergwertung vorne seid. Danach kommt nur noch eine Abfahrt, zwölf Kilometer lang, dann seid ihr im Ziel. Noch Fragen?“
Alle neun Fahrer schüttelten den Kopf. Die Marschroute war klar.

Ulle schmunzelte über die Ironie des Schicksals. An den ersten steilen Rampen des Col d’Aspins, des ersten Bergs der Tour, wurde di erste Aufgabe gemeldet. Für den litauischen Meister Kasputis war die Tour schon vorbei, als sie für Ulle gerade erst anfing. An der Spitze des Feldes gaben nun Telekom und Banesto den Ton an, während das Team des Gesamtführenden Boardman sich aus der Verfolgung der Spitzengruppe heraushielt, weil der Brite wohl keine Chancen haben sollte, über die schweren Berge sein gelbes Trikot zu verteidigen. Telekom würde es wohl noch nicht übernehmen. Bjarne wollte nicht attackieren und spätestens seit es leicht begonnen hatte zu nieseln, war Ulle die Lust an einem Angriff vergangen. Drei Minuten vor dem Feld fuhr eine Gruppe von acht Fahrern, darunter einige interessante Leute, die man nicht aus den Augen lassen durfte. Fabian Jeker, der bei der Tour de Suisse so stark war, war vertreten, dazu sein Landsmann Oscar Camenzind. Außerdem kamen der italienische Meister Tartaggia, Durand, Eeckhout, Breukink, Salmeron und Talmant dazu. Also alles in allem eine gute Gruppe, die aber für die Gesamtwertung nicht besonders gefährlich war. Also hielt sich auch das Telekomteam noch zurück und legte ein moderates Tempo vor. Bei der Überquerung des Aspins waren es deshalb schon über fünf Minuten. Trotzdem wollten sie bis zum Beginn des Tourmalets das Rennen beruhigen und nicht aufs Tempo drücken.

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Links die Spitzengruppe. Rechts Ulle und Ete erreichen die Pyrenäen

Das hatte zur Folge, dass aus den fünf Minuten schnell neun Minuten wurden, bis sie den Tourmalet erreichten. Dann übernahm Banesto das Zepter und sorgte dafür, dass das Tempo erheblich angezogen wurde. Sofort fielen am Ende des Pelotons viele Fahrer zurück. Telekom verlor durch die Tempoverschärfung mit Ete, Lombardi und Wesemann leider auch schon drei Leute. Ulle hatte dagegen noch keine Probleme und hielt sich gemeinsam mit Riis weit vorne im Feld auf. Wegen des hohen Tempos von Banesto traute sich niemand, schon am Tourmalet zu attackieren und eine Vorentscheidung zu suchen. Stattdessen blieben die Fahrer bis kurz vor dem Gipfel zusammen. Erst vier Kilometer vor dem Gipfel traute sich mit dem Altmeister Tony Rominger der erste Fahrer aus der Defensive. Mit einem knackigen Antritt löste er sich von der Favoritengruppe und legte gleich ein paar Meter zwischen sich und das Feld. Nur der junge Franzose Laurent Roux wagte es, dem Schweizer zu folgen. Sofort wechselten Ulle und Riis hektische Blicke und entschieden dann, sofort hinterherzufahren. Bölts und Lafis waren inzwischen auch zurückgefallen, also blieben mit Heppner und Totschnig noch zwei Helfer übrig, die sich sofort an die Arbeit machten und sich vor das stark geschrumpfte Feld spannten. Dadurch verkleinerte sich die Gruppe immer weiter, sogar einer der großen Favoriten musste abreißen lassen. Der italienische Bergspezialist Marco Pantani konnte das Tempo nicht halten und fiel einen Kilometer vor dem Gipfel zurück. Fast zeitgleich schlossen Totschnig und Heppner wieder zu Rominger auf. Insgesamt 35 Fahrer hatten es in die Gruppe geschafft, die zwei Minuten hinter den verbliebenen fünf Spitzenreitern den Tourmalet überquerten, die Gruppe mit Pantani kam noch eine Minute später. Der erste Gegner war also abgehängt, an den verbliebenen zwei Bergen sollten weitere folgen.

Auf der Abfahrt füllte sich die Gruppe um Ulle wieder etwas auf, so dass etwa dreißig Fahrer beisammen waren, als der Aufstieg zum Col du Portet d’Aspet begann. Inzwischen hatte Roux sich bis zu Jeker, Camenzind und Breukink, die den Rest der Spitzengruppe darstellten, vorgekämpft und nun ging er sofort an den ersten Metern des Anstiegs wieder in die Attacke. Anscheinend hatte er sich eine Menge vorgenommen, denn er setzte sich schnell deutlich von den anderen ab und nahm sogar dem Feld weiter Zeit ab. Dort kämpfte Totschnig an der Spitze aufopfernd für seine Kapitäne, um Pantani nicht mehr aufschließen zu lassen und Roux, den Experten immerhin als Geheimfavorit handelten, nicht zu weit entkommen zu lassen. Unter seinem Tempodiktat holte das Feld nach und nach einen Ausreißer nach dem anderen ein, bis schließlich nur noch Roux mit zweieinhalb Minuten Vorsprung vor dem Feld blieb. Zwar musste er sich zwei Kilometer vor dem Gipfel zurückfallen lassen und übergab entkräftet an Heppner, aber immerhin hatte er es geschafft, durch sein hohes Tempo den anderen die Lust am attackieren zu nehmen. Also verschob sich der Kampf der Favoriten um einen weiteren Berg nach hinten.

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Das Team Telekom (links mit Riis, Ullrich, Heppner und Totschnig) auf der Jagd nach Laurent Roux (rechts)


Zweiteiler, Lückenfüller, was solls. Cut.

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ScÔtt
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Beitrag: # 6801172Beitrag ScÔtt
9.1.2010 - 6:34

Macht immer Spaß bei dir zu lesen richtig toll :)
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Valverde3007
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Beitrag: # 6801192Beitrag Valverde3007
9.1.2010 - 14:39

Heppner führte den Rest des Hauptfeldes mit Vollgas in den letzten Berg, den Col du Val Louron-Azet. Elf Kilometer ging es nun bergauf, wobei die Durchschnittssteigung etwa acht Prozent betrug. Jetzt mussten die Favoriten ihre Karten auf den Tisch legen, jetzt würde man erfahren, wer im Kampf um den Gesamtsieg ernst zu nehmen war. Und Ulle würde erfahren, ob Bjarne wirklich noch stärker war als er selbst. Natürlich akzeptierte er die Teamorder, aber in den letzten Tagen hatte er sich so gut gefühlt, dass ein kleines bisschen Hoffnung in ihm aufkeimte, dass Bjarne ihm freie Fahrt lassen würde, wenn er sehen würde, dass er nicht mehr der stärkere war. Vorrangig blieb das Ziel, einen Mann auf dem Podest zu platzieren, wer das war würde sich später zeigen. Am letzten Berg sollten sich die anderen Aspiranten auf den Sieg zeigen und nun war es auch mit deren Zurückhaltung vorbei. Sofort auf den ersten Metern griff Abraham Olano an und sprengte die Favoritengruppe. Heppner konnte nicht mehr, also musste nun Ulle hinterhergehen. Er vergewisserte sich, dass Bjarne an seinem Hinterrad war und erhöhte die Schlagzahl. Olano hatte ihnen den Fehdehandschuh hingeworfen, Telekom musste kontern. Ulle schlug ein zügiges Tempo an, achtete aber darauf, noch nicht ans Limit zu gehen. Trotzdem zeigte seine Tempoarbeit ihre Wirkung und einige der Topfavoriten für die Rundfahrt mussten schon der ersten Tempoverschärfung Tribut zollen. Die ersten Opfer waren Alex Zülle und Laurent Dufaux, wenig später ließ eine Gruppe mit Leblanc, Guerini und Ugromov reißen. Nachdem sich die Reihen gelichtet hatten, blieben schließlich nur noch fünfzehn Fahrer zusammen, die Ulle folgen konnten. Den nächsten Nadelstich setzte Richard Virenque. Durch seinen Sturz auf einer der Flachetappen mit mehreren Minuten Zeitrückstand gehandicapt nutzte er die erste Gelegenheit am Berg Zeit zu gewinnen und stieg Olano hinterher. Ulle konterte erneut und setzte sich ans Hinterrad des Franzosen. Einige Momente ruhte er sich aus, dann ging er vorbei und erhöhte das Tempo weiter. Da hörte er eine keuchende Antwort über Funk. Bjarne bat ihn, es langsamer anzugehen. Sein Kapitän schwächelte also schon am ersten Berg der Tour. War es tatsächlich schon so weit? War er bereit für die Machtübernahme?

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Ulle wehrt Virenques Attacke ab (links) und übernimmt einen Großteil der Führungsarbeit (rechts)

Bjarne spürte, wie seine Beine immer schwerer wurden und anfingen mehr und mehr zu schmerzen. Er litt nun wie ein Hund, genau so, wie er eigentlich die anderen leiden lassen wollte. Als er sich umsah, erkannte er, dass es einigen anderen ähnlich ging. Gerade schloss der Russe Pavel Tonkov wieder auf, der kurzzeitig den Anschluss verloren hatte, andere Fahrer, die auf dem Papier am Berg sehr stark sein sollten, waren längst zurückgefallen. Alle stießen nun an ihre körperlichen Grenzen. Alle? Nein, die zwei Fahrer, die sich in der Führungsarbeit abwechselten, fuhren wie von einem anderen Stern. Virenque attackierte, setzte sich wieder hin und attackierte wenige Meter später wieder, ohne dass er wirklich müde wurde. Und Ulle fuhr die Löcher ohne Probleme wieder zu. Dahinter musste der Rest verzweifelt um den Anschluss kämpfen und wurde immer weiter zermürbt. Wenigstens hatte Ulle seine Anweisung verstanden und hatte das Tempo etwas beruhigt. Dadurch gewann Olano, der immer noch vor der Gruppe fuhr, zwar etwas Zeit, dafür eliminierten sich die Telekomfahrer nicht gegenseitig. Ulle schlug nun ein gleichmäßiges Tempo an und Virenque verlor mit der Zeit die Lust am Attackieren. Bjarne nutzte die ruhigere Phase, um zu überprüfen, wer noch in der Gruppe vertreten war und damit in den engeren Favoritenkreis rutschte. Fünf Franzosen waren noch dabei, natürlich Virenque, dazu der Etappensieger Jalabert, Jean-Cyril Robin, Heulot und überraschend der dritte der Sprintwertung Benoit Salmon. Außerdem erkannte er die beiden Russen Tonkov und Berzin, Pantanis Edelhelfer Beat Zberg und den Altmeister Tony Rominger. Es hatte sich also eine ansehnliche Gruppe gebildet, die einige Zeit gut zusammen arbeitete und den Vorsprung von Laurent Roux von vier Minuten schnell eindampfte. Vier Kilometer vor der Bergwertung hatte er noch 2:00 Vorsprung auf die Gruppe mit Bjarne und Ulle und 1:20 auf Olano. Rein theoretisch war der Tagessieg also noch in Reichweite. Auf die Idee kam auch Tony Rominger, der deshalb die nächste Attacke fuhr.

Als Rominger sich absetzte guckte Ulle zu Bjarne zurück und als dieser kurz nickte, erhöhte er das Tempo. So langsam wurde er müde, aber die letzten vier Kilometer des Anstiegs würde er noch überstehen, ohne Zeit auf andere Fahrer zu verlieren. Rominger war sehr stark und hatte mit seiner Attacke einige Meter gewonnen, weshalb Ulle nicht versuchte, die Lücke im Hauruckverfahren zuzufahren, sondern sich langsam wieder heranzuarbeiten. Währenddessen mussten am Ende der Gruppe mit Zberg und Heulot zwei weitere Fahrer reißen lassen. Etwa einen Kilometer vor der Bergwertung hatte er Rominger wieder gestellt. Die wenigen Meter bis zur Bergwertung würde er auch noch überstehen, dann war das Tagesziel erreicht. Virenque unterstützte ihn noch einmal bei der Tempoarbeit und fünfhundert Meter vor der Bergwertung kam Evgeni Berzin nach vorne gefahren. Der Russe schaute Ulle kurz ins Gesicht und trat dann an. Ulle nahm nun keine Rücksicht mehr auf Bjarne, der die letzten Meter am Berg alleine überstehen würde und ging sofort ans Hinterrad des Russen. Hinter ihm explodierte die Gruppe. Tonkov und Robin fielen zurück und Bjarne, Salmon und Jalabert verloren etwas den Kontakt zum Rest der Gruppe. Berzin zog seinen Angriff durch und führte die Spitzengruppe bis zur Bergwertung. Dreißig Sekunden nach Roux und Olano, der den Franzosen eingeholt hatte, erreichte Berzin als dritter die Bergwertung. Rominger, Ulle und Virenque waren direkt an seinem Hinterrad, die nächste Dreiergruppe mit Bjarne hatte fünf Sekunden Rückstand. Auf der Abfahrt würde zwar noch einiges zusammenrollen, doch wahrscheinlich konnte man den engeren Favoritenkreis auf die ersten neun Fahrer eingrenzen. Und Ulle wusste, dass er nicht derjenige mit den schlechtesten Chancen war.

Während Olano Roux einholt(links) greifen in der Gruppe immer wieder Fahrer an (rechts Rominger)

Wütend jagte Bjarne über die letzten Meter des Azets, bis er die Bergwertung erreichte. Ulle hätte Berzin gewähren lassen und die Gruppe beisammen halten sollen. Dann hätte er Bjarne auf der Abfahrt nach vorne bringen können. Nun musste Bjarne volles Risiko gehen, um die Gruppe wieder zu erreichen und keine Zeit zu verlieren. War der junge deutsche etwa schon so übermütig, seinen Kapitän in Frage zu stellen? Er animierte Jalabert zur Verfolgung und stürzte sich gemeinsam mit ihm in die gefährliche Abfahrt. Gemeinsam schafften sie es, bis vier Kilometer vor dem Tagesziel wieder zu der Gruppe mit Ulle aufzufahren. Mit erbostem Blick fuhr Bjarne an die Seite von Ulle und wies ihn zurecht. Es war sein Recht als Kapitän, auf seine Helfer zählen zu können. Bjarne war sauer, weil Ulle das nicht respektiert hatte. Oder war er aus einem anderen Grund sauer? Als er sich wieder etwas beruhigt hatte und sich am Schluss der Gruppe einreihte, kam ihm ein anderer Gedanke. Ulle hatte nicht die Hauptschuld an seiner Unzufriedenheit, sondern er selbst. Inzwischen beschlich ihn ein anderes Gefühl. Angst. Er spürte die Angst, schwächer zu sein als Ulle, die Angst, seinen Zenit mit der Tour im Vorjahr überschritten zu haben. Vielleicht war es tatsächlich so weit, dass Ulle ihn überflügelt hatte. Dann würden sie in Andorra einen Wechsel erleben, einen Generationenwechsel. Er sträubte sich gegen den Gedanken, musste aber einsehen, dass die Fahrt am Azet keinen Zeitabstand gebracht hatte und doch deutlich gezeigt hatte, dass seine Zeit vorbei war und Ulle die Zukunft gehörte. Morgen würde er sehen, wie es weiterging. Vielleicht war er besser drauf und drehte den Spieß wieder um. Er konnte es nur hoffen.

Ulle schaute Bjarne verständnislos an, als der ihn verbal angriff. Sollte er doch einfach schneller fahren, dann gäbe es keine Probleme. Am Azet hatte sich doch gezeigt, dass die Kräfteverhältnisse sich gedreht hatten, das musste Bjarne einsehen. Ulle war gerne bereit, für Bjarne zu schuften, allerdings war es wichtiger gewesen, die Gegner in Schach zu halten. Ulle wandte sich wieder nach vorn und ging in die Führung. Die Frage der Hierarchie könnten sie morgen klären, nun hatte er Olano einzuholen. Am Ende der rasenden Abfahrt erreichten sie das kleine Städtchen Loudenvielle. Die zwei an der Spitze hatten nun noch zwanzig Sekunden Vorsprung, es würde also wahrscheinlich reichen. Ulle führte die Verfolger auf die Zielgerade, hielt sich dann aus dem Sprint heraus. Rominger holte sich die acht Sekunden Zeitbonifikation für den dritten der Etappe, Bjarne sicherte sich Platz vier. Nun war Ulle gespannt auf die Ergebnisse. Olano hatte sich im Spurt gegen Roux durchgesetzt und damit gelb erobert. Ulles Gruppe hatte 21 Sekunden Rückstand, im Gesamtklassement lag er nun auf dem achten Platz mit 41 Sekunden Rückstand. Im Gegensatz zu Verlieren des Tages wie Zülle und Pantani, die vier, beziehungsweise sechs Minuten verloren hatten, lag er also voll in Schlagdistanz. Nach dem, was er heute von Bjarne gesehen hatte, war es sogar möglich, dass er morgen gelb übernahm. Sowohl die Spannung im Rennen, als auch die zwischen Bjarne und Ulle erreichte einen Höhepunkt. Morgen würde sie sich entladen.

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Hinter dem Sieger Olano (rechts) kommt eine größere Gruppe mit Ulle (links) an



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Abraham Olano Banesto 5h12:19
2. Laurent Roux TVM s.t.
3. Tony Rominger Cofidis 0:21
4. Bjarne Riis Telekom s.t.
5. Evgeni Berzin Batik s.t.
6. Jan Ullrich Telekom s.t.
7. Benoit Salmon Lotto s.t.
8. Richard Virenque Festina s.t.
9. Laurent Jalabert ONCE s.t.
10. Pavel Tonkov Mapei 0:53

Gesamtwertung:
1. Abraham Olano 44h55:31
2. Laurent Jalabert ONCE 0:19
3. Laurent Roux TVM 0:26
4. Evgeni Berzin Batik 0:27
5. Benoit Salmon Lotto 0:31
6. Tony Rominger Cofidis 0:41
7. Jan Ullrich Telekom s.t.
8. Bjarne Riis Telekom 0:42
9. Jean-Cyril Robin US Postal 1:34
10. Pavel Tonkov Mapei 1:46

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 247
2. Marcel Wüst Festina 209
3. Benoit Salmon Lotto 193

Bergwertung:
1. Erik Breukink Rabobank 65
2. Laurent Roux TVM 64
3. Fabian Jeker Festina 62

Nachwuchswertung:
1. Laurent Roux TVM 44h55:57
2. Benoit Salmon 0:05
3. Jan Ullrich Telekom 0:15

Teamwertung:
1. Polti 134h56:09
2. Telekom 1:51
3. ONCE 3:03
Zuletzt geändert von Valverde3007 am 28.7.2010 - 15:00, insgesamt 1-mal geändert.

Valverde3007
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Beitrag: # 6801310Beitrag Valverde3007
10.1.2010 - 19:15

Tour de France 1997: Etappe 10 - Sternstunde

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252 Kilometer, fünf Berge. Aspet, Port, Envalira, Ordino, Arcalis. Die neunte Etappe der Tour hatte wahrlich den Titel “Königsetappe” verdient, zumindest in den Pyrenäen. Sieben Stunden würden die verbliebenen 178 Fahrer im Rennsattel sitzen, bis sie das Tagesziel auf 2200 Metern in Andorra erreichen würden. Dazwischen lag ein hammerharter Tagesabschnitt, mit zwei Bergen der höchsten Kategorie, wobei auf dem Port d’Envalira der höchste Punkt der Tour erreicht werden würde. Die Kombination der schweren Berge würde dafür sorgen, dass es heute empfindliche Abstände zwischen den Fahrern gäbe und verhindern, dass wie am Vortag in der Abfahrt wieder eine Gruppe zusammen kam. Am Schlussanstieg würde es ein Kampf Mann gegen Mann werden. Die Bergspezialisten wie Pantani und Virenque mussten heute versuchen, die Zeit, die sie bisher auf die Rouleure verloren hatten, wieder aufzuholen, weshalb ein wahres Feuerwerk erwartet wurde. Virenque hatte vor der Etappe deutlich betont, dass er noch nicht aufgegeben hatte, sondern heute mit einem Etappensieg Plätze gewinnen wollte. Auf der anderen Seite behauptete Olano, stark genug zu sein, um nach einem Jahr Pause als Nachfolger von Indurain Banesto den Toursieg bringen würde. Dazu kamen Zülle und Riis, die gestern geschwächelt hatten und trotz starker Konkurrenz im eigenen Team durch Jalabert und Ullrich immer noch ihre Kapitänsrolle beanspruchten. In Andorra würde man wissen, was diese Ankündigungen und Behauptungen wert waren und wer wirklich Chancen auf den Triumph in Paris hatte.

Ulle merkte schnell, dass einer derjenigen, die große Versprechungen gemacht hatten, diese wirklich halten wollte. Nachdem das Team Festina am Col de Port das Tempo erhöht hatten und in der Folge auf dem Flachstück zum Envalira ordentlich Tempo gemacht hatten, fuhren sie mit Volldampf in den nächsten Berg. Didier Rous, Laurent Brochard und Laurent Dufaux sorgten für ein immens schnelles Tempo, dass schon auf den ersten Kilometern dafür sorgte, dass das Feld in viele Gruppen zersplitterte. Der Vorsprung der Spitzengruppe mit Garzelli, Camenzind und Fondriest war inzwischen von elf auf viereinhalb Minuten geschrumpft und die Tendenz war sinkend. Auf wenigen Kilometern reduzierte sich das große Hauptfeld auf eine Gruppe von vierzig Fahrern. Die erwartete Attacke von Virenque kam allerdings noch nicht, stattdessen nahmen die Festinafahrer nach einigen Kilometern wieder etwas Tempo heraus. Aber der Frieden war nur von kurzer Dauer. Acht Kilometer vor der Bergwertung kam die erste ernstzunehmende Attacke. Erneut war es Tony Rominger, der das Rennen in die finale Phase brachte. Gemeinsam mit Berzin, Ugromov und Pantanis Edelhelfer Zberg konnte er sich absetzen. Nun übernahm das Team Telekom die Verantwortung für die Verfolgungsarbeit. Heppner setzte sich an die Spitze des Feldes und erhöhte das Tempo. Ulle schaute sich nach den anderen Favoriten um und suchte Blickkontakt zu Virenque und Olano. Die beiden waren noch vollkommen relaxed und machten keine Anstalten irgendwie zu reagieren. Also entspannte sich Ulle wieder ein bisschen und ließ sich etwas zurückfallen. Die Attacke war nur das Vorgeplänkel, er würde noch warten, bis er in die Offensive ging.

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Links die Gruppe Camenzind, rechts Berzin, Rominger, Zberg und Ugromov


Die Vierergruppe hatte mit eineinhalb Minuten den Gipfel des Envalira überquert und diesen Abstand auf der Abfahrt weiter ausgebaut. Dahinter hatten Roux und Heulot sich aus dem Hauptfeld die nächsten Bergpunkte gesichert und befanden sich gemeinsam mit dem letzten verbliebenen der ehemaligen Spitzengruppe, Stefano Garzelli, zwischen der Spitzengruppe und dem Feld. Dort übernahm wieder Festina das Kommando. Sofort die ersten Meter der zehn Kilometer langen Steigung nach Ordino nutzten sie zu einer Attacke. Brochard ging wie am Envalira sofort höchstes Tempo, bevor Dufaux die Gruppe endgültig sprengte. Sofort fielen einige Fahrer zurück und auch Ulle und Bjarne wurden von ihren Helfern isoliert. Dafür fühlte Ulle sich noch relativ gut, während der Gesamtführende Olano Probleme hatte. Kurzzeitig verlor er sogar den Kontakt zu der Gruppe, bevor er von Jimenez wieder herangeführt wurde. An der Spitze ging nun die Post ab. Ganz vorne attackierte Berzin und ließ seine Mitausreißer stehen, in Ulles Gruppe versuchte es Benoit Salmon. Diesmal reagierte Ulle und schloss zu dem Franzosen auf. Als Salmon sah, dass er nicht wegkam, nahm er wieder raus, aber sein Angriff hatte immerhin den Effekt gehabt, dass Tonkov und Leblanc zurückgefallen waren. Ulle übernahm nun die Führung und zog seinen Kapitän und die restlichen Fahrer, die ihm noch folgen konnten, mit. Drei Kilometer vor der Bergwertung griff schließlich Virenque an. Ulle zog sofort das Tempo an und ging hinterher. Doch er musste feststellen, dass Virenque unglaublich stark war. Obwohl er nah an seinen maximalen Pulsbereich herankam, zog Virenque Meter um Meter davon. Ulle legte noch ein bisschen zu und versuchte Virenque auf Sichtweite zu behalten. Ein Blick zurück verriet ihm, dass Bjarne mit großer Kraftanstrengung gerade noch dem Tempo folgen konnte, während eine weitere Handvoll Favoriten zurückfiel. Die Doppelspitze von ONCE, Jalabert und Zülle, war in der abgehängten Gruppe, außerdem der Zweite vom Vortag Roux und zu Ulles Überraschung wieder Marco Pantani. Beflügelt vom Erfolg seiner Tempoverschärfung zog er bis zur Bergwertung sein hohes Tempo durch und schaffte es sogar fast, an Virenque heranzufahren. Kurz vor dem Gipfel musste sogar Olano abreißen lassen. Auf der Abfahrt erreichte Ulle schließlich auch Virenque. Der Angriff des Franzosen war stark gewesen, aber Ulle war heute stärker. Seine Gegner konnten sich am Schlussanstieg auf einiges gefasst machen.

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Ulle wehrt Angriffe von Salmon und Virenque ab

Valverde3007
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Beitrag: # 6801376Beitrag Valverde3007
11.1.2010 - 20:42

„Dreizehn Kilometer noch. Berzin hat eine Minute auf euch, die Gruppe mit Pantani ist eine Minute zurück. Heute holt ihr euch gelb, egal wer.“
Ulle horchte auf. Der kleine Zusatz von Walter zur taktischen Information ließ ihn hoffen. Ohne Bjarnes Zustimmung würde er nicht attackieren, aber vielleicht gewährte ihm der Däne freie Fahrt, wenn er merkte, dass Ulle stärker war. Wenn nicht, würde Ulle loyal mit seinem Kapitän untergehen müssen. Vorerst blieb er in der Spitzenposition in der Gruppe und machte weiter Tempo für Bjarne. Von vorne kam nun Rominger zurück, der nächste würde Beat Zberg sein. Spätestens im steilen Bereich, der in zwei Kilometern begann, sollte der Schweizer eingeholt sein, dann blieben nur noch Ugromov und Berzin an der Spitze. Virenque wollte nicht bis zum Steilstück warten und versuchte es jetzt schon mit einem Angriff, den Ulle allerdings mit Leichtigkeit neutralisierte. Im nächsten Moment hörte er die Anweisung von Bjarne zu warten. Ulle nahm ein entnervt paar Tritt raus und ließ sich ein paar Positionen ans Ende der Gruppe zurückfallen, wo Bjarne um den Anschluss kämpfte. Nach dem nächsten Antritt von Luttenberger verlor er komplett den Kontakt. Ulle entschied sich zu warten und zog Bjarne hinter sich her. Schnell schlossen die beiden Telekomprofis wieder in die nun kurzzeitig nicht sehr aktive Favoritengruppe auf. Dort angekommen wandte Ulle sich an Bjarne.
„Wie fühlst du dich?“
Bjarne schwieg und Ulle sah, wie es in ihm arbeitete. Ulle setzte patzig nach.
„Wie lange willst du das Spiel noch spielen?“
„Fahr. Ich komme alleine zurecht.“
Ulle war zwar überrascht, doch das ließ er sich nicht zweimal sagen. Mit einem Zwischenspurt kam er wieder hinter Virenque, pünktlich zu der nächsten Tempoverschärfung des französischen Kletterers. Energisch legte er an Geschwindigkeit zu, sodass ihm nur drei Fahrer folgen konnten, Ulle, Rominger und überraschend Lino. Einige Meter hielt er sein Tempo durch, dann schaute er Ulle an und forderte ihn auf, die Führung zu übernehmen. Ulle schüttelte nur den Kopf und deutete nach hinten zu Bjarne. Virenque musste ja nicht wissen, dass sie die Rollen getauscht hatten. Virenques Zögern gab den anderen die Chance zurückzukommen und als er das Tempo wieder anzog, hatte sich die Gruppe wieder aufgefüllt. Nur einer fehlte, Bjarne Riis. Sein dänischer Teamkollege war nicht mehr in der Lage gewesen, die Gruppe noch zu erreichen und hing abgehängt einige Sekunden hinter den anderen. Virenque leistet deshalb den Bärenanteil der Arbeit, um Bjarne zu distanzieren. Nachdem er vorher noch unentschlossen wirkte, ging er nun an seine Grenzen und schloss mit einem Kraftakt zu Ugromov auf. Salmon und Rominger waren nun nicht mehr in der Lage zu folgen, Bjarnes Rückstand erhöhte sich auf zwanzig Sekunden. Virenque war nun in seinem Element und zog weiter durch. Wie ein Berserker trat er in die Pedalen und brachte seine Gegner an ihre Grenzen. Nun nahm er Berzin ins Viser. Siebeneinhalb Kilometer vor dem Ziel waren es noch zwölf Sekunden, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie Berzin erreichten. Virenque wollte sich nun offensichtlich eine kurze Pause gönnen und ließ Ugromov vorbei. Ulle nutzte das, um die Stärke seiner Gegner einzuschätzen. Olano sah wieder relativ locker aus und auch Zberg war trotz seines Ausreißversuchs längst nicht am Ende. Der Rest schien schon auf dem Zahnfleisch zu gehen. Die Zeit war gekommen, um die Gruppe zu sprengen. Er nahm das Herz in die Hand und ging aus dem Sattel, um den Rhythmus, mit dem er seinen dicken Gang trat, zu erhöhen. Nach über 240 Kilometern eines hammerharten Rennens war es ihm nun möglich, trotz fehlender Explosivität, wie Pantani sie besaß, hart zu attackieren. Er spurtete los und fuhr in wenigen Sekunden zu Berzin auf. Währenddessen pushte ihn Walter per Funk.
„Nur Virenque und Olano kommen mit. Zberg fällt jetzt auch zurück. Der Rest ist weg! Die beiden anderen können auch nicht mehr! Du kommst weg! Du schaffst es!“

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Ulle greift an und hängt seine Gegner ab

Ulle zog davon. Im Sog der Kameramotorräder stürmte er los. Berzin schien nun am Berg zu stehen und Ulle ging mühelos an ihm vorbei. Keiner konnte ihm folgen. Virenque versuchte verzweifelt, den Kontakt zu halten, doch er verlor Meter um Meter und fiel als letzter ab. Nach zwei, drei Kurven konnte Ulle hinter sich niemanden mehr wahrnehmen. Hochkonzentriert trat er nun mit voller Kraft in die Pedale. Die Etappe würde er nun ohne Probleme gewinnen, aber er wollte einen Schritt weiter, er wollte die Tour auseinander nehmen. Auf einem Kilometer nahm er seinem stärksten Verfolger zwanzig Sekunden ab. Fünf Kilometer blieben noch bis zum Gipfel, fünf Kilometer auf denen er unglaublich viel Zeit zwischen sich und den Rest der Weltspitze legen konnte.
Bei jeder Durchsage seines Vorsprungs durch Walter wurde er euphorischer. Blitzartig gewann er an Zeit, schnell war es mehr als eine halbe, dann eine Dreiviertelminute. Und immer noch fühlte er sich gut, zumindest so gut, wie man sich fühlen konnte, wenn man bereits sieben Stunden im Sattel gelitten hatte. Immer wieder trieb Walter ihn an und Ulle versuchte, noch einen Gang zuzulegen. Drei Kilometer vor dem Ziel überschritt der Vorsprung sechzig Sekunden. Eine Minute hatte er auf Virenque gewonnen, auf die anderen war es noch mehr. Nun war auch klar, dass Olano sein gelbes Trikot nicht verteidigen konnte. Stattdessen würde Ulle es übernehmen und es gegen sein weißes Meistertrikot austauschen. Er kämpfte gegen die aufkeimende Müdigkeit in seinen Beinen an, behielt aber seinen Rhythmus. Mittlerweile musste sein Gesicht eine einzige Fratze sein, doch das war ihm egal. Den epischen Sieg vor Augen überwand er alle Qualen. Er biss auf die Zähne und spurtete durch das dichte Spalier der Zuschauer, die sich auch nicht von den aufgestellten Begrenzungsgittern aufhalten ließen, sondern enthusiastisch neben dem Führenden der Etappe herliefen. Ulle erreichte den letzten Kilometer und legte nun seine letzten Körner in die Waagschale. Mit letzter Kraft rettete er sich durch die letzte leichte Linkskurve auf die Zielgerade. Er richtete sich auf und reckte die Arme in die Luft. Er hatte es geschafft. Ulle hatte die Königsetappe der Tour gewonnen und das gelbe Trikot erobert. Es war eine Sternstunde des deutschen Radsports, ein Held war geboren.

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Ulles Etappensieg bringt ihn ins gelbe Trikot



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 6h51:16
2. Richard Virenque Festina 1:00
3. Abraham Olano Banesto 1:14
4. Evgeni Berzin Batik 1:31
5. Beat Zberg Mercatone Uno 1:41
6. Bjarne Riis Telekom 1:48
7. Stephane Heulot FdJeux s.t.
8. Piotr Ugromov Roslotto s.t.
9. Peter Luttenberger Rabobank s.t.
10. Pascal Lino BigMat s.t.

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 51h47:08
2. Abraham Olano 0:45
3. Evgeni Berzin Batik 1:37
4. Bjarne Riis Telekom 2:09
5. Benoit Salmon Lotto 2:31
6. Tony Rominger Cofidis 2:34
7. Beat Zberg Mercatone Uno 3:26
8. Piotr Ugromov Roslotto 3:42
9. Stephane Heulot FdJeux 4:09
10. Laurent Roux TVM 4:15

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 247
2. Marcel Wüst Festina 209
3. Benoit Salmon Lotto 197

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 98
2. Laurent Roux TVM 80
3. Beat Zberg Mercatone Uno 75

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 51h47:08
2. Benoit Salmon 2:31
3. Laurent Roux TVM 4:15

Teamwertung:
1. Telekom 155h38:45
2. Banesto 5:06
3. Polti 8:01

Valverde3007
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Beitrag: # 6802019Beitrag Valverde3007
20.1.2010 - 20:49

Tour de France 1997: Etappe 11 - Rasante Abfahrt

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Die Tourorganisatoren hatten es in diesem Jahr wirklich auf eine unbarmherzige Streckenführung angelegt. Als hätte es nicht gereicht, den Port d’Envalira auf dem Weg nach Andorra zu überqueren, stand er am nächsten Tag auf der Etappe von Andorra nach Perpignan ein nochmal auf dem Programm. Danach folgte eine Etappe ans Mittelmeer nach Perpignan, die nur noch von einem Berg der zweiten kategorie, dem Col de Chioula, unterbrochen wurde. Und Ulle, der das gelbe Trikot zum ersten Mal auf seinen Schultern tragen durfte, wurde sofort attackiert. Direkt nach dem Start hatte sein Team Telekom alle Hände voll zu tun, die vielen attackierenden Fahrer zu kontrollieren. Pantani und Roux, die gestern viel Zeit verloren hatten, versuchten diese Scharte auszuwetzen und sich die Zeit noch in den Ausläufern der Pyrenäen zurückzuholen. Sie initiierten eine gefährliche Gruppe von sechs Fahrern, die von Ulles Helfern gejagt wurden. Das bewirkte auch, dass das Hauptfeld rasend schnell kleiner wurde. Lombardi und Wesemann mussten schon früh abreißen lassen und Ete schien in ernsthaften Schwierigkeiten zu stecken. Doch die Tempoarbeit zeigte Erfolg und da die Spitzengruppe nach einiger Zeit nicht mehr perfekt harmonierte, wurde sie gestellt. Ulle atmete einmal tief durch und entspannte ein wenig, als die nächste Attacke folgte. Bjarne schloss zu ihm auf.
„Berzin ist dabei, ich geh mit. Dann habt ihr Ruhe.“
Laut schnaufend ging sein dänischer Teamkollege aus dem Sattel und attackierte, um Anschluss an die Gruppe zu finden, in der auch Heppner vertreten war. Im ersten Moment war Ulle verärgert, weil ihn seine Helfer nach vorne verließen und kurz dachte er daran, dass Bjarne die Niederlage von Andorra nicht verkraftet hatte, dann verstand er, dass es besser war, wenn sein Team nicht die ganze Arbeit im Feld machen musste, sondern die anderen Teams schuften lassen konnte, weil Bjarne immer noch aussichtsreich im Klassement lag.
Die Gruppe um Riis war etwa fünfzehn Fahrer stark, darunter waren starke Bergfahrer wie Berzin, Heulot und Dufaux. Dahinter bestimmten nun Banesto und Cofidis das Tempo, das sie stark verschärft hatten. Bis zur Bergwertung war das Hauptfeld auf einen mickrigen Rest von 24 Fahrern zusammengeschrumpft, der zwanzig Sekunden nach der ersten Gruppe den Gipfel passierte. Neben Ulle hatten sich Lafis und Totschnig in der ersten Gruppe gehalten und sich über den Envalira in die lange Abfahrt gerettet. Das schwerste war überstanden, zumindest glaubte Ulle das jetzt noch.

Für Ete fingen die Schwierigkeiten dagegen erst an. Nachdem er wie erwartet am Berg den Kontakt zu den Führenden verloren hatte, befand er sich nun im Rest des Hauptfeldes, das noch etwa sechzig Fahrer groß war und zwei Minuten Rückstand auf die Gruppe um Ulle hatte. Im Feld gaben nun Polti und Mapei, deren Kapitäne Tonkov und Leblanc es vollkommen überraschend nicht in die erste Gruppe geschafft hatten, das Tempo vor, um den Zeitverlust in Grenzen zu halten. Das bewirkte, dass der Abstand auf der Abfahrt wieder etwas sank und die Gruppe auf eineinhalb Minuten bis zum nächsten Berg herankam. So eröffnete sich Ete vielleicht sogar wieder die Perspektive, am Ende des Tages sogar noch den ein oder anderen Punkt für die Sprintwertung zu ergattern. Lafis war von Walter Goodefroot aus der ersten Gruppe zurückbeordert worden, um Ete am Anstieg Unterstützung zu geben, so dass er eventuell im Feld nach vorne aufschließen könnte. Etes Beine waren gut und wenn er es schaffen würde, lange den Anschluss zu halten, könnte er wieder ins Feld vorfahren. Ete grinste bei dem Gedanken, eine Bergetappe weit vorne abzuschließen, wobei das momentan gar nicht so unwahrscheinlich war.

Als Ulles Gruppe am Beginn der zweiten Schwierigkeit des Tages, dem Col de Chioula schließlich sogar die Ausreißergruppe einholte, dachte Ulle, wie Walter es prophezeit hatte, das Rennen wäre gelaufen. Doch Olano und Virenque, die Ulle auf der Abfahrt miteinander Plaudern gesehen hatte, legten nun erst richtig los. Vom ersten Meter des Anstiegs an schickten sie ihre Helfer in die Attacke. Mit Beltran und Jimenez, beziehungsweise Herve und Dufaux hatten sie jeweils noch zwei starke Teamkollegen dabei, die nun Druck machten. Sofort zerfiel die große Gruppe in mehrere Teile und während Bjarne und Ulle sich vorne wiederfanden, fielen die restlichen Telekomprofis zurück. Heppner war drei Kilometer vor dem Gipfel der letzte, der den Anschluss verlor. Nach und nach mussten immer mehr Fahrer abreißen lassen, bis nur noch fünfzehn Fahrer beisammen waren. Mit Berzin, Olano, Rominger, Pantani und Virenque waren die wichtigsten Männer noch dabei, andere gut platzierte Fahrer wie Salmon und Ugromov hatten die Gruppe verpasst und fuhren nun vierzig Sekunden hinter Ulle und seinen Begleitern in der zweiten Gruppe. Ungeachtet der Schwierigkeiten, die beim morgigen Zeitfahren anstehen würden, machten Festina und Banesto weiter das Tempo und zogen auch nach der Bergwertung, die sich Berzin sicherte durch. Nach dem Chioula war es bis ins Ziel überwiegend flach, was anderen Gruppen die Chance bieten könnte, Zeit gutzumachen. Deshalb war es umso wichtiger, dass noch einige Helfer in der Gruppe vertreten waren, die die Nachführarbeit leisten konnten.

Nachdem Lafis ihn auf den ersten Kilometern des Anstieges vorbildlich unterstütz hatte, kam gegen Ende der zehn steilen Kilometer des Col de Chioulas sogar noch Bölts, der aus der Spitzengruppe zurückgefallen war dazu, um Tempo für ihn zu machen. An der Bergwertung hatten sie gerade einmal 45 Sekunden Rückstand auf das Feld, ein Abstand, den sie in der langgezogenen Abfahrt durchaus wettmachen konnten. Mit vollem Risiko jagten die drei den Berg herunter und arbeiteten sich durch die Fahrzeugkolonne Stück für Stück wieder nach vorne. Als sie schließlich das Tal erreichten, konnten sie das Ende des Hauptfelds schon wieder sehen und kurz darauf befanden sie sich wieder im Windschatten des nun von Lotto und ONCE geführten Feldes. Der Rückstand zur Gruppe mit Ulle, in der nun anscheinend etwas gebummelt wurde, betrug etwa drei Minuten. Heulot hatte sich etwas abgesetzt, dahinter organisierte sich die Verfolgung schleppend. Trotzdem war die Ausgangssituation für das Team Telekom perfekt. Sollte die Gruppe durchkommen, würden die beiden Kapitäne Zeit gewinnen, wenn nicht, hätte Ete als einer der wenigen schnellen Männer, die die Berge in der ersten Gruppe überstanden hatten, Chancen auf den Sieg im Massenspurt.

Ulle ging kurz durch die Führung und ließ sich dann wieder zurückfallen. Nach der letzten kleinen Bergwertung, an der Laurent Roux stark attackiert hatte, war die Gruppe nur noch zehn Fahrer stark. Da es überwiegend die Kapitäne der großen Teams waren, lief die Gruppe allerdings nicht besonders gut, da jeder Kräfte für das anstehende Zeitfahren sparen wollte. Das führte dazu, dass Pascal Herve von Festina und Bjarne den größten Anteil der Arbeit übernahmen, was allerdings nicht reichte, um den Vorsprung vor dem Hauptfeld zu halten. Sie hatten zwar Heulot wieder eingeholt, doch das Feld kam immer näher. Dreißig Kilometer vor dem Ziel waren es noch zweieinhalb Minuten, fünfzehn Kilometer vor dem Ziel zwei Minuten und an der Fünfkilometermarke war es gerade noch eine Minute. Nun kam aber wieder etwas Leben in die Gruppe und als Heulot zum zweiten Mal angriff, gingen auch Fahrer, die vorher nur am Ende der Gruppe gelutscht hatten, mit in die Führung, da der mögliche Etappensieg nun lockte. Heulot kämpfte erbittert, doch sein Fluchtversuch war nicht von Erfolg gekrönt. Tausend Meter vor dem Ziel war er gestellt. Bjarne führte die Gruppe auf die Zielgerade und zog den Sprint an. Dreihundert Meter vor dem Ziel attackierte Cabello und schaffte es ein kleines Loch zu Olano zu reißen. Ulle merkte, dass er im Sprint keine Chance haben würde und hielt sich aus dem Gerangel heraus. Olano merkte nun, dass er nicht mehr an Cabello herankam und gab den Versuch auf, als Berzin aus seinem Windschatten geschossen kam. Mit einem mächtigen Antritt saugte schloss er die Lücke zu Cabello und ging wenige Meter vor dem Zielstrich vorbei. Ulle hatte zwar Mitleid mit Cabello, dem er als Außenseiter den Sieg gegönnt hatte, wer genau gewonnen hatte, war ihm aber relativ egal. Morgen im Zeitfahren in Saint-Etienne würde er sie alle schlagen, für Berzin würde das Gefühl des Erfolgs eine Momentaufnahme bleiben.

Als Ete den Zielstrich überquerte, sah er Ulle noch im Zielbereich stehen. Er bremste und rollte zum Mann in gelb hinüber. Ulle lächelte ihn nur an und rief lachend.
„Der Salmon hat dich ja lang gemacht. Dann hat es sich ja gelohnt, dass wir durchgezogen haben!“
Sofort verflog Etes Ärger über den verpatzten Sprint und er musste lachen. Nach den schweren bergen war er etwas zu übermütig an den Sprint herangegangen und hatte war von Salmon noch überholt worden, nachdem er sich erst leicht von den anderen Fahrern, die sich noch motivieren konnten mitzusprinten, abgesetzt hatte. Trotzdem hatte er einige Punkte gewonnen und seine Führung ausgebaut. Deshalb freute er sich mit Ulle, der einen Tag nach seinem Triumphzug in Andorra das Rennen unter Kontrolle hatte.
„Pass auf, dass Olano das morgen nicht mit dir macht.“
„Bestimmt nicht. Der war heute am Berg blitzeblau. Und Berzin ist nur ein Sprinter. Die pack ich.“
„Zehn Mark, wenn du mehr als eine Minute Vorsprung hast.“
„Ich bin dabei.“



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Evgeni Berzin Batik 4h23:46
2. Francisco Cabello s.t.
3. Laurent Roux TVM s.t.
4. Pascal Herve Festina s.t.
5. Abraham Olano Banesto s.t.
6. Richard Virenque Festina s.t.
7. Tony Rominger s.t.
8. Jan Ullrich Telekom s.t.
9. Bjarne Riis Telekom s.t.
10. Stephane Heulot FdJeux s.t.

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 51h47:08
2. Abraham Olano 0:45
3. Evgeni Berzin Batik 1:17
4. Bjarne Riis Telekom 2:09
5. Tony Rominger Cofidis 2:34
6. Benoit Salmon Lotto 3:17
7. Laurent Roux TVM 4:07
8. Stephane Heulot FdJeux 4:09
9. Beat Zberg Mercatone Uno 4:12
10. Piotr Ugromov Roslotto 4:24

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 260
2. Benoit Salmon Lotto 211
3. Marcel Wüst Festina 209

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 138
2. Stephane Heulot FdJeux 112
3. Jan Ullrich Telekom 90

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 56h10:54
2. Benoit Salmon 3:17
3. Laurent Roux TVM 4:07

Teamwertung:
1. Telekom 168h50:03
2. Banesto 5:52
3. ONCE 8:51

Valverde3007
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Beitrag: # 6802535Beitrag Valverde3007
26.1.2010 - 14:38

Tour de France 1997: Etappe 12 – Zehn Mark

Die Schwüle, die in Saint-Etienne vorherrschte, war drückend. Nachdem das Wetter in den Pyrenäen nicht besonders gut gewesen war, zog nun eine Hitzewelle über Frankreich. Im Schatten hatten die Meteorologen für den heutigen Tag 36 Grad prophezeit, in der Sonne würde es ungleich wärmer sein. Ulle war zwar gerade erst auf die Rolle gegangen, um sich warmzufahren, doch er schwitzte bereits extrem. Trotzdem war es wichtig, seinen Motor auf Touren zu bringen, damit er im Einzelzeitfahren siegfähig war. Immerhin konnte er davon ausgehen, dass er einer der Fahrer im Feld war, die am besten mit den Bedingungen zurecht kamen. Außerdem würde die Streckenführung durch viel bewaldetes Gebiet gehen, was die Hitze eindämmen würde. Doch das Wetter war nicht die einzige Schwierigkeit des Tages, auch das Profil war eine riesige Herausforderung. Bis zur Hälfte der Strecke ging es aufwärts zum Col de la Croix de Chabouret, an dem eine Bergwertung der zweiten Kategorie angesetzt war und dann abwärts auf einer technisch anspruchsvollen Abfahrt zurück nach Saint-Etienne. Insgesamt waren 55 Kilometer zu absolvieren, für die die schnellsten etwa eineinviertel Stunden brauchen sollten. Ulle wollte versuchen, diese Schätzung weiter nach unten zu korrigieren.

Nachdem vor ihm Abraham Olano gestartet war, fuhr Ulle die Rampe zum Starthäuschen hoch, bremste und hielt sich an dem Geländer fest. Der französische Starthelfer begrüßte ihn und gab ihm ein freundliches „Bonne chance!“ auf den Weg. Ulle bedachte ihn nur mit einem kurzen Lächeln und ignorierte ihn dann. Er musste die Konzentration hochhalten und durfte nicht nervös werden. Im Vorjahr hatte er zwar schon ein Zeitfahren gewonnen, aber heute war es anders, heute hatte er die Last des gelben Trikots auf den Schultern. Er atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. Als die Startanzeige weniger als fünfzehn Sekunden anzeigte, schob er Ulle vor zum Start, wo einer der Kommissäre die letzten Sekunden abzählte. Als er seine Hand senkte, schoss Ulle an ihm vorbei. Mit ein paar mächtigen Tritten kam er auf Geschwindigkeit, dann setzte er sich und erhöhte die Trittfrequenz. Hinter ihm hörte er den Motor des Begleitfahrzeugs seines Teams, in dem Walter Goodefroot saß, doch sein blick ging nur nach vorne. Es war Zeit für eine Vorentscheidung.

Ulle war gut ins Rennen gekommen und hatte das Flachstück bis zur ersten Zwischenzeit mit höchstem Tempo absolviert. Nun konnte er schon den Bogen sehen, unter dem die Zeit genommen wurde. Bisher hielt dort der Russe Berzin die Bestzeit mit zwölf Minuten und fünfzehn Sekunden neunzehn Sekunden vor Zülle. Ulle schaute hoch zur Uhr und versuchte seine Zeit zu erkennen. Noch stand eine elf vorne, das heißt er lag sehr gut im Rennen. Das motivierte ihn zusätzlich, so dass er noch ein bisschen zulegte und dann auf Walter, der ihm die endgültige Zeit durchgab, wartete.
„Unglaublich, Jan! Bestzeit! 11:58 hast du gebraucht. Siebzehn auf Berzin, 35 auf Olano! Das sieht gut aus.“
Ulle lächelte in sich hinein. Es ging ja schon mal gut los. Am Anstieg, der direkt nach der Zwischenzeit folgte, sollte er seinen Vorsprung sogar ausbauen können. Er schaltete ein paar Gänge runter und stürzte sich in die Steigung. Ete, der den Anstieg schon vor einigen Stunden absolviert hatte, hatte berichtet, dass man sich am Berg, der sich ewig hinzog, seine Kräfte einteilen musste, doch Ulle scherte sich nicht darum. Er strotzte so von Energie, dass er weiter Vollgas gab. Ob es richtig war, wusste er nicht, aber es fühlte sich verdammt gut an.

„Zwei Kilometer bis zur Bergwertung. Gleich kommt ein gerades Stück, dann wirst du vor dir jemanden sehen.“
Ulle war etwas verwirrt von Walters Information. Wen sollte er vor sich sehen? Einen besonderen Zuschauer? Seine Freundin oder seine Mutter? Er wusste es nicht. Erst als er vor sich den Teamwagen der Banestomannschaft sah, wurde ihm alles klar. Konnte das tatsächlich sein? Hatte er Olano so viel Zeit abgenommen. Im Tal war es eine Dreiviertelminute, bei Hälfte des Anstiegs eineinhalb Minuten gewesen. Dann musste er regelrecht geflogen sein. Oder Olano hatte einen schwarzen Tag und lag weit zurück.
„Das sind noch knapp zwanzig Sekunden. Wenn du so weiter machst, kriegst du sogar noch den Berzin.“
Ulle hörte Walter herzhaft lachen und legte ging in den Wiegetritt. Nun war er regelrecht beflügelt und flog die letzten Meter des Anstiegs, auf denen es wieder etwas flacher war hoch. An der Bergwertung hatte er noch hundert Meter Rückstand auf Olano. Seine Zeit war irgendwo bei 46 Minuten.
„Bestzeit?“, keuchte er in den Funk.
„Berzin hatte 48:38. Du bist deutlich schneller.“
Moment, hatte Walter wirklich 48 gesagt? Lag er schon zwei Minuten vor dem schnellsten? Langsam wurde es Ulle unheimlich und direkt nach der Durchfahrt unter der Bestzeit warf er einen Blick zurück auf die Anzeige, wo tatsächlich „-2:18“ stand. Er konnte es nicht fassen. Eigentlich wollte er das Zeitfahren einfach nur gewinnen, stattdessen demontierte er die ganze Tour.

Wenige Kilometer später passierte es. Das Banestoteamfahrzeug musste sich hinter ihn zurückfallen lassen und wenig später schloss Ulle zu Olano auf. Für wenige Meter nutzte er den Windschatten des spanischen Zeitfahrspezialisten, bevor er seinen Geschwindigkeitsüberschuss ausnutzte, um ihn sofort zu überholen. Die Strecke war leicht abschüssig und Olano hatte keine Chance, gegen Ulle gegenzuhalten. Er versuchte zwar, sich an Ulles Hinterrad festzubeißen, doch ihm war klar, dass sein Traum vom Toursieg ausgeträumt war. Ulle hatte klare Verhältnisse geschaffen. Eine italienische Zeitung hatte ihn als „Il Kaiser“ betitelt, und nun untermauerte er seinen Herrschaftsanspruch. Walter meldete sich noch einmal.
„Drei Minuten auf Olano, zwei auf Berzin, der Rest ist…“
„Walter?“
„Ja, Jan?“
„Das Ding ist gelaufen. Ich fahr`s einfach nach Hause.“
Damit riss er den Funk aus seinem Ohr und konzentrierte sich auf sein Rennen. Er musste sich an keinen Maßstäben orientieren, er war der Maßstab.

Ete stand im Zielbereich und wartete auf den Mann in gelb, der bald das Ziel erreichen sollte. Von den fest installierten Kameras wurden nun seine letzten Meter auf einer großen Leinwand gezeigt. Olano hing immer noch kurz hinter ihm und hielt verbissen den Anschluss. Er hatte den Schaden in Grenzen gehalten und immerhin seine Podiumsambitionen gewahrt. Der Sieg schien nun vergeben. Ulle setzte seinen finalen Spurt an und überquerte die Ziellinie nach einer Stunde vierzehn Minuten und 33 Sekunden. Wegen seines hohen Tempos rollte er ein ganzes Stück weiter, bis er Ete und Eule Rutenberg sah, die auf ihn warteten. Während Eule Ulle stützte, gab Ete seinem Kapitän die Hand und drückte ihm dabei etwas in die Hand. Erst war Ulle etwas perplex, dann sah er den Zehnmarkschein. Ulle hatte ihre kleine Wette gewonnen. Ete grinste ihn breit an.
„Den hast du dir verdient, Jan.“
„In Paris kriegst du ihn mit Zinsen zurückgezahlt.“
„Da bin ich mir sicher.“
War Andorra Ulles Sternstunde in den Bergen gewesen, hatte er sich nun endgültig unsterblich gemacht.



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 1h14:33
2. Evgeni Berzin Batik 2:14
3. Bjarne Riis Telekom 2:57
4. Abraham Olano Banesto 3:09
5. Beat Zberg Mercatone Uno 3:19
6. Piotr Ugromov Roslotto 3:21
7. Alex Zülle ONCE 3:36
8. Tony Rominger 4:18
9. Pascal Herve Festina 3;23
10. Armin Meier Batik 4:31

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 57h25:27
2. Evgeni Berzin Batik 3:31
3. Abraham Olano 3:54
4. Bjarne Riis Telekom 5:06
5. Tony Rominger Cofidis 6:52
6. Beat Zberg Mercatone Uno 7:31
7. Piotr Ugromov Roslotto 7:49
8. Laurent Roux TVM 9:12
9. Benoit Salmon Lotto 9:26
10. Stephane Heulot FdJeux 9:39

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 260
2. Benoit Salmon Lotto 211
3. Marcel Wüst Festina 209

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 155
2. Stephane Heulot FdJeux 116
3. Jan Ullrich Telekom 110

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 57h25:27
2. Laurent Roux TVM 9:12
3. Benoit Salmon 9:26

Teamwertung:
1. Telekom 173h24:22
2. Banesto 12:49
3. ONCE 15:45

Valverde3007
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Beitrag: # 6825882Beitrag Valverde3007
28.7.2010 - 15:56

Da wurde ja in den letzten Tagen ein regelrechter Trend gesetzt. Und ich bin auch wieder auf das alte Stück Geschreibsel hier gestoßen. Leider blieb es unvollendet und konnte in den letzten Monaten auch kaum Motivation bei mir entbrennen. Trotzdem will ich versuchen, es in den nächsten Wochen zu Ende zu bringen oder sogar bis zur Vuelta zu verlängern. Dazu gibt es erstmal eine kleine Übersicht, um wieder in das Geschehen hereinzufinden.

Was bisher geschah:

Mit seinen beiden deutschen Kapitänen Erik Zabel und Jan Ullrich und dem amtierenden Toursieger Bjarne Riis gilt das Team Deutsche Telekom als eines der stärksten im internationalen Radsport des Jahres 1997. Dabei liegt das Hauptaugenmerk des deutschen Rennstalles eindeutig auf der Tour de France, bei der der Mannschaft mit den drei Kapitänen in jeder Kategorie, ob Gesamt-, Sprint-, oder Nachwuchswertung, Siegchancen zugestanden werden.
Während des Frühjahres, das geprägt von überragenden Einzelleistungen von Laurent Brochard, der Paris-Nizza dominiert und Laurent Jalabert, der das Double Amstel Gold/ Lüttich-Bastogne-Lüttich schafft und damit den Weltcup anführt, und der perfekten Vorstellung des Mapeiteams , das mit Ballerini, Tafi und Museeuw sowohl in Flandern als auch Roubaix einen Doppelsieg herausfährt wird, zeigt sich auch Telekom in starker Frühform. Erik Zabel gewinnt den Weltcupauftakt in San Remo, Ullrich setzt mit seinen dritten Plätzen beim Criterium International und der Tour de Romandie erste Ausrufezeichen.
Die erste große Rundfahrt, der Giro d’Italia, der ohne Beteiligung von Telekom stattfindet, bietet einen großen Kampf zwischen Ivan Gotti und Guiseppe Guerini, aus dem Gotti als Sieger hervorgeht. Neben dem Gesamtsieg gewinnt er die Sprintwertung und zwei Etappen, während sich Guerini mit einem Etappensieg und dem Bergtrikot trösten muss.
Der Juni lässt Spekulationen um einen Rollentausch in der Kapitänsfrage entbrennen. Während Zabel sich mit zwei Tagessiegen bei der Tour de Suisse in guter Form präsentiert, gewinnt Ullrich das Fernduell gegen die nominelle Spitze Riis deutlich. Während der Däne bei der Dauphine enttäuscht, gewinnt Ullrich die Tour de Suisse denkbar knapp mit zwei Sekunden vor dem Italiener Roberto Conti, sichert sich dabei außerdem zwei Etappensiege, einen im Zeitfahren und einen bei einer schweren Bergankunft. Kurz vor der Tour holt er sich schließlich das deutsche Meistertrikot, wodurch er zum Topfavoriten für die Tour avanciert.
Die erste Woche der Tour de France ist geprägt vom Kampf zweier deutscher Sprinter, Zabel und Wüst, die jeweils zwei Etappen gewinnen. Jalabert gewinnt mit einem fantastischen Solo eine Flachetappe, Chris Boardman fährt nach seinem Prologsieg bis in die Pyrenäen in gelb. Dort holt sich Abraham Olano auf der ersten Bergetappe mit einem Etappensieg das gelbe Trikot, bevor es auf der zehnten Etappe hinauf nach Andorra geht.
Dieser Teilabschnitt wird zur Sternstunde für Jan Ullrich. Etwas mehr als zehn Kilometer vor dem Ziel bekommt er freie Fahrt von Riis und seinem sportlichen Leiter Walter Goodefroot und attackiert. Als er in Andorra ankommt, hat er auf alle seine Konkurrenten über eine Minute gewonnen und bekommt sein erstes gelbes Trikot überreicht. Seinen beeindruckenden Auftritt krönt er mit einem überlegenen Sieg im Einzelzeitfahren von Saint-Etienne, wo er mit zwei Minuten Vorsprung gewinnt und den Zeitfahrspezialisten Abraham Olano, der drei Minuten vor ihm gestartet war, überholt.
Eingangs der Alpen liegt das gelbe Trikot nun mit dreieinhalb Minuten Vorsprung auf Berzin gesichert auf seinen Schultern, in den Alpen muss Ullrich den Beweis erbringen, dass er ein echter Champion ist. Zwei Berganünfte nach Alpe d’Huez und Courchevel, eine schwere Etappe über den Joux-Plane nach Morzine und ein Einzelzeitfahren liegen noch vor dem Peloton, bevor es in Paris ankommen wird.

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