Ein Fall für zwei

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

Valverde3007
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Beitrag: # 6826116Beitrag Valverde3007
29.7.2010 - 16:27

Tour de France 1997: Etappe 13 - Mythos Alpe d’Huez (Teil 1)

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Der Respekt vor der kommenden Etappe war im kompletten Feld spürbar. Nach einem Jahr Pause bei der Tour ging es heute wieder hinauf zur mythischen Bergankunft in Alpe d’Huez. Dort sollte sich die Elite der besten Bergfahrer ein großartiges Finale um den Tagessieg liefern. Außerdem erwartete jeder von Berzin und Olano, aber auch von den bisher enttäuschenden Kletterern Pantani und Virenque einen Angriff auf das gelbe Trikot, das Ulle zum zweiten Mal tragen durfte. Zwar war die Etappe als Auftakt in den Alpen etwas entschärft, da außer der Bergankunft kein schwerer Gipfel zu fahren war. Doch auch diese Konstellation bot Gefahr, da der Schlussanstieg umso schneller gefahren werden sollte, so dass die Rekordzeit von Marco Pantani, der die 21 Kehren bei seinem Etappensieg 1995 als bisher schnellster Profi zurückgelegt hatte, womöglich fallen würde. Ulle würde sich dort auf sein Team verlassen müssen, um die anderen zu kontrollieren. Und er musste Stärke zeigen, musste auf den letzten Kilometern bei der absoluten Spitze bleiben. Am besten setzte er selbst ein Zeichen. Er wollte nicht als passiv fahrender, abwartender Toursieger in die Geschichte eingehen, sondern selbst eine Entscheidung herbeiführen. Er fuhr heute nicht nur auf Verteidigung, sondern auf Angriff.

Am Ortseingang von Bourg d’Oisans gab Walter das Kommando, die Spitze zu übernehmen. Bisher hatte Telekom sich aus der Führungsarbeit herausgehalten, weil sie mit Udo Bölts einen Fahrer in der hochkarätigen zehnköpfigen Spitzengruppe hatten, aber nun, da es nur noch wenige Meter bis zum Beginn des Anstiegs waren, wollte Ulle sich eine gute Ausgangsposition für die letzten vierzehn Kilometer sichern. Heppner, Riis und Totschnig bildeten nun eine Art Zug wie man ihn sonst in Massensprints zu sehen bekam und brachten ihn direkt hinter die Spitze, an der Banesto schon den ganzen Tag das Tempo bestimmte. Ulle kannte den Berg zwar noch nicht aus dem Rennen, sondern nur aus dem Training, doch nun bekam er eine Gänsehaut, als das Feld durch die scharfe Linkskurve fuhr, hinter der die Steigung begann. Da die Fahrer noch relativ frisch waren, weil sie kaum Höhenmeter in den Beinen hatten, glichen die letzten flachen Meter einer Sprintanfahrt. Mit höchstem Tempo führte Banesto das Feld in den Berg, wo es gleich auf den ersten Metern zersplitterte. Die beiden spanischen Kletterer Jose Maria Jimenez und Manuel Beltran attackierten schon auf den ersten Metern und verkleinerten die Gruppe auf ungefähr zwanzig Fahrer, die das Tempo halten konnte. Olano schien heute Zeit gutmachen zu wollen und nutzte das steilste Stück des Anstiegs auf den ersten Kilometern dazu, seine Gegner weitestgehend zu isolieren. Der erste Angriff kam aber von einem anderen Fahrer, dem Führenden der Bergwertung, Evgeni Berzin. Ulle suchte kurz den Blickkontakt zu Bjarne, der sofort die Führung übernahm und Berzin hinterher jagte. Berzin merkte, dass er noch nicht richtig wegkam und brach seine Attacke ab. Als Bjarne den Russen gestellt hatte, war die Gruppe schon auf sieben Fahrer geschmolzen, Olano, Berzin, Ulle, Bjarne, Virenque, Pantani und Roux.

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Nach Berzins erster Attacke (links) bildet sich eine kleine Gruppe der Favoriten(rechts)

Keine gute, weil frühe, Situation für einen Cut, aber das Ende ist noch nicht fertig, deshalb ist der erste Teil mal kürzer.

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pfanne
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Beitrag: # 6826280Beitrag pfanne
30.7.2010 - 13:12

Freut mich wahnsinnig, dass du endlich weiterschreibst.
Ich hoffe, dass du genug Motivation findest, die Saison durchzuziehen, da es für mich einfach der beste AAR hier im Forum ist. :P
Tottenham are the greatest team
the world has ever seen.

COME ON YOU SPURS!

Valverde3007
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Beitrag: # 6826451Beitrag Valverde3007
31.7.2010 - 15:10

Tour de France 1997: Etappe 13 – Mythos Alpe d’Huez Teil 2

Nach dem gescheiterten Angriff nahm die Spitzengruppe das Tempo raus, da keiner die Führung übernehmen wollte. Bjarne schien bei der ersten Tempoverschärfung schon viel Kraft gelassen zu haben, der Rest wollte nicht für die anderen Kapitäne die Pace machen. Die Pattsituation löste sich erst auf, als Marco Pantani attackierte. Ulle schaute seine Gegner an, diese zeigten allerdings keine Reaktion. Pantani, der schon über eine Viertelstunde zurücklag, war der mit Abstand am schlechtesten im Klassement platzierte Fahrer der sieben an der Spitze und war daher kaum eine Gefahr. Deshalb konnte er seinen Abstand schnell vergrößern und war bald außer Reichweite. Bjarne hatte sich nun etwas erholt und übernahm die Spitze. Pantanis Vorsprung stagnierte bei dreißig Sekunden, die Gruppe der abgehängten Favoriten um Rominger, Jalabert und Tonkov lag eine weitere halbe Minute hinter Ulle und seinen Begleitern. Entgegen allen Befürchtungen, die die Teamleitung von Telekom vor dem Rennen gehabt hatte, gab es allerdings nicht die Vielzahl von Attacken, die erwartet worden waren. Olano schien sich etwas überschätzt zu haben und hielt sich nun am Ende der Gruppe auf, der Rest sparte seine Kräfte für später. Zehn Kilometer vor dem Ziel setzte sich Laurent Roux ab, doch wieder zeigte niemand Ambitionen, dem jungen Franzosen zu folgen. Stattdessen reichte es allen scheinbar, sich gegenseitig zu neutralisieren. Bis acht Kilometer vor dem Ziel blieb es ruhig. Dann attackierte Richard Virenque und nun ging Ulle mit. Virenque legte ein höllisches Tempo vor, aber Ulle gab sich alle Mühe zu folgen. Angefeuert von seinen Landsleuten flog der Franzose den Berg hoch und sorgte für eine weitere Selektion. Außer Ulle und ihm hatte nur noch Olano mit Mühe den Anschluss gehalten, Berzin war eliminiert, genau so wie Bjarne.

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Pantani attackiert und entkommt der Verfolgergruppe, die kurz später auseinanderbricht.

Meter um Meter machte das neu gebildete Verfolgertrio auf seine Konkurrenten gut. Laurent Roux, der zwischen ihnen und Pantani gefahren war, kam nun schon in Sichtweite. Doch das hohe Tempo schien in der Sommerhitze so langsam seinen Tribut zu fordern. Olano hing keuchend am Ende der Gruppe und auch Virenque hatte seinen flüssigen Tritt verloren. Ulle überholte ihn und schaute ihm kurz in die Augen, die ihre Angriffslust verloren hatten und nun von Leid gekennzeichnet waren. Er entschloss sich, seine zwei Begleiter auf die Probe zu stellen. Zwar fuhr er ebenfalls am Limit, hatte aber noch genug Kraft für eine weitere Tempoverschärfung. Bei der nächsten Steilkehre erhöhte er die Frequenz und beschleunigte. Durch einen kurzen Schulterblick bekam er die Bestätigung, dass seine Konkurrenten nichts mehr zusetzen konnten. Virenque versuchte es zwar, schaffte es allerdings nur, die Distanz im Rahmen zu halten, Olano war nun am Ende. Euphorisch legte Ulle noch ein bisschen zu, wobei er sich an Roux orientierte, dem er immer näher kam. Fünf Kilometer vor dem Ziel hatte er ihn schließlich gestellt und wagte es, Walter nach der Rennsituation zu fragen.
„Ihr liegt noch dreißig Sekunden hinter Pantani, der Rest ist weit zurückgefallen. Virenque hat zwanzig Sekunden, Berzin und Olano schon vierzig. Du bringst das Ding heute nach Hause.“

Vier Kilometer, drei Kilometer, Ulle kam dem Ziel immer näher. Inzwischen hatte er auch Roux abgehängt und den Abstand zu Pantani weiter verkürzt. Doch nun merkte er, dass er sich übernommen hatte. Die Sonne schien immer noch unbarmherzig auf ihn hinab und die Länge des Anstiegs hatte ihm alle Kräfte geraubt. Zum ersten Mal bei der Tour, die er so souverän anführte, fühlte er sich nicht mehr gut. Er drosselte das Tempo und ließ zu, dass Pantani, den er auf längeren geraden Stücken schon vor sich in seinem unnachahmlichen Stil den Berg hochklettern sah, ihm wieder entwischte. Die Souveränität, die er bisher vermittelt hatte, verschwand und am Ortseingang schaute sich Ulle schon nach hinten um, um sich zu vergewissern, dass seine Konkurrenten noch nicht zu ihm aufgeschlossen hatten. Nur Roux hatte seine Schwächephase genutzt, um ihn zu erreichen. Er schien überrascht zu sein, dass er den Mann im gelben Trikot, der ihn kurz vorher fast spielerisch distanziert hatte, nun ohne Probleme überflügeln konnte. Ulle versuchte trotz der Krämpfe in seinen Beinen das Tempo des jungen Franzosen mitzugehen und sich in seinem Windschatten ins Ziel zu retten. Mit letzter Kraft kämpfte er sich bis zur Zielgerade durch. Roux blickte sich zu ihm um, um festzustellen, ob Ulle um den zweiten Platz sprinten wollte, aber Ulle machte nur eine ablehnende Handbewegung. Sein Vorsprung war groß genug, nun konnte er die ersten Geschenke verteilen. Als er über die Ziellinie rollte wusste er, dass er dem Toursieg ein gutes Stück näher gekommen war. Virenque hatte den Abstand zwar in Grenzen halten können und erreichte das Ziel nur wenige Sekunden nach Ulle, aber Berzin und Olano hatten bereits mehr als eine halbe Minute Rückstand. Die einzige Gefahr bestand nun darin, dass er seinen kleinen Einbruch nicht gut wegsteckte. Morgen würde er alle Kräfte brauchen, in Courchevel musste er wieder voll auf der Höhe sein.

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Pantani holt sich den Etappensieg, Ullrich überlässt Roux Platz zwei



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Marco Pantani Mercatone Uno 5h11:51
2. Laurent Roux TVM 0:44
3. Jan Ullrich Telekom s.t.
4. Richard Virenque Festina 0:57
5. Evgeni Berzin Batik 1:21
6. Abraham Olano Banesto s.t.
7. Bjarne Riis Telekom 1:51
8. Pascal Herve Festina 2:36
9. Tony Rominger 3:40
10. Stephane Heulot FdJeux s.t.

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 62h50:09
2. Evgeni Berzin Batik 4:16
3. Abraham Olano 4:39
4. Bjarne Riis Telekom 6:21
5. Laurent Roux TVM 9:08
6. Beat Zberg Mercatone Uno 9:31
7. Richard Virenque Festina 10:08
8. Tony Rominger Cofidis 10:47
9. Piotr Ugromov Roslotto 10:53
10. Benoit Salmon Lotto 12:34

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 260
2. Benoit Salmon Lotto 226
3. Marcel Wüst Festina 209

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 259
2. Laurent Roux TVM 194
3. Jan Ullrich Telekom 184

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 62h50:09
2. Laurent Roux TVM 9:08
3. Benoit Salmon 12:34

Teamwertung:
1. Telekom 189h16:53
2. Banesto 9:20
3. ONCE 16:00

sciby
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Beitrag: # 6826457Beitrag sciby
31.7.2010 - 16:11

Entweder finde ich die Grafik des alten RSM einfach besser oder die damalige Atmosphäre faszniert mich zu sehr. Einfach großartig
Ex-Profi Cédric Vasseur via Twitter: "Der Radsport wurde wieder einmal vor der ganzen Welt lächerlich gemacht...Bravo!!!"

Valverde3007
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Beitrag: # 6826867Beitrag Valverde3007
3.8.2010 - 0:35

Tour de France 1997: Etappe 14 - Großangriff auf Gelb (Teil 1)

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148 Kilometer waren normalerweise eine Distanz, die für eine Touretappe sehr moderat waren, bei einer solchen Kürze hätte man im Normalfall fast von einem halben Ruhetag sprechen können. Heute war es genau das Gegenteil. Denn mit dem Col du Glandon, dem Col de la Madeleine und der Bergankunft nach Courchevel hatte die Organisation der Tour drei enorme Schwierigkeiten eingebaut, die den Fahrern das Leben schwer machen sollten. Drei Berge, an denen Ulles Gegner ihm das Leben schwer machen und die vorletzte Chance vor der Etappe nach Morzine nutzen konnten, ihn noch in den Alpen aus seinem gelben Trikot zu fahren. Sowohl in den Interviews nach der Zielankunft in Alpe d’Huez am Vortag als auch in Interviews mit verschiedenen Tageszeitungen hatten nahezu alle Favoriten einen Großangriff angesagt. Olano und Berzin witterten nach seiner Schwäche auf den letzten Kilometern nach Alpe d’Huez die Chance, ihn durch eine aggressive Fahrweise zu zermürben, Pantani und Virenque wollten mit einem Etappensieg die in der Gesamtwertung verpatzte Tour noch zu einem Erfolg machen. Zusätzlich sagte der Wetterbericht nichts gutes für den Tag voraus. Bis zu 40 Grad Celsius im Schatten waren vorhergesagt, so dass die Hitze ein weiterer entscheidender Faktor im Rennen sein würde. Daher rechnete Ulle nicht damit, dass es bis zur Bergankunft ruhig bleiben würde, stattdessen würde er ab dem Glandon aufmerksam fahren müssen, um die Kontrolle über das Rennen zu behalten. Die Etappe nach Andorra war schon hammerhart gewesen und auch Alpe d’Huez hatte ihn an seine Grenzen gebracht, aber der Abschnitt nach Courchevel war die Etappe, vor der er am meisten Respekt hatte. Heute war er auf seine Helfer, besonders Bjarne, Heppe und Totschnig angewiesen, am meisten allerdings auf sich selbst und seine Stärke.

Abraham Olano und sein Banestoteam machten vom ersten Kilometer des Col du Glandon an deutlich, dass es keine leeren Versprechungen waren, die sie in der Presse gemacht hatten. Nachdem das Feld zunächst recht gemütlich vor sich hin gerollt war und eine achtköpfige Ausreißergruppe sich Minute um Minute vom Feld absetzte, hatte sich Banesto wenige Kilometer vor dem Beginn der Steigung an die Spitze des Feldes gesetzt und das Tempo drastisch erhöht. Sofort flog das Feld auseinander und viele Fahrer verloren den Anschluss. Telekom verlor mit Ete, Wesemann und Giovanni ebenfalls schon drei Männer. Ulle orientierte sich zur Spitze und schnappte sich das Hinterrad von Olano. Dessen Edelhelfer Jose-Maria Jimenez attackierte nun etwa acht Kilometer vor dem Gipfel und initiierte eine neue Gruppe um ihn, Laurent Brochard und den Schweizer Kletterer Alexandre Moos. Ulle nahm Kontakt zu seinen Helfern auf und sofort setzten Heppe und Bölts nach. Auf keinen Fall wollte man Banesto den Vorteil einer perfekten taktischen Konstellation lassen, weshalb Jimenez schnellstmöglich wieder eingeholt werden sollte. Zunächst kontrollierten sie den Abstand auf etwa fünfzehn Sekunden, dann stiegen auch Pantanis Helfer in die Nachführarbeit ein und mit vereinten Kräften wurde Jimenez zurückgeholt. Statt sich nun zu beruhigen, nahm das Rennen nun allerdings erst richtig Fahrt auf. Der nächste Angriff vom in der Gesamtwertung fünftplazierten Laurent Roux war schon ein gutes Stück gefährlicher und zwang Telekom erneut zu einer Reaktion. Doch so langsam hatten seine Kollegen schon größere Probleme. Heppe schaffte es gerade so, sich am Ende der Gruppe zu halten, Totschnig und Lafis waren zurückgefallen und Bölts war auch nicht mehr in der Lage, das Tempo hochzuhalten. Daher sprang bereits Riis in die Bresche und spannte sich vor die Gruppe der Favoriten, die schon auf fünfundzwanzig Fahrer geschmolzen war. Bis zur Markierung für den letzten Kilometer zum Glandon kam Ulles Gruppe durch die Hilfe des Dänen auf Sichtweite an Roux heran. Da zündete die Konkurrenz die nächste Stufe der Angriffsmaschinerie. Als Ulle die roten punkte auf dem Trikot des Fahrers, der nun Roux nachsetzte, erkannte, wusste er, dass der Kampf ums Gesamtklassement endgültig eröffnet war. Und es waren noch über hundert Kilometer und zwei Pässe zu bewältigen.


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Obwohl Banesto ein wahnsinniges Tempo im Feld vorgibt (links), wagt Berzin früh einen Angriff auf das gelbe Trikot (rechts).

Kurze Zeit hatte Ulle gehofft, dass die Attacke von Evgeni Berzin nur ein Strohfeuer bleiben würde, weil der Russe sich nur die Bergpunkte sichern wollte, aber der zweite im Gesamtklassement zog voll durch und erarbeitete sich gemeinsam mit Roux einen kleinen Vorsprung. Er überquerte die Bergwertung als erster und stürzte sich dann mit vollem Risiko in die Abfahrt. Zwanzig Sekunden später erreichte die Gruppe um Ulle den Gipfel. Aus dem ehemals riesengroßen Feld war ein kümmerliches Grüppchen aus zwanzig Fahrern geworden, in dem schon zahlreiche namhafte Fahrer fehlten. Laurent Jalabert, Pavel Tonkov und viele andere hatten das mörderische Tempo nicht halten können und lagen schon knapp zwei Minuten zurück. Ulle hatte sich nun mit Olano verständigt, bis zum Col de la Madeleine gegenseitig zu helfen und in der Führungsarbeit abzulösen um das Duo an der Spitze wieder einzufangen und so machten Heppner und Riis auf dem kurzen Flachstück zwischen den beiden Bergen gemeinsam mit Jimenez und Beltran Tempo. Bis zum Fuß des Col de la Madeleine konnten sie den Abstand auf eine halbe Minute begrenzen. Immer wieder nahm Bjarne Kontakt zu Olano auf und sprach die Taktik ab. Jimenez und Beltran schienen noch gute Beine zu haben und übernahmen einen Löwenanteil der Führungsarbeit. Minute um Minute spulten sie ihr Programm herunter und reduzierten den Abstand sekundenweise. Berzin und Roux hielten sich aber weiter wacker an der Spitze und angesichts der Tatsache, dass im ehemaligen Feld nur noch eine handvoll Helfer waren, die ihnen hinterherfuhren, zogen sie weiter durch. Berzin war gezwungen von seinen vier Minuten Rückstand so viel wie möglich gut zu machen, um die eventuelle Chance, Ulle das gelbe Trikot noch zu entreißen, zu erhalten. Daneben fuhr mit Laurent Roux der Shootingstar der Tour, der am Vortag in Alpe d’Huez nur Pantani den Vortritt lassen musste und in der Gesamtwertung gegen Rominger und Virenque kämpfte. Hochmotiviert und angetrieben von seinen französischen Landsleuten kämpfte er sich mit Berzin berghoch.

Dabei schwankte der Vorsprung nun immer wieder hin und her. Fünfzehn Kilometer vor dem Madeleine waren es nur noch zwanzig Sekunden, fünf Kilometer später wieder fünfunddreißig, fünf Kilometer vor der Bergwertung wieder zwanzig. Inzwischen hatte auch Heppner dem hohen Tempo Tribut gezollt und hatte Ulle mit Bjarne als letztem Helfer zurückgelassen. Dafür arbeitete die Banestomannschaft immer noch wie besessen, um noch vor der Bergwertung den Zusammenschluss herzustellen. „Kannst du noch schneller?“, fragte sein erfahrener Teamkollege Riis von der Seite und ging herausfordernd aus dem Sattel. „Wir müssen Berzin vor der nächsten Abfahrt holen, sonst powern wir durch bis Courchevel.“ Ulle fühlte sich noch recht wohl und nickte daher. Bjarne fuhr nun vor zu Jimenez, der die Gruppe anführte und sagte ein paar Worte in einer Sprache, die Ulle nicht verstand. Dann ging er vorbei und verschärfte das Tempo brutal. Ein bisschen schneller hätte Ulle noch recht problemlos gekonnt, aber das Höllentempo des Dänen war fast zu viel für seinen Geschmack. Dafür zeigte es seine Wirkung. Zwei Kilometer vor dem Madeleine waren es noch zehn Sekunden nach vorne und kurz vor der Bergwertung erreichte die Gruppe das Duo um Berzin. Der Russe sicherte sich zwar noch die vierzig Bergpunkte, aber sein Ausreißercoup war misslungen und überdies hatte er unglaublich viele Kräfte verschleudert. Ulle bezweifelte, dass der Kapitän der Batikmannschaft am finalen Anstieg noch Einfluss auf das Rennen nehmen konnte. Stattdessen ging Banesto nun wieder in die Offensive. Auf der Abfahrt attackierte Manuel Beltran und löste sich von der immer noch zwanzig Fahrer starken Favoritengruppe, in der nun etwas die Luft raus war und das Tempo gedrosselt wurde. Ein neuer Waffenstillstand lag in der Luft, aber jeder wusste, dass dieser nur bis zum Schlussanstieg Bestand haben würde.


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Nachdem Ulle Berzin kurz vor der Bergwertung gestellt hat (links), setzt sich Manuel Beltran von der Gruppe ab (rechts).

$$_gibo_$$
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Beitrag: # 6827034Beitrag $$_gibo_$$
3.8.2010 - 22:31

Schön das es hier weitergeht, vor allem da mir Jan Ullrich trotz allem noch als sympathischer Fahrer in Erinnerung geblieben ist.
Deine Story passt da natürlich hervorragend, auch durch deinen großartigen Schreibstil.
Ich sah den Himmel und mein eigenes Grab,
Ich feierte Siege triumphierte und verlor,
Ich starb aus Liebe.

Valverde3007
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Beitrag: # 6827085Beitrag Valverde3007
4.8.2010 - 12:55

Tour de France 1997: Etappe 14 – Großangriff auf Gelb Teil 2

„20 kilomètres à Courchevel“. Dreieinhalb Stunden Höchstarbeit lagen hinter Ulle und seinen Gefährten und nun kam diese niederschmetternde Nachricht. Noch einmal zwanzig lange Kilometer führten hinauf in den Skisportort, wo auf knapp zweitausend Metern das Ziel erreicht werden würde. Olanos Helfer Beltran fuhr mittlerweile drei Minuten vor der Favoritengruppe, die auf dem Flachstück zwischen den letzten beiden Gebirgsriesen das Tempo rausgenommen hatte, so dass einige Fahrer von hinten aufschließen konnten und die abgehängte Gruppe mit Tonkov und Jalabert wieder auf zwei Minuten herankam. Nur die Sprintwertung dreißig Kilometer vor dem Ziel hatte etwas Bewegung ins Feld gebracht. Heppe, der wieder nach vorn gekommen war, war kurz vor dem Sprint angetreten, um den anderen Favoriten die Bonussekunden abzunehmen, doch sein Angriff wurde sofort gekontert. Erneut setzte der scheinbar nimmermüde Berzin nach. Ulle hatte sofort reagiert und sich das Hinterrad des Russen gesichert, konnte es aber nicht verhindert, dass dieser die vier Sekunden für Platz zwei abstaubte. Auf der einen Seite mussten ihn die wenigen Sekunden kaum interessieren, auf der anderen Seite war es ein kleiner moralischer Sieg für seinen größten Kontrahenten. Und es war ein Zeichen, dass er trotz seiner gescheiterten Flucht noch nicht aufgegeben hatte, sondern es weiter probieren würde. Es waren noch zwanzig Kilometer zu bewältigen, zwanzig Kilometer, die extrem lang werden konnten.

Banesto wiederholte nun das Spielchen vom Col du Glandon zu Beginn der Achterbahnfahrt durch die Alpen. Jose Maria Jimenez und der kleine Bruder des großen Miguel Indurain, Prudencio, schlugen ein gleichmäßig hohes Tempo an und ließen die Gruppe auseinander fliegen. Schon nach fünf Kilometern war nur noch ein Dutzend Fahrer in der Lage, mitzuhalten, der Rest kämpfte weiter hinten einsam und erschöpft darum, nicht zu viel Zeit zu verlieren. Beltran fuhr immer noch eine Minute vor ihnen und schien nun ein bisschen das Tempo zu drosseln. Entweder er wurde müde, oder er holte kurz Luft, weil sein Kapitän einen Angriff plante. Und einen Kilometer später war es so weit. Jimenez hatte seine Arbeit getan und seine Kräfte aufgebraucht, als Olano, der in fünfter Position abgewartet hatte, zum Angriff blies. Ulle schaute zu Berzin, der seinen Blick erwiderte, aber beide pokerten und blieben sitzen. Olano hatte zu viel Rückstand, um so früh seine Kräfte zu verbrauchen. Stattdessen orientierte sich Ulle an Bjarne, der die Führung der Gruppe übernahm. Einige weitere Fahrer hatten unter der Tempoverschärfung gelitten und waren zurückgefallen, darunter die Schweizer Rominger und Zülle sowie der erfahrene Ugromov. Riis hielt das Tempo dermaßen hoch, dass nun niemand anderes eine Attacke wagte. Olano schloss unterdessen zu Beltran auf, der ihn sowohl moralisch als auch durch eine Trinkflasche unterstützte und seinen Kapitän noch einige Meter den Berg hochzog.

Währenddessen blieb Ulle noch ruhig am Hinterrad von Bjarne und wartete ab. Olano sollte ruhig seine Kräfte verschleudern, Ulle wollte erst auf den letzten kilometern aufs ganze gehen. So lange Olano nur einen Vorsprung von ungefähr fünfzehn Sekunden hatte, war alles noch vollkommen im Rahmen. Natürlich blieb diese akzeptable Situation nicht bestehen, sondern wurde plötzlich wieder sehr gefährlich. In einem Moment der Unachtsamkeit, als sich Ulle ein paar Positionen zurückfallen lassen hatte, trat sein ernstester Gegner wieder auf den Plan. Als ob er sich den ganzen Tag ausgeruht hätte, statt mit Roux an der Spitze zu fahren, attackierte Berzin explosiv und stiefelte Olano hinterher. Ulle schaute, nachdem er es verpasst hatte, zu reagieren, panisch zu Bjarne. Dieser blieb cool und bedeutete Ulle, nicht die Nerven zu verlieren und kontrolliert hinterherzufahren. Unglücklicherweise war sonst niemand gewillt, die beiden Kapitäne an der Spitze zu jagen. Also musste die Telekomdoppelspitze alleine gegen das Duo, das sich nun gefunden hatte, kämpfen. Zunächst sah es nicht gut aus, der Vorsprung wuchs auf zwanzig Sekunden, dann auf fast eine halbe Minute. Bjarne gab alles, schien Olano und Berzin trotzdem nichts entgegensetzen zu können. Ulle versuchte immer wieder Virenque, Pantani und Roux zur Mitarbeit zu bewegen, allerdings hatte von den dreien keiner so wirklich Interesse nachzusetzen. Pantani probierte zwar mit einer kurzen Attacke, alleine nach vorne zu kommen, an geregelter Nachführarbeit hatte er kein Interesse. Nun kam auch Beltran von vorne zurück. Bjarne spurtete an ihm vorbei und gab ein letztes Mal Vollgas. Dann machte er Platz für Ulle und schickte den jungen deutschen an sich vorbei.
„Den Rest musst du alleine erledigen. Du schaffst das. Denk an dein Trikot.“

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Riis und Ulle (links) versuchen das Duo Berzin und Olano (rechts) einzuholen.

Nachdem Ulle das Tempo erhöht hatte, waren nur noch Virenque und Pantani in der Lage, zu folgen. Der Abstand sank wieder leicht, stagnierte dann aber bei zwanzig Sekunden. Das schien Marco Pantani knapp genug zu sein, um den Versuch zu starten, die Lücke zu überbrücken. Knackig trat er an und schoss an Ulle vorbei. Diesmal wollte Ulle sich nicht so leicht düpieren lassen und beschleunigte sofort. Er musste zwar ein paar Meter Abstand lassen, klammerte sich aber an Pantani fest. So lange er Sichtkontakt hielt, konnte er sich motivieren, ihm zu folgen. Immer wieder sah er, wie der Italiener aus dem Sattel ging, um sein Tempo zu halten. Im Wiegetritt flog er die steilsten Rampen hoch. Ulle musste auf die Zähne beißen und verlor mehrmals fast den Glauben, den Italiener halten zu können. Nur der Zuspruch aus dem Teamwagen motivierte ihn, dranzubleiben. Die Meter schienen nun weiter, die Sekunden länger als sonst zu sein. Doch dann, nach einer langen Kurve, atmete er auf. Pantani, der etwa fünfzig Meter auf ihn gewonnen hatte, erreichte nun Olano und Berzin. Die beiden schauten sich konsterniert nach dem gelben Trikot um, das sie erreichte, bis sie merkten, dass es nur das Mercatone-Trikot des „Piraten“ war. Noch größer wurde ihr Schreck, als wenige Sekunden darauf das echte gelbe Trikot das neu gebildete Trio erreichte. Ihr Angriff war verpufft, Ulle hatte sie neutralisiert. Das Rennen begann wieder von vorn.

Nun waren die Karten anders gemischt. Ulle hatte den psychologischen Vorteil, erneut eine Attacke abgewehrt zu haben, während Olano und Berzin an der Stärke und Souveränität des jungen deutschen zu verzweifeln begannen. Sie hatten alles versucht, alle taktischen Optionen ausgeschöpft und trotzdem hatten sie Ulle nicht abschütteln können. Demotiviert nahmen sie das Tempo raus, bis auch Virenque Anschluss gefunden hatte. Ulle fuhr nun wieder an der Spitze und kontrollierte das Rennen. Sieben Kilometer vor dem Ziel folgte die nächste Attacke und wieder war es Pantani. Der Italiener war allerdings auch schon sichtlich erschöpft und nicht mehr so explosiv wie vorher, sodass Ulle es schaffte mit einige Mühe dranzubleiben. Pantani fuhr drei weitere der für ihn so spezifischen kurzen Sprints, um seine Konkurrenz zu zermürben und es zeigte Wirkung. Berzin war augenscheinlich am Ende seiner Kräfte, sein heldenhafter Ritt über Glandon und Madeleine und sein Angriff am Schlussanstieg hatten zu viel Kraft gekostet, nun musste er den Anstrengungen Tribut zollen. Kurz später erwischte es Olano, der ebenfalls dem Tempo des Italieners nicht mehr folgen konnte. Somit blieben noch drei Fahrer an der Spitze, Pantani, Virenque und Ullrich. Sofort setzte sich Ulle an die Spitze. Vor wenigen Minuten hatte er gefürchtet, die Tour noch verlieren zu können, nun hatte er die Chance, sie endgültig zu gewinnen.

Der Abstand entwickelte sich positiv. Fünf Kilometer vor dem Ziel waren es 26, drei Kilometer vor dem Ziel 46 Sekunden. Bis zwei Kilometer vor dem Ziel blieb es bei dem Fernduell von Ulle, der immer noch alleine die Führung im Spitzentrio machte, und seinen beiden Gegnern. Berzin fuhr noch ein paar Sekunden vor Olano, die Tendenz ließ aber darauf schließen, dass der spanische Zeitfahrspezialist seinen russischen Kollegen bald erreichen würde. Um den zweiten Platz blieb es also immer noch spannend. Genau so spannend war der Kampf um den Tagessieg. Ulle erinnerte sich an unangenehme Erfahrungen bei Bergankünften mit Pantani zurück und hatte sich daher dazu entschlossen, Angriffe des Italieners zu neutralisieren, während er dem Lokalmatador Richard Virenque den Tagessieg durchaus gönnte, auch weil er wusste, dass ihn ein zweiter Platz zeitgleich hinter Virenque in der französischen Presse und im Feld zu einem Helden machen würde. Deshalb reagierte er nicht, als Virenque eine Attacke setzte und ging erst hinterher, als Pantani konterte. Eineinhalb Kilometer vor dem Ziel setzte der Pirat seinerseits eine Attacke. Ulle folgte sofort und schaute sich nach Virenque um. Der Franzose hatte Probleme und schaffte es nicht, Anschluss zu halten. Dafür verschärfte Pantani weiter. Ulle hielt sein Hinterrad und verfolgte den Italiener. Gemeinsam erreichten sie die Markierung für den letzten Kilometer, Pantani immer noch an der Spitze. Sechshundert Meter vor dem Ziel setzte er die letzte Attacke. Wuchtig löste er sich von Ulle. Auf den letzten flachen Metern gab der Mann im gelben Trikot noch einmal alles. Eine Etappe in den Pyrenäen hatte er gewonnen, dazu ein Zeitfahren, nun wollte er auch noch eine Etappe in den Alpen. Meter um Meter kämpfte er sich wieder an Pantani heran, nutzte die letzte flache Gerade um sich im Windschatten heranzukämpfen, doch es reichte nicht ganz. Enttäuscht musste er mit ansehen, wie Pantani die Arme in die Luft streckte und seinen Etappensieg feierte. Dennoch war er nicht niedergeschlagen und als einer der Betreuer ihm berichtete, dass Olano und Berzin mit eineinhalb Minuten Rückstand an der Bergankunft angekommen waren, strahlte er über beide Ohren. Pantani sollte sich mit seiner Etappe trösten, viel wichtiger waren die weiteren neunzig Sekunden, die Ulle im Kampf um den Gesamtsieg gewonnen hatte. Und nun war er sich sicher, dass es reichen würde. Wenn er am Joux-Plane nicht einbrechen sollte, war er durch.


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Nachdem Ulle Anschluss an die Gruppe mit Berzin gefunden hat (links), attackiert er zusammen mit Pantani (rechts).



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Marco Pantani Mercatone Uno 5h53:12
2. Jan Ullrich Telekom s.t.
3. Richard Virenque Festina 0:35
4. Evgeni Berzin Batik 1:26
5. Abraham Olano Banesto s.t.
6. Francisco Cabello Kelme 2:20
7. Beat Zberg Mercatone Uno 3:02
8. Bjarne Riis Telekom s.t.
9. Benoit Salmon Lotto 3:34
10. Laurent Roux TVM 3:42

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 68h43:07
2. Evgeni Berzin Batik 5:54
3. Abraham Olano 6:17
4. Bjarne Riis Telekom 9:35
5. Richard Virenque Festina 10:47
6. Beat Zberg Mercatone Uno 12:45
7. Laurent Roux TVM 13:02
8. Marco Pantani Mercatone Uno 15:18
9. Piotr Ugromov Roslotto 15:19
10. Tony Rominger Cofidis 15:37

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 260
2. Benoit Salmon Lotto 226
3. Marcel Wüst Festina 209

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 259
2. Laurent Roux TVM 194
3. Jan Ullrich Telekom 184

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 62h50:09
2. Laurent Roux TVM 13 :02
3. Benoit Salmon 16 :20


Valverde3007
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Beitrag: # 6828524Beitrag Valverde3007
18.8.2010 - 15:24

Tour de France 1997: Etappe 15 - Indurains Erbe - Teil 1

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Langsam wischte sich Ulle den Schweiß von der Stirn, als er sich in vorderster Reihe an der Startlinie positionierte, um sich den Zuschauern beim Start der Etappe in Courchevel zu präsentieren. Vierzig Grad Celsius im Schatten zeigte das Thermometer heute an, damit war es noch ein bisschen wärmer als in den letzten Tagen. Noch dazu musste sich das Peloton über mehr als zweihundert Kilometer und viertausend Höhenmeter quälen, bevor es das Ziel in Morzine erreichte. Die ersten hundert Kilometer waren mit einem Berg der dritten und einem der zweiten Kategorie noch relativ einfach auf dem Papier, aber die zweite Hälfte hatte es in sich. Erst standen mit dem Col de Croix-Fry und dem Col de la Colombière zwei Anstiege der ersten Kategorie an und schließlich kam es zehn Kilometer vor dem Ziel am Col de Joux-Plane zum Finale. Die Taktik des Tages war einfach. Ulle würde sich auf sein Team verlassen und sich nur auf Berzin und Olano konzentrieren. Die restlichen Fahrer lagen einerseits zu weit zurück, andererseits würden Fahrertypen wie Virenque, Roux und Pantani im Zeitfahren wieder viel verlieren. Die Zeit der Aktion war vorbei, er musste niemandem mehr etwas zeigen. Nun konnte er defensiv fahren.

„Ihr erreicht jetzt den Forclaz. Das ist der erste von vier schweren Bergen, also übernehmt euch nicht. Ihr müsst Kräfte sparen.“ Rudy Pevenage hatte im Teamwagen gut reden, aber wie sollte er auch wissen können, wie brutal Banesto wieder einmal in den Berg hineinraste. Schon am Hügel der dritten Kategorie hatten sie Dampf gemacht und die dreiköpfige Ausreißergruppe des Tages beinahe wieder eingeholt. Nun am Forclaz waren das Trio Geschichte. Arrieta, de las Cuevas und der kleine Indurain fuhren als gäbe es keinen Morgen mehr. Und nach und nach dezimierte sich das Feld beträchtlich. Ulle zählte schon am ersten Anstieg nur noch vier Helfer an seiner Seite, die anderen waren hoffnungslos abgeschlagen. Einzelne Fahrer versuchten es zwar mit einem Angriff, darunter der französische Meister Laurent Brochard und der bisher bei der Tour enttäuschende Pavel Tonkov, doch Banesto erstickte jede Attacke im Keim. Olano zeigte sich durchgehend direkt an der Spitze hinter seinen Helfern, wobei er sehr entspannt aussah und seine Helfer immer wieder motivierte. Noch hatte er nicht aufgegeben, die letzten Berge in den Alpen boten den Platz für das letzte große Spektakel im Hochgebirge.

Der Gipfel war fast erreicht, das Feld auf nunmehr fünfundzwanzig Fahrer geschrumpft. Sogar Heppner und Bölts waren schon zurückgefallen, sodass Ulle mit Totschnig und Riis nur noch zwei Männer blieben. Doch auch die anderen Teams waren nicht mehr sehr stark vertreten, mit Ausnahme von Banesto. Der nächste ernstzunehmende Angriff ließ die Dominanz der Spanier am heutigen Tag sehen. Pantani, einer der wohl weltbesten Kletterer, wagte eine explosive Attacke, doch binnen weniger hundert Meter schlossen drei Banestofahrer die Lücke und sorgten dabei gleichzeitig dafür, dass die Gruppe um Ulle gesprengt wurde. Außer Bjarne und ihm hatten nur Virenque und Berzin Anschluss gehalten. Ulle konzentriete sich weiterhin auf Olanos Hinterrad. Als Pantani eingefangen war und Beltran und Jimenez etwas das Tempo drosselten, schaute Olano seinen Konkurrenten in die Augen. Ulle freute sich über die dunklen Gläser in seiner Sonnenbrille. Neben Erschöpfung hätte Olano darin etwas entdecken können, was seine Konkurrenz von ihm nicht kannte. Angst. Wenn es den ganzen Tag so weiter gehen sollte, wusste Ulle nicht, ob es gut gehen würde. Weitgehend isoliert und von der unbarmherzigen Sonne beschienen konnte er von Olano in Gefahr gebracht werden.

Am Croix-Fry war es so weit. Nachdem Virenque die Bergwertung am Col de Forclaz vor Berzin gewonnen hatte, waren auf der Abfahrt zwar wieder einige Fahrer herangekommen. Darunter waren leider auch Indurain und Arrieta, die weiter auf Angriff fuhren. Nun, vier Kilometer vor der Bergwertung setzte Olano ein erstes Ausrufezeichen. In einem etwas flacheren Stück ließ er sich etwas zurückfallen, dann verschleppten seine Helfer das Tempo und er attackierte an den anderen Favoriten vorbei. Virenque reagierte als erstes, danach schlossen sich Berzin und Ulle an. Ulle folgte Virenque recht leichtfüßig und ließ sich von ihm bis zu Olano bringen. Kaum dass sie aufgeschlossen hatten, versuchte es der Spanier wieder. Ulle ging selbst hinterher und neutralisierte den Angriff. Diesmal war er allerdings der einzige gewesen, der Olano halten konnte. Der dritte der Gesamtwertung sah ein, dass er Ulle noch nicht so früh loswerden würde und versuchte ihn deshalb zur Mitarbeit aufzufordern, da er noch zwingend Zeit gegenüber dem wohl besten Zeitfahrer im Feld neben Ulle, Evgeni Berzin, aufholen musste. Ulle willigte zunächst ein, dann pfiff ihn Pevenage zurück und ermahnte ihn, auf Bjarne zu warten. Dafür musste er sich von Olano zwar einige wüste Verwünschungen anhören. Langsam wurde de Gruppe wieder größer und angesichts der Tatsache, dass die Banestohelfer zurückgefallen waren, fühlte sich niemand für das Tempo zuständig. Am Gipfel spurteten Virenque, Berzin und Ugromov um die dreißig Punkte, die der Russe im Bergtrikot einstreichen konnte. Olano rollte Seite an Seite mit Ulle über die Linie und sagte etwas auf Spanisch. Ulle verstand die Sprache zwar nicht gut, diese Nachricht aber schon.
„Am nächsten Berg fahren wir ein echtes Rennen.“

Valverde3007
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20.8.2010 - 15:21

Tour de France 1997: Etappe 15 - Indurains Erbe - Teil 2

Ulle ging in Gedanken den Verlauf des Col de la Colombière durch. Nach einem sanften Beginn wurde es nach knapp drei Kilometern zum ersten Mal richtig steil, bevor ein vier Kilometer langes, flacheres Stück folgte. Die letzten neun Kilometer waren dann noch einmal richtig steil und würden für Abstände sorgen können. Dort erwartete er Attacken von Berzin und Olano. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass er dann noch mindestens zwei oder drei Helfer an der Seite haben würde, aber das engagierte Rennen und die hervorragende Taktik von Banesto hatten den Spieß umgedreht. Er war weitestgehend isoliert und musste nun selbst das Heft in die Hand nehmen. Das bedeutete auf der anderen Seite, dass er nicht jeden ungefährlichen Angriff kontern konnte. Deshalb ließ er die ersten beiden Angreifer, Piotr Ugromov und Pavel Tonkov ungehindert ziehen und verharrte am Hinterrad von Olano. An der Spitze fuhr nun wieder Indurain und sein Team fuhr wie in den Tagen seines älteren Bruders. Und Olano fuhr mit demselben Stil. Vollkommen locker und leicht organisierte er mit seinem Team das Tempo und beobachtete gleichzeitig seine Gegner. Nebenbei demonstrierte er mit seiner Fahrweise unglaubliche Stärke und vermittelte seinen Kontrahenten das Gefühl, in der Lage zu sein, alle Angriffe zu kontern und selbst attackieren zu können. Obwohl Ulle bei der Tour bisher unglaublich überlegen war, sah Olano in diesen wenigen Momenten wie der aus, dem er nachfolgte, Ulle würde ihm zeigen, dass er noch besser war.

Mit jedem Höhenmeter, den sie hinter sich brachten, stieg die Spannung. Immer noch fuhren Tonkov und Ugromov mit einer Minute Vorsprung vorne, dahinter diktierte Banesto das Tempo. Die Gruppe kam nun zu den steilsten Kilometern des Berges. Sofort beschleunigte die spanische Armada. Beltran zog einen kurzen Bergsprint an, dann übernahm Jose-Maria Jimenez und sorgte dafür, dass nur noch die drei Männer auf dem Podium Berzin, Olano und Ulle, sowie die beiden Bergspezialisten Virenque und Pantani mitkamen. Jimenez legte ein so höllisches Tempo vor, dass sogar Pantani, der direkt vor Ullrich fuhr ausscherte und sich zurückfallen ließ. Ulle zog an ihm vorbei an Olanos Hinterrad. Er musste nun schon in den roten Bereich gehen, aber er verlor nicht den Anschluss. Dafür mussten die anderen einer nach dem anderen die Waffen strecken und noch bevor Jimenez seine Arbeit beendet hatte, waren Berzin und Virenque zurückgefallen. Olano übernahm nun, nachdem seine Helfer verbraucht waren, selber die Führung. Einige hundert Meter fuhr er mit vollem Tempo und Ulle musste kräftig beißen, um dranzubleiben. In einer Kurve attackierte Olano erneut und schaffte es ein paar Meter zwischen sich und Ulle zu legen. Ulle schnaubte vor Anstrengung und biss auf die Zähne. Er zwang sich, nicht nach hinten zu gucken, sondern sich an Olano festzubeißen. Lange konnte er das Tempo nicht mehr durchhalten. Nun war es eins der legendären Duelle Mann gegen Mann, der Abstand schwankte immer zwischen fünfzehn und zwanzig Metern, mal gewann Olano Raum, dann schlug Ulle zurück. Bald entdeckte Ulle zwei weitere Fahrer, Tonkov und Ugromov, die nun von vorne zurückkamen. Olano ließ die beiden sofort stehen und übernahm die Führung in dem Trio, aber der psychologische Vorteil war auf Ulles Seite. Nacheinander sprang er an Ulle und Tonkov vorbei und reduzierte dabei den Abstand auf Olano auf weniger als zehn Meter. Wenige Meter später hatte er den Spanier erreicht. Das Duell konnte von vorne beginnen.

Olano hatte das Tempo nun herausgenommen, sodass Tonkov und Ugromov wieder aufschließen konnten. Ulle verweigerte zunächst alle Mitarbeit und lutschte an Olanos Hinterrad. Der Spanier gestikulierte zwar wild, doch Ulle zeigte nur auf sein Trikot, um ihm zu signalisieren, dass er es nicht mehr nötig habe, noch mehr Zeit auf die Konkurrenz zu gewinnen. Als eins der Begleitmotorräder ihnen anzeigte, dass die Verfolger nur noch fünfzehn Sekunden zurücklagen, schaute Olano nach hinten. Immerhin musste er noch Zeit auf Berzin aufholen, um den zweiten Platz zuerobern. Trotzdem verneinte Ulle erneut, als Olano ihn aufforderte, mitzuarbeiten. Olano schrie kurz vor Wut, dann trat er nach einer Kurve an und startete eine neue Attacke. Ulle ging sofort hinterher und hatte diesmal weniger Probleme zu folgen. Dafür eliminierten sie ihre beiden anderen Begleiter. Olano verschärfte nun immer wieder das Tempo und änderte seine Taktik insofern, dass er versuchte Ulle zu zermürben und währenddessen noch Zeit auf Berzin zu gewinnen. Zweiteres funktionierte hervorragend, aber Ulle ließ sich nicht abschütteln. Als er sah, wie Olano mehr und mehr verzweifelte, kam sein Mut zurück. Nun hatte er Olano im Griff. Um seine Stärke zu demonstrieren, ging er an Olano vorbei. Der Kampf gegen Olano wurde nun persönlich, er wollte seiner Favoritenrolle Nachdruck verleihen und nicht nur das Hinterrad seines stärksten Gegners halten. Seite an Seite, Schulter an Schulter fuhren sie ihr Privatduell aus, aber niemand konnte den anderen abschütteln. Gemeinsam erreichten sie den Gipfel des Colombières, wo Ulle Olano die Punkte schenkte.

Als sie wieder im Tal waren, warf Ulle seine taktische Marschroute über Bord, defensiv zu fahren und nur zu reagieren und unterstützte Olano. Immerhin waren noch knapp fünfzig Kilometer zu fahren und den Vorsprung, den sie sich erarbeitet hatten, würden sie nur gemeinsam halten. Hinter ihnen fuhr ein Verfolgerquintett mit Tonkov, Pantani, Virenque, Berzin und Ugromov, das etwa eine Minute und fünfzehn Sekunden Rückstand hatte, dahinter folgte mit knapp zweieinhalb Minuten eine größere Gruppe mit Zülle, Riis und Rominger. Die nächsten dreißig Kilometer verliefen recht ereignislos, die beiden Führenden arbeiteten gut zusammen, achteten dennoch darauf, nicht zu viel Kraft zu verschleudern oder mehr zu investieren als der andere. Am zweiten Zwischensprint ließ Ulle Olano den Vortritt und schenkte ihm zwei Sekunden, danach waren sie wieder Gegner. Gemeinsam erreichten sie den Col de Joux-Plane, den letzten entscheidenden Berg der Alpen.

Ulle wollte Olano gar nicht den Hauch der Chance geben, sich von ihm zu lösen und an diesem, dem steilsten Berg anzugreifen. Er ging noch nicht aufs Ganze, achtete aber darauf, dass das Tempo stets zügig blieb. Olano akzeptierte es gern, dass Ulle nun seine Lokomotive spielte und ließ sich von ihm den Berg hochziehen. Dennoch rechnete Ulle fest mit einem letzten Versuch von Olano, ihn noch zu distanzieren. Nach fünf Kilometern, also der Hälfte des Berges, testete Olano das erste Mal an, nahm aber sofort wieder raus, als er sah, dass Ulle problemlos folgen konnte. Zwei, drei Minuten geschah nichts, dann versuchte er es wieder. Ohne Unterlass griff er nun an, ein zweites Mal, ein drittes Mal, und trotzdem konnte er sich nicht absetzen. Ulle fuhr seelenruhig seinen Rhythmus und schloss die Löcher, die Olano kurzzeitig reißen konnte. Anschließend setzte er sich wieder an die Spitze und fuhr weiter sein Tempo. Bis kurz vor dem Gipfel ging das Spiel weiter, doch Ulle wusste, dass das Spiel gelaufen war. Sechs Minuten hatte Olano Rückstand, was er niemals auf den letzten Kilometern aufholen könnte. Zusammen erreichten sie die Bergwertung am Joux-Plane, Olano vor Ulle, dahinter kam lange niemand. Erst knapp hundert Sekunden später kam Richard Virenque, danach Berzin und Pantani.

Ulle leistete die Führungsarbeit als sie Morzine erreichten. Olano hatte sich als würdiger Gegner erwiesen und ihm einen großen Kampf geliefert, was er zu würdigen wusste. Er respektierte den Spanier für seinen großen Kampfgeist und hatte sich schon auf der Abfahrt entschlossen, ihm den Tagessieg zu schenken. Ulle ließ sich fünfhundert Meter vor dem Ziel neben Olano zurückfallen und gab ihm einen leichten Klaps auf die Schulter und winkte ihn vorbei. Olano bedachte ihn mit einem dankbaren Blick und zog vorbei. Bis auf die letzten fünfzig Meter zog er durch, um jede Sekunde auf Berzin zu gewinnen, dann zog er seinen Trikotverschluss hoch und reckte die Arme in den Himmel. Die Tour hatte er verloren, dafür wenigstens die Etappe gewonnen. Ulle dagegen genoss es, als zweiter über die Linie zu rollen. Als er kurz später bei der Siegerehrung hinter der Bühne Olano wiedertraf, hielt er ihm die Hand hin. Olano griff zu und klopfte Ulle gleichzeitig auf die Schulter. Beide wussten, dass sie sich einen großen Zweikampf geliefert hatten und nebeneinander in Paris auf den Champs-Elyssees geehrt werden würden. Sie waren die beiden stärksten Männer im Feld der Frankreichrundfahrt und das hatten sie heute eindrücklich bewiesen.



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Abraham Olano Banesto 5h53:12
2. Jan Ullrich Telekom s.t.
3. Richard Virenque Festina 1:46
4. Evgeni Berzin Batik 2:14
5. Marco Pantani Mercatone Uno s.t.
6. Benoit Salmon Lotto 3:41
7. Pavel Tonkov Mapei s.t.
8. Beat Zberg Mercatone Uno s.t.
9. Piotr Ugromov Roslotto s.t.
10. Peter Luttenberger Rabobank s.t.

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 73h12:51
2. Abraham Olano Banesto 6:07
3. Evgeni Berzin Batik 8:24
4. Richard Virenque Festina 12:41
5. Bjarne Riis Telekom 15:12
6. Beat Zberg Mercatone Uno 16:42
7. Marco Pantani Mercatone Uno 17:48
8. Piotr Ugromov Roslotto 19:16
9. Laurent Roux TVM 19:35
10. Benoit Salmon Lotto 20:17

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 260
2. Benoit Salmon Lotto 241
3. Marcel Wüst Festina 209

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 349
2. Richard Virenque Festina 264
3. Jan Ullrich Telekom 260

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 73h12:51
2. Laurent Roux TVM 19:35
3. Benoit Salmon 20:17

Valverde3007
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Beitrag: # 6828971Beitrag Valverde3007
24.8.2010 - 14:19

Tour de France 1997: Etappe 16 – Keine Zeit für Langeweile

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„Unangenehm, diese Etappen sind sehr unangenehm. Eigentlich sieht es auf dem Profil unkompliziert aus, aber trotzdem kann es richtig gefährlich werden. Wenn ein Virenque oder ein Pantani da mit seinem Team für Chaos sorgt, ist das ganz schwer zu kontrollieren.“
Der Journalist dankte „Heppe“, Jens Heppner, für das Gespräch und zog zum nächsten Fahrer. Heppe setzte seinen Weg zur Einschreibung für die 16. Touretappe fort und betrat das Podest, wo er vom überschwänglichen Kommentar des Einpeitschers der ASO angekündigt wurde. Heppe setzte seine Signatur an die dafür vorgesehene Stelle und ließ den Blick über das Papier schweifen. Viele Fahrer waren schon im Startbereich, nur wenige Stellen waren noch frei, darunter die von Ulle. Sein junger Teamkollege schien die Etappe sehr gelassen anzugehen, vielleicht zu gelassen. Natürlich hatte er in den Bergen das Rennen kontrolliert, aber diese Mittelgebirgsetappen hatten einen ganz anderen, taktisch tiefergehenden Charakter. Wenn sich am „Col de la Croix“, dem Berg der ersten Kategorie eine starke Gruppe bildete, in der mehrere Helfer vertreten waren, dann würde es für einzelne Fahrer unmöglich wieder aufzuholen, egal wie stark sie sein mochten. Aus diesem Grund sollte Heppe heute zu Beginn der Etappe in einer Ausreißergruppe mitfahren, um sich im Zweifelsfall später zu Ulle zurückfallen zu lassen. Damit hätten sie immerhin einen Notfallplan und könnten auf alle Wendungen des Rennens reagieren.

Ulle hatte sich etwas mehr Zeit gelassen, um zum Start in Morzine zu kommen. Daher wurde er lautstark angekündigt. „Le dernier coureur, le maillot jaune, le vainqueur possible du Tour de France, Jaaaaan Ullrich.“ Im Startbereich wurde er von Heppe dann zurecht gewiesen. „Nimm das nicht zu locker Jan, dafür ist es zu früh.“ Ulle winkte ab. „Kein Problem, ich hab das unter Kontrolle.“ Aber hatte er das wirklich? Heppes harscher Kommentar hatte ihm wieder etwas von seiner Sicherheit genommen. Nach außen versuchte er sich entspannt zu geben, innerlich nahm die Anspannung allerdings von Tag zu Tag zu. Klar, er hatte einen großen Vorsprung, doch eine schwierige Rennkonstellation oder ein Sturz, beziehungsweise Defekt zum falschen Zeitpunkt könnte ihn noch zu Fall bringen. Als er sich mit dem Träger des Bergtrikots und Gesamtdritten Evgeni Berzin in der ersten Startreihe postierte, versuchte er, aus dem Russen herauszukitzeln, ob er auf Angriff fahren würde. Die Antwort passte ihm gar nicht und ließ seine Ruhe weiter wachsen.
„Klar, warum denn nicht, wir sind ja noch nicht in Paris.“

Links attackierte jemand, einer von BigMat, dann gingen zwei weitere Fahrer hinterher. Ein kleines Loch entstand, bevor Saeco nachstieg. Hinter dem ersten Fahrer bildete sich eine lang gezogene Fahrerschlange. Heppe schaute kurz auf seinen Tacho, der ihm eine Geschwindigkeit von 54 Stundenkilometern angab. Saeco holte die drei nun ein und sofort attackierte ein neuer Fahrer. So ging das ganze nun schon seit fast zwanzig Kilometern, doch bisher konnte sich noch niemand absetzen. Heppe wartete immer noch auf die richtige Gruppe, der er zutraute, eine Chance zu haben, vom Feld fahren gelassen zu werden. Einer von Mapei und einer von ONCE waren nun dabei. Kurz reagierte niemand im Feld, bevor drei weitere Rennfahrer nachstiegen. Sein Bauchgefühl sagte Heppe, dass es der richtige Zeitpunkt war. Er beschleunigte und sprang an das Hinterrad eines der Ausreißer. Zusammen fuhren sie vor bis zur Spitze, wo sich fünf Fahrer zusammenfanden, die nun mit voller Kraft kreiselten. Die nächsten Kilometer waren die wichtigsten. Wenn sie es schafften, Abstand zum Feld zu gewinnen, würde sich das Rennen beruhigen. Bis dahin war Vollgas angesagt. Nach knapp zehn Minuten kam das Kommando von dem erfahrenen Italiener Adriano Baffi, dass man Tempo rausnehmen könnte. Heppe stimmte dem Sprinter von US Postal zu und so einigte man sich schnell darauf, Kräfte zu sparen und etwas langsamer zu werden. Die Gruppe hatte sich inzwischen auf dreizehn Fahrer aufgefüllt und das Peloton hatte die Jagd aufgegeben. Die Gruppe stand.

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Links die Ausreißergruppe um Jens Heppner, rechts das von Telekom kontrollierte Feld.

„Vierzehn Minuten nach vorne. Da müsst ihr euch auf jeden Fall keine Gedanken mehr über Zeitbonifikationen machen.“ Rudy Pevenage lachte über seinen Witz und ermutigte sie anschließend, weiter ihr Ding durchzuziehen. Der Col de la Croix war bei Steigungsprozenten von knapp sieben Prozent etwa achtzehn Kilometer lang, von denen das Feld bereits acht absolviert hatte. Gerade befanden sie sich an einem besonders steilen Stück und achteten darauf, das Tempo gleichmäßig hoch zu halten. Insgesamt sechs Fahrer von Telekom waren an der Spitze aufgereiht, sogar Ete Zabel war noch dabei und leistete Führungsarbeit. Natürlich blieb es aber nicht so ruhig. Stephane Heulot war der erste, der sich mit seinem Teamkollegen Davy absetzte. Dann ging es richtig los. Kein geringerer als Marco Pantani, der sich durch seine couragierte Fahrweise in den Alpen bis auf Platz sieben vorgekämpft hatte, suchte erneut seine Chance. Berzin war der erste der hinterher ging und gleichsam an seinem Hinterrad Abraham Olano. Riis kam erst an Ulles Seite und spannte sich dann vor seinen Kapitän. Gemeinsam schlossen sie zu den anderen Favoriten auf. Bei Pantanis nächster Attacke musste Bjarne allerdings abreißen lassen und von nun an fuhr Pantani wie ein Berserker. Wild trat er in seine Pedale und legte ein wahnsinniges Tempo vor, um Zeit auf Virenque, Riis und seinen Teamkollegen Zberg, die in der Gesamtwertung vor ihm lagen, zu gewinnen. Berzin unterstützte ihn bei der Tempoarbeit, als er sah, dass Olano am Ende der Gruppe Schwierigkeiten hatte. Ulle konnte sich dagegen komplett zurückhalten, da er sicher sein konnte, Olano im Griff zu haben und auf den Rest keine Rücksicht mehr nehmen musste. Stattdessen fuhr er kontrolliert bis zum Gipfel mit, wo sie auch die beiden FdJeux-Fahrer einholten. Er nahm Kontakt zu Pevenage auf.
„Na, wie viel ist übrig von den vierzehn Minuten?“
„Keine acht Minuten mehr. Heb dir Kräfte für den Sprint auf, es geht wohl doch noch um die Sekunden.“

Als Heppe gehört hatte, dass die Gruppe mit Ulle immer näher kam, hatte er sich aus der Führungsarbeit verabschiedet. Stattdessen lutschte er am Ende der übrig gebliebenen Fünfergruppe mit Laurent Madouas, Daniele Nardello, Adriano Baffi und Carlos Sastre. Das führte dazu, dass Unruhe entstand und die anderen ihn mehrmals zur Mitarbeit aufforderten. Als sie sahen, dass er uneinsichtig war und sich an die Teamorder hielt, selektierten sie am Berg der dritten Kategorie noch einmal. Nardello, Baffi und Madouas stiefelten davon, während der junge Spanier Sastre keine Kraft mehr hatte und Heppe sich nun zur nächsten Gruppe zurückfallen ließ. Es würde zwar einige Zeit dauern, bis sie ihn haben würden, da der Vorsprung fünfzig Kilometer vor dem Ziel immerhin noch sechs Minuten betrug, dafür sparte er nun einige Körner. Momentan waren in der „Gruppe Ullrich“ sieben Fahrer vertreten, die im Kampf gegen das große Feld mit Sicherheit noch einen weiteren Helfer gebrauchen konnten. Als er nach einigen Kilometern von der Gruppe eingeholt wurde, nahm er Blickkontakt zu seinem Kapitän auf, der noch sehr gut aussah. Sofort setzte Heppe sich an die Spitze und nahm die Zügel in die Hand.

Die Gruppe arbeitete gut zusammen und erarbeitete sich zwischendurch fast zwei Minuten Vorsprung auf das Hauptfeld. Besonders Pantani und Heulot gaben alles, um den Erfolg der Gruppe zu gewährleisten und sich im Klassement noch zu verbessern. Nacheinander ein- und überholten sie die ehemaligen Mitglieder der Spitzengruppe und gewannen mehr und mehr Zeit auf die drei an der Spitze. Pro zehn Kilometer waren sie knapp eine Minute schneller, so dass sie sich zwischendurch fast noch Chancen auf den Etappensieg ausrechnen konnten. Spätestens bei der Zehnkilometermarke, wo es immer noch zwei Minuten waren, gab Ulle den Gedanken auf, sich womöglich im Sprint der Gruppe, in dem er gute Karten gehabt hätte, den dritten Tagessieg zu holen. Stattdessen würde wohl Madouas gewinnen, der sich von Nardello und Baffi gelöst hatte und als Solist dem Ziel entgegenstrebte. Kurz vor dem Ziel attackierte noch einmal Berzin und versuchte einige Sekunden auf die anderen herauszufahren, aber Ulle war wie Olano und Pantani achtsam und folgte dem Russen. Gemeinsam fuhren se auf die Zielgerade ein, wo Pantani sich Platz vier sicherte. Ulle ließ den anderen den Vortritt und kam auf Rang sieben. Danach zählten sie die Sekunden, die sie aufs Feld herausgeholt hatten. Als Benoit Salmon schließlich als 11. die Ziellinie überquerte, waren einundsiebzig Sekunden vergangen. Eigentlich interessierte sich Ulle kaum dafür, wichtig war, dass er das Peloton gemanagt hatte. Und wieder war er dem finalen Triumph einen Tag näher gekommen.


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Die hochkarätige Ausreißergruppe (links) auf der Jagd nach dem Solosieger Madouas (rechts).


Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Laurent Madouas Lotto 4h42:25
2. Daniele Nardello Mapei 0:46
3. Adriano Baffi US Postal s.t.
4. Marco Pantani Mercatone Uno 1:30
5. Evgeni Berzin Batik s.t.
6. Abraham Olano Banesto s.t.
7. Jan Ullrich Telekom s.t.
8. Jens Heppner Telekom 1:46
9. Stephane Heulot FdJeux s.t.
10. Thomas Davy FdJeux s.t.

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 77h56:46
2. Abraham Olano Banesto 6:07
3. Evgeni Berzin Batik 8:24
4. Richard Virenque Festina 13:52
5. Bjarne Riis Telekom 16:23
6. Marco Pantani Mercatone Uno 17:48
7. Beat Zberg Mercatone Uno 17:53
8. Piotr Ugromov Roslotto 20:27
9. Laurent Roux TVM 20:46
10. Benoit Salmon Lotto 21:28

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 260
2. Benoit Salmon Lotto 256
3. Marcel Wüst Festina 209

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 349
2. Richard Virenque Festina 264
3. Jan Ullrich Telekom 260

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 77h56:46
2. Laurent Roux TVM 20:46
3. Benoit Salmon 21:28

Teamwertung:
1.Telekom 235h03:13
2.Banesto 16:26
3.ONCE 41:33


Skâl
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Beitrag: # 6828980Beitrag Skâl
24.8.2010 - 15:45

Hey Valverde3007,

deine Story ist echt super gut geschrieben. Ich lese hier gerne und freue mich über jeden Post von dir.

LG
Skâl

Valverde3007
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Beitrag: # 6829453Beitrag Valverde3007
27.8.2010 - 15:58

Tour de France 1997: Etappe 17 – Schrecksekunde

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„Morgen ist der letzte Tag, an dem wir Angriffe auf Ulle erwarten können. Deshalb werden wir dort alle Kräfte brauchen. Das bedeutet, dass wir heute sparen werden. Udo, Steffen und Georg sollen versuchen, in Ausreißergruppen mitzufahren und im Feld verwalten wir nur. Perfekt wäre es, wenn vorne fünf Mann mit fünf Minuten Vorsprung gewinnen. Und hinten fahren wir dann für Ete um die Sprintpunkte.“
Die taktische Marschroute für den Tag war klar. Auf den 218 Kilometern von Fribourg ins elsässische Colmar war ein ruhiges, langweiliges Rennen erwünscht. Es gab zwar zwei Bergwertungen der zweiten Kategorie, da die letzte aber über hundert Kilometer vor dem Ziel abgenommen wurde, wäre es viel zu früh für ernsthafte Angriffe. Allgemein erwartete niemand eine Aktion von anderen Mannschaften. Es war ein typischer Ausreißertag.

Fünfundzwanzig Kilometer in dreißig Minuten sprachen eigentlich für ein viel zu schnelles Rennen, aber Udo war sich sicher, dass es nun angenehmer werden würde. Zwölf Fahrer hatten sich zu einer Spitzengruppe zusammen gefunden, in der neben ihm als Aufpasser für das Team Telekom der Weltmeister Johan Museeuw, Sprintstar Mario Cipollini und weitere arrivierte Fahrer wie Leon van Bon und Rodolfo Massi sowie junge Franzosen wie Ludovic Auger und Stephane Goubert fuhren. Nach einer hektischen Anfangsphase mit vielen erfolglosen Angriffen hatten sie sich inzwischen bereits einen Vorsprung von einer Minute erarbeitet, weshalb davon auszugehen war, dass sie erfolgreich die Gruppe des Tages stellen würden. Insgeheim hoffte Udo darauf, dass sich im Feld niemand für die Verfolgung zuständig fühlen würde und die Gruppe am Ende erfolgreich sein könnte. Dann könnte er sich selber für seine Helferdienste belohnen und ein persönliches Highlight bei dieser Tour setzen.

An der ersten Bergwertung nach sechzig Kilometern betrug der Abstand schon sechseinhalb, and er zweiten Bergwertung acht Kilometer später acht Minuten. Nun, kurz vor der letzten Bergwertung bei Kilometer 105 bekam Udo die Information, dass es bald vierzehn Minuten wären. Und immer noch gab es keinerlei Reaktion aus dem Hauptfeld. Zu viele Mannschaften waren an der Spitze vertreten, weshalb sie kein Interesse an der Führungsarbeit hatten, andere waren wie Banesto und Batik von der vielen Arbeit für ihre Kapitäne im Hochgebirge vollkommen ausgelaugt und vermieden es, weitere Kräfte zu verschleudern. Stattdessen ließen sie die zwölf an der Spitze immer weiter fahren. Außerdem arbeitete die Gruppe gut zusammen und war sich einig, auch wenn das am Berg vorgelegte Tempo für die italienischen Flachlandsprinter Mario Cipollini und Ivan Quaranta nur mit letzter Kraft zu halten war. Den kompletten Anstieg fuhren sie am Ende der Gruppe und versuchten verzweifelt, Anschluss zu halten. Als Udo das registriert hatte, hatte er sich mit den guten Bergfahrern in der Gruppe, besonders Massi und Goubert, darauf verständigt, noch einen Zahn zuzulegen, um die endschnellsten Männer schon weit vor der Ziellinie müde zu fahren. Massi zog jetzt den Spurt um die Bergpunkte an und sicherte sie sich vor dem Italiener Finco. Udo holte sich als sechster noch ein paar Punkte ab und stürzte sich mit seinen Gefährten in die Abfahrt. Im Hinterkopf behielt er, dass er sich nun mehr zurückhalten würde, um für das Finale gegen die Klassikerspezialisten um Museeuw noch Körner zu haben.

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Die Spitzengruppe um Udo Bölts

Als 45 Kilometer vor dem Ziel das Begleitmotorrad der Organisation den aktuellen Abstand anzeigte, musste Udo schmunzeln.
„Wie viele Minuten beträgt das Zeitlimit?“, fragte er seine sportlichen Leiter über Funk, wofür er lautes Gelächter erntete. Mittlerweile war der Vorsprung auf achtundzwanzig Minuten angewachsen und noch war kein Ende in Sicht. Zwar schalteten sich so langsam Festina und Banesto, die um ihre vorderen Platzierungen in der Gesamtwertung bangten in die Tempoarbeit ein, doch bislang blieb das recht ineffektiv. Binnen fünfundzwanzig Kilometern nahmen sie den zwölf Spitzenreitern gerade einmal zwei Minuten ab. Zwanzig Kilometer vor dem Ziel war es allerdings mit der Einigkeit in der Führungsgruppe vorbei. Artunghi von Mercatone Uno wagte als erstes einen Angriff, war aber schnell wieder von den anderen gestellt. In der Folge versuchten nacheinander Goubert, Auger und schließlich Museeuw ihr Glück. Die ersten beiden scheiterten, aber der Weltmeister schaffte es tatsächlich, sich etwa zehn Sekunden von den anderen abzusetzen. Nun musste schnell eine Verfolgung organisiert werden, sonst würde es schwer werden, Museeuw im Zaum zu halten.

Zunächst schien es tatsächlich so, als könne Museeuw Erfolg haben, als sein Vorsprung auf fünfzehn Sekunden wuchs, doch dann wendete sich das Blatt. Seine Verfolger waren sich nun einig und holten Meter um Meter auf. Acht Kilometer vor dem Ziel waren sie bis auf fünfzig Meter an ihn heran. Diesen Moment nutzte Udo für seine Attacke. Als die Gruppe Museeuw erreichte und sich etwas auffächerte, weil das Tempo wieder sank, orientierte er sich zur anderen Straßenseite und trat an. Einige Sekunden zog er voll durch, bevor er sich umdrehte. Hinter ihm war niemand, keiner hatte seinen Angriff gekontert. Nun musste er weitermachen, alles auf eine Karte setzen. Der Wind kam glücklicherweise leicht von hinten, was seine Solofahrt begünstigte und überdies schien die Einigkeit in der Verfolgergruppe nicht mehr zu bestehen. Die motivierenden Kommentare aus dem Teamwagen pushten ihn immer weiter und obwohl seine Beine schmerzten, trat er weiter in die Pedale. Es war immer noch etwas anderes, auf einer der ersten Etappen anzugreifen oder auf der viertletzten. Das Problem hatte aber nicht nur er, die anderen waren genau so ausgelaugt. Deshalb biss er auf die Zähne und raste weiter dem Ziel entgegen.

Selbst als er die Zielgerade erreichte, wusste er, dass es noch keine Zeit war, um sich auszuruhen. Vier Mann, Museeuw, van Bon, Auger und Goubert verfolgten ihn mit etwa fünfzehn Sekunden Rückstand, wobei die Tendenz fallend war. Udo wagte es gar nicht nach hinten zu schauen, sondern warf seine letzten Kräfte in die Waagschale. Von Markierung zu Markierung hangelte er sich vorwärts, noch achthundert, sechshundert, vierhundert Meter. Hundert Meter vor dem Ziel schaute er kurz über die Schulter, um sich zu vergewissern, wo das Verfolgerquartett kam und atmete auf. Bestimmt Zweihundert Meter lagen zwischen ihnen, das würde reichen. Er tastete nach dem Reißverschluss seines geöffneten Trikots und zog ihn zu. Dann richtete er sich auf und reckte die Arme in die Höhe. Er hatte es geschafft, er hatte seine Etappe gewonnen.

Nachdem er sich im Ziel frisch gemacht hatte, erkundigte sich Udo nach den anderen und war erstaunt, als ihm gesagt wurde, dass das Feld noch sieben Kilometer zu absolvieren hatte. Ein Betreuer führte ihn zu einem Fernsehschirm, wo er das Finale beobachten konnte. Gerade als er kam wurde die Kameraführung immer hektischer. Mal zeigte sie eine zwanzig Fahrer große Gruppe, in der Udo Lombardi und Ete entdeckte, dann eine Szene, in der mehrere Räder quer über die Straße verstreut lagen und einige Fahrer auf dem Boden lagen. Zwischen ihnen sah Udo zu seinem Entsetzen ein gelbes Trikot leuchten. Erst wollte er es nicht wahrhaben, aber es war tatsächlich Ulle, der dort zwischen den gestürzten Fahrern stand und auf ein neues Rad wartete. Von nun an sah man immer wieder die Versuche von fünf Telekomfahrern, ihren Kapitän wieder ins Feld zu bringen. Udo hatte unterdessen ein richtig schlechtes Gewissen, weil er wusste, dass Ulle ihn nun gebraucht hätte. Stattdessen stand er ohnmächtig im Zielbereich. Zwar gewann Ete den Sprint der durch den Sturz entstandenen fünfzehn Fahrer großen Gruppe, dafür vergingen ewig lange Sekunden bis Ulle in Zielnähe kam. Ungefähr bei 24:30 war das Feld im Ziel gewesen, Ulle kam mit 25:31 an der Seite von Heppe ins Ziel. Zum Glück schien er keine Verletzungen davon getragen zu haben und letztlich hatte er den Zeitrückstand in Grenzen gehalten. Eine Minute hatte er eingebüßt, fünf Minuten blieben noch über. Jetzt war zu hoffen, dass der Sturz keine Folgen haben würde, auf der Elsassetappe und im Zeitfahren musste Ulle voll auf der Höhe sein.

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Udo Bölts setzt den entscheidenden Angriff (links), Ete Zabel gewinnt später den Sprint der ersten Verfolger



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Udo Bölts Telekom 5h04:23
2. Ludovic Auger BigMat 0:12
3. Leon van Bon Rabobank s.t.
4. Johan Museeuw Mapei s.t.
5. Stephane Goubert Cofidis s.t.
6. Mario Cipollini Saeco 0:32
7. Josue Barrigon ONCE 0:41
8. Marco Artunghi Mercatone Uno s.t.
9. Ivan Quaranta Polti s.t.
10. Rodolfo Massi Casino 1:08

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 83h26:40
2. Abraham Olano Banesto 5:04
3. Evgeni Berzin Batik 7:21
4. Richard Virenque Festina 12:49
5. Marco Pantani Mercatone Uno 16:05
6. Beat Zberg Mercatone Uno 16:10
7. Bjarne Riis Telekom 16:15
8. Piotr Ugromov Roslotto 19:24
9. Benoit Salmon Lotto 19:43
10. Laurent Roux TVM 20:38

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 273
2. Benoit Salmon Lotto 265
3. Marcel Wüst Festina 221

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 349
2. Richard Virenque Festina 264
3. Jan Ullrich Telekom 260

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 83h26:40
2. Benoit Salmon 19:43
3. Laurent Roux TVM 20:38

Teamwertung:
1.Telekom 251h03:48
2.Banesto 42:24
3.ONCE 43:04




Nach einer Heppe-Etappe nun eine Bölts-Etappe. Ab heute gibt es leider wieder mindestens eine Woche Pause, dann folgen die letzten vier Etappen, auch abhängig von der Zeit, die der Schär-Preis noch kosten wird.
PS: Danke für die positiven Kommentare.

Valverde3007
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Beitrag: # 6830570Beitrag Valverde3007
4.9.2010 - 13:24

Tour de France 1997: Etappe 18 – Quäl dich du Sau

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Die große Frage, die über dem Rennen stand, war, ob Ulle seinen Sturz im Finale des Vortages physisch und psychisch verkraftet hatte. Durch Schürfwunden am Oberschenkel und den Armen war er sichtlich gezeichnet und überdies blieb die Frage, wie er das Missgeschick mental verkraftete, da er auf einer vermeintlich leichten Etappe eine beziehungsweise eineinhalb Minuten auf die Konkurrenz verloren hatte. Einige Teammanager und Journalisten kamen schon zu der Annahme, dass Ulle durch das Zusammenspiel von körperlichen Schmerzen sowie Angst und Nervosität noch einmal das Flattern bekommen würde. Auf einen geschwächten Ullrich konnten Olano und Berzin auf der heutigen Vogesenetappe und im abschließenden langen Zeitfahren eventuell noch fünf oder sechs Minuten aufholen. Der heutige Tagesabschnitt bot mit den drei wohl bekanntesten Gipfeln des Elsasses, dem Grand Ballon, dem Col du Hundsruck und dem Ballon d’Alsace, gute Chancen, Ullrich zu distanzieren und das abschließende Flachstück über knapp fünfzig Kilometer lud dazu ein, ein komfortables Zeitpolster herauszufahren. Sollte Ulle am Ballon d’Alsace nicht mithalten können, wäre sein Sieg in Gefahr.

Batik und Banesto wollten es tatsächlich noch einmal wissen. Schon am knapp zwanzig Kilometer langen Grand Ballon legte insbesondere Berzins Mannschaft richtig los und dezimierte das Feld blitzartig bis noch knapp fünfzig Fahrer übrig waren. Vor dem Feld fuhr noch eine elfköpfige Spitzengruppe, in der mit Georg Totschnig ein Telekomfahrer vertreten war, doch ihr Vorsprung schmolz Kilometer um Kilometer zusammen. Zu Beginn des Anstieges waren es noch knapp sechs Minuten, vier Kilometer vor dem Gipfel noch knapp dreieinhalb. Batik zündete nun schon die letzte Raketenstufe ihres Angriffs. Wie bei einer Sprintanfahrt spurteten sie die steilen Rampen hoch, bis alle Helfer verbraucht waren. Dann trat Berzin persönlich an. Berzin, immer wieder Berzin. Schon auf der Etappe nach Courchevel hatte er wie ein Berserker einen Angriff nach dem nächsten gestartet, heute versuchte er es wieder. Dabei wurde er von Pantani und Olano begleitet, die ebenfalls Ulles Schwäche ausnutzen wollten. Ulle merkte sofort, dass er den Russen nicht halten konnte und seine schmerzenden Knie zwangen ihn, ihn ein paar Meter ziehen zu lassen. Dann spannte sich Bölts vor ihn und feuerte ihn an. Sie hatten so lange gekämpft und auch wenn Ulle müde von den ewigen Kämpfen in den Bergen war und vom Kopf her schon an das Zeitfahren dachten, durften sie die drei nicht ziehen lassen. Ulle zwang sich, Udos Hinterrad zu halten und gemeinsam schafften sie es, den Rückstand in Grenzen zu halten. An der Bergwertung waren es ungefähr zwanzig Sekunden, eine gefährliche Zeitspanne aber noch nicht beunruhigend.

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Nachdem Batik und Banesto das Tempo hoch hielten, griffen Olano, Berzin und Pantani an.

Auf der Abfahrt war Ulle vielleicht mit etwas zu viel Respekt gefahren, denn als das Telekomduo im Tal ankam, war derVorsprung des Trios auf dreißig Sekunden gestiegen. Riis und Bölts übernahmen nun den Löwenanteil der unbarmherzigen Arbeit gegen den stark blasenden Wind und machte teilweise Kilometer lang alleine das Tempo für ihren angeschlagenen Kapitän. Ulle konnte sich dagegen kaum zu richtiger Arbeit motivieren. Sollten Berzin und Olano doch ein bisschen Zeit gewinnen, fünf Minuten würden sie schon nicht aufholen. Deshalb wollte Ulle nicht mehr investieren als notwendig, nicht unnötig über die Schmerzgrenze gehen. Als Ulle wiederholt nur eine sehr kurze Führung fuhr, bemerkte Bölts die Mutlosigkeit seines jungen Teamkollegen. Er fuhr an Ulles Seite und brüllte ihn an. „Es geht hier um deinen Toursieg! Stell dich nicht so an, arbeite mit! Ausruhen kannst du dich, wenn wir in Paris sind! So lange musst du kämpfen! Du fährst nicht nur für dich, du fährst für das Team. Quäl dich du Sau!“
Ulle schaute ihn verdutzt an, als Udo ihn in die Führungsposition schob. Doch sein erfahrener Freund hatte Recht. Er gefährdete nicht nur seinen Sieg sondern auch den Lohn für die viele Arbeit seiner treuen Helfer. Es bereitete ihm zwar noch etwas Mühe, doch dann ging er wieder längere Führungen und spürte wie mit der Zeit seine Lust wiederkam. Zusammen mit Riis und Bölts kam er wieder auf knapp fünfzehn Sekunden an die Ausreißer heran, auf den ersten Metern des Col du Hundsruck blies Riis zum Angriff. Mit einer wuchtigen Tempoverschärfung schaffte er es, das Feld in einem Kraftakt auf weniger als einem Kilometer an Olano, Berzin und Pantani heranzuführen. Und nun war Ulles Kampfgeist erwacht. Er hatte seinen Durchhänger überwunden, nun war er kampfbereit. Und mit der Umstellung in seinem Kopf merkte er, wie die Kraft in seine Beine zurückkam. Die Situation war heikel gewesen, für den nächsten Angriff war er besser gewappnet.

Und der Angriff folgte sofort. Nachdem kurz Ruhe war und sich das Feld wieder aufgefüllt hatte, sogar Ete hatte überraschend wieder Anschluss gefunden, griff Berzin an. Diesmal ging Ulle sofort mit und ignorierte die Schmerzen, die es ihm bereitete, am Hinterrad des Russen zu bleiben. Berzin nahm etwas das Tempo heraus, drehte sich zu Ulle um und gab ihm das Zeichen, vorbeizufahren. Ulle lehnte wieder ab, was Berzin mit einer abfälligen Geste seiner Hand bedachte. Dann ging er aus dem Sattel und attackierte erneut. Ulle ging wieder mit und konterte selbst. Er spannte sich vor den Russen und erhöhte mehr und mehr das Tempo. Mittlerweile wollte er Berzin nicht nur im Zaum halten, er wollte ihn am liebsten noch selbst distanzieren. Bis zur Bergwertung hielt er die Führung, aber Berzin ließ sich nicht abschütteln. Nach und nach überholten sie die ehemaligen Ausreißer und arbeiteten sich Stück für Stück zur Spitze vor. Einen Kilometer vor dem Gipfel holten sie auch Totschnig ein, anschließend den letzten, den Italiener Borgheresi. Berzin sicherte sich die Bergwertung, dann ging es wieder in die Abfahrt. Ulle erkundigte sich nach den Abständen nach hinten. Offensichtlich hatte im Feld niemand attackiert und sie hatten sich auf wenigen Kilometern einen riesigen Vorpsrung von zwei Minuten erarbeitet. Und Berzin war noch lange nicht fertig.

Nachdem Totschnig den größten Teil der Arbeit in der Anfahrt zum Ballon d’Alsace geleistet hatte, übernahmen Berzin und Ulle am Berg die Kontrolle. Überraschenderweise arbeiteten sie gut zusammen und Berzin unternahm keine weiteren Angriffsversuche. Bis zur Bergwertung kooperierten sie so gut wie noch nie bei dieser Tour, was Ulle nur darauf zurückführen konnte, dass Berzin aufgegeben und eingesehen hatte, dass er am Berg der schwächere war. So bauten sie ihren Vorsprung bis zum Gipfel auf dreieinhalb Minuten aus. Ulle zog sich eine Windjacke über und überließ Berzin den Vortritt auf der Abfahrt. Er wollte nun nichts mehr riskieren, auf den letzten flachen Kilometern würde er die Kontrolle haben. Im Feld versuchten es noch einmal Roux und Cabello mit Angriffen, generell schien das Rennen aber auch dort gelaufen zu sein. Die Berge waren vorüber, nun folgte kein Anstieg mehr, der ihm gefährlich werden konnte. Dafür kam nun ein anderes Problem auf ihn zu. Er hatte eine Reifenpanne. Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt streikte sein Fahrrad. Hektisch stieg er ab und ließ sich von einem Betreuer ein neues reichen. Der ganze Vorgang hatte ihn allerdings knapp zwanzig Sekunden gekostet. Berzin, den er am Anstieg so schön kontrolliert hatte, war auf einem vermeintlich ungefährlichen Abschnitt davon gezogen.

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Immer wieder griff Berzin an, auf der Abfahrt konnte er schließlich entwischen.


Im Tal hatte Berzin sogar schon fünfundvierzig Sekunden Vorsprung und noch blieben ihm knapp vierzig Kilometer um diesen auszubauen. Nun wurde es ein dramatisches Fernduell, in dem sich die Tendenz andauernd veränderte. Dreißig Kilometer vor dem Ziel hatte Berzin fünfzig Sekunden, zwanzig Kilometer vor dem Ziel nur noch dreißig Sekunden, fünfzehn Kilometer vor dem Ziel wieder fünfunddreißig. Aber nun schien der Russe müde zu werden und Ulle sog sich immer mehr an ihn heran. Zwölf Kilometer vor dem Ziel waren es noch zwanzig Sekunden, zwei Kilometer später zwölf und kurz vor dem letzten Zwischensprint acht Kilometer vor dem Ziel spurtete Ulle an Berzin vorbei und sicherte sich die sechs Sekunden Zeitbonifikation. Berzin resignierte nun und hielt sich kurzzeitig komplett zurück. Dann schien er wieder an den Kampf um den Platz rechts neben Ulle auf dem Podest in Paris zu denken und stieg wieder in die Arbeit ein. Bis drei Kilometer vor dem Ziel arbeiteten sie wieder harmonisch zusammen, bis Berzin Ulle irgendwann nicht mehr ablöste. Stattdessen attackierte er ihn und zwang ihn zu kontern. Ulle ging wieder vorbei und schaute den Russen böse an. Normalerweise war es gegen die Etikette in solch einem Moment anzugreifen. Ulle hatte schon gegen Olano gezeigt, dass er gewillt war, Geschenke zu verteilen, unter diesen Umständen war das anders. Wenn Berzin um den Etappensieg kämpfen wollte, konnte er den Kampf haben.

Wie ein hungriges Raubtier hing Berzin an Ulles Hinterrad und wartete auf die nächste günstige Gelegenheit zum Angriff. Nach einer kleinen Senke nutzte er seine hohe Geschwindigkeit und ging aus dem Windschatten explosiv vorbei. Ulle ging aus dem Sattel und beschleunigte. Auf keinen Fall wollte er Berzin ziehen lassen, die Etappe sollte ihm gehören. Etwa zehn bis zwölf Meter konnte Berzin bis zum letzten Kilometer erarbeiten, dann schlug Ulle zurück. Er erhöhte noch einmal das Tempo und sog sich im Windschatten an Berzin heran. Berzin wollte ihn wieder vorbei lassen, was Ulle ablehnte. Lieber blieb er im Windschatten des Russen und wartete, bis er den Zielspurt anziehen konnte. Dreihundert Meter vor dem Ziel km eine letzte Rechtskurve. Ulle nahm so viel Schwung wie möglich mit und beschleunigte aus der Kurve heraus. In wenigen Sekunden hatte er eine Lücke zu Berzin gerissen. Er setzte sich wieder und trat mit voller Kraft seinen hohen Gang durch. Hundert Meter vor dem Ziel ging er aus dem Sattel und legte seine letzten Kräfte in die Waagschale. Und tatsächlich reichte es. Mit einer Radlänge Vorsprung gewann er seine dritte Etappe vor dem Träger des Bergtrikots, Evgeni Berzin. Wieder hatte er es allen gezeigt. Es war seine Tour und wer vorne mitfahren durfte, bestimmte er.

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Ulle kontert Berzins Angriff und gewinnt.




Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 4h30:30
2. Evgeni Berzin Batik s.t.
3. Erik Zabel Telekom 2:45
4. Beat Zberg Mercatone Uno s.t.
5. Marco Pantani Mercatone Uno s.t
6. Cedric Vasseur GAN s.t.
7. Francesco Casagrande Saeco s.t.
8. Anthony Morin BigMat s.t.
9. Jörg Jaksche Polti s.t.
10. Bjarne Riis Telekom s.t.

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 87h56:40
2. Evgeni Berzin Batik 7:29
3. Abraham Olano Banesto 8:19
4. Richard Virenque Festina 16:04
5. Marco Pantani Mercatone Uno 19:20
6. Beat Zberg Mercatone Uno 19:25
7. Bjarne Riis Telekom 19:30
8. Piotr Ugromov Roslotto 22:39
9. Benoit Salmon Lotto 22:58
10. Laurent Roux TVM 23:53

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 293
2. Benoit Salmon Lotto 270
3. Marcel Wüst Festina 221

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 389
2. Jan Ullrich Telekom 285
3. Richard Virenque Festina 264

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 87h56:40
2. Benoit Salmon 22:58
3. Laurent Roux TVM 23:53

Teamwertung:
1.Telekom 264h40:48
2.Banesto 49:47
3.ONCE 53:55


Fus87
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Beitrag: # 6830573Beitrag Fus87
4.9.2010 - 13:42

Seit dem Beginn dieser Geschichte habe ich auf diesen Tag gewartet. 8)

Wie immer Spitze.

Valverde3007
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Beitrag: # 6830892Beitrag Valverde3007
6.9.2010 - 17:47

Tour de France 1997: Etappe 19 – Siegerehrung

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Auf dem Weg zur Siegerehrung traf Ete seinen Kapitän wieder, nachdem er ihn im Gedränge im Zielbereich aus den Augen verloren hatte. Nun vereinte sie aber das Ziel, das Podium, auf dem sie ihre Trikots entgegennehmen würden. Weil Ulle trotz des bevorstehenden Zeitfahrens morgen heute wieder im Finale stark gearbeitet und Ete und Giovanni perfekt in Position gebracht hatte, klopfte Ete ihm auf die Schulter und bedankte sich bei ihm. Zusammen schritten sie die Treppen zum Podest hoch und wurden sogleich von ein paar etwas hektischen Franzosen begrüßt. Kurz später stießen auch Berzin und Marcel Wüst, die beiden großen Gegner der beiden deutschen Stars hinzu. Ein Offizieller erklärte ihnen das altbekannte Prozedere, wobei Ete nur mit einem halben Ohr zuhörte und spaßhaft gähnte. Ulle bekam das mit und fing leise an zu lachen, was den Franzosen auf die Plame brachte. Wütend stieß er einen schnellen Schwall belehrender Worte aus, die allerdings weder Ulle noch Ete verstanden. Trotzdem bekam Ulle einen etwas roten Kopf und ging nicht auf Etes weitere Späße ein. In diesem Moment wunderte sich Ete ein bisschen, dass dieser unreife, schüchterne Junge tatsächlich die größten Chancen hatte, übermorgen den Gesamtsieg der größten Rundfahrt der Welt zu erreichen. Wenn er an die nächsten Jahre dachte, sah Ete für die Konkurrenz schwarz. Ulle würde noch stärker, noch unbesiegbarer sein, wenn er seine physischen Limits ausnutzen und mental stärker werden würde. Dann bedurfte es eines wahren Supermannes, eines Wunders, um auf Jahre hin seine Dominanz zu brechen. Denn auch sein Team, so war sich Ete nach der heutigen Etappe sicher, gehörte der absoluten Spitzenklasse ein.

Von Beginn an hatte Telekom das Rennen bestimmt. Eine große, achtköpfige Spitzengruppe wurde nicht fahren gelassen und Etes Helfer hielten das Tempo hoch, bis sich vier Mann, die ihm gefielen, sich absetzten. Der Pole Brozyna, der junge Franzose Ludovic Auger, der italienische Sprinter Fabio Baldato und Peter van Petegem bildeten die Gruppe des Tages, denen er allerdings maximal nur fünf Minuten gestattete. Danach folgte eine Präzisionsarbeit in Perfektion. Kilometer für Kilometer knapste das Feld den Ausreißern einige Sekunden ab, bis zwei Kilometer vor dem Ziel Peter van Petegem als letzter gestellt wurde. Im feld ging es nun hektischer zu, es kam zu einem größeren Massensturz, in den auch der Zeitfahrweltmeister Alex Zülle verwickelt war. Ganz vorne, wo Ete fuhr, lief aber alles am Schnürchen. Sein Team brachte ihn an der Spitze auf den letzten Kilometer, anschließend übernahm Ulle persönlich die Tempoarbeit, bevor Lombardi den Sprint eröffnete. Ete ging bei der Zweihundertmetermarke in den Wind und gab alles. Beinahe hätte er auch Erfolg gehabt, doch auf den letzten Metern nutzte Marcel Wüst seine höhere Endgeschwindigkeit und schoss noch vorbei, so dass Ete nur der zweite Platz blieb. Ete wachte wieder aus seinen Tagträumen auf und schaute seinem Kontrahenten hinterher, der nun aufgerufen wurde, um sich für seinen Tagessieg feiern zu lassen. Als er wieder kam, grinste er Ete breit an und hielt ihm die Hand hin.
„Jetzt steht es drei zu drei. Es war ein würdiges Duell.“
„Nett, aber ich habe das grüne.“
Sollte Wüst doch denken, was er wollte. Ete war der beste Sprinter der Tour, das ließ er sich von keinem ausreden. Wie zur Bestätigung durfte er gleich darauf hinaus, um sein grünes Trikot in Empfang zu nehmen. Sein grünes Trikot, dass er so bald nicht wieder hergeben würde.

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Eine Vierergruppe (links) bestimmte das Rennen, dass letztlich aber doch wieder die beiden besten Sprinter Wüst und Zabel Kopf an Kopf unter sich ausmachten. (rechts)


Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Marcel Wüst Festina 4h02:13
2. Erik Zabel Telekom s.t.
3. Stefano Checchin Mercatone Uno s.t
4. Christophe Mengin FdJeux s.t.
5. Angel Edo Kelme s.t.
6. Mario Cipollini Saeco s.t.
7. Beat Zberg Mercatone Uno s.t.
8. Fabiano Fontanelli MG Technogym s.t.
9. Benoit Salmon Lotto s.t.
10. Laurent Jalabert ONCE s.t.

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 91h59:27
2. Evgeni Berzin Batik 7:29
3. Abraham Olano Banesto 8:19
4. Richard Virenque Festina 16:04
5. Marco Pantani Mercatone Uno 19:20
6. Beat Zberg Mercatone Uno 19:25
7. Bjarne Riis Telekom 19:30
8. Piotr Ugromov Roslotto 22:39
9. Benoit Salmon Lotto 22:58
10. Laurent Roux TVM 23:53

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 323
2. Benoit Salmon Lotto 286
3. Marcel Wüst Festina 256

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 389
2. Jan Ullrich Telekom 285
3. Richard Virenque Festina 264

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 91h59:27
2. Benoit Salmon 22:58
3. Laurent Roux TVM 23:53

Teamwertung:
1.Telekom 276h49:09
2.Banesto 49:47
3.ONCE 53:55


Valverde3007
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Beitrag: # 6832394Beitrag Valverde3007
17.9.2010 - 12:25

Tour de France 1997: Etappe 20 - Rückblick

Es war ein merkwürdiges Gefühl, mit einem riesigen Vorsprung als Gesamtführender am Start des abschließenden Zeitfahren der Tour de France zu stehen. Siebeneinhalb Minuten hatte er in den letzten drei Wochen auf den nächstbesten herausgefahren, ein Rückstand, den er nur durch einen schweren Sturz verlieren konnte. Nicht einmal ein brutaler Einbruch würde ihn den Sieg kosten können, zumal er sich im ersten langen Zeitfahren in Saint-Etienne als überragender Zeitfahrer erwiesen hatte und mit mehr als zwei Minuten auf den nächsten gewann, wobei er sogar den vor ihm gestarteten Abraham Olano, am Ende vierter des Tagesklassements, ein- und überholte. Was also sollte ihm heute noch passieren? Genau in dieser Frage lag das Dilemma des heutigen Tages. Da er ohnehin gehandicapt durch seinen Sturz war, konnte er sich kaum noch motivieren, wieder an die Schmerzgrenze zu gehen und sich aufs letzte zu verausgaben. Drei Etappensiege, in Andorra, in Saint-Etienne und in Montbeliard hatte er erreicht, in der Hinsicht war er auch satt des Erfolges. Als er nun auf der Rampe stand, dachte er an die großen Momente der vergangenen drei Wochen zurück, die ihn hierhin geführt hatten.

„Richard Virenque attackiert! Und nun kann er nicht mehr mit, Bjarne Riis fällt zurück! Ullrich fährt immer noch an seiner Seite, doch er scheint stärker zu sein als sein Kapitän. Riis schüttelt den Kopf und erteilt Ullrich anscheinend freie Fahrt. Mühelos kämpft der junge deutsche sich nach vorne, jetzt erreicht er Virenque. Gleich kommen sie zu Berzin und er tritt schon wieder an! Auf dem Weg nach Andorra-Arcalis setzt sich Ullrich an die Spitze! Er hat Berzin überholt und setzt sich an die Spitze! Das war der erwartete Machtwechsel! Ullrich ist auf dem Weg ins gelbe Trikot!“

An der ersten Zwischenzeit bekam er die Quittung für seine lasche Einstellung. Er lag nur an dritter Stelle hinter Olano und Berzin und hatte schon fast eine halbe Minute Rückstand. Allerdings fuhr er auch noch nicht am Limit, sondern hielt sich etwas zurück. Vor den schwierigen Kurven bremste er lieber etwas mehr, um die Sturzgefahr zu reduzieren und auf den geraden hielt er ein schnelles, aber kontrolliertes Tempo. Und doch kratzte es an seinem Stolz, von seinen beiden Hauptkonkurrenten geschlagen zu werden und er entschloss sich, etwas mehr Risiko zu gehen und mit höherem Einsatz zu fahren. Drei Wochen lang hatte er jeden Fahrer im Feld dominiert und sich nicht schlagen lassen. Außer der ersten Bergetappe, auf der er noch für Bjarne fuhr und den Etappen in den Alpen, auf denen er Pantani nicht halten konnte, war er jedes Mal mit den ersten ins Ziel gekommen. Ausgerechnet heute wollte er nicht seine erste Niederlage kassieren. Es war seine Tour und daran wollte er keinen Zweifel lassen.

„Da rauscht er mit einer unglaublichen Geschwindigkeit heran! Ullrich erreicht Olanos Hinterrad und zieht sofort vorbei. Drei Minuten vor dem deutschen war er in das Zeitfahren gegangen, drei Minuten, die Ullrich aufgeholt hat! Das ist eine Demonstration der Stärke und ich frage mich, wer diesen Überfahrer stoppen soll. In Saint-Etienne wird er als Sieger gefeiert werden und bestimmt auch in Paris!“

Nach einer Weile hatte er seinen Rhythmus gefunden und fuhr nun mit mehr Zug. Deshalb war er verwundert, als er bei der zweiten Zwischenzeit die Nachricht bekam, dass er noch drei Sekunden hinter Berzin und sogar siebenunddreißig Sekunden hinter Abraham Olano lag. Anscheinend war es heute nicht nur seiner Motivation, sondern tatsächlich den Kräfteverhältnissen geschuldet, dass er nicht an der Spitze fuhr. In den Interviews nach dem Rennen konnte er sich zwar mit dem Sturz und einer im Elsass eingefangenen leichten Erkältung entschuldigen, sich selber konnte er nichts vormachen. Olano und vielleicht Berzin waren heute stärker als er. Immerhin lag der Russe noch in Reichweite. Sollte es nicht für den Tagessieg reichen, wollte er wenigstens noch Platz zwei. Trotz allem musste er die Konzentration hochhalten und musste jede Sekunden aufpassen. Er war nur noch Minuten von seinem Triumph entfernt, das würde er sich von niemandem nehmen lassen.

„Zum ersten Mal wird es bedrohlich für Jan Ullrich! Berzin und Olano machen in der Spitzengruppe richtig Dampf, während Ulle im Feld Zeit verliert. Jetzt fährt sein erfahrener Teamkollege an seine Seite und scheint ihn regelrecht anzuschreien. Und es hat Wirkung. Ullrich nickt und geht nun zum ersten Mal seit Minuten selber in die Führung. Er hat noch nicht aufgegeben, nun sieht man ihn kämpfen. Ullrich quält sich für seinen Sieg!“

Im Elsass war es einmal kurz kritisch geworden, ansonsten war die gesamte Tour so kontrolliert gewesen, wie dieses Zeitfahren. Mal hatte er Geschenke verteilt und war als zweiter ins Ziel gekommen, dafür war er im Hochgebirge nie in Bedrängnis gekommen. Heute war es also Abraham Olano, der vor ihm ins Ziel kam. Ulle ballte dennoch eine Faust, als er über den Zielstrich fuhr. Heute war er wieder nur zweiter geworden, aber er hatte Berzin noch abgefangen und viel wichtiger, er hatte seinen Vorsprung verteidigt. Olano hatte Berzin auf dem letzten Kilometer noch abgefangen und war mit 7:32 Rückstand auf Platz zwei gefahren, Ulle blieb für ihn unerreichbar. Nun blieb nur noch die Triumphfahrt nach Paris, wo er sein letztes, sein endgültiges gelbes Trikot überreicht bekam.



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Abraham Olano Banesto 1h16:15
2. Jan Ullrich Telekom 0:49
3. Evgeni Berzin Batik 0:57
4. Piotr Ugromov Roslotto 2:42
5. Chris Boardman GAN 2:50
6. Beat Zberg Mercatone Uno 3:37
7. Bjarne Riis Telekom 3:40
8. Alex Zülle ONCE 4:11
9. Jan Boven Rabobank 4:32
10. Manuel Beltran Banesto 4:54

Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 93h16:31
2. Abraham Olano Banesto 7:32
3. Evgeni Berzin Batik 7:35
4. Richard Virenque Festina 22:06
5. Beat Zberg Mercatone Uno 22:09
6. Bjarne Riis Telekom 22:17
7. Piotr Ugromov Roslotto 24:28
8. Marco Pantani Mercatone Uno 25:36
9. Tony Rominger Cofidis 29:36
10. Laurent Roux TVM 31:09

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 323
2. Benoit Salmon Lotto 286
3. Marcel Wüst Festina 256

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 389
2. Jan Ullrich Telekom 285
3. Richard Virenque Festina 264

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 91h59:27
2. Laurent Roux TVM 31 :09
3. Benoit Salmon 31 :15

Teamwertung:
1.Telekom 281h49:19
2.Banesto 49:14
3.ONCE 51:15


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Beitrag: # 6832621Beitrag Valverde3007
19.9.2010 - 15:00

Tour de France 1997: Etappe 21 – Am Ziel


Von diesem Tag hatte Ulle seit Beginn seiner Karriere geträumt. Letztes Jahr hatte er miterlebt, wie Bjarne siegreich vor ihm durch die Vororte von Paris fuhr und sich als Toursieger feiern ließ, dieses Jahr war er dran. Auf dem Podest hatte er schon gestanden, sogar schon als Sieger der Nachwuchswertung, aber diesmal war es anders. Im Vorjahr war er noch als Jungspund, als Talent gehandelt worden, inzwischen hatte das Peloton Respekt vor ihm. Schon während der neutralisierten Phase sprachen ihm die größten des Sports, der französische Publikumsliebling Laurent Jalabert, Weltmeister Johan Museeuw und viele andere ihre Glückwünsche und Bewunderung zu. Er stand heute absolut im Mittelpunkt. Dabei wusste er, dass er seinem Team viel zu verdanken hatte, Bjarne und Udo, die ihn mit ihrer Erfahrung und ihren Kletterqualitäten unterstützt hatten, Georg und Heppe, die in den Bergen unglaublich viel gearbeitet hatten, Steffen Wesemann und Michel Lafis, die unbezahlbare Wasserträgerdienste geleistet hatten und zuletzt Giovanni und Ete, die auch auf den Bergetappen alles gegeben hatten, um ihrem Kapitän zu helfen, obwohl sie nebenbei noch das grüne Trikot jagten. Dahinter standen noch weitere Personen, die Mechaniker, Masseure, sportlichen Leiter. Dem Zusammenspiel des Teams verdankte er seinen Erfolg und deshalb ließ er es sich nicht nehmen, hinter dem Feld am Begleitwagen mit seinen Kollegen im Fahren ein Gläschen Sekt zu trinken.

So zogen sich die ersten beiden Rennstunden hin, während denen Ulle noch ein paar Interviews gab und mit Freunden und Gegnern aus den letzten drei Wochen sprach. Er gratulierte Olano zu seinem hauchdünn errungenen zweiten Platz und dem spannenden Duell, das er sich in den Bergen mit ihm geliefert hatte. Außerdem sprach er mit einigen anderen Fahrern, dem jungen Jörg Jaksche, dem er vorschlug selbst bald zum Team Telekom zu wechseln, dem Schweizer Altmeister Tony Rominger, der bei seiner wohl letzten Tour mit einem starken Zeitfahren einen respektablen neunten Platz erkämpft hatte und vielen anderen. Zwischendurch gab er der ARD ein Interview, in dem er seine treuen Fans zu Hause grüßte und sich für deren Unterstützung bedankte. An der einzigen Bergwertung des Tages, einem kurzen Hügel der vierten Kategorie lieferte er sich spaßeshalber einen Schaukampf mit Berzin und Olano, den der Russe im Bergtrikot vor Ulle gewann. Dann rollten sie weter gemächlich vor sich hin, während sie der Champs-Elysees immer näher kamen. Schließlich passierten sie zum ersten Mal den Louvre, den Obelisken und bogen auf die Prachtstraße ein. Ein Jahr war es her gewesen, dass Ulle das letzte Mal hier war, doch er bekam sofort eine Gänsehaut. Drei Wochen harter Arbeit waren überstanden, nun kam nur noch die Zugabe.

Für Ulle mochte die Arbeit getan sein, Ete hatte noch eine Rechnung offen. Er stand kurz davor, sein zweites grünes Trikot zu gewinnen, dass ihm der zweitplatzierte Franzose Benoit Salmon, vielleicht die größte Überraschung der Tour, bei 37 Punkten Rückstand nicht mehr auf sportlichem Weg entreißen konnte, doch er wollte das Sahnehäubchen, den Sieg auf der Schlussetappe. Damit würde er die Tour zu einer perfekten Tour machen. Ulle und er hätten dann zusammen sieben Etappen gewonnen, das gelbe, weiße und grüne Trikot und obendrein die Mannschaftswertung. Doch bis dahin waren noch neun Runden zu absolvieren, auf denen jeder das letzte geben würde. Sowohl die starken Attackierer wie Jacky Durand als auch die Topsprinter um Marcel Wüst würden alles dafür tun, dass sie Ete den Sieg verwehren würden. Wenn er trotzdem gewinnen sollte, würde er sich legendär machen.

Drei Kilometer vor dem Ziel holten sie mit Chris Boardman den letzten der verzweifelt an der Spitze kämpfenden Fahrer ein. Mehrere Gruppen hatten Erfolg versprechen ausgesehen, bis sie von den Sprinterteams Telekom, Festina und Saeco gestellt wurden. Der Brite, der den Prolog gewonnen und einige Tage in gelb gefahren war, hatte es auf der letzten Runde mit einem Soloangriff versucht, wurde allerdings wieder gestellt. Nun formierte sich der „rote Zug“ von Mario Cipollini an der Spitze und fuhr seinen Kapitän in optimale Position. Ete orientierte sich vorerst noch an Giovanni Lombardis Hinterrad und folgte seinem Edelhelfer. Cipollini musste ein unglaubliches Selbstbewusstsein haben, wenn er seine ganze Mannschaft für sich fahren ließ, obwohl er bei der Tour eine einzige Enttäuschung gewesen war, da außer einem sechsten Platz aus einer Ausreißergruppe nichts für den Sprinterstar herausgesprungen war. Trotzdem fuhren seine Kameraden das komplette Finale von vorne. Nach der letzten Rechtskurve als sie auf die lange Gerade einbogen, eröffnete Mario Scirea für seinen Kapitän den Sprint. Giovanni hatte Ete in eine gute Position gefahren, so dass er an vierter Position hinter den beiden Saecofahrern und Wüst lag, dann ließ er sich zurückfallen. Scirea brachte das Feld auf Höchstgeschwindigkeit, dann ging Cipollini vorbei. Wüst war nicht in der Lage, dem explosiven Antritt zu folgen und verlor einige Meter. Also ging Ete an seinem Landsmann vorbei und arbeitete sich an Cipollinis Hinterrad. Er schloss die Lücke und ging fünfzig Meter vor dem Ziel selbst in den Wind. Zentimeter um Zentimeter holte er auf, bis er auf Schulterhöhe mit Cipollini war. Mit einem Tigersprung versuchte er auf dem Zielstrich an Cipollini vorbeizuziehen, doch als er die Linie überquerte, wusste er, dass es nicht gereicht hatte. Stattdessen sah er sogar, wie Nicola Minali links von ihm mit einer wahnsinnigen Endgeschwindigkeit vorbeisauste. Es hatte nicht gereicht, Cipollini hatte seinen Trostpreis bekommen und Ete war, wie er kurz später erfuhr nur dritter geworden. Trotzdem überwog die Freude, das grüne Trikot gehörte ihm und er würde im Lauf seiner Karriere noch oft die Chance bekommen, in Paris zu gewinnen. Irgendwann würde es schon klappen.

Die Siegerehrung war beinahe eine reine Werbeveranstaltung für das Team deutsche Telekom. Nacheinander wurden Ulle, Ete und wieder Ulle auf die Bühne gerufen und schließlich das gesamte Team. Es war eine perfekte Tour gewesen, eine Sache für die beiden Teamkapitäne, die die Vorgaben der Teamleitung eins zu eins in die Tat umgesetzt hatten und die Erwartungen sogar noch übertroffen hatten. Drei lange Wochen hatten sie die Massen begeistert und zusammen den Radsportzirkus dominiert. Auf allen Terrains waren sie überlegen gewesen und nun konnten sie den Moment genießen. Schon in wenigen Wochen würde wieder Normalität einkehren und mit der Vuelta und der Weltmeisterschaft würden wieder andere Fahrer ins Rampenlicht fahren, doch im Moment waren sie beide die größten. Und sie würden wiederkommen, um die Erfolge zu wiederholen. Im nächsten Jahr würde es so weitergehen, Ulle würde Jagd auf gelb, Ete auf grün machen. Die Tour de France wäre für Telekom wieder ein „Fall für zwei“.



Ergebnisse:

Tageswertung:
1. Mario Cipollini Saeco 4h11:16
2. Nicola Minali Batik s.t.
3. Erik Zabel Team Telekom s.t.
4. Angel Edo Kelme s.t.
5. Mario Traversoni Mercatone Uno s.t.
6. Marcel Wüst Festina s.t.
7. Ivan Quaranta Polti s.t.
8. Laurent Jalabert ONCE s.t.
9. Massimo Strazzer Roslotto s.t.
10. Christophe Mengin FdJeux s.t.


Valverde3007
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Beitrag: # 6832622Beitrag Valverde3007
19.9.2010 - 15:18


Tour de France 1997 - Ergebnisse:


Gesamtwertung:
1. Jan Ullrich Telekom 97h27:47
2. Abraham Olano Banesto 7:32
3. Evgeni Berzin Batik 7:35
4. Richard Virenque Festina 22:06
5. Beat Zberg Mercatone Uno 22:09
6. Bjarne Riis Telekom 22:17
7. Piotr Ugromov Roslotto 24:28
8. Marco Pantani Mercatone Uno 25:36
9. Tony Rominger Cofidis 29:36
10. Laurent Roux TVM 31:09
11. Benoit Salmon Lotto 31:17
12. Alex Zülle ONCE 35:44
13. Peter Luttenberger Rabobank 35:55
14. Francisco Cabello Kelme 37:10
15. Stephane Heulot FdJeux 38:05
16. Laurent Jalabert ONCE 42:14
17. Pavel Tonkov Mapei 43:04
18. Pascal Bordenavre Casino 44:01
19. Pascal Herve Festina 46:50
20. Pascal Lino BigMat 49:45
21. Jean-Cyril Robin US Postal 50:48
22. Jens Heppner Telekom 51:29
23. Manuel Beltran Banesto 52:09
24. Jörg Jaksche Polti 52:24
25. Jose-Maria Jimenez Banesto 54:53
26. Arsenio Gonzales Kelme 55:01
27. Armin Meier Batik 57:28
28. Michele Coppolillo MG Technogym 1h00:57
29. Thomas Davy FdJeux 1h04:04
30. Georg Totschnig Telekom 1h09:57
31. Cedric Vasseur GAN 1h12:41
32. Chris Horner FdJeux 1h14:20
33. Rodolfo Massi Casino 1h15:44
34. Luc Leblanc Polti 1h17:09
35. Mikel Zarrabeitia ONCE 1h20:09
36. Anthony Morin BigMat 1h20:09
37. Ronan Pensec GAN 1h20:35
38. Laurent Dufaux Festina 1h21:54
39. Laurent Brochard Festina 1h23:26
40. Udo Bölts Telekom 1h25:18
41. Hernan Buenahora Kelme 1h26:49
42. Chris Boardman GAN 1h27:27
43. Yvon Ledanois GAN 1h27:51
44. Ignacio Garcia Kelme 1h28:37
45. Carlos Sastre ONCE 1h29:08
46. Guiseppe Guerini Polti 1h29:12
47. Mario Scirea Saeco 1h31:36
48. Davide Rebellin FdJeux 1h31:42
49. Roberto Petito Saeco 1h32:27
50. Alberto Elli Casino 1h34:08

Sprintwertung:
1. Erik Zabel Telekom 355
2. Benoit Salmon Lotto 297
3. Marcel Wüst Festina 284
4. Jan Ullrich Telekom 215
5. Angel Edo Kelme 194
6. Mario Scirea Saeco 193
7. Evgeni Berzin Batik 184
8. Massimo Strazzer Roslotto 177
9. Nicola Minali Batik 165
10. Laurent Jalabert ONCE 164

Bergwertung:
1. Evgeni Berzin Batik 392
2. Jan Ullrich Telekom 287
3. Richard Virenque Festina 264
4. Laurent Roux TVM 218
5. Abraham Olano Banesto 200
6. Stephane Heulot FdJeux 171
7. Marco Pantani Mercatone Uno 160
8. Markus Zberg Mercatone Uno 154
9. Bjarne Riis Telekom 152
10. Piotr Ugromov Roslotto 145

Nachwuchswertung:
1. Jan Ullrich Telekom 97h27:47
2. Laurent Roux TVM 31:09
3. Benoit Salmon Lotto 31:15
4. Peter Luttenberger Rabobank 30:02
5. Jörg Jaksche Polti 45:03
6. Anthony Morin BigMat 1h20:09
7. Carlos Sastre ONCE 1h29:08
8. Paolo Savoldelli Roslotto 1h35:59
9. Tyler Hamilton US Postal 1h36:59
10. Paolo Bettini MG Technogym 1h46:26

Teamwertung:
1. Telekom 294h23:07
2. Banesto 49:14
3. ONCE 51:15
4. Mercatone Uno 57:43
5. Festina 1h07:02
6. FdJeux 1h15:45
7. Kelme 1h33:08
8. Polti 1h35:32
9. Casino 2h01:07
10. Batik 2h05:10


Valverde3007
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Beitrag: # 6832625Beitrag Valverde3007
19.9.2010 - 15:42

Das Feld ist in Paris, Ulle hat sein gelbes und Ete sein grünes Trikot und mit diesem Höhepunkt wird auch dieser AAR enden. Eigentlich sollte noch etwas über die Herbstklassiker, die Vuelta und die WM kommen, da spielt die Database aber leider nicht mit. Deshalb geht auch "Ein Fall für zwei" zu Ende. Nach einer längeren Pause, sind es fast eineinhalb Jahre geworden, die Ulle und Ete noch einmal durch das Forum getigert sind, ich hoffe, es hat euch gefallen. Abschließend würde ich mich über etwas Feedback und Kritik freuen, um mögliche Schwächen in einem potentiellen neuen AAR (ja, sowas macht fast schon süchtig) auszumerzen und die Stärken zu betonen. Vielen Dank für das Interesse und die vielen aufmunternden und hilfreichen Kommentare.

PS
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Beitrag: # 6832661Beitrag PS
19.9.2010 - 19:54

Erst einmal ein toller AAR und schön dass du diesen beendet hast. Meiner Meinung nach ist deine Schreibweise echt klasse, aber dadurch dass gerade die Vorfälle im Team zu real waren fand ich das ganze nicht ganz optimal. Die Spannung war natürlich auch weg, aber dafür kannst du ja nichts. Trotzdem gelungener AAR.

PS: Vllt versuchst du dich ja auch mal an einer Story drumherum, aber es kann auch gut sein, dass du (wie ich auch) besser im Rennen beschreiben bist.
Pe Es - Sieger Giro 2010, 3. TdF 2011, 3. Giro 2013, 2. TdF 2015, 2. Giro 2017, 3. Vuelta 2017, Sieger Vuelta 2023
Etappensiege: Vuelta Etappe 18+19 2008; Giro Etappe 7 2010; Giro Etappe 19 2011; Vuelta Etappe 3+5 2011; Giro Etappe 3 2013; Giro Etappe 8 2016; Tour Etappe 9 2016; Giro Etappe 18 2017; Tour Etappe 17 2017; Vuelta Etappe 12 2018; Tour Etappe 13 2019; Giro Etappe 12 2020; Giro Etappe 14+20 2021; Tour Etappe 14 2021; Vuelta Etappe 7+15 2021

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arkon
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Beitrag: # 6832760Beitrag arkon
20.9.2010 - 19:45

also mir hats sehr gut gefallen. liste:

pro:
- 97 ist, für mich als ulle-fan, ein super-jahr. ich habe selber etliche male die jahre 94-99 in verschiedensten db's und pcm's gespielt, daher ist das für mich ein echtes highlight
- ich fand den mix aus bildern und beschreibungen sehr gut
- die rennverläufe waren abwechslungsreich und mit immer wechselnder wahl der perspektive hast du mich gut in einige etappen hinein gezogen, die ich so erstmal als langweilig abgetan hätte
- dein durchhaltevermögen

contra:
- die ab und zu zu breiten bilder, die das layout sprengen
- der mangel an lebendigen charakteren. du hast eigentlich nur, mehr oder weniger, das geschehene nacherzählt. die anteile, die nicht direkt aus dem pcm kommen, waren eher minimal. und gerade da ich weiß, dass du da mehr kannst: push dich und versuch auch mehr!

ich würd mich sehr über ein weiteres projekt von dir freuen und bin mir sicher, dass du diesem forum wieder gute ideen beisteuern kannst.
danke für deine arbeit!
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

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