Paris-Roubaix
Überraschender Weise stellte ich fest, dass nicht die gewohnte Eurosport 2 Stimme sprach. „Wie du schon gesagt hast, jetzt geht es gleich in den zweiten Kopfsteinpflaster Abschnitt, jetzt wird es ernst. Hoffentlich gibt es keine Stürze.“ „Da kann ich dir nur Recht geben Jan, hoffentlich bleiben wir bei keinem Sturz.“ Jetzt erst erkannt ich die Stimme Jan Kirsipuus. Er klang ziemlich verkühlt, wahrscheinlich war der Pflaster Spezialist und Sprinter von Credit Agricole nicht am Start. Ich versuchte jetzt, noch bevor die Fahrer in den ersten Páve Abschnitt kamen, ein wenig Übersicht über das Renngeschehen zu bekommen. Dabei half mir eine Anzeige, die unten durchs Bild lief. Bevor ich zu lesen begann, warf ich noch einen besorgten Blick auf das Bild, welches bei üblem Wetter ziemlich schlecht war. -170 Kilometer vor Ziel, Ausreißer Valjavec (LAM) und Deignan (A2R) 3 Minuten vorne- „So jetzt wird es wieder interessant, was muss man jetzt als Fahrer besonders beachten, Jan?“ „die guten müssen jetzt weit vorne fahren, um Stürze zu vermeiden, ansonsten gilt aufpassen und Kraft sparen. Das sieht sehr gut aus, die Jungs sind schon im zweiten Abschnitt, gut so. Mal sehen, was jetzt passiert. Oje, Freire mit Reifenpanne, dass ist bitter. Jetzt folgt ein Páve Abschnitt nach dem anderen, vor allem Discovery und Davitamon sieht man vorne Tempo machen.“ „Richtig, und das zeigt auch schon Wirkung, das Feld lang gezogen. Wie immer bei den Klassikern im April.“ Das Feld war nun über die erste Runde Pflaster drüber, und ich konnte Bernhard Eisel und Gilbert ganz vorne sehen, was mich natürlich freute. „65 Fahrer sind noch vorne mit dabei, sehr früh, sehr wenige. Aber wahrscheinlich schließt sich das Feld wieder. Jetzt vielleicht, denn wir befinden uns schon wieder auf holprigen Untergrund.“
„Sturz, Sturz. Bernucci (TMO) und Wauters (RAB) hat es erwischt. Zwei starke Kollegen von mir. Schade für die Beiden, aber stehen sie auch wieder auf?“ „Hoffentlich, Jan. Ja, tun sie. Hoj (GST) jetzt mit Platten. Und Rabobank bremst ab, Wauters anscheinend der Kapitän.“ 145 Kilometer vor dem Ziel wurden nun auch die Ausreißer wieder gestellt. Das Rennen ging als von Neuen los. Ich wollte mich selbst auf das Rennen konzentrieren, und hörte nunmehr nur mehr vereinzelt auf den Kommentar. Die erste Rennhälfte vorbei, und das Rennen wie gewohnt unübersichtlich. 75 Fahrer waren vorne, hieß es zumindest. Es kündigte sich nun eine ganze Breite von Pflaster an, vielleicht die selektivsten Kilometer des ganzen Kurses. Jetzt würde aussortiert werden, dass war klar. Schwache Helfer würden sich verabschieden, und vielleicht der eine oder andere Siegeskandidat ebenfalls. „Backstedt mit Reifenpanne, der nächste Favorit mit Problemen. Und das in einem der wichtigsten Stücke des Rennens, Jan. Möchtest du nicht jetzt kommentieren?“ „Gerne. Liebe Zuschauer, jetzt wird es das erste Mal so richtig ernst. Ein schwieriges Stück wartet auf die Profis. Jetzt fallen etliche Fahrer weg. Davitamon und Discovery machen nach wie vor viel Tempo. Ohne Sturz, ohne Pannen und ohne Attacken sind sie durch. Ziemlich langweilig gestaltet, aber egal. Mal sehen, wie es jetzt aussieht.“ Genau, mal sehen, wie es jetzt aussieht, dachte ich mir. Sogleich wurde das Rätsel aufgelöst. 60 Fahrer befanden sich knapp 100 Kilometer vor dem Ziel noch im Peloton. „Gerade wurde der Rechtsknick mit dem roten 100 Kilometer Strich überquert. Ab jetzt beginnt der Countdown bis ins Radstadion, wo wir sitzen. Und der beginnt, mit dem gefürchteten Wald von Aremberg. REIFENPANNE VON TOM BOONEN! Du meine Güte. Wie wird jetzt reagiert? Boonen fährt wieder, macht jetzt ordentlich Dampf, das kostet Kraft. Er ist schon wieder da, mehr Aufregung als wirklich passiert ist.“ Wahnsinn, wie Boonen wieder mal reagiert hatte. Jetzt befand er sich wieder vorne, und fuhr seelenruhig weiter.
Die vordere Gruppe ist derzeit rund 500 Meter lange, wurde gezeigt. Ganz vorne sah ich nach wie vor 7 T-Mobile 2 Trikots, was mich äußert zuversichtlich stimmte. 75 Kilometer waren es noch bis ins Ziel, und die Gruppe war immer noch 60 Mann groß. Wieder mal ging es über Pflaster drüber. „Reifenpanne von Wesemann. Der nächste Star mir Materialschaden. Wie reagiert er? Genau so wie Boonen, mit erhöhtem Einsatz und dem daraus resultierenden Anschluss. Und jetzt liegen vorne einige Fahrer, böser Sturz. Abermals liegt Bernucci am Boden, inklusive Teamkollege Korff und Davolder (DSC). Alle fahren aber weiter.“
„Für Davolder ist damit die Chance auf einen Top Platz hinüber, zwei Minuten beträgt der Rückstand. Korff jetzt auch noch mit Reifenpanne. Fünf Kilometer haben genügt, um sein Rennen zu verhauen. 60 Kilometer noch, 54 Mann vorne.“ Doch wenige Sekunden später sah das Bild anders aus. Gleich 8 Fahrer mussten reisen lassen, nun setzte langsam die Ermüdung ein. Wenig später, nach einer weiteren Runde Kopfsteinpflaster waren weitere 8 Mann weg. Damit schon nur mehr 38 Fahrer vorne. Schnell waren nur mehr 30 Mann dabei. „Jetzt werden die Fahrer endgültig aussortiert, 50 Kilometer vor dem Ziel auch höchste Zeit. Ballan und Hushovd sind die neuesten Opfer des hohen Tempos. Attacken jetzt von einigen Fahrer, Cancellara und Eisel dabei, auch van Petegem kann ich sehen. Boonen geht nicht mit.“ Ich sprang vom Sofa auf, wie gebannt schaute ich auf den Fernseher. „Komm, komm!“ feuerte ich Berni an. „Auch Hoste dabei, Davolder hinten abermals gestürzt, aber wir bleiben vorne. Backstedt, der schon eine Reifenpanne hatte, und auch Wesemann sind die übrigen Ausreißer. Abermal Reifenpanne von Tom Boonen. Verhexter Tag für den Weltmeister. 27 Kilometer vor dem Ziel könnte eine Entscheidung gefallen sein.“ Boonen kämpfte sich wieder ran, aber für Bernhard und seine Kollegen sah es nicht schlecht aus. 20 Kilometer vor dem Ziel war der Vorsprung knapp über einer Minute angesiedelt, und er war der beste Sprinter der Gruppe. „Hincapie mit Reifenpanne, aber wir bleiben vorne, und behalten nur den Vorsprung im Auge, der momentan 1:10 beträgt.“ 15 Kilometer vor dem Ziel übernahm Bernhard die Tempoarbeit, er sah auch am stärksten aus. Cancellara verlor wenig später den Anschluss. „10 Kilometer noch, Cancellara weg. Fünf Mann um den Sieg. Oder doch nicht, Cancellara wieder dran. Die Fahrer erreichen nun Roubaix. Sturz Van Petegem. Meine Güte, ist das bitter. Die 10 Verfolger rund um Boonen stellen ihn, im selben Moment Reifenpanne für Klier. Und das 8 Kilometer vor dem Ziel.“ Aufgeregt lief ich nochmals schnell in die Küche und holte mir ein weiteres Bier. „Jetzt sind sie im Velodrom, alles hängt sich an Eisel. Der setzt 3 Kilometer vor dem Ziel nochmals eine Attacke, Wahnsinn. Niemand kann folgen, dass sieht gut aus. Wesemann kommt nochmals ran, Deutschland gegen Österreich. Eisel mit klaren Vorteilen, aber noch ist er nicht im Ziel. Nein, Eisel siegt, völlig verdient. Nach Gent-Wevelgem also der zweite Sieg für den jungen Österreicher.
Zweiter wird Wesemann, tolles Ergebnis für den Deutsch-Schweizer.
Cancellara gewinnt hauchdünn vor Hoste den Sprint um Rang 3. Als Fünfter kommt Backstedt ins Ziel, dahinter nähern sich Boonen und Bennati. Dann Wrölich, Van Petegem und das weise Trikot von Gilbert. Jetzt kommen die knappen Verlieren und Unglücksfahrer ins Ziel. Wir schalten nun in die Werbung, und sind dann mit dem Endergebnis zurück.
Ich war auf jeden Fall überglücklich, dass Eisel für uns gewonnen hatte, Bennati und Gilbert komplettierten das tolle mannschaftliche Ergebnis. Wir waren wieder mal das Team der Stunde.
Nach der kurzen Werbung warf ich noch einen schnellen Blick auf die Gesamtwertung, bevor ich den Fernseher abschaltete.
![Bild](http://img297.imageshack.us/img297/1695/neuesbild4uo1.png)
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Weil ich es so gerne sage, Kritik ist jederzeit willkommen. Morgen geht es mit dem Interview von Sascha weiter, und danach folgen die Ardennenklassiker. In diesem Kalenderjahr könnt ihr euch außerdem noch auf den Giro, und die Tour-Vorbereitung freuen. Das neue Jahr (hoffentlich ein erfolgreiches), wird dann von mir mit der Tour de France 2007 geehrt.