Willst du glücklich sein, dann lerne erst leiden

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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Schreckus
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Beitrag: # 424665Beitrag Schreckus
8.5.2007 - 18:54

37. Rückblick

Grundsätzlich sahen weder ich noch meine Teamkollegen bei mir die Schuld, dass die Etappe so desaströs gelaufen war. Jeder Fahrer hat sich in seinem Leben schon einmal verschaltet, und niemand kann sich davor schützen. Erst recht nicht, wenn es Schlag auf Schlag geht.

Allerdings sahen dies die spanischen Medien anders. Sie hatten mich sehr schnell zum Sündenbock erklärt und wärmten meine nicht gerade ruhmreiche Vergangenheit erneut auf. Die Öffentlichkeit stand aufgrund der verschiedensten Artikel und Berichte auch nicht unbedingt auf meiner Seite.
Im Gegenteil: Die nächsten Etappen der Spanienrundfahrt erlebte ich als Tortur. Die Fans hatten mich ebenfalls als Sündenbock abgestempelt und belohnten mich mit allerlei Beleidigungen und Schmährufen.
Sowohl meine Teamkollegen als auch die Teamleitung verteidigten mich bei allen Anlässen, allerdings schien das keine Auswirkungen auf die Meinung der Öffentlichkeit zu haben.
Mich persönlich traf die ganze Mediensache unvorbereitet und mitten ins Gesicht. Ich verlor zusehends mein Selbstvertrauen und die Motivation. Egal was ich tat, wie ich es tat und wann ich es tat, jede Aktion im Rennen wurde mir negativ ausgelegt.
Als Mitglied eines spanischen Teams, bei der Spanienrundfahrt in Spanien von den spanischen Fans Opfer einer Medienkampagne zu werden, kann man nicht ignorieren und einfach so wegstecken. Es war wie ein Spiesrutenlauf.
Hinzu kam noch, dass mir die spanischen Medien von Unfähigkeit bis Vetternwirtschaft mit dem nun führenden deutschen Supertalent Jan Ullrich alles vorwarfen, was mein Image und mein Selbstwertgefühl in irgendeiner Art und Weise schädigen konnte.
Zu allem Überfluss kam nun auch noch das Pech hinzu.
Es geschah auf der 18. Etappe von Guadalajara nach Alto de Abantos. Diese Bergetappe besiegelte mein Schicksal für die nächsten Jahre.
Auf der Abfahrt vom Gipfel des Puerto del Cotos übersah ich eine feuchte Stelle auf der Straße. Meine Reifen verloren die Bodenhaftung und ich schlug auf dem Asphalt auf. Gott sei Dank rutschte ich in einen aufgestellten Heuballen, so dass ich meinte, relativ unverletzt aus der Sache herauszukommen. Als ich im Stroh lag, dachte ich sogar noch bei mir: "Jetzt hast du dir den Arsch im wahrsten Sinne des Wortes komplett aufgerissen, und trotzdem erkennt deine Leistung keiner da draußen an."

Ich wollte also aufstehen, als ich während des Aufrichtens meines Körpers einen heftigen Schmerz im Rücken spürte, welcher mich zwang, sofort die waagerechte Liegeposition aufzusuchen. Die Schmerzen waren stechend und strahlten in meinen gesamten Körper aus.
Ich signalisierte der Tourleitung, dass ich dringend einen Arzt benötigte, und knapp eine Stunde später lag ich im Krankenhaus.
Gewonnen hat an jenem Tag übrigens Roberto Laiseka von Euskatel, Gesamtsieger der Vuelta war Jan Ullrich vom Team Telekom.
Bester Mann unseres Teams war mein Kollege Mikkel Zarabeitia auf dem 11. Rang. Für ihn ein super Ergebnis, aber für die Mannschaft allerdings zu wenig.

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elexi
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Beitrag: # 424719Beitrag elexi
8.5.2007 - 20:51

Jetzt mal bisschen schneller weiter machen hier :)
Jan Ullrich- einer unter vielen.....

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Schreckus
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Beitrag: # 424928Beitrag Schreckus
9.5.2007 - 18:48

Werde mich bemühen...ist aber manchmal ziemlich schwer, nach der Arbeit noch Zeit und Lust zu finden!
Aber heute klappts 8)

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Schreckus
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Beitrag: # 424937Beitrag Schreckus
9.5.2007 - 19:02

38. Paris - Roubaix

Wenn die „Hölle des Nordens“ ruft, dann ist es Zeit für Kopfsteinpflaster. Heute, am 09.04.2006, war es wieder einmal so weit. Der wohl berühmteste und berüchtigste Eintagesklassiker wollte ausgetragen werden. Das Wetter präsentierte sich heute in dunkelgrau, allerdings sollte auf dem Weg von Paris (bzw. Compiegne) nach Roubaix dieses Jahr keinen Regen geben.
Die Königin der Klassiker ist schon sehr alt, hat aber nichts von ihrem Charme verloren. Seit 1896 fasziniert sie die Radfahrer und die Radfans, indem sie auf ihrer ca. 250 km langen und flachen Route sehr lange und sehr schwierige Pavés eingebaut hat. Was für die Belgier die „Kasseien“, sind für die Franzosen die Pavés: Kopfsteinpflasterpassagen.
Paris – Roubaix bietet außerdem neben dem Kopfsteinpflaster noch eine andere Besonderheit, nämlich der Zieleinlauf, welcher in einem ovalen Velodrom liegt.
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Die Favoriten am heutigen Tag waren nach Meinung der Experten Fabian Cancellara, George Hincapie, Peter van Petegem und der Vorjahressieger Tom Boonen.
Wir hatten, wie bei allen Kopfsteinpflasterrennen, u.a. Bert Grabsch und Robert Hunter dabei.

Als ich die Übertragung sah, freute ich mich für alle Rennfahrer, dass es trocken bleiben würde. Die Verletzungsgefahr bei diesem Rennen war ohnehin schon sehr hoch, aber bei Regen stieg sie ins unermessliche.

Zu Beginn des Rennens gab es knapp 40 km nach dem Start den ersten Ausreißversuch, an dem sich die Mannschaften Caisse de Espargne, Lampre und Saunier-Duval beteiligten. Die drei Fahrer durften auch gewähren, allerdings achteten bereits zu dieser Zeit im Feld die Mannschaften T-Mobile, Quickstep und CSC darauf, dass die Ausreißer nicht allzu weit weg fuhren.
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Das Tempo lief bis zur Hälfte des Rennens auf gleichem Niveau und auch an der Rennsituation änderte sich nicht viel, bis das Feld eine kleine Anhöhe passierte. Es gab einen plötzlichen Ruck, und sofort entstand eine Lücke im Peloton. Neben den drei Ausreißern, die ungefähr noch zwei Minuten Vorsprung hatten, hatte sich nun eine weitere Gruppe gebildet, die aus ca. 45 Fahrern bestand. Darin enthalten waren alle Favoriten und auch unsere Fahrer Robert Hunter und Bert Grabsch.
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Diese Gruppe setzte sich zunehmend vom Rest des Feldes ab und entwickelte ein sehr hohes Tempo, so dass die drei führenden Fahrer bald geschluckt wurden.
Aber auch die Gruppe selbst wurde immer kleiner, da die Favoriten ca. 50 km vor dem Ziel nochmals die Geschwindigkeit forcierten und über die Kopsteinpflasterpassagen rauschten. Robert war diesem Tempo nicht mehr gewachsen, denn man sah ihn bei einer Vorbeifahrt des Fernsehmotorrades zurückfallen. Aber auch andere Fahrer konnten nicht mehr folgen oder wurden durch Pannen gestoppt. So geschah es auch bei Bert Grabsch und bei Peter van Petegem.
Während ich interessiert in den Fernseher starrte, fielen mir immer wieder die Bahnübergänge auf, die die Straße kreuzten. Ich ertappte mich bei folgendem Gedankengang:
Was würde passieren, wenn die Schranke zwischen einzelnen Verfolgergruppen abgesenkt wurde, weil ein Zug kommt. Müssten die Fahrer anhalten? Wie würde ein solches Anhalten gewertet. Was wäre, wenn Fahrer diese Schranke ignorieren würden?
Fragen über Fragen…aber ich entschied mich, dass eine solche Situation wahrscheinlich nie vorkommen würde und befasste mich wieder mit dem Rennen.

Nachdem weitere Fahrer aus der Spitzengruppe herausfielen, bogen letztlich ca. 20 Fahrer in das Velodrom von Roubaix ein, und spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass Tom Boonen das Rennen nach Hause holt.
Wer sollte ihn stoppen?
Und tatsächlich war es so. Auf der Zielgeraden hielt er sich noch im Windschatten des sprintenden Wesemann, bevor er herauszog und mit wuchtigen Tritten Gas gab. Letztlich gab es keinen, der ihm den Sprintsieg streitig machen konnte.
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Zweiter und Dritter wurden Magnus Backstedt und Juan Antonio Flecha, Bert wurde 35. Sieger.
Beachtenswert war außerdem, dass in den Top 20 Rängen alleine fünf Fahrer von Discovery, davon drei auf den Plätzen 4,5 und 6 platziert waren. Sie hatten aus ihrer Übermacht aber kein richtiges Kapital schlagen können. Tom Boonen hatte heute allen ein Schnippchen geschlagen.

Gesamtklassement Paris - Roubaix:
1 Tom Boonen QST 7h37'54
2 Magnus Backstedt LIQ s.t.
3 Juan Antonio Flecha RAB s.t.
4 Vladimir Gusev DSC s.t.
5 Leif Hoste DSC s.t.
6 Roger Hammond DSC s.t.
7 Fabian Cancellara CSC s.t.
8 Steffen Wesemann TMO s.t.
9 Alessandro Ballan LAM s.t.
10 George Hincapie DSC s.t.
11 Erik Zabel MRM s.t.
12 Frederic Guesdon FDJ s.t.
13 Andreas Klier TMO s.t.
14 Stijn Devolder DSC + 2'12
15 Peter Van Petegem DVL s.t.
16 Servais Knaven QST + 3'00
17 Marc Wauters RAB + 3'24
18 Bernhard Eisel FDJ + 3'56
19 Steven De Jongh QST + 4'20
20 Erik Dekker RAB s.t.

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Schreckus
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Beitrag: # 425386Beitrag Schreckus
11.5.2007 - 17:35

39. Rückblick

Ich kann mich nicht mehr an Einzelheiten der ärztlichen Diagnose erinnern, denn die ganzen Fachbegriffe waren für mich böhmische Dörfer und letztlich änderte es an meiner Situation nichts.
Diese sah so aus, dass ich eine schwere Verletzung am Rücken davon getragen hatte.
Ich lag ca. zwei Wochen in Spanien im Krankenhaus, bevor ich in eine Spezialklinik nach Deutschland geflogen wurde.
Hier verbrachte ich viel Zeit mit Behandlungen und mit Nachdenken.
Nachdem die Verletzung soweit ausgeheilt war, dass ein weiterer Aufenthalt in einem Krankenhaus nicht mehr notwendig war, wurde ich in ein Regenerationszentrum für „Rückenkranke“ eingeliefert. Hier verbrachte ich noch mehr Zeit mit Übungen, Massagen und Behandlungen.
Es war im Sommer 2000, als ich wieder soweit war, mit meinem Training zu beginnen. Mein Trainer forderte mich auf, langsam zu starten, doch ich hatte meinen Ehrgeiz, endlich mal eine positive Saison zu Ende zu bringen. Außerdem war ich meinem Team etwas schuldig.
Nachdem sich nach der Vuelta abzeichnete, dass ich schwerer verletzt war, trat der Teammanager sofort an mich heran und bot mir einen weiteren 1 Jahres-Vertrag für 2000 zu etwas geringeren Konditionen an. Ich stimmte dem Angebot natürlich zu.
Allerdings war mir klar, dass ich jetzt, im Sommer 2000, irgendwie beim Team Überzeugungsarbeit leisten musste, damit mein Vertrag nochmals verlängert wurde.
Es zeichnete sich aber schon sehr früh ab, dass ich trotz meines aufopfernden Trainings keine Aussichten hatte, in Wettkampfform zu kommen. Rennen konnte ich noch lange nicht bestreiten.
Nachdem dann auch klar war, dass der deutsche Co-Sponsor sein Engagement nicht fortsetzte, war mir fast schon klar, was kommen würde.
Letztlich sagte man mir im August 2000 definitiv, dass man meinen Vertrag nicht noch einmal verlängern wollte.
Wirklich erstaunt darüber war ich, wie gesagt, nicht, und ich konnte mein Team sogar ein Stück weit verstehen. Trotzdem machte ich mir jetzt, mit meinen 30 Jahren schon Gedanken, wie es weitergehen könnte.
Letztlich bekam ich Rückendeckung durch einen meiner ehemaligen Teamkollegen. Er brachte mich bei dem spanischen Zweitdivisionärsteam Jazztel - Costa del Almeria ins Gespräch. Letztendlich unterschrieb ich, nach einem medizinischen Check, einen 2-Jahres-Vertrag für die Saison 2001 und 2002, allerdings zu geringen Konditionen.
Aber das machte mir nichts aus, schließlich hatte ich bei Once nicht wenig Geld verdient. Mir ging es einzig und allein um das Radfahren.
Leider musste ich mich im Jahr 2001 auch von meinem bisherigen Trainer verabschieden, der mir offenbarte, dass er nun endlich den verdienten Ruhestand antreten wolle.
In den zwei Jahren bei Jazztel passierte nichts aufregendes, ich fuhr bei kleineren Rennen ab und an in die Top 30, aber mehr auch nicht.
Das einzige „Highlight“ in der Saison 2002 war letztlich, dass ich wieder auf meinen Rücken stürzte und somit die Saison ab dem Sommer beenden konnte. Die alte Verletzung war wieder aufgebrochen, und die Ärzte empfahlen mir, für eine gewisse Zeit das Fahrradfahren aufzugeben. Natürlich hörte ich nicht auf sie.
Nachdem im Jahr 2002 der Vertrag von Jazztel nicht verlängert wurde, stand ich im Jahr 2003 ohne Vertrag da. Dies war aber nicht weiter dramatisch, weil ich sowieso aufgrund der Rekonvaleszenz-Zeiten erst ab Sommer wieder richtig trainieren konnte. Ich konnte mit Hilfe meines neuen Trainers die Form allerdings wieder gut aufbauen.

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Schreckus
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Beitrag: # 425956Beitrag Schreckus
13.5.2007 - 14:19

40.
In den folgenden Tagen forcierten Ryder, Daniel und ich unser Training.
Meine Rückenschmerzen waren wieder einmal so schnell verschwunden, wie sie erschienen waren, und ich hatte wieder eine wunderbare Laune.
Auch merkte ich, dass bei mir, aber auch bei meinen beiden Freunden, die Form stetig besser wurde. Ich war mir für meinen Teil äußerst sicher, dass wir alle drei mit einer hervorragenden Form in die Tour de Romandie starten würden.
Insgeheim verfolgte mich ein bisschen die Angst, dass ich, wie in der Vergangenheit öfter geschehen, durch irgendwelche Krankheiten oder Infekte in meiner Form zurückgeworfen wurde. Allerdings hatte mich in diesem Jahr noch keine einzige Krankheit belästigt, wenn man mal von meinen Rückenschmerzen absah.
Auch innerhalb der Mannschaft lief es eigentlich weiterhin rundum gut. Nach seinem Zeitfahr-Absturz hatte ich mit Miguel telefoniert, aber er zeigte sich relativ unbeindruckt. Er sagte, dass er die Baskenlandrundfahrt sowieso nur als Leistungstest benutzen wollte und sich nun ganz auf das anstehende Amstel-Gold-Rennen konzentrierte. Lachend fügte er hinzu, dass er dort kein Zeitfahren zu absolvieren habe, so dass ein Platz auf dem Treppchen durchaus möglich wäre.
Und auch mit Axel und Johann hatte ich telefoniert, allerdings waren diese Gespräche recht kurz, da beide unzufrieden mit ihren Ergebnissen bei der Baskenlandrundfahrt waren. Gerade Axel merkte ich an, dass seine Motivation sehr am Boden lag, was ich aber aufgrund des Zweiten Platzes bei Mailand – San Remo gar nicht verstehen konnte.

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Schreckus
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Beitrag: # 427525Beitrag Schreckus
18.5.2007 - 14:26

41. Amstel-Gold-Race

Endlich keine Kopfsteinpflaster mehr! So dachten wohl viele Klassikerspezialisten, die sich im Frühjahr ausschließlich auf die hügeligen Rennen fixiert hatten.
Heute, am 16.04.2006, findet das Amstel-Gold-Race statt; die Chance für Miguel und Axel, noch mal zuzuschlagen.
Das Straßenradrennen, welches seit 1966 jährlich in der Nähe von Maastricht in den Niederlanden ausgetragen wird, war ehemals ein flaches 250 km langes Rennen und somit prädestiniert für eine klassische Sprinterankunft. Der Streckenführung wurde aber im Laufe der Zeit immer mehr kurze, hügelige Anstiege hinzugefügt, so dass sich die Anforderungen an den Rennfahrer veränderten. Seitdem im Jahr 2003 das Rennende auf den Cauberg in Valkenburg verlegt wurde, wurde aus dem Klassiker eindeutig ein Rennen für Hügelspezialisten.
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Nachdem sich das Peloton die ersten 50km des Rennens ruhig und beschaulich eingefahren hatte, kam der erste Vorstoß von 6 Fahrern, darunter u.a. auch Janec Brajkovic von Discovery Channel.
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Keine Mannschaft im Feld hatte wirklich große Lust, schon so kurz nach Beginn des Rennens ernsthafte Nachführarbeit zu leisten, so dass sich die Sechsergruppe absetzen konnte.
Nachdem unsere sportliche Leitung nach knapp 120 gefahrenen Kilometern Uros (Murn), Victor (Hugo Pena) und Koos (Moerenhout) zum Tempomachen beorderte und auch Rabobank mit drei Fahrern aktiv wurde, begann der Vorsprung der Führenden langsam zu schwinden.
Miguel hielt sich zu diesem Zeitpunkt zusammen mit Axel im vorderen Drittel des Feldes auf, wo sich mit Rebellin, Boogerd, Schleck, Kessler, Sanchez Gil und Bettini auch die anderen Favoriten tummelten. Zu meinem Erstaunen war Alejandro Valverde zu dem Rennen gar nicht angetreten.
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Das Tempo blieb während der Aufholjagd immer gleich hoch, und schon begannen die ersten Fahrer hinten aus dem Feld hinauszufallen.
Knapp 50 km vor dem Ziel konnten die Ausreißer dann gestellt werden, woraufhin sich unsere Leute und Rabobank sofort komplett aus der Führungsarbeit zurückzogen. Plötzlich merkte man, dass eine gewisse Unruhe im Feld herrschte. Die Favoriten belauerten sich gegenseitig und warteten darauf, dass einer zuerst angriff.
Dies tat letzlich Paolo Bettini, der 36 km vor dem Ziel an einem Anstieg angriff. Sofort folgten Kessler, Sanchez, Boogerd und Rebellin.
Ich wartete gespannt auf die Reaktion von Miguel, aber sie kam erst ungefähr fünf Sekunden später. Aus welchem Grund auch immer hatte Miguel den Ausreißversuch verschlafen, konnte aber in einem Kraftakt zu den anderen aufschließen.
Als Miguel die Gruppe erreichte, griff Rebellin sofort wieder an, so dass Miguel direkt hinterher sprang. Die anderen vier Fahrer blieben erstmal ruhig, so dass Miguel und Davide Rebellin einen Vorsprung von knapp 30 Sekunden hatten.
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3,9 km vor dem Ziel waren die Ausreißer aber alle wieder vereint und fuhren gemeinsam auf den letzten Anstieg zu, der gleichzeitig auch das Ziel darstellte.
Der Rückstand des Feldes betrug zu diesem Zeitpunkt noch knapp eine Minute.
Es wurde also nicht mehr lange gepokert, sondern angegriffen.
Alle sechs sprinteten den Anstieg hinauf, wobei sich Miguel direkt absetzen konnte. Rebellin und Sanchez mussten reißen lassen. Mit einer unglaublichen Kraftanstrengung wuchtete sich Miguel zuletzt als erster über den Zielstrich, gefolgt von Boogerd und Kessler.
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Gesamtklassement Amstel-Gold-Race:

1 Miguel Ángel M. Perdiguero PHO 6h50'48
2 Michael Boogerd RAB + 13
3 Matthias Kessler TMO + 25
4 Paolo Bettini QST s.t.
5 Davide Rebellin GST s.t.
6 Mirko Celestino MRM + 1'23
7 Samuel Sánchez G. EUS s.t.
8 Frank Schleck CSC + 2'07
9 Karsten Kroon CSC s.t.
10 Kim Kirchen TMO s.t.
11 Chris Horner DVL s.t.
12 Björn Leukemans DVL s.t.
13 Leonardo Bertagnolli COF + 2'25
14 Lorenzo Bernucci TMO s.t.
15 Fabian Wegmann GST s.t.
16 Patrik Sinkewitz TMO + 2'33
17 Stefan Schumacher GST s.t.
18 Vincenzo Nibali LIQ s.t.
19 Axel Merckx PHO + 2'41
20 Philippe Gilbert FDJ + 3'05

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Schreckus
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Beitrag: # 428049Beitrag Schreckus
20.5.2007 - 12:47

42. Rückblick

Nachdem meine Form wieder so gut es ging Normalniveau angenommen hatte, nahm ich an einem Auswahltraining für das Schweizer Radteam Saeco-Romer´s-Wetzikon teil, einem Drittdivisionär. Mit meinen nunmehr 32 Jahren wollte man mich verpflichten, um meiner Erfahrung teilhaben zu können. Diese Erfahrung und mein Wissen über den Profizirkus sollte ich den jungen Fahrern, aus dem das Team im Wesentlichen bestand, weitergeben. Man lockte mich direkt einen 2-Jahres-Vertrag.
Diesen nahm ich an und fuhr relativ unauffällig meine Rennen.
Ich nutzte die Rennen und die Trainingseinheiten dafür, meinen jungen Kollegen all die Kniffe und Tricks beizubringen, die ich selber gelernt hatte. Gleichzeitig hegte ich ein nahezu freundschaftliches Verhältnis zum Trainerstab und zum sportlichen Leiter. Zusammen bildeten wir eine fast verschworene Gemeinschaft.
Auch wenn ich in diesen zwei Jahren vom Verletzungspech verschont blieb, so merkte ich schon, dass mein Rücken mir ab und an Probleme bereitete. Es war kein dauerhafter Schmerz, sondern immer nur tage-, manchmal auch nur stundenweise.
Trotzdem blieb mir die Gewissheit, dass meine Verletzung wohl nicht mehr ausheilen würde. Ich hoffte nur, dass sie mich in meiner weiteren Laufbahn nicht allzu sehr belasten würde.

Bei den Rennen vermochte ich einige Ergebnisse herauszufahren, die für einen Drittdivisionärsfahrer als gut zu bezeichnen waren. Allerdings waren sie für einen Fahrer mit meinen Ansprüchen kaum zu beachten.
Auf der anderen Seite machte es mich unglaublich stolz zu sehen, wie die jungen Fahrer meine Tipps und Hinweise aufnahmen und umzusetzen begannen. Ich erlebte deren Entwicklung hautnah mit. Zugegeben, im ersten Jahr merkte ich letztlich nicht viel von meinem Einfluss, aber im zweiten Jahr konnten „meine“ Jungs einige achtbare Erfolge herausfahren.
In mir selbst aber wuchs weiterhin eine eigenartige Unzufriedenheit. Ich hatte das Gefühl, dass mein Leben, meine Sportlerkarriere, gegen die Wand gefahren sei. Wenn ich auf mein bisheriges Lebenswerk zurückblickte, dann sah ich in sportlicher Hinsicht fast nur Trümmer, und fast keine Erfolge. Bereits seit meiner ersten Rückenverletzung und meinem Wechsel zu Jazztel begleiteten mich diese stetigen Selbstzweifel. Ich hielt mich für einen gescheiterten Rennfahrer, der auch jetzt, bei einem Drittdivisionärsteam, nicht in der Lage war, die Rennen zu dominieren.
Die Arbeit mit den jungen Fahrern war das einzige, was mich aus meinen Selbstzweifeln etwas herauszog.
Ende des Jahres stand ich wieder ohne Vertrag da, hatte aber mehrere Möglichkeiten, bei Drittdivisionären unterzukommen.
Eines Tages erhielt ich einen Anruf über mein Telefon.
Es war eine Sekretärin des Schweizer Hörgeräteherstellers des Teams Phonak am Apparat.
Sie fragte an, ob ich abends Zeit für ein längeres Telefonat hätte und wie und wo man mich am besten erreichen könnte.
Nachdem ich Uhrzeit und Telefonnummer benannt hatte, bedankte sich die nette Telefonstimme und verabschiedete sich mit typisch Schweizerischem Dialekt.

Zugegebenermaßen war ich relativ überrascht, dass mich ein solches Team kontaktierte.
Ich war mir allerdings relativ sicher, dass man nicht wegen mir, sondern wegen einiger viel versprechender Fahrer von meinem Saeco Team anrief. Es war nicht das erste Mal, dass man mich benutzte, um über Umwege Informationen über Talente und Können der jungen Fahrer herauszubekommen. Allerdings war es das erste Mal, dass mich ein Pro-Tour-Team kontaktierte.

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Schreckus
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Beitrag: # 429888Beitrag Schreckus
25.5.2007 - 17:58

43. Rückblick

Ich hatte mich zuhause in mein Büro gesetzt und erwartete den Anruf. Als Anrufzeit hatte ich 20:30 Uhr angegeben. Nun besitze ich in meinem Arbeitszimmer zufälligerweise eine Funkuhr, die bekanntermaßen absolut genau die Uhrzeit misst. Und was soll ich sagen?…Richtig!. Der Zeiger stand genau auf halb…und es klingelte das Telefon. Soviel zur Schweizer Genauigkeit.

Am Telefon meldete sich der Verantwortliche des Teams Phonak. Nachdem wir uns gegenseitig guten Tag gesagt hatten, legte er schon mit Schweizer Akzent los.
Er erklärte mir, dass ich dem Team empfohlen worden sei. Man habe einen Mann gesucht, der sehr gut mit jungen Fahrern umgehen kann und die Fähigkeiten besitzt, seine Erfahrungen und Fertigkeiten gut auf die Talente transportieren zu können.
Außerdem benötige man noch einen Fahrer, der im Gebirge und im flachen Terrain anfängliche Helfertätigkeiten verrichten könne.
Nachdem man die Fühler in alle Richtungen ausgestreckt habe, habe man von einem Fahrer erfahren, der bereits in einem Schweizer Team Talente gefördert habe und dort einen positiven Eindruck hinterlassen habe. Die Rede sei von mir.
Er fragte mich, ob ich grundsätzlich bereit wäre, einen ein Jahres Kontrakt zu unterschreiben und mich in den Dienst seiner Mannschaft zu stellen.
Sofern grundsätzliches Interesse bestehe, würde man mich gern in die Schweiz zu einem tiefer greifenden Gespräch und dem Vertragsabschluss einladen.

Ich teilte dem Herrn mit, dass ich mir die Sache überlegen müsse und bat um einen Tag Bedenkzeit und um die Rückrufnummer.
Nachdem wir uns einen schönen Abend gewünscht hatten, ging ich direkt zu meiner Frau und erzählte alles. Innerhalb einer Stunde waren wir zum Entschluss gekommen, dass ich dieses Angebot nicht ablehnen könne. Um 22:15 Uhr, also noch am selben Abend, rief ich ihn zurück. Als ich ihm mitteilte, wie meine Entscheidung aussah, lud er mich für die nächste Woche in die Schweiz zu den Vertragsverhandlungen ein.

Auch bei den Verhandlungen änderte ich meine Meinung nicht, so dass ich meine „neue“ Profikarriere beim Team Phonak antrat.

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