Jerdona Zeres [Vuelta 2007 - beendet]

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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Grabba
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Beitrag: # 416687Beitrag Grabba
24.3.2007 - 15:21

Hach wie ich diese Geschichte liebe. Wirklich genial.
Das was sie wirklich einzigartig macht und eben auch von allen anderen AARs abhebt, ist, dass es wirklich nur Krisen und Probleme gibt. Die Balance zwischen einerseits den vielen Erfolgen, doch andererseits auch den ständig an allen Stellen auftretenden Problemen für alle Akteure ist einfach perfekt. Nach wie vor begeisternder als alle anderen AARs (wenngleich auch da natürlich einige sehr gute dabei sind, aber deiner ist einfach einsame Spitze). Ich bin gespannt, wie es so weitergehen wird. :)

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arkon
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Beitrag: # 416901Beitrag arkon
25.3.2007 - 22:21

Vielleicht war es einfach die Tatsache, das er durch die Verletzung in seinem Aktionismus eingeschränkt wurde. Oder er war einfach nur angepisst davon, außerhalb Deutschlands nur in Hotels zu leben. Oder ein Riesenkonto voller Geld zu haben und davon nur ein paar Trainer und Material zu bezahlen. Oder auch ein bisschen von allem.
Am ersten freien Tag in Nizza zog Fabian sofort los, um sich eine Wohnung zu suchen. Natürlich würde es kein billiges Unterfangen werden, das war ihm klar, aber für einen Kapitän in einem ProTour-Team, der bisher nur bei seinen Eltern wohnte, waren ein paar Euro mehr oder weniger kaum entscheidend.
Planlos spazierte durch die Stadt, vor und zurück, bis er ein paar Gegenden gefunden hatte, die ihm gefielen. Insgesamt musste er drei Tage mit seinen Krücken und dem geschienten Bein umherziehen, bis er seine zukünftige Bleibe gefunden hatte. Louise sah er sowieso nur Abends. Ihn wurmte es ordentlich, das er kaum einkaufen konnte. Aber mithilfe eines Taxifahrers und ein wenig Geduld konnte er dann doch noch für sie kochen, wenigstens eine kleine Entschädigung für ihre Zeit, die sie trotzdem noch investieren musste. So ganz begeistert war sie nicht, als ihr auf Krücken umherstolzierender Freund verkündete, umziehen zu müssen. Aber sie wusste, das sie ihn kaum davon würde abbringen können.
Immer noch geschient erkundete Fabian dann in den nächsten Tagen die ortsansässigen Möbelhäuser und ließ sich seine Wohnung einrichten. Als er dann nach einem Arztbesuch zu noch zwei zusätzlichen Tagen in der Schiene verdammt wurde, hatte er noch Zeit, es sich ein wenig einzurichten. Natürlich war alles noch sehr rudimentär, aber man konnte zumindest erkennen, was einmal daraus werden sollte. Und er fühlte sich ein wenig heimelig und vor allem sehr stolz.
Schließlich kam der Tag, an dem er zum zweiten Mal zum Arzt musste, um vielleicht die Schiene endlich loszuwerden. Etwas nervös wartete er auf dem Gang, bis der Doktor ihn herein bat. Auf dem Tisch ausgebreitet waren die Ultraschall- und Röntgenbilder, die bei den übrigen Untersuchungen angefertigt worden waren. Der Arzt war zwar nur teilweise mit dem Fall betraut, aber schon das erste Mal hatte er sich am Telefon mit dem zuständigen Mediziner von T-Mobile abgesprochen, damit die Diagnose auch quasi aus einer Hand kam.
Als er sich gesetzt hatte stand der Doktor auf, knipste an der Wand den Leuchtschirm an, auf dem das neuste Ultraschall prangte. Er erklärte ihm in gebrochenen Englisch einige Dinge an der Aufnahme und schloss dann mit der eindeutigen Empfehlung, das er die Schiene abnehmen dürfe.
"Haben sie schon mit meinem Teamarzt gesprochen?" fragte Fabian, noch etwas misstrauisch. Erst als der Arzt bejahte wich die Spannung von ihm: Es schien fürs erste überstanden. Er würde sich noch mit dem Mannschaftsarzt und Frans über das genaue Trainingsprogramm der nächsten Tagen verständigen müssen, aber alleine schon die Aussicht, wieder auf dem Rad sitzen und fahren zu dürfen, beflügelte ihn. Es hatte ihm wirklich gefehlt. Und vor allem hatte er panische Angst gehabt, ein Ungleichgewicht in den Muskeln der beiden Beine zu provozieren. Mit dem einen Bein stellte er schließlich kaum etwas an, während er das andere eher stärker als normal belastete. Über das wahre Ausmaß dieses Problems würden erst Kraftmessungen in den nächsten Tagen Aufschluss geben. Aber für den Moment wurde es zumindest schon mal nicht mehr schlimmer.
Einen Anruf später war Frans auf den Weg nach Frankreich - er würde Morgen Vormittag eintreffen. Das ließ ihm einen letzten Abend. Natürlich würde er ihn mit Louise verbringen. Und natürlich würde er versuchen, sich für die letzten Tage zu bedanken, in denen sie ihn ja mehr oder weniger ausgehalten hatte. Konnte es eine bessere Gelegenheit geben, als die neue Wohnung gleich richtig einzuweihen?
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arkon
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Beitrag: # 417255Beitrag arkon
28.3.2007 - 1:47

Yuri fiel ein großer Stein vom Herzen, als Sammy abgereist war. Irgendwie war in den letzten Tagen ein gegenseitiger Wettstreit entbrannt, der deutlich über das gesunde, sportliche Maß hinausging. Schon in den Trainingsausfahrten versuchten sie immer, sich gegenseitig zu duellieren. Und Yuri hatte zunehmend das Gefühl, das er einfach ein wenig schlechter war. Und das war kein einfacher Brocken, den er da schlucken musste. Er wurde von Tag zu Tag besser, aber während er am Anfang noch etwa gleich auf mit seinem Konkurrenten, so dachte er mittlerweile von Sammy, war, geriet er zusehends ins Hintertreffen. Er fühlte zwar noch gewaltige Reserven nach oben, aber wenn er schon jetzt einfach schwächer war? Hinzu kam ja noch seine fehlende Erfahrung: Er fuhr zwar beherzt, aber Sanchez hatte einfach mehr Taktik und Rennübersicht. Es würde wohl oder übel eine harte Lehrzeit werden. Er hoffte, das sie andere GT's bestreiten würden. Wenn sich ihr Rennprogramm auch im Rest des Jahres so stark überschnitt wie es gerade der Fall war, würde es eine lange Saison werden...
Jetzt galt es aber erst einmal die Tage zu nutzen, die Samuel bei Paris-Nizza verbrachte. Für "sein Rennen", Tirreno-Adriatico konnte er so noch ein bisschen mehr trainieren. Und spätestens bis Mailand-San Remo wollte und musste er in Bestform sein. Denn bei diesem Rennen waren die anderen großen Klassikerfahrer meist noch nicht auf 100%, wodurch sich für ihn die Chancen erhöhten. Und wenn es ihm dort gelingen würde, Samuel auszustechen und sich selbst einen besseren Ruf in der Teamleitung zu erkämpfen, sähe die ganze Sache noch ganz anders aus. Dementsprechend stürzte er sich verbissen wie selten ins Training.
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Beitrag: # 417347Beitrag arkon
29.3.2007 - 0:54

Schließlich kam der Tag der Abreise nach Paris. Zusammen mit dem Rest des Teams, welches Kelme-Euskadi bei Tirreno-Adriatico stellen würde verpackte er sein Material in die LKW's und wurde dann im Teambus nach Italien kutschiert. Das war eine weitere Gelegenheit, mit den anderen Fahrern rumzualbern und sich auf die kommende, gemeinsame Woche einzustimmen. Es war zwar bei weitem nicht der Giro, aber auch schon während der kürzeren Rundfahrten stellte sich ziemlich schnell eine besondere Atmosphäre innerhalb des Kaders ein. Yuri kannte dieses Phänomen bereits von der Vuelta und der Tour selbst, aber es war jedes mal wieder aufregend und für das gesamte Team förderlich.
Die Voruntersuchung, die kurze Pressekonferenz am Vorabend des Prologs... Es wirkte tatsächlich wie das Tamtam kurz vor einer großen Rundfahrt, die einfach eine Kategorie kleiner war. Yuri fand es ein bisschen lächerlich, lag Tirreno-Adriatico in der Bedeutung doch weit hinter dem großen Bruder.
Der Prolog dagegen war dann doch relativ gut besucht und von großem Medieninteresse geprägt. Die vielen Kameras und Zuschauer... waren die beste zusätzliche Motivation, die Yuri sich vorstellen konnte. Und es wirkte: Seine nach und nach gestiegene Fähigkeiten im Zeitfahren konnte er auch hier unter Beweis stellen und kam auf einen sehr guten 8. Platz. Offenbar war er doch besser in Form, als er gedacht hatte. Aber anstatt auf den ersten Flachetappen sich wieder zu testen und sinnlos Energien zu verschleudern wartete er diesmal bis zu den ersten, kleinen Bergetappen, welche das Gesamtklassement zum großen Teil formen würden. Als Teamleader einer relativ bergfesten Auswahl freute er sich natürlich auf diese Tage...
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Beitrag: # 417497Beitrag arkon
30.3.2007 - 16:28

Er überstand die Prüfung mehr schlecht als recht. So richtig zufrieden war er nicht, obwohl die sportlichen Leiter nicht enttäuscht schienen. Es wurde einfach nicht so viel von ihm erwartet wie von Sammy. Ein weiterer Grund, es auf den letzten drei Etappen krachen zu lassen. Die erste Prüfung sollte das Zeitfahren darstellen.
Nach seinen guten Ergebnissen bisher in dieser Saison machte er sich durchaus Hoffnungen, heute unter den Gewinnern zu sein. Dementsprechend begab er sich schon früh auf die Strecke und rollte sie mit seinem Spezialrad ab. Die meisten seiner Teamkollegen verzichteten auf diesen Ausflug. Ein weiterer Dämpfer. Er vermisste zunehmend den Ehrgeiz bei seinen Kameraden.
Aber das sollte ihn heute nicht aufhalten. Er aß reichlich und begab sich zeitig auf die Rolle, um sich langsam auf Touren zu bringen. Er würde zwar als letzter des Teams starten, saß aber bei weitem nicht als letzter auf der Rolle. Auch hier wischte er den Gedanken beiseite. Er konzentrierte sich ganz auf sich und auf die Puls- und Drehzahlen. Langsam herantasten, gut warm werden, die Muskulatur dehnen und auf die Leistung vorbereiten, dann die Schlagzahl erhöhen und den Puls an die Belastungszahl heranbringen. Alles Routine. Jetzt musste er nur noch schnell den Wechsel auf die Strecke schaffen, die wenigen Minuten überbrücken, in denen er zum Stillstand verdammt war. Die Beine schütteln, dehnen, umherlaufen, ein paar Schlucke aus der Trinkflasche nehmen. Dann stieg er auf sein Rad, rollte auf die Rampe, schrieb sich ein und war endlich Auge in Auge mit den beiden Gegnern des heutigen Tages: Der Strecke vor ihm und der tickenden Uhr über seinem Kopf. Die wenigen Sekunden, die ihm noch zum Start blieben musste er auch noch irgendwie herumkriegen. Aber so richtig registrierte er das alles schon nicht mehr, zu fokussiert war sein Kopf schon auf die Strecke. Er ging noch einmal seine Taktik durch, die Belastungen, die er sich in den einzelnen Sektoren vorgenommen hatte... alles musste stimmen.
Dann der Start. Er schoss von der Rampe. Die ersten Meter meisterte er in einem kleineren Gang: Sein Puls war noch nicht im Optimum, er wollte nicht direkt an seine Grenze springen. Dann schaltete er hoch und fühlte sich sofort prächtig. Heute würde er die Bestzeit jagen. Er war als 10. im Klassement gestartet, mit 25 Sekunden Rückstand auf Vinokourov, der als vorletzter und vermeintlich bester Zeitfahrer ins Rennen gehen würde. Das war auf dem Kurs schwer, aber nicht unmöglich herauszuholen. Und auch ein Etappensieg wäre schon ein Zeichen...
An dem Fuße des Hügels und somit etwa nach zwei Dritteln des Rennens wurde es langsam schwer. Er hatte sich die Strecke gut eingeteilt, aber nichtsdestotrotz musste er über seine Grenzen gehen. Und so langsam spürte er, was das hieß. Verzweifelt versuchte er, kaum aus dem Sattel zu gehen und die Steigung im sitzen zu meistern, was natürlich alles andere als einfach war. Auf der anderen Seite durfte er sich natürlich auch keine schweren Beine holen, die ihm dann wesentlich mehr Zeit kosten würden, als er durch die Aerodynamik gewonnen hätte.
Schließlich war aber auch das Hindernis überwunden und er konnte sich in die kleine Abfahrt stürzen. Es gab zum Glück keine engen Kurven, dafür aber viele enge Gässchen, durch die er mit einem ziemlichen Zahn hindurch fegte. Das seichte Gefälle meisterte er mit einem dicken Gang. Er war viel zu konzentriert, um zu realisieren, wie dicht er mit welcher Geschwindigkeit an den Absperrungen vorbeifegte, zu seinem Glück.
Im Ziel schließlich konnte er sich über eine Bestzeit freuen. Allerdings stand der echte Test noch aus: Vinokourov, Klöden und alle anderen, die mit guter Form nach Italien gereist waren. Es half nichts, er musste im Zielbereich ausharren und auf der Leinwand die Einfahrt jedes einzelnen Fahrers mitansehen. Glücklicherweise ging es nicht um richtig viel, sonst hätte er diese Tortour wohl nicht so ohne weiteres überstanden. Aber schließlich war auch das geschafft und er konnte auf das Podium klettern und sich zu seinem ersten Saisonsieg gratulieren lassen. Zum Führungstrikot reichte es leider nicht ganz, aber er war dicht dran und das war sein eigentliches Ziel gewesen: Zeigen, das er in guter Form war und das mit ihm bei den Klassikern zu rechnen sein würde.
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Beitrag: # 417862Beitrag arkon
2.4.2007 - 11:26

Aber schon am nächsten Morgen zerstoben seine Hoffnungen: Er war krank. Zuerst war es nur ein leichtes Kratzen im Hals, nichts, was er nicht hoffte, mit einem Schluck Milch herunterspülen zu können. Er schob den Gedanken beiseite und begab sich frohen Mutes zum Start. Das Rennen begann hektisch und das Tempo war schnell recht hoch. Soweit noch kein Problem, aber schon nach 50 km fühlte Yuri, wie die Erschöpfung in seine Glieder kroch. Noch bevor das Finale eingeläutet wurde, war er schon aus der Spitzengruppe zurück gefallen und kroch in einem der Gruppetos über die französischen Landstraßen, die er vorher immer eher belächelt hatte. Er hatte bisher noch nicht viel seiner Zeit als Radprofi hier verbringen müssen und so war es für ihn eine neue und nicht gerade angenehme Erfahrung unter denen zu sein, die schon kaum mehr Luft hatten, um die führenden in der Gruppe durch Rufe auf ihr viel zu hohes Tempo aufmerksam zu machen. "Piano, Piano!" keuchte er vor sich hin. Neben sich erkannte er Sprinter und Wasserträger, die ihn allesamt ein wenig erstaunt anschauten. Aber ihre weit aufgerissenen Münder umspielte ein kleines Lächeln, eine kleine Portion Schadenfreude.
Aber irgendetwas in ihm sträubte sich gegen den Gedanken, einfach aufzugeben. Er war ein verdammter Kämpfer! Und er musste nur noch zwei Etappen durchstehen. Und außerdem war er auch nicht schlechter als die ganzen anderen Sprinter, die so etwas fast schon Tag für Tag durchleben mussten. Für wen würden sie ihn halten, wenn er nach einer Etappe einfach so aufgab? Er musste da durch!
Auch als er als letzter seines Teams oben im Ziel ankam und noch ein einsamer Betreuer auf ihn wartete, der Teambus schon weg und die meisten Zuschauer zu Hause waren, setzte er innerlich ein stolzes Grinsen auf. Die verdammten Berge hatten sich mit dem falschen angelegt. Er ließ sich nicht so einfach in die Knie zwingen, Erkältung hin oder her!
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Beitrag: # 418129Beitrag arkon
3.4.2007 - 20:24

Fabian fiel nach und nach ein riesen Stein vom Herzen: Mit jedem Test, den er durchlief, wurde es gewisser, das die Kraft in den beiden Beinen nicht unsymmetrisch war. Diese größte Sorge aller Radfahrer, die schon mehr als eine Karriere zerstört hatte und viele zumindest um ein Jahr verkürzt hatte, war nicht eingetreten. Offenbar waren die Zeit nicht lang genug dafür gewesen. Es hätte ihn ehrlich gesagt auch gewundert, aber er machte sich lieber zu viel als zu wenig Sorgen. Nun konnten sie also nach und nach wieder mit dem Training beginnen. Frans hatte einen überarbeiteten Rennplan mitgebracht, den er schon mit der Teamleitung abgeklärt hatte: Sein Tourvorbereitung war offenbar gerettet, der Schaden nur gering, wenn überhaupt vorhanden. Es war der ideale Zeitpunkt, einmal über den Saisonplan nach der Tour zu reden.
Fabian hatte sich nach der kurzen Trainingseinheit schon geduscht und wartete in seiner Wohnung auf Frans, der kurz vorbei kommen wollte. Frans selbst wohnte in irgendeiner Absteige, die, wie er behauptete, recht günstig ihre Zimmer an den Mann brachten. Fabian hatte ihm schon einen Platz in seiner neuen Bleibe angeboten, aber der Belgier hatte nur dankend abgelehnt. Offenbar wollte er auch keine Umstände machen.
In Gedanken verloren nippte Fabian an seinem Wasser und genoss den Ausblick von seinem Balkon aus, als Frans läutete. Etwas verschüchtert und hinter seiner grummeligen Maske geschützt begrüßte er seinen Schützling. Mit einem Lächeln registrierte der Deutsche, das er offenbar geduscht hatte. Normalerweise hielt es der Ex-Profi mit der Hygiene nicht ganz so streng, aber die sonnigen Tage hier in Südfrankreich schienen ihm allgemein gut zu bekommen.
"Kommst du morgen mit, bei Paris-Nizza zuschauen? Ich hab ein paar Karten für die Tribüne ergattert!"
Fabian war etwas unsicher. Er hatte noch keine echte Lust, sich den anderen Fahrern zu präsentieren. Seine Krücken war er zwar mittlerweile los, aber er musste sich noch schonen und kam sich verletzlich und schwach vor, jedenfalls im Vergleich zu den anderen.
"He komm schon, wenigstens deine Freunde musst du besuchen, wenn sie schon in der Stadt sind. Deine neue Wohnung zeigen, mal ein Radrennen mit Louise besuchen... Außerdem interessiert es sie sicherlich, wie es dir geht."
"Na ja, vielleicht hast du Recht. Louise wird allerdings sowieso da sein, sie muss für den Sender schon heute bei der Moderation mitwirken. Auch für sie geht ja so langsam wieder die Reisezeit los."
Sie unterhielten sich noch ein wenig über Gott und die Welt, bevor Frans dann auf die wichtigen Dinge im Leben zu sprechen kam.
"Also, fangen wir mal an. Wir werden hier nicht den genauen Rennplan ausarbeiten, aber ein paar Eckpunkte können nicht schaden. Ich nehme mal an, die WM ist dir wieder ziemlich wichtig?"
"Auf jeden Fall. Und wenn es nur um die Revanche für letztes Jahr geht, ich will wieder in die Medaillenränge. Mindestens. Gerade bei der WM in Stuttgart..."
"So will ich das sehen. Was hältst du davon, wenn du als Vorbereitung die Vuelta fährst?"
"Nur so als Vorbereitung oder richtig?"
Statt einer Antwort übertrug Frans die Frage an ihn selbst.
"Du meinst also, nach meinem triumphalen Toursieg soll ich mir noch die Vuelta holen? Wird das nicht für die Konkurrenz ein wenig langweilig?" flachste Fabian. Er kam irgendwie immer noch nicht auf den Gedanken klar, nun ein Teamleader zu sein, ein Rundfahrtkapitän, und das vielleicht nicht nur bei einer GT.
"Glaubst du, ich könnte das packen?"
Frans legte eine rhetorische Pause ein. Obwohl er sich der Antwort natürlich längst sicher war musste er Fabian schließlich auch noch davon überzeugen.
"Wenn du wirklich diszipliniert arbeitest und von weiterem Scheiß" er deutete auf das Knie "verschont bleibst, glaube ich, das du eine reelle Chance hast. Ich spreche nicht von zwei Siegen, aber du hast das Zeug, gute Ergebnisse zu erzielen. Das wird dich zwar bei der Weltmeisterschaft ein bisschen von deiner Form kosten, aber ich würde die auf jeden Fall zu diesem Risiko raten."
Fabian dachte darüber nach, während sein Blick über den aufkommenden Frühling über der Stadt streifte. Zwei GT's... viel weiter nach oben ging es nicht. Aber Zeres, Moreau und Madarkady hatten im letzten Jahr schließlich vorgemacht, das die Kombination Tour und Vuelta sehr gut funktionieren konnte. Zwar hatte keiner von ihnen bei der Weltmeisterschaft auftrumpfen können, aber die beiden Rundfahrten waren schon ein großer Erfolg gewesen...
"Ich glaube, ich werde es machen"
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Beitrag: # 418506Beitrag arkon
6.4.2007 - 0:22

Ein wenig fröstelte es Yuri schon, wenn er an die Tage in Italien zurückdachte. Was hatte er seinem Körper bloß zugemutet? Wie hatte er sich dermaßen verantwortungslos benehmen können? Sein Stolz in allen Ehren, aber das musste aufhören. Zu Recht hatte er von der Teamleitung eine Rüge bekommen.
Zunächst sah es danach aus, als ob er von Tirreno-Adriatico nicht wesentlich geschwächt nach Mailand reisen würde. Seine Erkältung, die er einfach ignoriert hatte, klang ab und die Ruhepause, die er sich gönnte, wurde von seinem Organismus positiv zur Kenntnis genommen. Aber just am Tag vor dem Start von Mailand-San Remo ging es wieder richtig los: Auf der abschließenden Trainingsrunde musste er auf einmal beißen, um dem lockeren Tempo der anderen Fahrer zu folgen. Sein Atem wurde wieder kurz, der Appetit war weg, die Kopfschmerzen kamen wieder. Zunächst war es ihm einfach sehr peinlich, weil er sich die Krankheit selber zur Last legte. Aber als er dann auch noch beim Einschlafen Probleme hatte ging er doch noch zum Teamarzt. Der war natürlich alles andere als begeistert, noch einmal geweckt zu werden, aber hatte vollstes Verständnis, als Yuri ihm die Situation erklärt hatte. Mit ein paar Pillen legte er sich wieder ins Bett.
Bis zum nächsten Morgen hatte er dann doch noch gut geschlafen, allerdings fühlte er sich alles andere als ausgeruht. Die Krankheit war voll im Verzug und er konnte förmlich spüren, wie sich sein Immunsystem mit den Eindringlingen balgte. Aber er wäre nicht bis hierher gekommen, wenn er es nicht verstünde, zu kämpfen. Er biss die Zähne zusammen, würgte sich sein Frühstück rein und stürzte sich ins Rennen. Während der Taktikbesprechung gab er schon zu verstehen, dass er sich heute nicht allzu gut fühlte. Er hatte Schadenfreude zumindest von Sammy erwartet, aber dieser schien ehrlich betroffen zu sein. Wahrscheinlich eher aus sportlichen Motiven, aber das konnte Yuri ihm nicht verdenken: Andersherum wäre es genau so.
Im Rennen selbst fing es dann erstmal ganz gut an. Wider Erwarten waren die Beine da, die Form stimmte offenbar schon. Aber er war immer noch verdammt kurzatmig und musste immer wieder seine Nase auf die Fahrbahn „entleeren“. Und schließlich konnte er nach 200 km fühlen, wie die Kraft förmlich aus ihm heraus floss. Er suchte sein Glück in der Flucht nach vorne, aber die Attacke glich eher dem letzten Aufbäumen als einer entschlossenen Kampfansage. Entsprechend wurde er auch schnell wieder geschnappt und musste kurz darauf das Rennen aufgeben. Besser gesagt: Er gab es einfach auf. Diese Lektion hatte er gelernt: Wenn er die Krankheit auskurieren wollte, musste er lernen, aufzugeben. So einfach war das.
Sammy schließlich war auch nicht mehr in der Lage, die entscheidenden Akzente zu setzen. So ging das Rennen für das Team reichlich enttäuschend zu Ende: Nicht nur, das beide Kapitäne keine Resultate hatten herausfahren können, sie schienen auch nicht unbedingt in der Lage zu sein, dies in den nächsten Rennen ändern zu können.
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Beitrag: # 418752Beitrag arkon
7.4.2007 - 16:52

Yuri verzichtete in der nächsten Woche auf alle Rennen. Ein Teil des Teams fuhr in Spanien, ein anderer in Italien, aber in der Summe waren es eher nur unbedeutende Rennen. Vor allem, wenn man vorhatte, ein ganz großes Ding zu landen. Und außerdem fühlte er sich echt nicht in der Stimmung für ein Rennen: Sein Traum, mit den Frühjahrsklassikern den großen Wurf zu schaffen, geriet ins Wanken. Sein einziger Trost war, dass Samuel ebenso Probleme hatte, aber sie schienen bei weitem nicht so groß. Bei Mailand-San Remo hatte er sich zu keinem Zeitpunkt in der Lage gesehen, das Rennen zu gewinnen. Er war irgendwie einfach noch nicht in Form oder, was er immer mehr befürchtete, einfach nicht gut genug einen Klassiker zu gewinnen oder wenigstens mit zu gestalten. Natürlich hatte er noch Zeit, natürlich war er krank und natürlich war er eigentlich noch viel zu unerfahren für einen Sieg bei einem der ganz großen Rennen. Aber es wäre nicht seine Art gewesen, es nicht wenigstens auch bis zum Ende zu versuchen.
Ein wenig konnte er jetzt verschnaufen, weil mit der Kopfsteinpflastersaison nun etwas anbrach, was er zwar mitmachen würde, aber nichts, was er verstand. Die Faszination an dieser Art von Rennen ging ihm einfach ab. Er würde trotzdem mitfahren und versuchen, für die kommenden Jahre etwas mit zu nehmen. Aber so Recht konnte er nichts damit anfangen, über dreckige und holprige Straßen zu fahren. Das war ihm einfach nicht in die Wiege gelegt worden.
Unterm Strich aber war er ganz froh über die Pause: Denn so konnte er sich in Ruhe auf die Ardennen vorbereiten und hoffen, dort vielleicht den Durchbruch zu schaffen. Erst einmal gönnte er sich ein wenig Ruhe, dann würde er beim Criterium International wieder ein paar Kilometer sammeln um sich dann in Flandern der Herausforderung ’Pave’ zu stellen.
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Beitrag: # 418756Beitrag arkon
7.4.2007 - 17:07

Für Jerdona sahen die Präferenzen in dieser Woche ganz anders aus. Er würde sich sowohl bei der Vuelta a Castilla y Leon als auch beim Criterium International zeigen. Seine Form war bei weitem noch nicht ausreichend, um auch nur ein gutes Ergebnis bei einer der beiden Veranstaltungen in Aussicht zu stellen, aber darum ging es ihm auch gar nicht. Nach dem wochenlangem Training und den zahlreichen Terminen freute er sich auf jedes Rennen, besonders in Spanien selbst. Und in diesem Jahr war es sogar seine Premiere auf heimischem Boden.
Zeres genoss es sehr, wie er direkt nach dem Aussteigen aus dem Bus von einer Menschenmenge erschlagen wurde, einige Autogramme kritzelte und sich dann auf sein Rad schwang um hinter zwei Bodyguards durch die Menge geleitet zu werden. Es war für ihn wie eine Droge. Letztes Jahr hatte er bei der Vuelta zum ersten Mal an ihr geschnüffelt und nun konnte er, nach der langen Winterpause, wirklich spüren, wie ihn das manchmal am Leben hielt.
Er brachte das Rennen ruhig hinter sich, umgeben von einer Traube seiner Teamkollegen. Immer noch fühlte sich das neue Trikot ungewohnt an. Zwar waren Wechsel für ihn keine Neuheit mehr, aber er hatte schon das Gefühl, in diesem Team bleiben zu wollen. Und das Team wollte wohl dasselbe. Zumindest hatte er wieder einmal das Gefühl, das er der einzige war, bei dem hinter den Kulissen alles einwandfrei funktionierte. Der Eindruck, dem er sich schon bei der Kalifornienrundfahrt nur schwer hatte entziehen können, verdichtete sich: Im Team lief es einfach nicht rund. Er hatte schon kurz mit Yuri darüber gesprochen, aber der hatte sich wortkarg gegeben. Vielleicht war er es aus seinen russischen Teams nicht anders gewöhnt. Vielleicht reizte es ihn sogar, nur mit guten Beziehungen im Team etwas bewegen zu können, dafür aber dann gleich eine ganze Menge. Jedenfalls schien er, so es überhaupt ein Problem gab, darüber nicht ausschließlich traurig zu sein.
Für Jerdona war die Sache mit Abschluss des Wochenendes beim Zeitfahren wieder erledigt: Er machte sich eine Notiz, darüber beizeiten mit Emanuel zu reden, beglückwünschte Yuri zu seinem sechsten Platz im Zeitfahren und stieg wieder in einen Flieger Richtung Heimat. Dort würde er sich weiter vermarkten. Und ein bisschen trainieren.
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Beitrag: # 421971Beitrag arkon
26.4.2007 - 21:59

Er kam sich vor wie ein Außerirdischer. Ein Eindringling. Ein Fremder. Yuri gehörte nicht hierher. Flandern war nicht seine Welt. Er schaute sich etwas befremdet um. Eine riesige Menschenmenge war zum Start des Rennens gekommen. Sie jubelten und schrieen und tobten. Egal, wer hier oben zum Einschreiben stand, er wurde beklatscht. Es war ein tolles Gefühl, aber auch ein fremdes. Nicht einmal bei der Tour war er mit einer solchen Menschenmasse konfrontiert worden. Lediglich bei Mailand - San Remo hatte er ähnliches erlebt. Aber es beeindruckte ihn wirklich schwer, dass die Leute ihm zujubelten, seinen Namen schrieen und sich nach Autogrammen von ihm reckten, obwohl er hier nicht einmal entfernt zu den Favoriten zählte.
Er schob sein Rad durch die tobende Menge zum Start. Der kleine Haufen des Teams Kelme-Euskadi rottete sich zusammen. Sie waren alle etwas eingeschüchtert von der sich ihnen bietenden Kulisse. Keiner von ihnen hatte Ambitionen, die meisten waren einfach nur hier, weil sie mussten. Freiwillig wäre das Team wohl gar nicht erst an den Start gegangen. Aber hier standen sie, der ProTour sei dank, und blickten einem der anstrengensten und gefährlichsten Rennen der Saison entgegen.
Er war froh, als es endlich losging. Die Spannung vor dem Start machte Yuri jedes Mal zu schaffen. Aber jetzt, als das Feld langsam Fahrt aufnahm, spürte er etwas anderes: Eine unglaublich Nervosität erfüllte alle. Das Tempo war noch relativ gemächlich, aber die Positionskämpfe im vorderen Teil des Feldes wurden schon relativ heftig ausgetragen. Er scharrte einige Mannschaftskameraden um sich und versuchte, sich etwas gegen den äußeren Druck zu schützen. Es gelang ihm kaum. Er, sie alle, mussten viel kämpfen, um sich im Feld zu behaupten. Mit voller Wucht wurden die ersten Steigungen und Kopfsteinpflasterpassagen angegangen. Yuri spürte ziemlich schnell, das ihm noch etwas fehlte, um heute ganz vorne mit dabei sein zu können.
Aber nach und nach veränderte sich etwas in ihm: War es zunächst noch die pure Panik gewesen, über enge, verwinkelte Straßen, teilweise gepflastert wie noch vor 100 Jahren um 90 Grad Kurven zu schießen, so lernte er nach und nach den besonderen Reiz, den man empfinden musste, wenn man die Kraft besaß, dieses Rennen mit zu gestalten. Die Fans, die auf den oft schon so viel zu engen Passagen den Einsatz noch beträchtlich erhöhten, die schiere Begeisterung in den Augen aller, die aus dieser Gegend kamen oder zumindest diese Art von Parcours nach und nach zu schätzen gelernt hatten, all das kannte er schon vorher. Aber es selbst aus erster Hand mit zu erleben… war etwas anderes. Dieses Rennen, diese Art von Rennen, versprühte einen eigenen Charme. Er war noch nie auf vergleichbarem Terrain unterwegs gewesen, aber er spürte augenblicklich, dass es ein Fehler gewesen war. Er hätte sich viel früher mit den belgischen Klassikern beschäftigen sollen. Hier in Flandern war Radsport noch etwas anderes, etwas Ursprünglicheres. Er fühlte sich an die Amateur-Rennen in seiner russischen Heimat erinnert, bei denen sie immer mal wieder über kurze Feldwege gefahren waren. Nur fehlte dort der besondere Flair, der dieses Rennen einzigartig machte.
Im Ziel war er völlig abgekämpft. Weder seine Platzierung noch sein Rückstand interessierten ihn. Er hatte heute viel gelernt und war seiner Form, die er in den Ardennen zu erreichen hoffte, wieder ein Stück näher gekommen. Und er hatte wieder eine Idee mehr, was er im nächsten Jahr würde machen können…

Tja, mit dem AAR des Monats wirds für mich diesmal wohl nix mehr... Tut mir schon ein bisschen leid, das ich euch zur Zeit so sträflich vernachlässige. Mein Leben hat sich mal wieder gefüllt, und zusammen mit meiner chronischen Faulheit bleibt nicht mehr viel Platz für diesen AAR. Ich habe zwischenzeitlich immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, das Ding völlig aufzugeben oder wenigstens in eine längere Pause zu gehen. Aber jedesmal, wenn ich mich vor meinem AAR sicher wähne, taucht irgendeine Figur, eine Idee, eine Situation wieder vor mir auf. Mein AAR verfolgt mich! Scheisse.
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Beitrag: # 422560Beitrag arkon
29.4.2007 - 17:43

Er gönnte sich erstmal eine kurze Pause. Nach der Flandernrundfahrt war er ziemlich kaputt und zerschlagen gewesen, wie wahrscheinlich die meisten der Fahrer, er bildete da keine Ausnahme. Den nächsten Tag absolvierte er lockeres Training über 50 km bevor er mit dem Teambus nach Westfrankreich fuhr: Der Circuit de la Sarthe stand an. Hier würde er, wiederum ohne Samuel, ein wenig an seiner Form schrauben können. Keine Verpflichtungen, keine Ansprüche, einfach nur ein wenig Rennpraxis. Er konnte jetzt langsam fühlen, wie sein Motor in Fahrt kam. Aber gleichzeitig konnte er absehen, dass es noch mindestens eine Woche dauern würde, bis er seine Topform erreichen würde. Bis zum Amstel Gold Race waren es zehn Tage, folglich musste er sich etwas beeilen. Seine Neigung, sich kaputt zu trainieren, umging er nun einfach, in dem er bei einer Rundfahrt teilnahm. Hier konnte er nicht zu viel fahren, nur zu schnell. Und er hatte sich extra das Zeitfahren ausgesucht als das Teilstück, wo er sich richtig testen würde. Die restlichen Etappen würde er nur mitrollte. Er durfte nur mitrollen.
Die Teamleitung war nicht wirklich im Bilde über seine Situation. Sie wussten nur, dass er noch nicht bei seinem Maximum angelangt war. Das Training hatte er schon seit einigen Wochen selbst übernommen. Zum einen hatte er ohnehin große Probleme damit, sich anderen Leuten zu unterwerfen, und zum anderen traute er den Jungs hier auch nicht über den Weg. Er konnte es bei seinen Teamkameraden sehen: Das Training war zwar recht gut, von der technischen Seite her. Aber die ganze Organisation ließ doch ein wenig zu wünschen übrig. Mal fehlten Ausdrucke und Diagramme, dann war der zuständige Trainer mal für ein paar Tage nicht zu erreichen. Folglich nahmen die meisten im Team diesen Aspekt in ihrem Leben auch Schritt für Schritt mehr selber in die Hand.
Die Rundfahrt begann mit einer Flachetappen. Yuri rollte locker hinten mit. Aber das reichte, um zu bemerken, dass er selbstsicherer bei der Navigation im Peloton wurde. Die typische Ängstlichkeit, die man aus der Winterpause mitbrachte, war nun fast vollständig verflogen. Ein Grund mehr für ihn, seinen Plan, Paris-Roubaix auszulassen, in die Tat umzusetzen. Das Verletzungsrisiko war ihm zu hoch und außerdem wollte er seinen Körper nicht der Erschöpfung aussetzen, die zwangsläufig folgen würde. Er wollte das Wochenende lieber nutzen, um in den Ardennen ein bisschen auf Erkundungstour zu gehen. Er hatte sich schon einige Jungs zusammen gesucht, mit denen er die Strecken der drei Klassiker, die ihn beschäftigten, zu erkunden.
Am nächsten Tag fühlte er sich zum ersten Mal seit langem wieder fit. Komisch eigentlich, das dieser Moment gerade nach am zweiten Tag einer Rundfahrt kam. Aber schon auf der kurzen Etappe am Vormittag konnte er das spüren, was eigentlich nicht zu beschreiben ist: Seit dem Winter trainierte er darauf hin, wieder diese Kraft, diese Leichtigkeit zu haben. Er war noch nicht ganz da, wo er hinwollte, aber er merkte deutlich den Unterschied zum letzten Sonntag. Kam er vielleicht doch zu früh in Topform? Der schmale Grat, auf den er unweigerlich zusteuerte, war sehr schmal. Leicht konnte er ihn zu früh besteigen und hinabstürzen, bevor die für ihn wichtigen Rennen überhaupt begonnen hatten. Aber für den Moment zählte etwas anderes: Das Zeitfahren. Mit 8,8 km war es eigentlich eher ein Prolog. Hier würden nicht nur die absoluten Spezialisten vorne zu finden sein. Aber das kam ihm eher entgegen. Denn obwohl er kein schlechter Zeitfahrer war zählte er sich noch nicht zu der absoluten Elite.
Als er in den kombinierten Start-/Zielbereich hinein fuhr war es, als beträte er eine Arena. Viele gute Fahrer waren heute hier. Neben Andreas Klöden zum Beispiel auch Bradley McGee, Markus Fothen und einige andere. Es würde ein hartes Stück Arbeit werden.
Oft werden gerade die kurzen Distanzen unter Profis etwas belächelt. Aber Yuri merkte einmal mehr, dass das etwas kurzsichtig war. Gerade auf so einer Halbetappe musste man sich ziemlich präzise einfahren. Es waren schon einige Reserven weg, es gab eine kurze Pause, das Essen musste richtig getimt werden… Es war ein logistischer Alptraum. Der junge Russe verfügte jedoch über etwas, das ihm einen Vorteil verschaffte: Er konnte ziemlich gut auf seinen Körper hören und ihn auch verstehen. Entsprechend gut vorbereitet ging er auf die Strecke. Das Rennen selbst war nach den aufwändigen Vorbereitungen den ganzen Tag über eher eine Formalität. Eine Formalität, die sich für ihn als ganz angenehm herausstelle: Er wurde dritter, nur 3 Sekunden hinter Klöden und lediglich eine gute Sekunde hinter McGee.
Als er am folgenden Morgen nicht in Richtung Startlinie, sondern zurück nach Belgien fuhr tat er es mit einem Grinsen. Das Warten schien langsam ein Ende zu haben. Bis hier war alles Quälerei gewesen, doch von hier aus wurde es himmlisch. Alles, selbst das Training, machte Spaß. Man bewegte sich einfach noch einen der letzten Schritte auf die großen Rennen zu. Und bei diesen würde er glänzen können. Das wusste er jetzt.
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Beitrag: # 426434Beitrag arkon
14.5.2007 - 21:31

Manchmal reicht alleine schon der Blick zurück, um jemanden in seinen Ambitionen zu bestärken. So erging es Yuri Madarkady an diesem Morgen. Die letzte Woche... wie konnte man sie nennen? Es war schon eine starke Vorstellung gewesen, die er abgeliefert hatte. Er musste in sich hinein grinsen, als er an die Rennen in den Niederlanden und Belgien dachte. Aber heute... Hier, in Lüttich, würde er sich endgültig ganz nach vorn fahren. Er konnte fühlen, wie stark er war. Während er noch vor einer Woche am Sonntag sich nach dem Aufstehen gefragt hatte, wie es heute wohl ausgehen würde, so konnte er es schon jetzt kaum abwarten, in die entscheidende Rennphase zu gelangen und seinen Gegner zu zeigen, wie schwer sie heute würden leiden müssen, um sein Hinterrad zu halten.
Vorbei und vergessen war der Ärger der vergangenen Rennen. Noch im Amstel Gold Race, als er aus der Spitzengruppe kurz vor dem Cauberg heraus attackiert hatte und damit den an seinem Hinterrad klebenden Stefan Schumacher zum Sieg verholfen hatte, war er heftig von seinem Team, und vor allem von Samuel Sanchez, kritisiert worden. Der Grund: Sammy war vorne auf einer Soloflucht unterwegs gewesen und hatte sich Chancen ausgerechnet auf den Sieg. Vergeblich, davon war er überzeugt. Aber dieser kleine Hoffnungsschimmer, an den Samuel sich geklammert hatte, trug ihm teamintern große Kritik zu. Er hätte ihre einzige Hoffnung zerstört als er Schumacher quasi ohne eigene Kraftanstrengung zu seinem Teamkollegen nach vorn brachte. Das er Sanchez am Cauberg dennoch ohne Probleme hinter sich ließ und sich den zweiten Platz sicherte schien den Verantwortlichen dabei egal zu sein.
Beim Wallonischen Pfeil fuhr das Team dann eine ausgewogene Taktik: Sowohl ihm als auch Sanchez wurde die Gelegenheit eingeräumt, ihr Rennen zu gestalten, solange wie sie sich an alle Anweisungen hielten. Es war klar, dass Yuri’s Startplatz in Lüttich daran hing, wie stark er sich an dem orientieren würde, was man ihm vorgab. Er ging auch entsprechend zurückhaltend zu Werke. Aber als sich schließlich Valverde mit einer großen Gruppe auf den Weg nach vorne machte hielt ihn nichts mehr: Er sprang mit und tat sein bestes, um sich vorne zu halten. Als sie dann doch noch geschnappt wurden hatte er seine liebe Müh, sich noch vorne zu behaupten. Erst die starke Attacke von Matthias Kessler, dann der plötzliche Antritt von Rebellin. Er hatte nichts mehr zu bieten und musste Valverde und Di Luca den Vortritt lassen. Er hatte wieder zu früh seine Chance gesehen und nicht an sich gehalten.
Aber heute sollte es anders werden. Während sich die Sonne fast schon schüchtern mit ihren Strahlen über den Horizont tastete entstand in seinem Kopf das feste Bild von dem, was folgen sollte: Er würde gewinnen, egal, wer ihm welche Steine in den Weg räumen würde. Samuel war endgültig nur noch die Nummer zwei im Team, damit würde er sogar ein wenig mehr Hilfe bekommen als in den vorigen zwei Rennen. Aber gewinnen musste er am Ende alleine.
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Beitrag: # 426675Beitrag arkon
15.5.2007 - 20:55

Einige Stunden später fand er sich in einer ganz erstaunlichen Lage wieder: Wieder fuhr Stefan Schumacher voran, aber diesmal mit Samuel Sanchez an seiner Seite. Wieder jagten sie als Duett auf den Schlussanstieg zu. Aber diesmal lauerte er hinten, bei den Verfolgern. Die Hektik war schon ausgebrochen, die große Nervosität vor der entscheidenden Rennphase. Es war das Crescendo vor dem Finale, das langsame aufbauen der Spannung, und er war mittendrin. Er genoss es, die Betriebsamkeit um ihn herum zu beobachten. Helfer jagten durch das Feld, die Kapitäne blickten entschlossen nach vorne, manche versteckten sich aber auch mehr hinter ihren Sonnenbrillen, damit keiner ihre Sorgenfalten sehen konnte.
Ihm war das egal. Mit jeder Pedaldrehung, die er in Richtung Liege zurücklegte, fühlte er sich stärker. Das, was heute Morgen noch ein Flüstern gewesen war, war zu einem Brüllen angewachsen. Ungeduldig rutschte er auf seinem Sattel hin und her. Er wollte endlich loslegen. Aber er musste sich noch länger kontrollieren. Yuri wusste genau, was ihm in Amstel Gold Race und beim Fleche den Sieg verbaut hatte: Sein Temperament. Er musste den richtigen Moment abwarten. Und der würde erst kommen, wenn das Rennen richtig begonnen hatte.
Sammy und Schumacher wurden mit nur wenigen Sekunden Vorsprung im Funk angesagt. Das war es: Das Signal zum Aufbruch. Er richtete sich auf und schaute sich aufmerksam um. Die Gesichter seiner Gegner, ihren Tritt, ihr Sitz auf dem Rad. Jedes Detail sog er auf, studierte es genau. Es waren Nuancen, die einem verrieten, wer gleich losschlagen würde. Nuancen, welche er studierte, seit er das erste Mal ein Rennen gefahren war. Und er war mit der Zeit recht gut darin geworden.
Der erste Antritt kam von einem Liquigasfahrer. Es war nicht Di Luca, den hatte er im Auge. Wieder ein Blick auf die anderen, wer würde das Loch schließen? Cunego zuckte, Cunego fuhr. Und ab da ging es Schlag auf Schlag. Immer wieder ein Angriff, und immer wieder ein Konter. Es war ein sehr riskantes Spielchen, auf das sich Yuri einließ. Er schloss kein Loch, er wartete. Doch dann kam der Angriff von Schleck. Di Luca ging mit, doch wer würde die Lücke zufahren? Die beiden hatten sich den perfekten Moment ausgesucht: Eine Phase des gegenseitigen Anschauens. Auch Yuri schaute sich um. Das konnte doch nicht sein? Es waren genug Fahrer hier, die scharf genug auf den Sieg waren. Sie konnten die beiden doch nicht einfach so ziehen lassen? Er musste doch gewinnen!
Panik machte sich breit, und wie so oft war das erste Opfer dieser emotionalen Reaktion die Logik. Er trat an, kurz und hart, riss ein Loch zu den anderen und begab sich selber auf die Verfolgung. Voller Wut prügelte er die Pedale nach unten. Kein Blick zurück, nur nach vorne. Wo waren sie? Es war sein Sieg auf den die beiden es abgesehen hatten, sein Sieg! Als er die Kuppe des Côte de Saint-Nicolas überquert hatte schaute er sich kurz um. Er war alleine.
Auf der kurzen Abfahrt riskierte er alles. Er konnte den Windhauch spüren als er in seiner geduckten Haltung an den Ecken der alten Häuser vorbeirauschte. Fast hätte er einen Laternenpfahl mitgenommen, der etwas verdeckte hinter einer Kurve stand, doch er hatte Glück. Wo waren die beiden?
Fast hätte er geschrieen, als er sich urplötzlich im finalen Anstieg wieder fand, auf den letzten Metern nach Ans. Noch ein panischer Blick zurück bevor er sich mit aller Kraft dem Berg widmete. Hügel, wie manche Kletterer etwas spöttisch bemerkten, doch diese Hügel waren mehr als steil genug. Er musste aus dem Sattel gehen, wieder ein bisschen Geschwindigkeit aufnehmen. Es bestand permanent die Gefahr sich zu verschalten, absteigen zu müssen und innerhalb von wenigen Sekunden alles zu verlieren. So steil war es hier zum Glück nicht, aber er musste trotzdem ziemlich kämpfen. Doch er fand schnell wieder zurück in seinen Rhythmus, nahm Geschwindigkeit auf und jagte in einem gleichmäßigen Tempo den Berg hoch.
Auf einmal sah er sie. Er fuhr um eine Kurve und da waren sie. Er hatte noch nicht den letzten Kilometer erreicht und er hatte sie eingeholt. Hatte er vielleicht etwas übersehen? Etwas verwirrt schaute er sich um, kein Feld in Sicht. Plötzlich fiel ihm ein dass er ja den Ohrstöpsel besaß. Wie bei einem Fernseher, den man nach einer Werbepause wieder auf laut stellt schaltete er seine Ohren ein. Und hörte erstmal gar nichts. Es war ein Rauschen, unglaublich laut. Reflexartig schaute er sich um, woher das Geräusch kam. Und da begriff er: Es waren die Zuschauer. Er hatte sie schon fast perfekt ausgeblendet. Aber sie waren da und machten einen unglaublichen Lärm. Er nestelte etwas an seinem Ohr herum und hörte ein anderes Brüllen, das seines sportlichen Leiters. Fast überschlug sich seine Stimme, aber er gab zwischen vielen Anfeuerungsrufen immer wieder Abstände und Distanzen durch. Und was er hörte, gefiel Yuri. Mit einem Grinsen, einer hämischen Fratze richtete er sich auf und sprintete locker und leicht die letzten Meter zu den beiden Ausreißern empor. ‚Ihr nehmt mir heute meinen Sieg nicht weg!’ schien sein Gesicht zu schreien, als er ihnen im vorbeifahren einen kurzen vernichtenden Blick zuwarf.
Aus den Augenwinkeln erhaschte er, wie di Luca an sein Hinterrad sprang, aber da war sein Fokus schon längst wieder nach vorne gewandert. Seine Beine hämmerten jetzt mit der Gewalt einer ganzen Höllenschmiede auf die dünnen Karbonrohre ein, die seine Schuhe in ihrer Kreisbahn hielten. Wenn er aus dem Sattel ging und seiner Lunge einer kurzen Moment der Erholung gönnte lag etwas auf seiner Zunge… es war ein komischer Geschmack, es schmeckte nach Sieg.
Die restliche Fahrt hinauf verschwand für ihn mehr in einem Nebel. Er funktionierte, sein Geist stand irgendwo daneben und befand das ganze für Gut. Schließlich… schließlich war er oben. Angekommen an dieser wohl berühmtesten aller Kurven im Radsportzirkus, vielleicht abgesehen von der Einfahrt in das Velodrom in Roubaix. Ungläubig blickte er sich um: Keiner war zu sehen. Reflexartig zog er den Reißverschluss an seinem Trikot zu, gönnte sich aber noch keine Ruhe. Wieder blickte er sich, wieder war keiner da. Hatte er etwas verpasst? Er schaute sich um, sah die jubelnde Masse: Nein, er hatte nicht verpasst, alles war so, wie es gehörte. Er gewann. Wieder ein Blick zurück, wieder war nichts zu sehen. Und wieder stellte er sich die Frage: Ist das alles Echt? Er traute sich noch nicht, sich auf zu richten. Erst als er kurz vor der Ziellinie war und unter seinem Arm hinter sich den abgeschlagenen di Luca erspähen konnte wusste er es: Es war kein Traum.
Mit Tränen in den Augen und einem riesigen Lächeln auf den Lippen richtete er sich auf, streckte seine Arme nach oben und warf seine Sonnenbrille von sich. Er hatte gewonnen! Er hatte es geschafft!
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Beitrag: # 427933Beitrag arkon
19.5.2007 - 19:33

Er blätterte in einem Radsportmagazin, welches hier zufällig auf dem Tisch in der Lobby lag. Es war vom Anfang dieser Woche und enthielt ein großes Siegerinterview mit Yuri Madarkady. Lächelnd las er es, immer an den jungen Radprofi hinter diesen Zeilen denkend. Er hatte seinen Triumph im Fernsehen verfolgt und direkt danach mit ihm telefoniert. Es konnte kaum einen Menschen geben, der sich mehr als Jerdona Zeres für Yuri freute. Er hatte ihn direkt überredet, hierher zu kommen. Zur Tour de Romandie. Eigentlich wollte sich der frischgebackene Sieger der Doyenne erst einmal eine Auszeit gönnen und erst zur Dauphine wieder auf der Rennbühne erscheinen. Aber Jerdona konnte ihn umstimmen zu einem lockeren gemeinsamen Ausrollen in der Schweiz.
Er war schon hier. Seit 3 Tagen hatte er sich in ein Luxushotel des teuersten Jet-Sets eingebucht und trainierte hier zusammen mit Emanuel. Nur hier konnte er sich erhoffen, ideale Trainingsbedingungen zu finden. Das fing schon bei dem Küchenchef an, der ihm die Nudeln abwog und setzte sich mit zahlreichen anderen Schrulligkeiten fort. Radprofis trainierten gerne zu Hause und waren an für sich genügsame Geister, aber Jerdona hatte das Geld und wollte einfach einmal stressfrei unter idealen Bedingungen trainieren. Hinzu kam, dass man hier noch genug war, um von einem Höhentrainingslager zu sprechen, und zum anderen sparte er sich die nervige und stressige Anfahrt zur Romandie-Rundfahrt.
„He, du Fettklops“ schallte ein durchdringende Bariton durch die gesamte Lobby. Er ließ die Zeitung sinken und blickte, wie die meisten anderen, gut betuchten Gäste, auf einen herannahenden Spanier. Emanuel ließ auf solche Sprüche immer ein gut gelauntes, volles Lachen folgen, so dass man ihn eigentlich kaum missverstehen konnte.
Sein Trainer haute ihn mit einem weiteren Lachen auf den Bauch und ließ sich in den Ledersessel neben ihm fallen.
„Was ließt du den da wieder feines?“ ohne seine Antwort abzuwarten zog er ihm einfach die Zeitung aus den Händen. So war er, meistens früh am Morgen. Emanuel fühlte sich zunehmend ungezwungen in seiner Gegenwart. Wenn er daran zurückdachte, mit welcher Distanz sie sich zwischenmenschlich noch vor einigen Monaten begegnet waren kam ihm diese Verwandlung schon fast merkwürdig vor. Vielleicht waren es auch einfach die neuen Aufgaben: Im Team selbst betreute er noch einige andere Fahrer, zum Teil älter als er selbst. Und alle hörten auf ihn wie auf einen Gott. Seine Autorität war in der Fachwelt nach der letzten Saison durch die Decke geschossen und er konnte sich zusehends einfach auf seine Kompetenz verlassen, wenn er mit Fahrern sprach. Was auch immer die Gründe waren, Jerdona genoss die Verwandlung von Emanuel. Denn seine Manieren hatte er nach wie vor nicht vergessen.
Sie plauschten eine Weile über die heutige Trainingsroute, über Intervalle, Pulsfrequenzen, Muskelgruppen, Blutdrücke und anderem Kram, als sie durch ein lautes „Jerdona? Jerdona Zeres?“ unterbrochen wurden. Nationalheld hin oder her, Tour de France-Sieger, Hoffnung einer ganzen Radsportgeneration, er hasste es. Jedes Mal, wenn er in der Öffentlichkeit erkannt wurde, mochte er sich am liebsten verstecken. Entnervt, fast flehendlich schaute er sich um, den Störenfried seiner Ruhe zu identifizieren. Mehr als überrascht erkannt er Chloe.
Mit einem Lächeln im Gesicht eilte sie zu ihm herüber, während ihre Bodyguards etwas verwirrt schauten. Er stand auf, sie zu begrüßen, und wurde mit einem eher amerikanisch anmutenden Küsschen links, Küsschen rechts belohnt. Nachdem sie sich gesetzt hatten brachen beide die sich einstellende Stille fast gleichzeitig.
„Was machst du denn hier?“
Sie lachte laut, expressiv, amerikanisch, er grinste eher in sich hinein.
„Das übrigens ist mein Trainer, Emanuel.“ Er lehnte sich zurück und ließ die beiden einen Handschlag austauschen. Noch bevor er Chloe vorstellen konnte hatte diese das bereits für sich erledigt. Es passierte ihm selten, dass er einfach an die Wand gedrückt wurde, noch dazu von einer Frau. Aber er hatte hier eindeutig nicht das Kommando.
„Du fährst mal wieder Rad? Na ja, so fleißig wie du bin ich nicht“
Eigentlich sah sie ja mal wieder zum anbeißen aus. Mal wieder? So schön hatte er sie definitiv nicht in Erinnerung.
„Ende der Woche fahr ich hier noch ein Rennen, die Tour de Romandie.“
„Oh wirklich? Aufregend. Ich hab ja keine Ahnung von den ganzen kleineren Rennen.“
Er wollte sie instinktiv unterbrechen und korrigieren, aber dass die Romandie-Rundfahrt eigentlich eher bedeutend und althergebracht war konnte ein Außenstehender ohnehin kaum verstehen.
„Aber ich hab ja sowieso keine Zeit… Ich bin nur für ein Shooting hier, dann noch ein kleiner Gig und sofort geht’s weiter… Das ist echt ein beschissen stressiges Leben.“
Er musste instinktiv auf ihre Brüste schauen, ihre Nippel. Sein eigentlich alles andere als unauffällige Blick wanderte unbewusst weiter abwärts, ihre Schenkel, ihre Beine…
„Ich werd mal schauen, ob ich wenigstens die Tour schauen kann, sagen wir mal die wichtigen Bergetappen.“
„Wenn du dir die Zeit dafür nimmst wirst du mich auch mal ‚in Action’ erleben können“ brachte er noch über seine Lippen. Sie war echt unglaublich. Nicht nur schön, nicht nur sexy, sondern alles zusammen und viel mehr als das. Eine solche Frau hatte er noch nie gehabt.
„Hehe, das wär ja mal ein weiterer Anreiz. Aber ich fürchte, das wird eher nichts.“
Außerdem war es ihm noch nie passiert, dass er selber angegraben wurde. Bisher hatte er immer die Initiative ergriffen. Aber dass sie über alle Maßen ungewöhnlich war stellte nur schwerlich eine Neuigkeit dar.
„Wie sieht es denn mit der Tour de Romandie aus. Wirst du gewinnen? Ich jubele ja nur Siegern zu“
Aber eigentlich hatte er überhaupt lange keine Frau mehr gehabt. Genau genommen seitdem er ernsthaft mit dem Radsport angefangen hatte. Anna… ja, Anna hatte es einfach nicht verstanden. Aber Chloe schien schon eher aus seiner Welt zu stammen.
„Ich tue mein möglichstes. Aber damit ich nicht völlig untergehe muss ich mal trainieren gehen. Lass uns mal heute Abend treffen, dann können wir weiterreden. Was hältst du von 7 Uhr hier in der Lobby?“
Sie schaute nur den Bruchteil einer Sekunde überrascht.
„Soll das ein Date sein?“ bemerkte sie, während sie ihren PDA zückte.
„Ja“ schoss Jerdona knallhart zurück.
„Ok, sieben Uhr. Ist ein bisschen früh zum Essen, oder?“
„Erstens esse ich sonst eher um halb sechs und zweitens werden wir uns ja wohl nicht aufs Essen beschränken.“
Mit einem zwinkern und einer Umarmung verabschiedete er sich zum Training.
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Squeezer
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Beitrag: # 428128Beitrag Squeezer
20.5.2007 - 15:36

Yeah meinen Lieblings-AAR gibts ja auch noch:) werd direkt mal alles lesen, ist bestimmt noch so gut wie am anfang :D

slomi
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Beitrag: # 432447Beitrag slomi
2.6.2007 - 19:01

Nachdem ich nach sehr langer Zeit wieder einmal dazugekommen bin AArs zu lesen, muss das jetzt einfach sein:

Dein AAR war, ist und wird wohl auch immer auf dem höchsten Niveau sein!
Auch wenn du durch einige Themen Probleme mit den Mods hattest oder dir die Motivation flöten gegangen ist.

Nehme an du weist das mittlerweile aber du hast früher viel zu viel an dir selbst gezweifelt :lol:

Mfg
Qualle als Hut ist Gut, aber Mineralwasser ist nasser.

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Beitrag: # 434154Beitrag arkon
10.6.2007 - 23:27

Es war ein harter Monat gewesen. Nachdem Jerdona den Großteil der Winterpause und nun auch viel zu viel Zeit des Frühjahrs verplempert hatte war Anfang Mai für ihn der Moment gekommen, ernsthaft auf die Tour hin zu trainieren. Das entscheidende Erlebnis für diesen Wechsel war sicher die Tour de Romandie gewesen: Nach seinem Sieg im Zeitfahren im Vorjahr war er hier durchaus mit dem Vorsatz gestartet, sich ein paar Mal am Berg zu testen. Heraus gekommen war ein totales Desaster: Während Fabian Schmidt, ausgeruht nach einer für ihn unspektakulären Rundfahrt, den Sieg im Zeitfahren einsackte, war er schon wieder in Spanien: Die erste Bergetappe war schon zu viel für ihn gewesen. Sicher, er hätte kämpfen können. Aber das Signal war für ihn deutlich genug: Entweder er fing an zu trainieren, oder er würde die Tour de France nicht einmal beenden können.
Und während sich Schmidt feiern ließ und auf der Liste der Herausforderer in Frankreich nach oben rückte, strampelte sich Jerdona die Seele aus dem Leib. Emanuel war nur selten da, aber auch für ihn war der Spaß endgültig vorbei. Von einem Tag auf den anderen war das Leben des baskischen Volkshelden von Paradies auf Hölle umgeschlagen. Mit einem Fleiß, den er bei sich selber schon lange nicht mehr bemerkt hatte ging er auf die Jagd, die Jagd nach sich selber. Und jeden Abend, wenn er sich selbst erlegt hatte und völlig ausgepumpt versuchte, mit zittrigen Armen ein paar trockene Nudeln in sich hinein zu stopfen, da wurde ihm bewusst, was er an diesem Sport liebte, was er seit fast einem Jahr vermisst hatte. Endlich war er wieder gemein genug, um sich selber zu bestrafen.
Das Team war ihm egal. Er bekam ohnehin nicht viel mit. Yuri schien sich mehr als nur wohl zu fühlen. Bei der Tour de Romandie hatte er scheinbar spielerisch die Kapitänsrolle seines Freundes übernommen und sich auf den Bergetappen achtbar geschlagen. Mit nur wenigen Sekunden Rückstand war er im Zeitfahren gestartet, wo im der zweite Platz zum Gesamtsieg reichte. Die Teamleitung, in heller Aufregung, ob er nicht beim Giro als Kapitän starten würde, verprellte er einmal mehr, als er ablehnte: Sein Fokus lag auf der Tour, wo er seinem Freund und Förderer zum Gesamtsieg verhelfen würde. Nicht mehr und nicht weniger.
‚Vorsicht!’ gellte es in ihm. Er war gerade noch so einem Stein ausgewichen. Jerdona konzentrierte sich wieder auf die Straße. Das Training war zwar eintönig aber man konnte mit den Gedanken dennoch nicht komplett in anderen Sphären weilen. Kopfschüttelnd wandte er sich wieder nach vorne, seiner Ausfahrt zu. Er konnte sich nicht mehr viele Rückschläge leisten, eigentlich gar keine: Während Schmidt sicher schon so gut in seinem Trainingspensum war, das ihm eine Erkältung kaum noch etwas würde anhaben können, so konnte für ihn schon der Sturz über so einen Stein, vielleicht mit einer Prellung und einem Trainingsausfall von zwei, drei Tagen, viel zu weit zurück werfen.
Er schwang sich wieder aus dem Sattel und gewann ein wenig Schwung bergan. Die Berge hier im Baskenland waren zwar allesamt nicht mächtig, aber doch sehr kräftezehrend und steil genug. Er freute sich auf die Dauphine, bei der endlich wieder auf einem hohen Niveau Rennen fahren würde. Wenn er schon litt, dann sollten sich die anderen wenigstens hinter ihm quälen, nicht vor ihm. Auch gefiel ihm die Aussicht, gemeinsam mit Yuri Rennen zu fahren. Und, je näher es auf die Tour zuging, desto größer wurde die Vorfreude. Die Anspannung, der Druck, all das hatte er nun schon geraume Zeit auszuhalten. Aber so richtig dagegen anzukämpfen fiel ihm schwer. Seine Trainingsmoral in allen Ehren, aber er war Rennfahrer um Rennen zu fahren, nicht, um sich wochenlang alleine abzustrampeln. Im Anschluss an die Dauphinee würde er noch eine letzte Erkundungsfahrt mit seinem dann mittlerweile feststehenden Tourteam über die entscheidenden Etappen der Tour machen. Das Eindhoven Team Time Trial war im Fahrplan auch als Station eingetragen. Es war bitter nötig, dass sich wenigstens das Tour Team ein wenig zusammenfand. Dann kamen die Landesmeisterschaften, und dann endlich… Er hatte seinen Flug nach London schon gebucht. Vor drei Tagen hatte er es nicht mehr ausgehalten: Statt mit dem Rest des Teams zu fahren hatte er sich voller Vorfreude einen Flug nach Heathrow gebucht. Schon der Klang des Flughafens zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen. Bald war es soweit! Nicht mehr lange, dann…
Der Schuss schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Instinktiv hielt er an, lauschte dem eindrucksvollen Echos des lauten Knalles. Mit einigen Herzschlägen Verzögerung pumpte sein Körper die volle Ladung Adrenalin in seinen Kreislauf. Sein Gehirn schaltete abrupt drei Gänge nach oben und sein Fokus verschob sich aus irgendwelchen wirren Gedanken schlagartig auf das hier und jetzt. Mit seinem vollen Bewusstsein filterte er die Sinneseindrücke. Das war es, was im Allgemeinen als geistige Zeitlupe interpretiert wurde: Er konnte all das, was in Normalfall an ihm vorbeiplätscherte, voll erfassen. Sein Gehirn sortierte gnadenlos jeden seiner Gedanken aus. ‚Bin ich verletzt?’ - unwichtig. ‚Wer schießt da?’ – völlig nebensächlich. ‚Woher kommen die Schüsse?’ – für den Moment nebensächlich. ‚Wie kann ich mich schützen?’ – wichtig. Sehr wichtig! Fliehen. Flucht! Es dauerte nur Bruchteile von Sekunden ehe Jerdona wieder auf dem Rad saß und mit aller Kraft bergab beschleunigte. Er musste weg hier! Als er den Stein von eben wieder erreichte fuhr er unbewusst eine Welle, der zweite Schuss krachte. Ohne Zweifel, es war ein Schuss. Er raste bergab durch eine Staubwolke hindurch, die wohl die Kugel aufgewirbelt haben musste. Er fing an, Schlangenlinien zu fahren. Da hinten, die Kurve! Dahinter musste er sicher sein. Er würde sicher sein. Mit halsbrecherischem Tempo raste er um die Ecke. Kein Verschnaufen, keine Pause. Bis zum Fuße des Anstieges bolzte er Tempo. Unten kam er hechelnd und total ausgelaugt, aber unversehrt an. Er hatte überlebt.

So, hoffe, das sich langsam meine Motivationsprobleme legen. Das Frühjahr ist ja fast vorbei... Hab die letzten Wochen PCM gezockt, Karriere... Ja, so ab und zu spiel ich ja auch. Danke an die treuen Leser!
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Beitrag: # 434170Beitrag arkon
11.6.2007 - 10:20

Gern hätte Jerdona Dave auch direkt angerufen, nur er hatte die Nummer nicht. Wahrscheinlich aus gutem Grund. Und als er in seinem Zimmer saß, die Szene nochmals rekapitulierte und an Dave dachte, beschlichen ihn selber Gefühle und Ängste, die er vorher nur Dave zugetraut hatte. Er packte hastig ein paar Sachen zusammen, hetzte nach draußen und rauschte in seinem Auto weg. Wenn sein Attentäter nicht aufgrund seines Pechs aufgegeben hatte dann würde er wohl ziemlich schnell auf die Idee kommen, ihn bei sich zu Hause aufzuspüren. Sein Handy, sein Telefon… all das kam ihm auf einmal nicht mehr sicher genug vor. Er fuhr nach Vitoria, zum Flughafen. Erst hier, unter der großen Menge an hin- und herhetzenden Passanten fühlte er sich wieder etwas wohler. Eilig suchte er sich eine Telefonzelle, in der erstmal tief durchatmete. Aus seinem Handy suchte er die Nummer von Tobias heraus.
‚Bitte, sei zu Hause!’ schallte es durch seinen Kopf. Doch er wurde nicht erhört. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Er legte auf ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Tobias musste auf der Arbeit sein. Er musste ein wenig suchen, doch auch diese Nummer hatte er bei sich.
„Verlagshaus Der Gegensatz, Müller-Wagenrad am Apparat, was kann ich für sie tun?“ flötete eine genervte, hohe Stimme durch die Leitung.
„Ja, Guten Tag, hier ist… äh, ich würde gerne Tobias Schuster sprechen, ja… sagen sie ihm, es wäre dringend“
„Wen soll ich melden?“ schoss die Telefonistin routiniert zurück. Jerdona wechselte den Hörer in die andere Hand und wischte sich den Schweiß an seiner Hose ab.
„Fabian Schmidt, melden sie Fabian Schmidt“ Er konnte das Stirnrunzeln durch das Telefon hören. Er war mehr als nur ein schlechter Lügner.
„Tobias Schuster, Guten Tag“
„Tobias? Hallo, hier ist Jerdona“
„Ah, Hallo Jerdona. Die ungevögelte Tussi unten am Anfang hat mir Fabian Schmidt gemeldet. Ich dachte mir so ‚Fabian Schmidt? Will der schon die Kapitulation aushandeln?’. Aber hat mich gleich ein wenig gewundert, denn dein großer…“
„He, hör mal kurz zu. Ich bin in Vitoria am Flughafen. Es wurde auf mich geschossen, auf einer Trainingsausfahrt. Ich… Ich weiß absolut nicht was ich machen soll. Kannst du Dave anrufen?“
Tobias schluckte hörbar.
„Kein Scherz?“
„Nein“
„Hör zu. Du… Ich ruf Dave an. Bleib in Bewegung. Warum hast du nicht die Polizei angerufen?“
Die Stille war mit beiden Händen zu greifen.
„Polizei?“
„Oh, Jerdona, du kannst froh sein, das du gut Radfahren kannst. Also, geh zur nächsten Wache. Auf dem Flughafen gibt’s sicher eine. Da bist du erstmal sicher. Ich ruf Dave an und schau, was er meint. Bis dahin bist du glaub ich bei der Polizei recht sicher. Wenn du willst, dann kommt Dave runter. Mittlerweile kannst du ihn ja ordentlich entlohnen. Und wenn er… ach egal, er managt das schon. Und du gehst zur Polizei, verstanden?“
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Beitrag: # 434211Beitrag Exelero
11.6.2007 - 16:24

Erstmal freut es mich das du weiter machst und ich hoffe auch das deine Motivationsprobleme erledigt sind.

Dann zum Post...wahnsinn, solch eine Wendung, also wäre das ein Buch würde ich das jetzt zu Ende lesen und wer es eine Serie würd ich fluchend durchs Haus rennen, also schnell weiter machen.

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Beitrag: # 434281Beitrag arkon
12.6.2007 - 12:48

Mit jedem Tag, der verging, wurde er nervöser. Es war kein Grummeln in der Magengegend, kein elektrisierende Spannung, welche einem die Haare zu Berge stehen ließ. Vielmehr war es eine Unruhe, eine ihn ständig begleitende. Morgens, wenn Fabian aufstand, konnte er es fühlen. Abends, wenn er sich in Bett legte, verschwand es nicht. Sie war bei ihm, während jeder Trainingsausfahrt, bei jeder Mahlzeit, in allen Konferenzen. Sie verließ ihn nie. Und sie wurde immer größer.
Lange Zeit hatte er versucht, mit zusätzlichen Renneinsätzen, bewussten Pausen vom Trainingsalltag und möglichst spontanen Planungen dem unvermeidlichen Entgegen zu wirken. Aber die Lage spitzte sich zu. Die Verantwortung, bei seinem nächsten Start bei der Tour de France alleine an der Spitze eines der größten Rennställe des Starterfeldes zu stehen drohte, ihn zu zermalmen.
Er war keiner der asketischen Arbeiter, welche sich in brutalen und masochistischen Ausfahrten der Möglichkeit des Denkens beraubten. Er war auch keiner der lockeren Sunnyboys, für welche die Führung eines Teams eigentlich nur einen Unterschied auf dem Gehaltscheck und in dem Beistand während des Rennens bedeutete. Er nahm seine Aufgabe ernst. Er wollte nicht nur gewinnen, er wollte das Team zum Sieg führen. Ihm war das Ruder eines seiner Kindheitsträume anvertraut worden. Es war, wie wenn man ein Kleinkind von seinem Bobbycar in einen Formel 1-Boliden verfrachtete. Der Sprung war hart, drastisch und unerwartet. Die Monate, die seither vergangen waren, machten das Erbe nur noch schwerer.
Die inneren Vorgänge, die Mechanismen innerhalb der Mannschaft waren ihm mittlerweile vertraut. Er kannte die Leute hinter den Kulissen, wussten von ihren Aufgaben und Zuständigkeiten. Wenn etwas schief lief dann kannte er den Schuldigen. Fabian war eingearbeitet in die Führung von T-Mobile.
Aber das machte es für ihn nicht einfacher. Klar, seine Aufgabe schien relativ simpel: Solange er bei der Tour antrat, in Topform war und alle anderen in Grund und Boden fuhr machte er seinen Job Klasse. Der Haken war nur: Er rechnete nicht damit, das er wirklich den Sieg davon tragen würde. Für ihn ging es um Verbesserung. Vielleicht ein Podiumsplatz, gewürzt mit einigen Etappensiegen. Der Toursieg, das war für ihn nie ein Thema gewesen, jedenfalls nicht bis er angefangen hatte, sich einen neuen Rennstall zu suchen. Bei den meisten war er dann ganz automatisch für den Sieg beim wichtigsten Rennen der Welt eingeplant worden. Nicht, das ihn die Möglichkeit gestört hätte. Es war vielmehr der Druck, den Erwartungen denn auch gerecht zu werden.
Dass das Ende seines Weges abzusehen war machte es nicht einfacher. Die Tour de Suisse, die beiden Deutschen Meisterschaften, das war sein Programm. Es würde durch eine letzte Streckenbesichtigung in den Pyrenäen im Vorfeld der Schweizer Rundfahrt abgerundet werden. Und dann? Frans versuchte ihn ein wenig zu beruhigen, indem er den nun folgenden Monat minutiös plante. Die Flüge waren gebucht, die Hotels reserviert, die Räder standen bereit, die Leute waren informiert, die Bühne war bereitet. Er musste nur noch den Gang wagen.
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

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