Jerdona Zeres [Vuelta 2007 - beendet]

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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arkon
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Beitrag: # 453995Beitrag arkon
28.7.2007 - 23:58

Zeitfahren war eine simple Angelegenheit. Losfahren, treten, ankommen, Bestzeit haben. Man musste sich die Strecke einteilen, natürlich. Man brauchte ein bisschen Technik, selbstverständlich. Und die Form musste stimmen, auch keine Neuheit. Aber das war es dann auch. Taktik, Psychologie, all das nütze nichts...
So oft sich Fabian das versuchte einzureden, er konnte es einfach nicht glauben. Zum ersten Mal seit er die Tour fuhr hatte er Probleme, einzuschlafen. Es war seine dritte Frankreichrundfahrt und zum ersten Mal war er nervös, verdammt nervös. Morgen war sein Tag. Es gab keine anderen Möglichkeiten. Sein Team hatte für morgen gearbeitet. Nicht für heute, nicht für übermorgen, für die bevorstehende Etappe. Die Chancen waren schlecht, mit Gelb bis nach Paris zu kommen. Aber darum ging es eigentlich gar nicht: Der Morgige Tag würde darüber entscheiden, ob er in den Kampf eingreifen konnte.
Heute war er vorsichtig gefahren, hatte versucht, den Schaden einzudämmen, nicht zu viel Kraft zu verschleudern. Er war zufrieden gewesen mit seiner Leistung. Im Vergleich mit den anderen hatte er sich gut gehalten. Aber nicht im Vergleich zu ihm. Zu Jerdona Zeres.
Er hatte Angst. Er konnte es nicht verbergen. Zeres hatte angekündigt, im Zeitfahren in der Defensive zu sein. Er würde sein Trikot verlieren. Die entscheidende Frage war nur: Konnte Fabian ihn hinrichten? Konnte er ihn zerbröseln? Er musste ihm Morgen nicht Gelb abnehmen, er musste ihm viel Zeit abknüpfen. Es waren zu viele Bergetappen, die noch bevorstanden, und zu wenig Zeitfahren. Er brauchte viel Zeit. Das war sein Ziel. Das erwarteten alle.
Mit einem letzten Seufzer drehte er sich um. Würde er Zeres in die Knie zwingen können? Er konnte den Kampf kaum noch abwarten.
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arkon
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Beitrag: # 454987Beitrag arkon
31.7.2007 - 0:02

Er saß gerade beim Frühstück. Gute Laune sah anders aus, aber wer Jerdona kannte, der wusste, dass man über solche Phasen hinweg schauen musste. Von außen betrachtet saß er missmutig über seinem Teller und löffelte sein Frühstück in sich hinein. Aber es war keine schlechte Laune. Es war auch nicht die Anspannung vor einer entscheidenden Etappe. Es war seine Art, sich zu konzentrieren. Und heute schien er wirklich alles andere auszublenden. Seine Mannschaftkollegen, die ihn noch nicht gut genug kannten, um solche Phasen einfach zu tolerieren, hielten respektvoll Abstand. Emanuel setzte sich direkt ihm gegenüber, störte sich auch nicht daran, zur Begrüßung nur ein müdes Knurren zu erhalten.
Womit aber auch er nicht gerechnet hatte: Yuri schneite zur Tür herein. Mit einem breiten Grinsen und ganz in ungewohnten Zivilklamotten stürmte er in den Essenssaal. Jerdona hob kaum den Kopf. Aber alle anderen atmeten hörbar auf und erwiderten seinen Gruß. Der Retter war eingetroffen!
Yuri schlich um den Tisch herum und haute, ohne Vorwarnung, Jerdona mit aller Kraft auf sein Schulterblatt. Der tödliche Blick, mit dem er herumfuhr, wich sofort freudiger Überraschung. Er stand auf und fiel dem jungen Russen um den Hals.
„Yuri, alte Socke, du kommst genau richtig!“
Sie blickten sich einen Moment an. Die umstehenden konnten fühlen, wie die Energie, die Freude zurück in die Knochen des Basken kroch. Er setzte sich noch einmal an den Tisch, vorne auf die Kante seines Stuhles. Begierig fragte er Yuri darüber aus, wie er in den letzten Tagen trainiert hatte, wie seine Verletzung voran kam und wie es ihm sonst ging, also abgesehen vom Radfahren. Der Freundlichkeit halber hörte sich Jerdona kurz die Geschichten an, die Yuri über sein Haus in Belgien erzählte. Interessieren tat es ihn nicht wirklich. Er würde ihn bald einmal besuchen kommen, aber dann würden sie auch nur trainieren.
Endlich hatte er fertig gegessen und sie konnte nach draußen. Wie zwei kleine Schuljungen kamen sie Emanuel vor. Der eine musste unter den gestrengen Augen der Mutter aufessen, und kaum waren sie fertig huschten sie mitsamt ihrer Energie und ihrem Tatendrang hinaus. In diesem Fall holte sich Yuri kurz ein Bergrad, das er mitgebracht hatte, aus seinem Auto. Jerdona bekam sein Rad für die Streckenerkundung von einem Techniker. Er würde schon sein Zeitfahrrad benutzen. Er hatte in den letzten Wochen zu wenig darauf trainiert, daher musste er die Haltung auf der Maschine und das Gleichgewicht trainieren.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg durch die Stadt, die überquoll vor Menschen. Dave hatte ihre Abfahrt verpasst, aber Emanuel hatte ihm Bescheid gesagt. Wie die Feuerwehr schoss er in einem Teamwagen wildhupend durch die engen Straßen, auf der Suche nach den beiden entlaufenen Radprofis. Er holte sie erst im abgesperrten Bereich ein, ein paar hundert Meter hinter dem Starterhäuschen. Erleichert schaltete er herunter und zuckelte hinter seinen Schützlingen her. Zu plastisch standen ihm noch die Bilder vom Ventoux vor dem inneren Auge, als das er Jerdona wirklich guten Gewissens alleine aus dem Hotel lassen konnte. Aber anstatt sich über die fehlende Unterstützung seines Schutzes seitens des Basken zu ärgern nahm er es eher gelassen: Offensichtlich schätzte er als einziger die Lage als so kritisch ein. Er konnte damit leben. Er war schließlich der Spezialist.
Jerdona und Yuri strampelten in aller Ruhe über die Strecke. Links und rechts waren immer mal wieder Fans zu sehen, die ein Stück mitliefen und ihre Stars anfeuerten. Sie waren bei weitem nicht die einzigen Fahrer, die diese Gelegenheit wahrnahmen: Ihnen entgegen kam eine ununterbrochene Reihe an Profis, die vom Ziel zurück zum Start rollten. Die Zeitmesspunkte waren schon fast aufgebaut. Hier und da stand immer mal wieder ein Auto herum. Techniker wuselten herum, letzte Drähte wurden gespannt, Kameras justiert. Die Vorbereitungen waren noch nicht ganz abgeschlossen.
Fast flach ging es die ersten Kilometer durch das Tal, hinaus aus Bourg-Saint-Maurice, vorbei am kleinen St. Bernhard-Pass. Die Kehren des ersten Anstieges führten sie durch die kleine Ortschaft Sainte-Foy-Tarentaise. Knapp 600 Einwohner genossen hier den Blick hinaus auf ein wunderbares Alpental. Eng drängten sich die Häuser auf der rechten, auf der Bergseite an die Straße heran. Nach fünf steileren Kilometer flachte der Anstieg wieder etwas ab. Immer tiefer ging es hinein in die Alpen, enger und enger wurde das Tal. Die Isere, der kleine Fluss, dessen Werk dies alles sein sollte, plätscherte friedlicher dichter und dichter an dem engen Asphaltsträsschen entlang. Dann machte das Tal eine Biegung und die Straße stieg brutal an hin zu dem Stausee, durch den die Isere floss. Hier, auf diesem Teilstück, würde sein Kampf stattfinden. In der Mitte dieser Rampen befand sich die letzte Zwischenzeitnahme. Kritisch beäugte Jerdona das weiße Transparent, welches die Straße überspannte. An dieser Station würde sich spätestens zeigen, ob er eine Chance hatte, Gelb zu verteidigen. Langsam, fast wie Radtouristen rollten sie den Berg hinauf. Auf dem kleinen Betonmäuerchen zu ihrer rechten saßen immer wieder Hobbyradler, die die Aussicht genossen. Die Straße war hier zu eng für ein wirkliches Zuschauerspalier. Die Fans würden trotzdem hier warten und das einzigartige Spektakel veranstalten, für welches die Tour so berühmt war.
Nachdenklich rollten sie am Stausee entlang. Rechts, den Berg hinauf, lag die kleine Ortschaft Tignes. Würde das Zeitfahren dort enden, dann würde er sich sicherlich nicht so viele Sorgen machen. Dann hätte es zumindest den Namen Bergzeitfahren verdient. So aber wusste keiner so recht was man von dem Tag erwarten sollte, erwarten durfte. Die letzten zwei, drei Kilometer hin nach Val d’Isere schlängelten sich am See entlang. Entsprechend flach waren sie auch. Und windig. Schneidend pfiff ihnen der Fallwind ins Gesicht. Vor ihnen lag der Iseran, über dessen Gipfel sich Wetter und Wolken in das Tal wuchteten. Schweigsam kamen die beiden Freunde im Ziel an und kehrten ohne Halt um. Es würde in der Tat ein schwerer Tag werden. Heute konnte sich die Tour entscheiden. Jedenfalls zu Jerdonas Ungunsten.

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Ricardo84
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Beitrag: # 454991Beitrag Ricardo84
31.7.2007 - 0:06

einsame Spitze hehe! was soll man noch groß dazu sagen... hatte bei dem Post das Gefühl als würde ich selbst am Tisch neber Jerdona Zeres sitzen und seinen Gefühlswechsel live miterleben! 8)

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arkon
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Beitrag: # 455099Beitrag arkon
31.7.2007 - 11:56

Unruhig rutschte er auf seinem Sattel hin und her. Mit unterschiedlichen Kadenzen und Übersetzungen bearbeitete Jerdona das auf die Rolle gespannte Rad unter ihm. Emanuel beäugte neben ihm nervös den Monitor, auf dem fortwährend Puls, Leistung, Trittfrequenz und ein paar andere Sachen aufgezeichnet wurden. Hin und wieder bewog er seinen Schützling mit Gesten, langsamer zu treten. Allein: Die Reaktion blieb aus. Jerdona war bis obenhin voll mit Adrenalin. Wie ein Berserker fuhr er schon beim Warmfahren seine Beine leer. Kurzerhand schaltete Emanuel seinen MP3-Player aus und verordnete dem Heißsporn eine Pause im Bus. Mit warmen Wickeln an den Beinen setzte sich also Jerdona in den Bus, aß noch ein Paar Bissen und ging mit Yuri noch einmal über eine Streckenskizze.
Draußen fuhr derweil Cancellara eine erste Bestzeit ein. Millar unterbot ihn knapp, Leif Hoste positionierte sich ebenfalls weit vorne. Die Spannung stieg. Der Tagessieg war für die nun startende Elite nebensächlich. Das Gesamtklassement war das allgemeine Ziel. Vinokourov ging als erster dieses erlesenen Zirkels auf die Strecke, war aber schon bei der ersten Zwischenzeit weit zurück. Offensichtlich steckte ihm der Sturz doch noch mehr in den Beinen, als er es zugeben wollte. Zeres starrte auf ein kleines Blatt Papier, die derzeitigen Abstände der Spitzenfahrer:

Zeres
Schmidt +14
Evans +1.23
Moreau +1.24
Contador +1.24
Klöden +1.39
Leipheimer +1.51
Valverde +1.57
Sastre +2.00
Rasmussen +2.14
Kirchen +2.29
Mayo +2.33

Wirklich beruhigen konnte ihn das nicht. Schmidt war zu nahe an ihm dran. Vielleicht würde er heute Gelb verlieren. Vielleicht konnte er morgen zurück schlagen. Vielleicht, vielleicht… Er wollte nicht warten. Zitternd hielt er den kleinen Zettel in den Händen, fast zerrissen von der Ungeduld. Plötzlich schlug er das Papier mit einem lauten Knall auf den Tisch. „Ich will starten. Jetzt!“ sprach er, riss sich die Handtücher von den Beinen und polterte aus dem Bus.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, das er sich noch ein paar Minuten würde Gedulden müssen. Wutentbrannt setzte er sich nochmals kurz auf die Rolle, diesmal aber mit beiden Augen fest auf den Monitor gerichtet. Langsam brachte er sich auf Betriebstemperatur. Gleich würde er endlich auf die Strecke entlassen werden. Da konnte er es ihnen allen zeigen.
Ein Mechaniker schob seine Zeitfahrmaschine heran. Blitzend und blinkend stand sie in der Nachmittagssonne. Sie hatten noch ein wenig an ihr herum gewerkelt, bis sie so leicht war, wie es das Reglement erlaubte. Und vor allem, bis sie Jerdonas Vorstellungen in Sachen Fahrverhalten entsprach. Bergauf brauchte er einfach ein ganz spezielles Gefühl für das Rad.

Fabian schaute sich um. Wie schon beim Prolog in London ging er eine Position vor Jerdona Zeres in das Rennen. Während er, seine Maschine neben sich, am Gitter lehnte und die letzten Minuten vor dem Start abwartete schob der kleine Baske sein Rad in den Vorbereitungsbereich hinein. Sein Gelbes Trikot, das er seit gestern wieder tragen durfte, strahlte hell. Sein Gesicht, in London noch Indikator für die große Anspannung, die ihm innewohnte, war von großem Zorn geprägt. Er wirkte wie ein Tier in der Ecke: Er wusste, das er heute in der Defensive war. Es ging um sein Trikot, und er wollte es ihm abnehmen. Wie viel war er hinten? Zehn, Fünfzehn Sekunden? Es war Garnichts. Wenn er nicht einen totalen Blackout erlebte würde er die Führung im Gesamtklassement übernehmen. Und das würde nicht passieren.
Mit einem Nicken an seinen Kontrahenten richtete er sich auf und schob sein Rad in Richtung des Starterhäuschens. Cadel Evans jagte gerade hinaus auf die Strecke. Er schwang sich auf die spezielle Maschine und rollte die letzten Meter hinauf auf das Podest. Die Starterliste wurde ihm gereicht, dazu ein Stift. Er setzte seine Unterschrift. Kameras beäugten seine letzten Verrenkungen vor dem Start. Er klinkte seinen Schuh in das Pedal ein und schwang eine Umdrehung zurück. Kurz gab er ein wenig Druck auf das Rad. Er konnte fühlen, wie das Rad unter seinen Bewegungen erzitterte. Die ultraleichte Maschine hatte ihm schon in London gute Dienste geleistet. Nun würde er herausfinden, wie sie sich in den Bergen schlug. Mit geschlossenen Augen hörte er, wie die großen Ziffern über dem Häuschen, die den Zuschauern die Zeit bis zum Start anzeigten, herunter zählten. Dann fing das Piepen an. Die letzten fünf Sekunden. Er öffnete seine Lieder. Das strahlende Sonnenlicht brannte ihn in den Liedern. Start.
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synchronfuzzy
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Beitrag: # 455387Beitrag synchronfuzzy
31.7.2007 - 21:43

Neeeiiiiin!!


Bitte schreib weiter! Ich halt das echt nicht aus sonst.

Bitte, bitte.

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arkon
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Beitrag: # 455690Beitrag arkon
1.8.2007 - 16:29

Ähnlich wie bei einem Schwimmer, der beim Start in das kalte Wasser des Beckens eintaucht startete Fabian in das Rennen. Erst nach der Beschleunigungsphase, in der er immer wieder Aufstand, die Gänge in Schwung brachte und hochschaltete, setzte er sich auf sein Spezialrad. Es war wie das Auftauchen des Schwimmers nach dem Start. Er befand sich jetzt im Rennen. Der Lärm war da, er nahm peripher das Publikum wahr.
Anders als bei seinen vielen Probeläufen auf der Strecke, die er im Frühjahr und noch im Juni unternommen hatte, fand er seinen Rhythmus sofort. Sein Organismus war auf der Höhe. Er war viel besser in Form als bei den meisten seiner Trainingseinheiten. Die Leichtigkeit, mit der er die Gänge zu treten im Stand war, überraschte selbst ihn. Er konnte es in seinem Kopf hören, die Kommentatoren, die Sätze wie „Anmutige Leichtigkeit bei Fabian Schmidt“ in ihre Mikros hauchten, ehrfurchtsvoll.
Schnell hatte er die Stadt hinter sich gebracht und befand sich auf den langen, weiten Geraden durch das Tal der Isere. Ein Kreisverkehr markierte die Einfahrt in die Ortschaft Seez. Wie ein D-Zug rauschte er durch die kleine Ortschaft. Unterbewusst erkannte er das Dorfzentrum, in dem er bei den meisten seiner Übungsläufe absteigen musste, weil hier so viele Fußgänger die Kapelle in der Mitte der Straße frequentierten. Die Absperrgitter zitterten unter der Begeisterung der Zuschauer. Da kam die Gabelung. Links ging es hinauf zum kleinen St. Bernhard, rechts nach Val d’Isere. Er konnte den Namen des Skiortes auf einem Straßenschild erkennen, direkt über einem Hinweis zum Col du Iseran. Die Richtung stimmte.

Jerdona startete nicht in das Zeitfahren, er stampfte hinein. Tobias fuhr beinahe ein Schauder über den Rücken. Er hatte erwartet, das Zeres nicht an die effiziente Fahrweise des Deutschen vor ihm herankam, aber seine konsequente Missachtung jeglicher Normen, die für die Fahrt auf einem Zeitfahrrad zu bestehen schienen, trieb ihm doch Sorgenfalten auf die Stirn. Sein Kampfeswillen in allen Ehren, aber wenn so weiter fuhr, dann würde er sang- und klanglos untergehen gegen den Mann vor ihm, den ehemaligen Zeitfahrweltmeister, den wahrscheinlich elegantesten Radfahrer im Profizirkus.

Hier, auf dem freien Feld spürte er es. Rückenwind. Anders als noch heute morgen nahm er den Fahrtwind kaum wahr. Wenn er nicht die Straße zur Orientierung gehabt hätte, hätte er sich Sorgen gemacht, das er zu langsam führe. Für einen Moment flutete der Gedanke durch seinen Kopf, sich etwas bequemer hinzusetzen. Bei starkem Rückenwind waren die aerodynamischen Effekte fast zu vernachlässigen, während die leichten Schmerzen bei dieser widernatürlichen Position viel realer erschienen. Aber, gesagt, der Gedanke tauchte nur kurz am Rande seines Bewusstseins auf, belächelt vom Rest.

Wieder ging er aus dem Sattel und brachte seine Maschine in Schwung. Er hatte Probleme den richtigen Gang zu finden. Immer wieder schaltete er hoch und runter, nur um dann wieder aufzustehen und mit dem kleinen bisschen mehr an Druck auf den Pedalen sein Rad wieder zu beschleunigen.
Aber die Rettung nahte: Vor sich konnte er den Beginn der Steigung erkennen. Ab da war er in Sicherheit. Der Berg war sein Freund.

Es war keine Überraschung, aber trotzdem freute er sich, fast wie ein kleines Kind: Bestzeit an der ersten Zwischenmessung. Die ersten zwei Serpentinen hatte er hinter sich gebracht, den Beginn der Steigung schon überwunden. Nun kamen drei steile Kilometer. Die ersten wirklich entscheidenden Kilometer in diesem Zeitfahren. Bis hierher hatte er austeilen können, ab hier würde er einstecken müssen. Wie viel, das war die Frage. Ein wenig fröstelte es ihm bei dem Gedanken.

Wie ein Irrwisch fegte er die Steigungen hinauf. Die kleine Ortschaft, die er heute Morgen durchfahren hatte, war nun besetzt. Die Betonmauer, hinter der es steil hinab ging, war vollbesetzt. Davor standen, dicht gedrängt, riesige Menschenmassen. Als er näher kam, hörte er seinen Namen. Erst vereinzelt. Dann stimmten die anderen mit ein. Sie erkannten ihn. Sein Gelbes Trikot. Sein Name. Als er schließlich die wenigen Häuser passierte vernahm er nicht einmal mehr das Rattern des Hubschraubers. Nur noch das Geschrei der Leute.
Da! Hinter der Kurve war die Zeitnahme. Die zusätzliche Energie der Leute durchdrang ihn wie ein Sonnenstrahl, der im kalten Winterwetter die ersten Blumen erwärmt. Er konnte es schaffen. Er würde es schaffen!

Es war wie ein Peitschenhieb, der ihn durchfuhr. Zeres war langsamer als er. Aber nur vier Sekunden! Und das auf dem Teil, auf dem er eigentlich seinen Vorsprung aufbauen wollte. Fast panische blickte er nach unten. Er befand sich auf einer Serpentine, die ihm eine gute Sicht hinab ins Tal verschaffte. Dort, auf der Straße, konnte er den kleinen Konvoi erkennen. Zwei Autos, etliche Motorräder, ein Hubschrauber. Und in ihrer Mitte, ein Fahrrad. Fast bildete er sich ein, das hämische Grinsen auf dem Gesicht des Basken zu sehen. Es verlief ganz und gar nicht nach Plan.

Die zweite Zwischenzeit, der erste Platz. Er lag zwar nur rund 20 Sekunden in Führung, aber er lag vorne. Er würde sein Trikot verteidigen! Wie ein Jagdhund, der die Witterung nach seiner Beute aufgenommen hatte, richtete er sich auf und sprang die letzte steile Rampe hinauf. Das folgende Flachstück wurde er scheinbar getragen vom Geschrei der Zuschauer. Waren es sechs Kilometer, waren es sieben? Er konnte es nicht sagen. Die Distanz verging wie im Flug. Fast schon enttäuscht ging er im nächsten Steilstück aus dem Sattel. Wer hätte gedacht, dass es ihm so viel Spaß machen könnte?

Die nächste Zwischenzeit, der nächste Schlag: Er lag nur auf dem zweiten Platz! Cadel Evans hatte sich vor ihn geschoben. Jetzt wurde es endgültig knapp. Vor ihm tauchte das Straßenschild auf. Rechts nach Tignes, geradeaus nach Val d’Isere. Jetzt hatte er es fast geschafft. Am Stausee entlang konnte er nochmal ein bisschen Zeit gut machen. Jetzt ging es nur noch flach voran.

Die letzte Zeitnahme nahm er gar nicht mehr war. Er war erster, daran zweifelte er nicht. Aber nun musste er seinen Vorsprung über das letzte Flachstück verteidigen. Und so langsam bereute er es, im unteren Teil das Rennen so schnell angegangen zu sein. Seine Beine brannten und forderten den Tribut für die Belastung am Grenzbereich. Er versuchte, ihnen keine Beachtung zu schenken. Die Kilometerangaben, die er sich vor dem Rennen eingeprägt hatte, schossen durch seinen Kopf. Bald hatte er es geschafft.

Endlich! Das Ziel! Verzweifelt presste er alle Kraft, die noch in seinen Beinen zu stecken schien, heraus. Im Ziel fiel er vollkommen ausgepumpt auf den Sattel. Noch im ausrollen drehte er sich um und konnte seinen Namen auf der Anzeigetafel bewundern: Bestzeit. Na, immerhin. Scheinbar hatten sich die Qualen auf dem letzten Sektor doch gelohnt.
Ein Betreuer hielt sein Rad fest während er herabstieg. Seine tauben Beine versagten ihm jegliche Kontrolle über seinen Stand. Wie festgenagelt blieb er stehen, nahm das Handtuch und die Trinkflasche in Empfang. Es dauerte einen Moment, bis er realisiert, was er nun eigentlich tun müsste: Auf Zeres warten.
Er drängelte sich durch nach vorne, begleitet von vielen Objektiven und Mikrofonen. Unablässig prasselten die Fragen auf ihn ein. Aber Fabian schien sie nicht mehr zu bemerken. Gebannt schaute er auf die Anzeige. Das Gelbe Trikot war zu sehen, auf den letzten Kurven. Unten lief die Zeit mit. Langsam näherte er sich seiner Marke… Und er war drüber! Der Etappensieg war ihm nicht mehr zu nehmen. Aber die eigentliche Frage war die endgültige Zeit… fünf Sekunden, zehn Sekunden, da war er im Ziel. Zwölf Sekunden lag Zeres schlussendlich hinten. Zu wenig, um ihm Gelb abzunehmen.

So kam es also, dass Fabian mit einem etwas gezwungenen Lächeln den Tagessieg feierte. Er hatte ein Ziel erreicht. Aber am Großen, das so nahe schien, war er gescheitert. Er hatte zwar die zweite Etappe gewonnen, aber im gleichen Zug waren die Chancen auf den Toursieg nahezu dahin…
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arkon
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Beitrag: # 455833Beitrag arkon
2.8.2007 - 0:43

Zeres 00:00
Schmidt 00:02
Evans 01:43
Klöden 02:05
Moreau 03:04
Leipheimer 03:05
Contador 03:19
Rasmussen 04:34
Sastre 05:06
Valverde 05:30
Mayo 05:33
Kirchen 05:52
Vinokourov 06:03

So, das war eine schwere Geburt. Aber die Idee zu dem Zeitfahren trug ich, nun ja, schon länger mit mir rum. Ursprünglich holte Jerdona Schmidt auch ein, aber das war mit dem Streckenverlauf einfach nicht zu machen. Ich hoffe, es hat trotzdem gefallen (immerhin war der Prolog und die Etappe nach les Arcs darauf abgestimmt). Ich hoffe stark, das ich in den nächsten Tagen regelmässiger posten kann. Aber diese Tour... wird wirklich lang. Zu viele Gedanken schwirren mir im Kopf herum. Ich hoffe, es gibt wenigstens einige, die das solange durchhalten
Zuletzt geändert von arkon am 5.8.2007 - 19:56, insgesamt 2-mal geändert.
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Rad-Schumi
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Beitrag: # 455840Beitrag Rad-Schumi
2.8.2007 - 1:40

Ich kann gar nichts anderes sagen als HAMMER 8O!!! . Mir war als wäre ich im DSF ("Mittendrin statt live dabei")^^. Wie du die Gefühle der Fahrer beschrieben hast, unglaublich gut. Es gibt im Forum wirklich einige, die verdammt gute Rennberichte schreiben, aber das was du machst hat damit eigentlich nichts mehr zu tun, ich kanns gar nicht richtig in Worte fassen.(Es ist halt was ganz anderes irgendwie) Solange du in dieser Qualität schreibst, kannst du dir von mir aus gerne Zeit lassen. In gewisser Weiße steigert das die Vorfreude nur noch. Wenn es schneller geht habe ich aber auch nichts dagegen :wink:
Ich hoffe, dass du den AAR noch lange fortführst, ich werde dir immer treu sein :lol:

Lancelot
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Beitrag: # 455917Beitrag Lancelot
2.8.2007 - 11:04

Respekt :!: Mit Abstand das Beste was ich hier je gelesen habe.
Du solltest die Geschichte langsam wirklich mal einem Verleger zusenden.

Ich weiss, das ist nun nur einer dieser verhassten Zweizeiler, aber was soll ich noch groß sagen, was die anderen nicht schon längst zuvor gesagt haben. Das was Schumi gerade geschrieben hat, kann ich so unterschreiben.

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arkon
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Beitrag: # 456279Beitrag arkon
2.8.2007 - 21:58

„Natürlich bin ich mit der Situation zufrieden. Sicherlich, ich hätte mehr Glück haben können. Aber ich bin mir meiner Stärke bewusst. Heute musste ich mich im Zeitfahren beweisen, für mich quasi feindliches Terrain. Aber morgen geht es dann zurück auf meinen Grund und Boden. Der Col du Galibier, der Col de la Madeleine, da bin ich stark. Und ich bin nicht der einzige, der auf seine Chance brennen wird.“
Die Kameras klickten wieder, nutzten den kurzen Moment der Stille. Das klacken machte es schwer, seine Worte zu verstehen. Die Hände der Reporter schnellten nach oben, alle kreischten durcheinander. Einer der Pressesprecher der Tour wählte den Fragesteller aus.
„John Groover für Fabian Schmidt. Fabian, sind Sie wegen morgen nervös? Es ist doch eigentlich klar, wer in der Defensive sein wird?“
Jerdona lächelte in sich hinein. Fabian druckste ein wenig herum. Er konnte den Journalisten nicht die Wahrheit sagen. Er redete von Verantwortung, von Möglichkeiten, vom reinwachsen in Situationen. Was er nicht sagte, war das, was Jerdona lesen konnte. Er drehte sich nach rechts und schielte fünf Meter nach rechts. Im grellen Scheinwerferlicht saß er, sein letzter ernsthafter Herausforderer in dieser Tour. Und er hatte Angst.
„Meine Form steigt stetig an“
Der Schweiß, der an seiner Stirn, seiner Nase herab ran war nicht nur bedingt durch die drückende Hitze. Die Fragen, der Druck der Presse, und vor allem… die Aussicht auf Morgen. Sicher, noch lag er in Schlagdistanz. Aber das würde sich bald ändern. Fabian wusste es. Jerdona wusste es. Der ganze Raum wusste es.
„Louise Douar für Jerdona Zeres. Jerdona, Sie reden, als ob sie die Tour schon gewonnen hätten. Meinen Sie nicht, das es noch viel zu früh ist, um sich zurück zu lehnen?“ Der Zorn durchzuckte ihn wie ein Peitschenhieb. Er deckte sein Mikro ab und lehnte sich zum Pressesprecher herüber.
„Michaela, Ihre Frage ehrt mich“ Seine Attacke verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Kollegen schauten leicht belustigt und herablassend auf die junge Frau. „Sie verstehen offensichtlich nicht viel vom Radsport. Zurück lehnen ist unmöglich. Und sie haben auch nicht gut zugehört. Ich habe von Angriffen gesprochen. Der Rennkilometer ist mir gerade entfallen. Aber ich könnte auch ein Schild an der Stelle in den Boden rammen, ‚500 m bis zur Attacke von Zeres‘, es würde nichts ändern. Meine Form stimmt einfach. Schon im letzten Jahr konnte mir kaum einer Paroli bieten. Und ohne Basso, Ullrich und Mancebo und mit der Verletzung von Vinokourov gibt es keinen, der es könnte. Les Arcs war kein Zufall, Val d’Isere war kein Zufall. Ich habe mich noch nie so stark gefühlt. Louise, kommen Sie morgen an die Strecke. Im unteren Drittel des Madelaine, da sollten sie sich hinstellen. Denn weiter oben werde ich zu schnell sein, da lohnt sich die Warterei nicht.“
Es war keine Zufriedenheit, die er verspürte. Er war angegriffen worden und hatte sein Revier verteidigt. Dass er damit unter Umständen die Karriere einer jungen Reporterin ruiniert hatte… interessierte ihn nicht wirklich. Sein harter Ton im Umgang mit der Presse war allgemein bekannt. Nur den zornigen Blick, den Fabian ihm zuwarf, konnte er nicht so ganz einordnen.
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arkon
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Beitrag: # 457194Beitrag arkon
5.8.2007 - 19:56

Eigentlich hätte er erwartet, gar nicht mehr schlafen zu können. Der Druck war noch größer. Er war der letzte verbliebene Herausforderer von Jerdona. Die Chancen standen nicht schlecht, aber im Moment war er im Nachteil. Und daneben war es schon ein wenig persönlich: Im Zeitfahren hatte Jerdona bewusst versucht, ihn unter Druck zu setzen, ihn nervös zu machen. Er hatte Erfolg damit gehabt. Daneben gab es noch die andere Ebene: Der Urmensch in ihm war gekrängt. Sein Gegner hatte seine Freundin, seine Frau beleidigt. Das sie auch ihren Teil dazu beigetragen hatte drang nicht tief in sein Bewusstsein. Im Vordergrund stand sein beleidigter Stolz. Am liebsten wäre er noch in der Pressekonferenz aufgestanden und hätte ihm seine Faust in… Aber das war er nicht. So kannte er sich nicht. Seine Chance würde kommen. Morgen wollte er überleben. In den Pyrenäen würde dann die Karten neu gemischt werden.
Aber zu seiner Erleichterung schlief er schnell ein.
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Beitrag: # 457234Beitrag arkon
5.8.2007 - 22:02

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So sah es also aus, wenn Jerdona Zeres mit sich und der Welt zufrieden war. Mit hungrigem, stolzem Lächeln schritt er durch die Lobby des Hotels, grüßte seine Untergebenen hier und da und wirkte einfach… voller Vorfreude auf die anstehenden Qualen. Chloe musste lächeln. Sie erinnerte sich noch gut an ihre Begegnung auf den Kanaren, wie viel anders er da gewirkt hatte. Seine Ausstrahlung, seine Bestimmtheit… all das hatte sich gewandelt. Geblieben war die unbändige Energie, die jeder seiner Bewegungen ausstrahlte. Fest und entschlossen eilte er in den Essenssaal. Er bemerkte sie nicht einmal. Sie erschien einfach nicht auf seinem Radar.
Chloe erhob sich und ging ihm hinterher. Das war es, weswegen sie ihm zu verfallen drohte: Während in ihrer Gegenwart das Selbstbewusstsein der meisten Menschen zerbröckelte hielt er stand. Aber er war nicht wie die anderen Stars, mit denen sie verkehrte, oder die Leute, die sie von früher kannte. Er war fokussiert, er war Sportler. Er hatte ein Ziel vor Augen, das er verfolgte. Während sie selbst und die allermeisten Leute, die sie kannten, einfach in den Tag hinein lebten und einfach das Beste aus ihren Möglichkeiten zu machen versuchten war er anders. Sicher, der Radsport war sein Talent und er nutzte es.
Aber die Verbissenheit, mit der er sich dahinter klemmte; das Glimmen in seinen Augen, wenn er davon erzählte; sein Durchhaltevermögen, trotz dieser immens vielen Trainingsstunden, die er abspulen musste, noch mit Begeisterung dabei zu sein. All das waren Dinge, Gefühle, Emotionen von solcher Intensität und Klarheit, dass alle Umstehenden mitgerissen wurden. Er hatte sein Team in seinen Bann gezogen, er hatte seine Gegner unterjocht und nun spürte sie immer deutlicher, wie auch sie von dem Magneten seiner Lebensenergie angezogen wurde. Er war das, was man charismatisch nannte.

Tobias war stolz auf sich. Er war nüchtern. Und das schon seit… nun gut, seit über einem Tag. Er war stolz auf sich, den er hatte… ach scheiße, es ging ihm elend. Im Zeitfahren hatte er falsch gesetzt. Etwas zu optimistisch ob der Fähigkeiten von Jerdona hatte er auf seinen Etappensieg gesetzt. Und weil ihm seine Kollegen ‚etwas Gutes tun wollten’ war der Einsatz ein Alkoholverzicht von ihm gewesen. Auf der Gegenseite lockte Geld, und so hatte er eingeschlagen. Aber als er gestern Abend völlig im Besitz seiner geistigen Kräfte auf einem Barhocker saß und an seinem alkoholfreien Cocktail nippelte wurde ihm die volle Schwere seines Irrtums bewusst. Wie konnte er nur! Jetzt saß er da und war, wie die meisten seiner Kollegen, zu feige, um nur eine einzige der heißen, spanischen Touristinnen anzuquatschen, die den Sieg, oder gerade nicht, ihres Idols feierten. Lediglich sein Kombattant in der Wette war guter Dinge und… er durfte gar nicht daran denken. Sein Nimbus war gebrochen.
Missmutig kickte er Papierkügelchen über den Schreibtisch. Die Etappe heute war nur unwesentlich spannender. Kaum Abwechslung bot eine der belanglosen Fluchtgruppen, die sich formiert hatten, nur um am Fuße des Madelaine wieder gestellt zu werden. Den Col de Montgenevre absolvierten sie gemeinschaftlich an der Spitze. Auf dem Weg zum Lautaret splitterten dann die ersten hinten ab, und als dann der Anstieg zum Galibier erreicht war gab es endlich ein wenig Bewegung. Von hinten griff Mauricio Soler an, ein Namenloser von Barloworld. Offensichtlich wollte er mindestens einer dieser beiden Umstände ändern. Seine Aufholarbeit war von Erfolg gekrönt und er konnte sich die Bergwertung ganz oben schnappen. Zusätzlich gab es noch das Souvenir Henri Desgrange, markierte der Galibier doch wieder einmal den höchsten Punkt der Rundfahrt.
Kelme-Euskadi schob hinten eine ruhige Kugel und wurden daher schon auf der Abfahrt unterstützt. Telekom, Caisse d’Espargne und Rabobank schickten ihre Leute nach vorne und verkleinerten den Abstand. Vor allem aber wurde der heiße Tag nun auch für die Favoriten zu einem schweren, Selektion war gefragt.

Es hatte etwas Verrücktes. Als das Feld in den Anstieg hinein rollte und sich die Fahrer nervös zu belauern begannen fuhr Jerdona seelenruhig nach vorne und präsentierte allen seine Gleichmütigkeit. Er kam sich vor wie ein Seemann, der einem Orkan entgegen grinste. Der Anstieg nach Les Arcs war etwas anderes, heute würde sein Vorteil nicht annähernd so groß sein.
Trotzdem markierte er die erste Attacke. War es Langeweile? Eher nicht. Er wollte die Kontrolle. Er wollte eine kleinere Gruppe. Und er wollte die anderen isolieren. Fabian Schmidt machte gar keine Anstalten zu reagieren. Ganz anders der Rest der Favoriten. Wie ein Mann sprangen sie an sein Hinterrad und fuhren wie eine lange Perlenkette hinter ihm den Berg hinauf.
Perfekt. So gehörte sich das. Er nahm das Tempo wieder heraus. Heute würde er haushalten müssen. Die Attacken, die bald gehen würden, galten ihm. Er musste sich verteidigen. Aber zunächst organisierte sich eine Führung. Fast alle wechselten sie durch, auch er. Die Verweildauer an der Spitze war allerdings viel zu kurz um ernsthaft eine hohe Geschwindigkeit anschlagen zu können. Irgendwie merkten sie es, das Jerdona heute nicht so stark war. Oder vielleicht wollten sie ihn auch nur ärgern.
Bevor der gelbe Baske jedoch selber zum zweiten Mal angreifen konnte war er auch schon in der Defensive: Rasmussen suchte sein Heil in der Flucht. Und nun spürten sie alle die Länge des Tages. Jerdona war froh, als der Däne das Tempo wieder heraus nahm und die Gruppe wieder zusammen klumpte. Den anderen ging es ähnlich. Wieder waren sie weniger geworden, jedoch fühlte sich offensichtlich keiner mehr übermäßig stark.
Über Funk bekam Jerdona die Abstände mitgeteilt: Fabian lag zurück, aber nur 15 bis 20 Sekunden. Zu wenig. Und der Deutsche kam wieder heran. Viel zu wenig. Statt Luft für den nächsten Angriff zu sammeln spannte er sich vor die anderen. Auch wenn sie sich nicht an der Führung beteiligten waren alle, die noch den Anschluss halten konnten, froh: Es bahnte sich die nächste große Umwälzung im Klassement an und sie waren am richtigen Hinterrad.

Von außen wirkte es fast ein wenig langweilig. Und eigentlich war das Urteil auch gar nicht so daneben. Fabian fuhr einfach stur sein Tempo, das eine Auge auf der Straße, das andere auf seinen Tachometer fixiert. Es waren immer die gleichen Zahlen, die dort blinkten. Er versuchte, den Bereich so eng wie möglich zu halten. Was dort nicht stand: Diese Zahlen standen eigentlich für ein gleich bleibend hohes Maß an Schmerzen, das er ertragen musste. Und diese Schmerzen, die möglichst gleich bleibenden Qualen waren auch der Grund, warum ihm keine Langeweile drohte. Es war wie ein Trainingsritt, bei dem er halt ein wenig schneller fuhr.
Unablässig quäkte sein Knopf ihn Zahlen ins Ohr. Kolonnen von Zahlen. Und irgendwie schwammen sie alle vorbei an seinem Bewusstsein. Er hatte keinen Gedanken mehr dafür. Er versuchte, an möglichst gar nichts zu denken. Der Größte Teil des Restes war in seinem Gehirn von Schmerzen annektiert, und insofern stellte ‚Gar nichts’ doch eine gute Alternative dar.

Jerdona atmete auf, als der Gipfel immer näher rückte. Es war verdammt untypisch für ihn, aber er war wirklich froh, dass von hinten keiner mehr an ihm vorbei flog. Er brauchte jeden seiner Begleiter gleich auf dem Flachstück. 1:30, 1:40; das waren die Abstände. Soler sollte eigentlich gleich von vorne auftauchen, vielleicht aber würde er den Gipfel noch alleine überqueren. Zeres interessierte es eigentlich nicht. Er fuhr stur sein Tempo und war ernsthaft erstaunt darüber, dass er so wenig Reserve hatte. Aber vielleicht war es auch einfach die Tatsache, dass er stur mit Vollgas den Berg hochzog. Allein: Die Furcht vor seinem Angriff schwand nicht.
Endlich, da tauchte die Bergwertung auf. Rasmussen versuchte es dann doch noch einmal. Völlig verrückt. Er schüttelte den Kopf über so viel verbliebene Energie, während Evans und Contador sich zu ihm gesellten. Gemeinsam mit Valverde führten sie den Basken über den Gipfel, der froh war, endlich auch aktive Begleiter zu haben. Die Zusammensetzung der Gruppe war entschieden.

Nach dem Gipfel fing der Stress eigentlich erst richtig an. Fabian hatte keine Begleiter, keine Zeitung, kein Cape, zu wenig Wasser und noch 35 km bis ins Ziel. Zuerst löste er das Problem des Windschutzes. Als nächstes ließ er sich verpflegen. Der Weg nach Albertville war noch lange und seine Reserven neigten sich dem Ende zu. Essen und Trinken war zwar eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einer solchen Situation, aber viele vergaßen es trotzdem und so ein Fehler konnte ihm seine Platzierung im Gesamtklassement kosten.
Langsam kehrten die Lebensgeister in seine Knochen zurück: Während er eben noch als halbe Maschine den Berg erklommen hatte konnte er nun fühlen, wie das Feuer wieder erwachte. Er war motiviert. Das Flachstück war eigentlich seine Welt, wenn er denn nur Mitstreiter fände.
Andreas Klöden war wohl noch in Reichweite. Die Nachricht weckte ihn endgültig auf. Wie der Blitz schoss er die Serpentinen hinab, ging volles Risiko und beschleunigte aus allen Kurven wieder heraus als ob er noch bergauf fahren würde.
Trotzdem brauchte er fast die ganze Abfahrt, bis er seinen Landsmann erreichte. Fabian grinste grimmig als er neben ihn rollte und kurz mit ihm ein Bündnis führ die nun folgenden Kilometer schmiedete. Sie waren sich schnell einig. Zwei exzellente Zeitfahrer, die auf Rache sannen. Es war die ideale Partnerschaft.
Aus den fast zwei Minuten, die auf dem Gipfel noch an Rückstand berichtet worden waren, wurden schnell 1:40. Levi Leipheimer kam von vorne zurück, eine weitere wertvolle Ergänzung für die kleine Gruppe. Jerdona hatte wohl vorne erhebliche Schwierigkeiten, seine Truppe am laufen zu halten. Das war ihre Chance!
Auf den letzten Kilometer leckten sie wirklich Blut: Die zahlenmäßig Weit überlegene Spitze war bis auf 1:30 herangerückt. Da war noch etwas drin! Vorne begannen, im Vertrauen auf eine sichere Ankunft, die Attacken, was zusätzlich für sie arbeitete.

Jerdona war verzweifelt. Er übernahm fast die Hälfte der Führungsarbeit, während sich die anderen sehr lasch und unregelmäßig abwechselten. Offensichtlich sahen die meisten ihre Chance im Etappensieg und nicht in einer guten Platzierung im Gesamtklassement.
Rasmussen versuchte es, Evans forderte sein Glück heraus. Beide wurden wieder gestellt. Jetzt half ihm Valverde bei der Führung. Er hatte als stärkster Sprinter ein großes Interesse daran, die Gruppe geschlossen auf die Zielgerade zu bekommen.
Contador konterte Evans und das starke Duo konnte einige Meter heraus fahren. Auf einmal wollten alle in die Führung. Jerdona atmete auf. Er würde den beiden vorne den Etappensieg gönnen, wenn er nur möglichst viel Zeit auf Schmidt gewönne.
Aber es sollte nicht dazu kommen: 800 Meter vor dem Ziel war die Gruppe wieder vereint. Das Belauern begann von neuem. Stehversuche gab es zum Glück nicht, aber das Tempo war wieder im Eimer. Dann griff Contador an. Zeres erkannte seine Absicht aus dem Augenwinkel noch bevor er beschleunigte und konnte kontern. Die Lücke riss und ohne seinen eigenen Einsatz fehlte der eine entschlossene Mann, der die Führung übernahm. Sie drucksten alle herum. Ihr Vorteil. Ohne Zögern ging Jerdona in die Führung. Sollte er mitsprinten? Sollte er ihm den Sieg überlassen? Er schaute sich um. Die Lücke war groß, aber nicht groß genug für Spielchen. Er scherte aus. Contador ging wieder nach vorne. Es waren die letzten Meter. Konnte er es wagen?
Ohne groß weiter nach zu denken trat er an. Es war nicht viel, was ihm noch blieb. Einen echten Sprint konnte er niemals gewinnen. Kein Umdrehen, kein Zögern. Was hätte er auch machen sollen, wenn Contador noch an ihm vorbei ging? Er fühlte, wie sich seine Beine leerten. Die letzten Tropfen an Kraft rannen heraus. Der Motor stockte kurz, fing an zu stottern. Da war die Ziellinie. Er drehte sich um, richtete sich auf. Er hatte gewonnen!
Zuletzt geändert von arkon am 6.8.2007 - 20:53, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag: # 457313Beitrag Grabba
6.8.2007 - 11:25

Ich finde es wirklich einsame klasse, wie du hier immer wieder neue Stile austestest, und das mit einem herausragenden Erfolg. Auch die Vermengung von Hintergrundgeschichte, deinen Charakteren, deiner Story und der Tour selbst ist einfach super. Ich kann dich nur noch einmal loben und loben!

Aber bei der letzten Etappe habe ich das Profil vermisst und musste mich selbst auf Seite 16 begeben um es anzuschauen... ;)

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Beitrag: # 457587Beitrag arkon
6.8.2007 - 22:33

So, hier ist das Gesamtklassement nach der Etappe (besser gesagt: einige relevante Fahrer):

1) Zeres 00:00:00
2) Schmidt 00:01:36
3) Evans 00:02:13
4) Contador 00:03:29
5) Klöden 00:03:39
6) Leipheimer 00:04:39
7) Rasmussen 00:05:04
8) Valverde 00:05:52
9) Moreau 00:05:58
10) Sastre 00:08:00
11) Mayo 00:08:27
12) Kirchen 00:08:46
13) Vinokourov 00:08:57
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Beitrag: # 458291Beitrag arkon
9.8.2007 - 10:20

Es war die Ruhe vor dem Sturm, das Subito Piano, unterlegt von einem leichten Trommelwirbel vor dem großen Finale, dem letzten und endgültigen Ausbruch an purer Energie und Kampf. Die Landschaft war malerisch, die Untätigkeit trügerisch. Wie Boxer, die gerade in den Ring stiegen belauerten sie sich: Allen voran an Schmidt und Jerdona, irgendwo in ihrem Kielwasser dann auch noch Evans und einige andere Glücksritter, die voller Zuversicht auf die verschwindend kleine Möglichkeit lauerten, doch noch ganz nach oben zu kommen.
Die Etappen verliefen lethargisch: Angriffe, Fluchtgruppen. Lange Fahrten alleine im Wind. Das entspannte rollen im Feld in der brennenden Mittagssonne an der französischen Mittelmeerküste. Interviews. Für beide waren es die Tage des Belauerns. Für den Rest im Feld waren es die schönsten Tage der ganzen Tour. Und für die Zuschauer war es langweilig.
Jerdona hatte seinen Spaß. Er freute sich auf die Pyrenäen, aber irgendwo in seinem Kopf freute er sich auch schon auf Paris. In den Alpen hatte er noch Zweifel gehabt, aber mit jedem Meter, den sie in Richtung Spanien, in Richtung der Berge, in Richtung der Entscheidung zurücklegten war er sich sicherer: Er würde triumphieren. Er hatte drei Bergankünfte, auf denen er Zeit für das letzte Zeitfahren würde herausfahren können. Viel Zeit.
Fabian war nicht mehr nervös. Der Druck war weg. Er hatte erreicht, was er wollte. Und jetzt kam die Kür. Denn auch er freute sich auf die Pyrenäen: Seine Form wurde besser. Nicht, das er in den Alpen schwach gewesen war, aber er wurde stärker. Es würde sicherlich nicht leicht werden, aber wenn sich die Bergspezialisten regelmäßig gegenseitig zerfetzten könnten ihre Reserven knapp werden auf dem Weg nach Piau Engaly. Und dann würde seine Stunde kommen. In den Alpen war er vor allem psychologisch unterlegen gewesen. Aber er wurde stärker und stärker. Er würde den Kampf aufnehmen, er würde ihm, Jerdona, den Fehdehandschuh hinschmeißen.
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Beitrag: # 459635Beitrag arkon
14.8.2007 - 0:46

Die Schonzeit war vorüber. Es ging in die zweite Halbzeit. Nun würde die Entscheidung fallen. Fabians Kopf dröhnte. Ihm schwirrten so viele Gedanken darin herum, dass er unfähig war, einen klaren zu fassen. Er war aufgeregt, aber vor allem freute er sich auf die Chance. Jeder hatte ihm vor dem Start gute Ratschläge gegeben: Trainer, Verwandte, alte Radbekannte. Sogar einige alte Größen hatten ihn angerufen, wohlwissend, dass er von den dreien, die noch in die Entscheidung mit eingreifen konnten, nicht die schlechtesten Karten hatte. Eigentlich störte es ihn sogar, dass Evans noch mit Zeres und ihm genannt wurde. Aber es war eben eine Tatsache: Albertville war wirklich keine Heldentat gewesen und er hatte mit seinem schlechten Abschneiden dort die Tür für den Australier geöffnet, mit soliden Leistungen am Berg doch noch an ihm vorbeiziehen zu können.
Aber heute lag seine ganze Konzentration auf den einzigen Mann, der noch besser war als er: Jerdona Zeres. Und er ließ auf sich warten. Fabian lungerte schon auf seinem Rad herum, wieder einmal gelangweilt vom großen Warten auf den Start. Und Zeres war noch nicht da. Er kam üblicherweise sehr spät, manche munkelten um den Interviews zu entgehen. Schmidt hatte nicht so viel Glück: Waren es neun oder zehn? Er konnte es nicht mehr zählen. Jeder hielt ihm vor dem Start ein Mikro ins Gesicht und wollte wissen, wie er die Etappe heute sah. Es nervte. Aber er versuchte tunlichst, diese Einflüsse zu ignorieren. Letztlich war das alles irrelevant. Genauso wie die Verspätung von Zeres.

Da kam er! In einer Traube aus Bodyguards, Betreuern und Kameras bahnte sich das leuchtend gelbe Trikot seinen Weg zu der kleinen Tribüne. Mit leichten, federnden Schritte schnellte er die Treppe empor, drehte sich oben um und winkte der jubelnden Menge zu. Erst dann drehte er sich zu den zwei Offiziellen, die mit ausdrucksloser Mine am Pult auf ihn warteten, um und riss ihnen mit einem breiten Grinsen den Stift aus der Hand, nicht, ohne ihnen vorher die Hand geschüttelt zu haben. Ein paar kleine Sprüche später trat er seinen Weg hinab an.
Er war wie ein König inmitten seines Volkes. Er wusste um seine immense Beliebtheit und seinen Status. Aber die Verwandlung war… atemberaubend. Am Anfang der Tour, als der Druck noch ungeheuerlich schien, hatte er immer sehr unwirsch reagiert, Kameras und Mikros gemieden und müde um sich gewinkt. Jetzt, da sein Sieg für ihn nur noch eine Formalität war, ging er generös und weltmännisch mit seiner Umwelt um.
Nützen würde es ihm nichts. Jetzt, da er seinen Gegner direkt vor sich hatte, überfiel Fabian eine fast meditative Ruhe. Die nächsten Stunden würde er einfach nur dieses Hinterrad halten müssen. Eigentlich nicht all zu schwer.

Bild

Langsam setzte sich der Konvoi in Bewegung. Fast lustlos rollte das Feld zum richtigen Start. Dort setzte sich Kelme-Euskadi an die Spitze des Feldes, schlug aber ein sehr gemächliches Tempo an. Jerdona lungerte hinter seinen Teamkameraden herum, in einem Konvoi, der sich langsam, aber sicher, auf die Pyrenäen zubewegte.
Erst überwanden sie einige kleinere Hügel, mal entlang einer Autobahn, mal durch einen Tunnel, mal über einen kleinen Fluss. Die mächtigen Gipfel des Gebirgszugs, den sie sich zu besteigen anschickten, ragten immer höher vor ihnen auf. Schließlich fanden sie sich in einem mächtigen Tal wieder. Rechts von ihnen lag das Plateau de Beille, ebenfalls ein altbekannter Ort der Tour de France. Doch sie fuhren weiter, unbeirrt.
Einige Fahrer hatten sich nach vorne abgesetzt, ungeduldig, die Prüfung endlich auferlegt zu bekommen. Fabian nahm sie gar nicht war. Ebenso wenig existierten für ihn die weiteren Gipfel und Anstiege, die links und rechts des Weges lagen. Für Radsportliebhaber war es geheiligter Boden, für ihn nur die letzten Schritte zum Ort der Entscheidung. Rechts herum ging die Straße und führte sie hinein. Hinein in den Kanal, der sie zum Gipfel des Port de Envalira.
Geschlossen fuhr das Feld hinauf. Nun, da der Anstieg richtig begann, übernahmen andere Teams die Arbeit. Predictor-Lotto, Astana und vor allem Discovery Channel setzten sich an die Spitze der Gruppe und übernahmen das Kommando. Fabian merkte sofort, wie das Tempo anzog und sein Organismus aufwachte. Nicht, das er bisher sich nicht hätte anstrengen müssen. Aber nun zogen sie mit einer Geschwindigkeit den Berg hinauf, dass er jeden Knochen in seinem Körper spürte. Die Qualen, ein ständiger Begleiter in seinem Beruf, meldeten sich zu Wort. Er biss die Zähne zusammen und richtete seinen Blick nach vorn.

Es schien, als wollten die Tempomacher die fehlenden Berge, die auf der Etappe von den besten Kletterern schmerzlichst vermisst wurden, wettzumachen. Auch Jerdona konnte es jetzt fühlen. Die Tour war noch nicht gelaufen. Sie fing eigentlich erst richtig an. Langsam aber stetig kam der letzte, der entscheidende Abschnitt des Envalira näher. Hinter einer weiteren, seichten Biegung des Berges lag Pas de la Casa, ein Skiort. Da hinten lag die Grenze zu Andorra. Und über dem Skiort thronte majestätisch der letzte Teil des Anstiegs: Die letzten 4 Kilometer mit 8-9% Steigung hinauf zur Passhöhe.
Während sie langsam den Berg umrundeten und die kleine Enklave, durch welche die Grenze verlief, immer näher rückte, konnte Jerdona auch den Tunnel erkennen. Durch diesen würden die meisten seiner Gegner wohl gerne fahren. Aber nicht so er: Da hinauf musste er, wollte er.
Die anderen Teams schienen ihm aber nicht die Initiative überlassen zu wollen: Leipheimer ergriff die Initiative. Schnell bekam er Gesellschaft von Valverde und Rasmussen. Die anderen nahmen die Beine hoch: Auch wenn sie gerne das Loch schließen würden, hier fiel die Verantwortung eindeutig Jerdona Zeres zu, dem Titelverteidiger und Träger des Gelben Trikots.
Aber dieser tat nicht dergleichen. Der junge Baske schaute sich um. Wo waren seine Helfer? Sein Blick strahlte nicht Hilflosigkeit aus, es war ein Blick der kühlen Berechnung. Nicht sein Sieg war bedroht, der zweite Platz von Schmidt war in Gefahr. Fuhr er? Ließ er fahren? Zeres ließ sich einige Reihen zurück fallen. Dies war nicht der Test. Es war das erste Donnern eines Gewitters. Er würde nicht jetzt schon die Schlacht eröffnen.

Fabian schaute sich etwas verunsichert um. Was passierte? So war das nicht geplant. Seine Begleiter, sonst immer gute Ratgeber über den Kopfhörer, schwiegen. Er blickte in die ausdruckslosen Gesichter von Evans, Contador, Sastre. Sie alle pokerten. Der Einsatz war hoch. Und Zeres? Fabian schaute sich um. Da fuhr er!
Er blickte in ein frostiges Gesicht. Die feurigen Augen schienen ihn zu durchbohren. Der Deutsche hatte das Gefühl seine Gedanken offen zu legen. Ein wissendes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Mit einer Hand zog Jerdona die Sonnenbrille herunter und bedeckte sein Gesicht wieder. Er konnte warten. Er hatte die Situation unter Kontrolle. Leicht und elegant tänzelte er zurück zu Spitze der Gruppe, demonstrativ leicht an Fabian vorbei. Was sollte er tun?

Es war die erste echte kritische Situation in dieser Tour gewesen. Und er hatte gewonnen. Das Kim Kirchen schließlich nach vorne fuhr und seinen Triumph offensichtlich machte war eigentlich überflüssig. Sie hatten versucht, ihn nervös zu machen. Aber er hatte standgehalten. T-Mobile hatte nicht so starke Nerven wie er.
Der Vorsprung, der schnell auf rund eine Minute angewachsen war, stabilisierte sich. Und während die Gruppe die letzten Rampen vor dem Gipfel in Angriff nahm musste es auch dem letzten klar werden: Wer die Krone wollte, musste ihn direkt angreifen. Taktische Spielereien waren nicht sein Geschmack. Aber wer geglaubt hatte, dass die Schwäche seines Teams zu seiner eigenen werden würde, der hatte sich getäuscht. Auch ohne einen einzigen Fahrer im Kelme-Trikot in der Gruppe hatten seine Gegner es nicht vermocht, ihn aus der Reserve zu locken. Er hatte seine Trümpfe in der Hand und hielt sie.

Während er vor der Etappe gehofft hatte, bis zum Schlussanstieg in aller Ruhe rollen zu können, so gingen seine Hoffnungen nicht in Erfüllung: Noch ohne dass das eigentlich Duell eröffnet war hatte er schon den ersten Treffer einstecken müssen. Aber seine Gelegenheit würde kommen! Sein Ziel war ja ohnehin nur, heute ohne Zeitverlust das Ziel zu erreichen. Würde er es schaffen?

Bei Jerdona kehrte nun die pure Konzentration zurück. Die Strecke kannte er, die Stadt kannte er, den Anstieg kannte er. Es war nur noch eine Übung, die er abrufen und abspulen musste. Er schaute den Berg hinauf. Die kleine Straße verlief erst quer, dann längs zur Steigung. Durch das Dorf Encamp, welches den Anfangspunkt der Steigung bildete führte T-Mobile unterstützt von einigen anderen Teams. Nur Jerdona hatte keine Leute mehr, die er in die Führung schicken konnte. Auf der Abfahrt war dementsprechend der Vorsprung der Ausreißer auf fast zwei Minuten angewachsen. Sie hatten vorgelegt.
Da! Die letzte Kurve war erreicht, es ging in den Anstieg hinein. Jerdona hielt sich vorne in der Gruppe und beäugte seine Kontrahenten. Da keiner so recht führen wollte wurde aus der Kette an Fahrern eine breite Front, die den Berg hinauf walzte. Jerdona fuhr rechts am Rand und blickte unablässig zur Seite und nach hinten. Wann würde der Angriff kommen? Wer würde ihn starten?

Evans eröffnete den Reigen. Der Australier bewies wahren Heldenmut, in dem er angriff. Fabian sah zu, wie die gesamte Gruppe hinter ihm herstob. Er hingegen steigerte langsam sein Tempo. Er schaute auf seinen Tacho. Einen Kilometer gab er sich bevor er seine maximale Pulsfrequenz erreichen würde. Den Blick nach vorne. Abgehängte Fahrer die links und rechts an ihm vorbei rauschten. Den Blick nach unten. Schweißtropfen, hinab rinnend an seiner Nase.

Zeres hatte sein Hinterrad. Evans war ihm nicht entkommen. Aber es war wirklich nur der Auftakt gewesen. Noch bevor er in Führung gehen oder selber Angreifen konnte war ihm Contador schon zuvor gekommen. Der kleine Spanier raste förmlich nach vorne weg. Sogar er konnte nicht schnell genug reagieren. Schnaufend schloss Zeres die Lücke. Er schaute sich kurz um, nur um zu erkennen, dass er immer noch viel zu viele Begleiter hatte. Verfolger. Hinterradlutscher. Die große Selektion blieb heute aus.
Da hatte er Contador wieder eingeholt! Fast schon erleichtert ging er an ihm vorbei in die Führung. Keinen Gedanken verschwendete an einen Angriff. Froh, überhaupt für einen Moment Stabilität in die Situation gebracht zu haben beschränkte er sich darauf, weitere Attacken zu unterbinden. Es schien ihm, als habe er die Büchse der Pandora geöffnet: Eine hungrige Meute hinter ihm, eine blutrünstige voraus und eine tödliche in der Verfolgung. Er war umzingelt.

Tobias sank auf die Knie herunter. Um ihn herum schrieen und kreischten die anderen Reporter auf der Tribüne. Die riesen Leinwand an der Wand zeigte eben eine Großeinstellung von Jerdonas Gesicht. Der unbeteiligte Blick, den er noch am letzten Anstieg so erfolgreich gezeigt hatte, fehlte. Der Titelverteidiger schien angenockt! Während er in den Alpen das Feld noch nach Belieben dominiert hatte schien der Baske und ordentlich kämpfen zu müssen. Einen schlechten Tag konnte jeder einmal erwischen, aber konnte er sich ihn erlauben?

Nun war es eigentlich amtlich. Er machte Tempo. Für die anderen. Er griff nicht an. Seine Dominanz war fortgewischt, und das schon nach zwei Attacken, die er kontern musste. Würden sie Blut wittern? Heute war vielleicht die letzte Chance, ihm die Tour noch zu entreißen. Was sollte er tun?
Jerdona ließ sich zurückfallen. Aus der zweiten Reihe beschaute er sich die anderen Gesichter. Und er konnte ihnen die Überraschung anmerken. Diese Angewohnheit hatte er schon während anderer Rundfahrten praktiziert ebenso wie auf den ersten Bergetappen in den Alpen. Die Verwirrung war da. War er schwach? Wartete er? Forderte er sie heraus? Würde er gleich angreifen?
Wieder rollte er in die Führung und verlangsamte das Tempo ein wenig, wie als ob er die anderen einladen würde, es selber zu versuchen. Die Planlosigkeit war perfekt. Diese ganze Scharade kostete ihn zwar Zeit auf Schmidt, aber wenn er dadurch seinen schwachen Tag überbrücken konnte war es das Opfer wert. Ihnen standen noch zwei weitere Bergetappen bevor, genug, damit er den Sieg perfekt machen konnte.

Er konnte es nicht glauben. Wenn die Zeiten, die er über Funk übermittelt bekam, stimmten, dann war er nur noch 10 Sekunden hinter Zeres zurück. Unterbewusst versuchte er durch die Zuschauermengen etwas zu erahnen, vergebens. Er senkte seinen Kopf wieder, konzentrierte sich auf seine Pulsuhr und trat stur weiter.
Doch, es stimmte! Als er seinen Blick wieder hob konnte er eben noch einem Motorrad ausweichen, das er von hinten aufrollte. Augenblicklich richteten sich eine ganze Reihe an Objektiven und Kameras auf ihn. Heute schien sein Tag zu sein!
Wie von selbst fuhr er an der Gruppe vorbei. Und ging in die Führung. Als er sich umdrehte konnte er die Schmerzen auf den Gesichtern sehen. Auch Jerdona schien… ja, er schien tatsächlich zu leiden. Das Gelbe Trikot fuhr hinter ihm her und litt am Berg. Bei seinem Tempo!

Es war wie aus einem Alptraum. Er, der eigentlich mit Abstand stärkste Kletterer der Welt, litt hinter einem Zeitfahrer. Bergauf. Der moralische Schlag war enorm. Eben hatte Jerdona noch die Kraft und Motivation in sich gesammelt um einen Angriff zu wagen, nun musste er sich zusammen raufen um nicht abreißen lassen zu müssen. Er!
Als der Teufelslappen auftauchte, atmete er auf.

Wieder ein Blick zurück. Wieder das gleiche Bild. Sie alle fuhren hinter ihm, konnten oder wollten nicht schneller. Ihm war es einerlei. Sollte er versuchen, eine Lücke zu reißen? Nein, das war vermessen. Es genügte ihm, sie leiden zu sehen. Und leiden taten sie. Die letzten Kurven. Rasmussen hatte sich die Etappe geschnappt, hier gab es nichts zu holen. Trotzdem versuchte er, eine Art Sprint von vorne zu fahren. Dass es misslang und er in der Gruppe nur Dritter wurde störte ihn nicht weiter. Er hatte nicht nur keine Zeit verloren, er hatte diese Etappe mit bestimmt!

Hatte die Menge heute Morgen noch eine siegessicheren, euphorischen Zeres erlebt sah sie nun einen nachdenklichen. Er hatte keine wichtige Zeit liegen lassen, doch er hatte erfahren müssen, das zum einen die Tour noch nicht vorbei war und er zum anderen nicht unverwundbar war. Wenn er nur daran dachte, was hätte passiert können, wenn er die Attacke von Leipheimer mitgegangen wäre…
Er schüttelte es ab. Morgen würde er zurückschlagen und das ganze Feld würde seinen Zorn erleben!
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slomi
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Beitrag: # 459695Beitrag slomi
14.8.2007 - 12:28

Auf diesen Etappenbericht hat sich das Warten wirklich gelohnt.
Habe so richtig mitgefiebert und es kam mir vor als würde sich das Alles vor meinen Augen abspielen.

Auch wenns nur 4 Tage waren, kamen die mir ewig vor da dein AAR mich und vermutlich auch einige Andere :wink: so richtig gefesselt hat.

Kann dich einfach nur in höchsten Tönen loben, nicht nur für diese Etappe sondern auch wider für den gesamten AAR!

mfg slomi
Zuletzt geändert von slomi am 14.8.2007 - 23:11, insgesamt 1-mal geändert.
Qualle als Hut ist Gut, aber Mineralwasser ist nasser.

Lancelot
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Beitrag: # 459816Beitrag Lancelot
14.8.2007 - 21:01

Begeisternd :!:

Was sagtest du, hat der Verleger gesagt? :D
"Lohnt es sich denn?" fragt der Kopf.
"Nein, aber es tut so gut!" antwortet das Herz.

Autor: unbekannt

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arkon
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Beitrag: # 460054Beitrag arkon
15.8.2007 - 21:14

Der eigentliche Spaß begann, wie immer, nach dem Rennen. Jerdona hatte schon auf der Etappe genug gehabt, jedenfalls für seinen Geschmack. Die Presse schien das anders zu sehen. Zu allem Überfluss musste er noch auf die Tribüne, um das Gelbe Trikot verliehen zu bekommen. Es war ein eigenartiges Gefühl, da oben zu stehen: Er hatte soeben den vielleicht härtesten Tag der Tour überstanden. Die heutige Etappe war genau genommen ein Triumph für ihn gewesen: Er hatte seinen „Tag ohne Beine“ durch litten und war trotzdem zeitgleich mit seinen größten Gegnern ins Ziel gekommen. Die nächsten beiden Etappen würden die Entscheidung bringen, und schon bald würde Andorra zu einer verblassten, schlechten Erinnerung werden, irgendwo tief hinter seinen ansonsten makellos schönen Eindrücken dieser Tour.
Auf dem Weg ins Hotel war er wieder einmal froh, das er Dave hatte. Der Hüne chauffierte ihn sicher bis vor den Eingang und half dann seinem zierlichen Freund sicher durch die Menschenmassen, nur, um die Tür danach zu bewachen. Seine ‚Mitarbeiter‘, woher er sie auch immer hatte, machten sich wieder einmal nützlich und innerhalb von Minuten war der Tumult draußen beendet.
Drinnen herrschte beim Abendessen etwas gedrückte Stimmung. Yuri versuchte, Jerdona etwas aufzubauen. Dieser wusste auch nicht so recht, wie er sich fühlen sollte. Vielleicht erwarteten die anderen, das Jerdona morgen wieder Probleme haben würde. Damit wäre die Arbeit des Teams so gut wie zunichte gemacht.

Fabian verlebte derweil ein sehr lautes Abendessen. Laufend unterbrachen ihn Leute beim Essen und gratulierten ihm zu seiner Leistung. Die Fahrer der anderen Teams, die Angestellten des Hotels, Fans. Obwohl das Hotel versuchte, ihm etwas Ruhe zu verschaffen, war ihre Mission vom Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die Tour war mit einem Schlag von einem theoretischen Dreikampf zu einem realen geworden. Zeres schien nicht mehr so dominant, Schmidt musste in den Bergen um jeden Meter kämpfen und Evans wurde kaum die nötige Größe nachgesagt. Und hinter ihnen lauerte eine ganze Reihe an Fahrern, die ihre Chance sahen. Die Tour war offen. Und Schmidt war einer der Helden.
Der Abend für wurde perfekt, als Louise ihn besuchte. Nach der Massage hatte er einige Minuten alleine auf seinem Zimmer, besser gesagt zu zweit. Nach allem, was Fabian die ganzen letzten Tage durch litten hatte, musste er jetzt noch eine härtere Probe bestehen: Die Regeln im Team waren, was zwischenmenschliche Aktivitäten an beging, leider explizit: Nicht während der Tour. Und auch wenn beiden in dieser Situation die Regeln als solche relativ egal waren, so konnte Fabian es sich nicht erlauben, durch das Nachgeben seine Leistung im Rennen zu gefährden. Das Team verließ sich auf ihn. Und er rechtfertigte ihr Vertrauen.

Gesamt
1. Zeres 00:00
2. Schmidt 01:36
3. Evans 02:13
4. Leipheimer 03:15
5. Contador 03:29
6. Rasmussen 03:30
7. Klöden 03:39
8. Valverde 04:59
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arkon
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Beitrag: # 460403Beitrag arkon
17.8.2007 - 18:35

Radfahren ist eine Sache des Kopfes. Nicht nur bildet er eine der entscheidenden Waffen im direkten Schlagabtausch, auch in der Vorbereitung des Körpers auf die anstehenden Anstrengungen ist er unerlässlich.
So kam es, das Jerdona Zeres aufstand, und in etwa abschätzen konnte, wie scheiße es ihm ging. Die Tatsache alleine, das er sich schwach fühlte, wäre von peripherer Wichtigkeit gewesen. Jedoch durch seine Schwäche auf dem gestrigen Teilstück und in voller Erkenntnis, das er sich auch noch selber abfuckte, wog diese eigentlich kleine Schwäche tonnenschwer.
Er schleppte sich zum Frühstück, quälte sein essen herunter. Im Hinterkopf die Erwartung des eigenen Untergangs schlang er Bissen für Bissen hinab. Yuri neben ihm, die Jungs um den Tisch herum verteilt. Es erinnerte ihn fatal an das letzte Abendmahl.
Die Stimmung war leise, verhalten optimistisch. Der Kapitän, der Jesus, hatte ihnen vom Verrat noch nichts erzählt. Er konnte die Fragen schon hören: „Warum hast du uns nicht vorgewarnt?“ „Wir hätten dir doch helfen können!“ „Bin ich es etwa, Herr?“ Er verabscheute es. Alles in allem hatte er keinen Willen, sich durch diese Etappe zu quälen, eine vorbestimmte Etappe. Niederlage nach Skript.
Er schleppte sich aus dem Saal heraus. Als er die Lobby durchquerte sah er sie aus den Augenwinkel.
„Unsere Beziehung ist von Hotellobbys geprägt... Ich könnte mir wirklich besseres vorstellen“
„Zwei Opfer des Jetset, fern ihrer Heimat – Die Lobby eines Hotels erscheint mir angemessen.“
„Wie geht’s dir? Du siehst nicht besonders gut gelaunt aus.“
„Mit 200 brutalen Kilometern für den Tag... Ich freu mich schon auf die Ferien. Das letzte Wochenende war ein bisschen kurz“
„Weißt du, was ich an dir bewundere?“
Ein Moment der Stille. Ein Blick der Stille.
„Du kämpfst. Du gibst nicht auf. Gestern war ein harter Tag für dich. Ich wollt dir nur sagen, das es wirklich inspirierend war. Und ist. Zeig es ihnen. Heute. Jetzt!“
Jerdona musste lächeln. Chloe wusste gar nicht, wie gut ihr Auftritt in seinen persönlichen Tagesplan passte. Eine Umarmung war ihr Lohn.
„Wir sehen uns – heute abend.“ rief er ihr im gehen noch zu. Es war doch noch nicht geschrieben. Sein Vater hatte den Kelch noch nicht in seine Hände gedrückt – würde er vorüber gehen?
Zuletzt geändert von arkon am 17.8.2007 - 22:10, insgesamt 1-mal geändert.
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Grabba
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Beitrag: # 460453Beitrag Grabba
17.8.2007 - 21:35

Mein erster Blick sagte mir nur, dass dies wieder ein lustloser Beitrag ist, mit der eher nicht so gelungenen letzten Etappe im Kopf, mit dem du dich um einen weiteren Etappenbericht drücken willst. (Und dann noch das "rief er ihm im gehen noch zu"... *g*)
Doch am Ende... Ja, am Ende entfaltet dieser kleine Beitrag doch noch seine ganze Genialität! Beeindruckend, begeisternd. Wenngleich dies vielleicht das beste Beispiel für deinen derzeit wechselhaften Stil ist. Dennoch macht es einfach Freude, so etwas zu lesen. Fein! :)

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