|
[color=white][b][size=100]AUSGABE 6, MONTAG 14. FEBRUAR 2005 [/size][/b][/color]
SEITE 4: TITEL
IN MEMORIAM
Weltmeister und Sympathieträger
Der Radsport der siebziger Jahre wurde eine Hochzeit der Belgier und Niederländer – Gerrie Knetemann trug einen gewichtigen Teil dazu bei und stieß dabei oft aus den Schatten seiner großen Landsmänner.
Ein Blick in das Archiv des Radsports der siebziger Jahre ist lohnenswert. Große Namen tauchen dort auf: de Vlaeminck, Godefroot, Moser, Ocaña, Thévenet, van Impe, Raas, Zoetemelk und natürlich der Beste von allen, Merckx. Sie alle verzauberten nicht nur die Radsportintusasten mit ihrer Leichtigkeit, ihrer Leidenschaft und ihrem Ehrgeiz.
Diese Namen prägten jene Zeit. Allen voran war dafür der Kannibale, Eddy Merckx verantwortlich, er triumphierte bei den großen Rennen im Frühjahr, Sommer und Herbst, im Winter fuhr er Sechs-Tage Rennen und gewann natürlich. Ein Leben für den Rennsattel.
Der alles überragende Rennstall der siebziger Jahre hieß ohne Frage Raleigh. Ihr legendärer Teamchef Peter Post verstand es die Mannschaft in den Vordergrund des Interesses zu rücken und eine geschlossene Einheit zu formen, die ohne einen Star auskam. Die Dutzenden von Siegen brachten ihm Recht und der Sponsor war zufrieden. Namen wie Jan Raas, Dietrich Thurau, Hennie Kuiper, Joop Zoetemelk, Steven Rooks, Beat Breu, Urs Freuler, Jacques Hanegraaf, Peter Winnen, Theo de Rooy sorgten in einem Jahrzehnt für viele erfolgreiche Momente für Raleigh.
Zu dieser Equipe gehörte auch der Niederländer Gerhard Friedrich Knetemann, auch bekannt unter dem Namen Gerrie Knetemann oder besser noch „Kneet“. Er avancierte in den 70er Jahren zu einem der besten Radrennfahrer der Welt. Knetemann fuhr über 130 Siege ein und wurde einmal Weltmeister auf der Straße.
Das Licht der Welt erblickte er am 6. März 1951 in der Stadt der Tulpen, Amsterdam. Knetemanns Liebe zum Radsport entwickelte sich schon in seiner frühen Kindheit und wurde durch seine Familie gefördert. Mit 23 Jahren begann seine Karriere als Profi bei der französischen Mannschaft gan-Mercier. Sein Talent stellte er bereits in seinem ersten Jahr unter Beweis, als er beim Amstel Gold Race als Solist die große belgische Konkurrenz um Planckaert, Godefroot, Maertens düpierte und sich somit gleichzeitig innerhalb seiner Mannschaft die Tour de France Teilnahme für 1974 sicherte.
Diese fuhr er Seite an Seite mit Raymond Poulidor bei gan-Mercier. Er verhalf seinem Kapitän zu dessen siebter Podiumsplatzierung und belegte selbst einen hervorragenden 38. Rang. Auf der 19. Etappe, einem Zeitfahren rund um Bordeaux fuhr er als Neuling auf den dritten Platz. Nur wenige Sekunden hinter dem Sieger der vierundsiebziger Auflage, Eddy Merckx.
"Contre la montre" war nur eine von vielen Stärken des Niederländers
Neben seinen Überraschungscoup beim Amstel Gold Race gelang „Kneet“ bei einem Zeitfahren der Dauphiné Libéré zudem noch ein weiterer Erfolg in seinem ersten Profijahr.
Für Gerrie Knetemann ging es fortan nur bergauf: 1975 gewann er den Prolog der Tour de l'Oise sowie die 3. Etappe der Tour de Romandie. Im Juli wurde er erneut für die Tour de France nominiert und trumpfte groß auf. Das zwölfte Teilstück zwischen Tarbes nach Albi konnte der damals vierundzwanzig jährige im Sprint gegen den Italiener Giovanni Cavalcanti gewinnen.
Nach seiner zweiten Saison als Profi und fünf Erfolgen schlug Knetemann seine Zelte bei der legendären Raleigh Equipe auf und verdiente dort seine Brötchen. Knetemann entwickelte sich unter der Leitung von Peter Post zu einem der besten Radrennfahrer dieser Zeitepoche. Die Frankreich Rundfahrt 1976, erstmals im rot-gelb-schwarzen Raleigh Trikot, musste er auf der 14.Etappe beenden, hatte in diesem Jahr aber schon im Frühjahr die Ruta del Sol vor seinem Teamkollegen Hennie Kuiper für sich entscheiden können. Seine Heimatrundfahrt gewann Knetemann ´76 ebenfalls und rundete damit ein gelungenes Debütjahr für seinen neuen Rennstall ab.
Die Tour de France 1977, die den deutschen Radsport mit Dietrich Thuraus fünften Gesamtrang aus der Versenkung holte, war für Knetemann ebenfalls eine sehr erfolgreiche. Erstmals gelangen dem Niederländer zwei Etappensiege. Das Teilstück nach Dijon gewann er nach einem beherzten Antritt knapp vor dem Hauptfeld. Zwei Tage später war Knetemann wieder zur Stelle und gewann den Sprint aus einer Gruppe heraus im Pariser Vorort Versailles vor seinem Landsmann Joop Zoetemelk.
Auch im Frühjahr 1977 konnte Knetemann jubeln: Er holte sich zwei Etappen bei Paris-Nizza und stand bei Rund um den Henninger Turm und den Vier Tagen von Dünkirchen ganz oben auf dem Siegerpodest.
Der Moment seines größten Erfolges, umrahmt von Moser (l.) und Marcussen
Sein bestes Jahr hatte „Kneet“ jedoch 1978. Die Saison begann für Ihn mit einem Erfolg bei der Mittelmeer Rundfahrt und setzte sich im März bei Paris-Nizza mit drei Etappensiegen und dem Gesamtssieg fort. Zudem gewann der den belgischen Klassiker GP Pino Cerami und den Prolog der Tour de Suisse.
Auch die Tour bescherte ihm und seiner Raleigh Formation wieder einige glückliche Momente. Beim ersten von fünf Tour de France Erfolgen des Bernard Hinault triumphierte Knetemann auf der Etappe nach Lausanne erneut im Alleingang. Eine Demonstration der Stärke des Raleigh Team konnten die Zuschauer beim Mannschaftszeitfahren über 153 Kilometer zwischen Evreux und Caen bestaunen. Die Niederländer in der Aufstellung Knetemann, Kuiper, Wesemael, Thaler, Lubberding, De Cauwer demoralisierten ihre Konkurrenten und nahmen bereits der drittplatzierten Mannschaft Miko-Mercier mit dem Favoriten Joop Zoetemelk mehr als vier Minuten ab.
Auf der sechsten Etappe konnte sich Knetemann gar das Maillot Jaune dank eines zweiten Platzes hinter dem noch jungen Iren Sean Kelly für zwei Tage überstreifen, bevor es ihm sein Teamkollege Klaus-Peter Thaler zwei Etappen später abnahm. Ein weiterer Höhepunkt der `78er Tour de France war sein Sprinterfolg auf dem Champs Elysées und sein damit vierter Etappensieg bei der Großen Schleife.
Etwa einen Monat nach Ende der Frankreich Rundfahrt stand am 27. August die Straßenweltmeisterschaft auf dem Programm. Knetemann nahm seine gute Form aus Frankreich mit auf den Nürburgring nach Deutschland und lieferte sich mit Vorjahressieger Francesco Moser aus Italien ein hauchdünnes Sprintduell. Der Lohn für seine Arbeit war das Regenbogentrikot, das er durch die Saison 1979 tragen durfte.
Paris-Nizza konnte Knetemann getrost als eines seiner Lieblingsrennen bezeichnen, denn er landete insgesamt achtmal auf dem Podium und gewann sieben Teilstücke. Auch einem Jahr nach seinem großen Triumph auf der Rennstrecke in der Eifel fuhr er sich erneut in die Herzen seiner niederländischen Landsleute.
Erstmals gewann er den Prolog bei der Tour de France, trug das Gelbe Trikot wieder für zwei Tage und überraschte kurz vor Ende der Rundfahrt die Sprinter auf der 22.Etappe nach Auxerre. Knetemann beendete die Tour 1979 als 30., es sollte seine beste Gesamtplatzierung bleiben.
Nach fünf Jahren Profidasein zeichnete sich Knetemann als ein endschneller Mann mit exzellenten Zeitfahrqualitäten aus und blickte bereits auf einen Weltmeistertitel und sieben Etappenerfolge bei der Tour de France zurück.
Knetemann war an seinem Zenit angelangt, hatte ihn aber noch lange nicht überschritten. 1980 gewann er zum zweiten Mal in seiner Karriere die Mittelmeer Rundfahrt, wusste seine Zeitfahrstärke gekonnt einzusetzen und setzte sich so bei zwei Rennen gegen die Uhr durch. Zudem ging er bei der Holland- und der Belgien Rundfahrt als Sieger hervor und auch bei der Tour de France holte er sich wie fast schon üblich seinen Etappenerfolg. Das Rennen in seinem Heimatland dominierte er nach Belieben und war insgesamt viermal erfolgreich.
Dass Knetemann die Rundfahrten den Eintagesrennen vorzog, änderte sich auch in der Folgezeit seiner Karriere nicht. 1982 gewann er die Drei Tage von De Panne, auch aufgrund seiner Qualitäten im Kampf gegen die Uhr. Die Tour de France 1982 war business as usal für den mittlerweile einunddreißig jährigen. Er distanzierte Sean Kelly auf der vierten Etappe nach Mouscron im Sprint und schlug erstmals Bernard Hinault bei einem langen Zeitfahren der Tour.
Es waren zugleich Knetemanns letzte Siegesmomente in Frankreich. Insgesamt gewann er zehn Etappen und trug vier Tage lang das Maillot Jaune.
Gelb trug er öfters, sogar vier Tage in Frankreich bei der Tour
Seine letzte Saison 1983 für das Raleigh Team, welches sich Ende 1986 aus dem Profiradsport zurückzog, begann für Knetemann standesgemäß mit einem Erfolg bei der Mittelmeer Rundfahrt, die er damit zum dritten Mal gewann und bis heute deren Rekordsieger ist.
Doch der Schein trügt. Bei einem kleinen belgischen Klassiker „Quer durch Belgien“ verletzte sich der Niederländer so schwer, dass seine Laufbahn kurz vor dem Ende stand. Er benötigte lange Zeit, um sich davon erholen zu können. Am Ende des Jahres kehrte er Raleigh den Rücken und wechselte zu einer kleinen belgischen Mannschaft namens Europ Decor.
1984 startete er dort zwar ein Comeback, gewann auch in gewohnter Art einige Zeitfahren bei der Ruta del Sol und der Valencia Rundfahrt, konnte allerdings an seine großen Erfolge nicht wieder anknüpfen.
Auf das einjährige Intermezzo in Belgien folgte ein erneuter Wechsel nach Frankreich zum Team Skil, dem damaligen Rennstall von Sean Kelly. 1985 kehrte Knetemann an den Ort seines ersten großen Triumphes zurück, dem Amstel Gold Race. Dort gewann er sein letztes großes Rennen wie 1974 im Alleingang und ließ seine Landsleute noch einmal vom großen „Kneet“ sprechen.
Seine letzte Profistation war PDM, bei denen er noch vier Erfolge einfahren konnte, bis er dann 1989 im Alter von 38 Jahren seine Karriere beendete.
Gerrie Knetemann erlitt am 2. Novemeber des letzten Jahres während einer Radtour einen Herzschlag, an dessen Folgen er sofort verstarb. „Kneet“ wurde nur 53 Jahre alt und war zum Zeitpunkt seines Todes Auswahltrainer der niederländischen Nationalmannschaft.