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22. September 2005, Bilbao
Jerdona ließ es sich nicht nehmen, persönlich bei Ronsino Baldo vorbeizufahren. Die Wohnung lag in Santurtzi, bezeichnenderweise nahe des Friedhofes, dafür aber mit sehr hübschem Blick auf das Meer und den Bilbao, den großen Fluß durch die Stadt, wie Tobias mit einem Blick aus dem Auto feststellte. Zeres hatte das fahren übernommen, in dieser spanischen, äh, baskischen Stadt lief er immer Gefahr, Unfälle zu bauen. Er war zwar einiges an schlechtem Fahren gewöhnt, aber so riskant wie es hier zuging...
Jerdona parkte unweit der Adresse, die er herausgesucht hatte. Nachdem er den Motor abgestellt hatte, atmete er ersteinmal tief durch. Die Sonne, die hoch am Himmel stand und der Stadt einen goldenen Herbst bescherte, wirkte grotesk zu der Stimmung im Auto.
Nachdem Jerdona gestern Abend erfahren hatte, wer hinter alledem steckte, hatte er in der Nacht kaum ein Auge zugedrückt. All die Wut, all die Enttäuschung und Aggresion der vergangenen Tage schienen nun endlich ein Ziel gefunden zu haben. Er hatte endlich ein Feindbild. Tobias wusste, wie sich sein Freund fühlte, und es beunruhigte ihn. So sehr er ihn verstehen konnte, so deutlich war ihm auch die Gefahr bewusst, das er handgreiflich werden konnte, wenn er seinem Gegner, und das war Ronsino offensichtlich, gegenübertreten würde. Und einen weiteren Skandal konnten sie sich im Augenblick nicht leisten.
"Jerdona, alles ok?"
Ein langes Schweigen war die Antwort. Der Angesprochene starrte stur geradeaus auf das Lenkrad. Dave im Fond meldete sich zu Wort.
"Wir sind bei dir, du kannst dich auf uns verlassen. Um den Mistkerl kümmern wir uns später, erst müssen wir eine andere Sache gerade biegen."
Es dauerte einige Zeit, bis Jerdona antwortete"Ok, ich werd mich bemühen. Lasst uns endlich gehen" schob er mit einem Grinsen hinterher. Der Weg zur Wohnungstür verlief schweigend. Tobias und Dave stellten sich links und rechts der Tür auf, während Zeres direkt davor wartete.
Etwas überrascht öffnete Ronsino Baldo die Tür. "Jerdona, was willst du denn hier? Du bist doch garnicht mehr im Trainig?"
"Ich dachte, ich statte mal dem Teamarzt meines Vertrauens einfach so einen Besuch ab." Tobias lief es kalt den Rücken runter, so wie er das Wort 'Vertrauen' aussprach. Ohne weitere Fragen drängte Dave Ronsino in die Wohnung hinein, die beiden anderen folgten und Schuster schloss schließlich die Tür hinter ihnen.
Nachdem sie sich im Wohnzimmer auf den Sesseln und der Couch ausgebreitet hatten und Ronsino ebenfalls 'gesetzt worden war', zog Dave wieder seinen MP3-Player heraus. Diesmal hatte er ihn jedoch von dem Abhörequipement befreit und mit zwei kleinen Boxen verbunden. Sie waren zwar nicht laut, aber erfüllten ihren Zweck voll und ganz. Im Zimmer wurde es ohnehin sehr leise, als die Aufnahme geendet hatte. Das anfängliche Protestgestammel des Teamarztes von Euskaltel war einer eiskalten Mine gewichen.
"Und, was habt ihr jetzt damit vor? Euch selber ins Gefängniss bringen? Ihr glaubt doch wohl nicht ernsthaft, dass das akzeptiert wird, geschweige denn irgendeine Beweiskraft hat?"
"Nein, aber das ist garnicht nötig. Wissen sie, wer ich bin?" fragte Tobias.
"Tobias Schuster, freier Reporter für den Gegensatz vielleicht?"
"Genau, und was sagt ihnen das? Wenn wir das hier veröffentlichen werden sie zwar nicht unbedingt angeklagt, aber ihr Ruf ist vernichtet. Das Team trägt erheblichen Schaden davon und sie können mit Sicherheit nie wieder irgendwo als Arzt im Radsport, in irgendeiner Sportart, tätig werden. Jerdonas Ruf ist rehabilitiert und nach zwei Jahren Sperre wird er wieder fahren und siegen können, während ihr Leben zerstört ist."
Eine kurze rhetorische Pause.
"Oder wir ersparen uns eine ganze Menge Ärger und sie helfen zur Abwechslung mal uns."
Das Pokerface wackelte nur für einige Augenblicke.
"Und was soll ich tun?"
Jerdona beschrieb ihm seine Idee. Wieder kehrte Stille ein. Die einen warteten gespannt auf Baldos Reaktion, dieser überlegte ein wenig hin und her. Er hatte seinen Gegner unterschätzt, schlimmer noch, er hatte nicht angenommen, das man ihm so leicht auf die Schliche kommen könnte. Und während seine Tat so gut wie nicht nachweisbar war, gab es doch zwei Schwachpunkte. Der eine war dieser Trottel Jatano Beriola, er hätte ihm nie so stark vertrauen dürfen. Obwohl er ihm gegenüber loyal war, so war er doch zu beschränkt, um wirklich ungefährlich zu sein. Und den anderen Schwachpunkt nutzen sie gerade aus. Das eigentlich gefährliche war, das sie die Aufnahme natürlich behalten würden. Selbst wenn er dieses mal mitspielte, so konnten sie den Trick noch öfter anwenden, würde etwas schief laufen oder käme er 'auf dumme Gedanken'. Früher oder später würde er zurückschlagen müssen, aber für den Augenblick waren seine Alternativen nicht sehr vielversprechend.
"Sieht so aus, als würde ich mitspielen müssen." Wenigstens würde ein eventuell mitlaufendes Mikro keine wirklichen Beweise gegen ihn hervorbringen. Möge es so bleiben...
"Ich lasse euch die Information zukommen, möglichst noch heute."
Jerdona blickte kurz zu Dave und Tobias und bekam ein kurzes Nicken als Antwort.
"24 Stunden, sonst ist alles zu spät" schob Dave noch hinterher, bevor sich die drei Besucher ohne ein weiteres Wort erhoben und Ronsino mit seinen Rachegedanken alleine zurückliessen.
Noch auf dem Weg zum Auto musste Jerdona laut lachen, und auch Tobias konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Sie hatten auch die zweite Runde gewonnen. Das die schwerste Aufgabe noch bevorstand war für den Augenblick belanglos. Als sie schließlich wieder unter sich waren, fragte Tobias gleich nach dem Mikro, das Dave natürlich dabei gehabt hatte.
"Das hab ich nicht mehr."
"Was soll das denn heissen? Hast du es verloren?"
Dave schüttelte knapp den Knopf.
"Es ist noch in der Wohnung." Auf die erstaunten Blicke der beiden anderen erklärte er: "Ich habe irgendwann gemerkt, das er sich totsicher nicht mehr verplappert. Also hab ich die Wanze im Sessel verstaut, auf das wir sie eines Tages abholen mögen und sie uns mehr schlagkräftige Beweise bringen möge"
Für eine echte Feier war es noch ein wenig zu früh, aber Jerdona lud seine beiden Helden zumindestens schonmal zum Essen in einer Sportkneipe ein. Und während sie sich ein mittelmäßiges Bier beziehungsweise einen Orangensaft gönnten, verfolgten sie mit halbem Auge im Fernseher das WM-Einzelzeitfahren der Männer.