Noch klein, aber bald vielleicht ganz groß?

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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Henrik
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Beitrag: # 318115Beitrag Henrik
13.11.2005 - 10:51

Am Ruhetag telefonierte ich erneut mit einem inzwischen wieder besser gestimmten Alejandro. Einen Tag später stand er dann bereit zum Start der letzten Bergetappe zwischen Mourenx und Pau. Kurz nach dem Start griffen Halgand, Freire, Sironi und Iglinski an, und auch Roberto hatte wieder die Erlaubnis bekommen, zu attackieren. T-Mobile übernahm sofort die Kontrolle über das Peloton, ließ die Ausreißer aber gewähren. Denn Roberto lag als bester auf Platz 79 und schon mehr als eine Stunde zurück. Während der Vorsprung kontinuierlich wuchs, stürzte hinten Thomas Dekker. Wegen des kräftezehrenden Ritts auf der Königsetappe schaffte er es nur mühsam, ins Feld zurückzukehren.

Roberto führte die Gruppe mit inzwischen acht Minuten Vorsprung über die erste Bergwertung, eine der dritten Kategorie. Auch beim zweiten Anstieg sicherte er sich die Punkte, der Abstand hatte jetzt die maximale Größe erreicht: 11 Minuten. Als das Feld sich dem Gipfel näherte, attackierten Gomez Marchante und Evans, um ebenfalls ein paar Punkte abzubekommen. Doch schnell ließen sie sich nach der Bergwertung in das auf 61 Fahrer verkleinerte große Feld zurückfallen. Alejandro und Oscar hatten noch drei Helfer bei sich: Inigo, Iker und Samuel. Außerdem fuhr zehn Minuten vor ihnen ja noch Roberto.

Als das Feld in den Aubisque hineinfuhr, waren es nur noch acht Minuten Abstand, mit einer schnell sinkenden Tendenz. Daher entschloss sich Roberto dazu, mit einer Tempoanziehung die Gruppe zu zerstören. Sironi fiel sofort zurück, auch Freire verlor bald den Anschluss. Mit den beiden anderen, wesentlich bessere Bergfahrer, schloss er sich zusammen, um sich das Feld vom Leib zu halten. Kurz vor dem Gipfel jedoch konnte auch Halgand nicht mehr mitgehen, Roberto gewann die Bergwertung vor Iglinski. Das Feld hatte Sironi und Freire inzwischen gestellt, Evans und Garate attackierten erneut kurz vor dem Gipfel. Evans ließ sich erwartungsgemäß schnell wieder einholen, doch Garate fuhr zu Halgand auf und ließ diesen stehen. Die nur noch 39 Fahrer umfassende erste große Gruppe lag noch immer vier Minuten zurück, doch Roberto und sein Mitstreiter wurden langsam müde. Doch Roberto war noch deutlich stärker als dieser, in der Abfahrt hängte er ihn mühelos und wohl eher unfreiwillig ab. Aber dasselbe wiederfuhr im kurz darauf mit Garate, nur spielte er dieses Mal die andere Rolle.

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Allerdings nützte dem Spanier das wenig, am Ende der Abfahrt war er gestellt. Roberto wurde durchgereicht, noch 28 Profis bildeten die Spitze. Immerhin vier davon fuhren für unsere Mannschaft, noch lief der Tag gut. Verschiedene Teams bildeten jetzt eine Allianz und hielten das Tempo hoch, da keine Mannschaft die Gruppe alleine kontrollieren konnte. Wir hielten uns vorne raus und schonten uns im Windschatten der anderen.

Am letzten Hügel, 20 Kilometer vor dem Ziel, gab es dann wieder Angriffe von Favoriten, die noch etwas retten wollten. Basso blieb genau so erfolglos wie alle anderen, nur Gomez Marchante setzte sich einige Meter ab. Eine halbe Minute konnte er auf die Verfolger herausfahren, am Ortseingang von Pau, 8000 Meter vor dem Ziel, war dieser Abstand immer noch existent. Das wurde Alejandro jetzt zu viel, er ging aus dem Sattel und griff an. Hinter ihm befand sich Velo, doch das machte ihm nicht viel aus.

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Näher und näher sog er sich heran, zwei Kilometer vor der Ziellinie war er dann vorbei. Jetzt musste Alejandro durchziehen, um vielleicht den dritten Etappensieg bei dieser Tour zu feiern. Der Weg war lang, aber er war stark und motiviert. Ohne sich umzudrehen preschte er weiter, und 500 Meter vor dem Ziel war sein Sieg klar. Keiner konnte ihm heute mehr das Wasser reichen, Gomez Marchante wurde zweiter. Rang drei ging im Fotofinish knapp an Oscar, noch ein Grund zur Freude für uns. 32 Sekunden hatte er gutgemacht, 32 Sekunden, die im Zeitfahren wertvoll sein konnten. Und sein erster Verfolger neben Oscar, Christophe Moreau, hatte heute acht Minuten verloren. Auch Rous, Botero und Armstrong waren weit zurück und verschenkten ihre guten Gesamtplatzierungen. Sonst blieb alles beim Alten, Vinokurov steuerte weiter auf den ersten Toursieg zu. Das grüne Trikot wechselte zu Alejandro, Roberto hatte in der Bergwertung noch 14 Punkte Rückstand auf den neuen Führenden, Gomez Marchante. Doch um die aufzuholen müsste er täglich attackieren und extremes Glück haben. Doch das war wohl eher nicht zu erwarten, denn seine Kraft neigte sich dem Ende zu. Morgen würde zwischen Pau und Revel die nächste Flachetappe ausgetragen, eine Chance, um sich vor der wichtigen Hügelankunft in Mende zu erholen.

16.Etappe: Mourenx – Pau
1 Alejandro Valverde EUSKALTEL - EUSKADI 4h33'24
2 José Angel Gomez Marchante SAUNIER DUVAL - PRODIR + 32
3 Óscar Pereiro EUSKALTEL - EUSKADI s.t.
4 Alexandre Vinokourov T-MOBILE TEAM s.t.
5 Francisco Mancebo ILLES BALEARS s.t.
6 Marco Velo SONY ERICSSON - IKEA s.t.
7 Inigo Cuesta SAUNIER DUVAL - PRODIR s.t.
8 José Azevedo DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM s.t.
9 Christophe Brandt DAVITAMON - LOTTO s.t.
10 Jan Ullrich T-MOBILE TEAM s.t.

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Henrik
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Beitrag: # 318132Beitrag Henrik
13.11.2005 - 12:13

Favoriten im Pech

Alejandros munteres Farbenspiel ging weiter, in Pau startete er im grünen Trikot. Doch das war nicht sein Ziel, heute sollte ein Tag zum Ausruhen und vorbereiten auf die Etappe im Zentralmassiv werden. Die Etappe ging aber nicht angenehm los: Die Sprinter hatten sich in den Kopf gesetzt, bis zur ersten Sprintwertung das Feld geschlossen zu lassen. So unterblieben erfolgreiche Attacken, die Sprinter kämpften um die sechs Punkte. Guidi war am Ende der glückliche Gewinner und jetzt durften die Angriffe losgehen. Zehn Fahrer attackierten, darunter die beiden Top-Sprinter Petacchi und Freire, aus der zweiten Reihe Wrolich, Dumoulin und van Heeswijk. Kurz darauf gab es den ersten Favoritensturz dieses Jahres: Gomez Marchante, erster in der Bergwertung, zweiter im Kampf um Weiß und Gesamt-Siebter fand sich am Boden wieder. Sechs seiner Mannschaftskollegen brachten ihn jedoch halbwegs unverletzt ins Hauptfeld zurück, das sein Tempo zwischenzeitlich verlangsamt hatte.

Der zweite Zwischensprint, der Vorsprung betrug mittlerweile sieben Minuten, brachte keine Vorschau auf die Stärken der bisher enttäuschenden Sprinter in der Gruppe. Petacchi holte sich kampflos den Sieg. Der Abstand wuchs ungebremst weiter, weder T-Mobile noch CSC oder irgendein anderes Team hatte Interesse, die Angreifer zurückzuholen. Dazu bestand auch kein Grund, schließlich war David Etxebarria als 103. bester in der Gesamtwertung, und sein Rückstand betrug schon anderthalb Stunden.

So häuften sich also immer mehr Minuten an, und nichts schien diesem Trend ein Ende zu setzen. Das nächste, was Spannung erzeugte, war unangenehmer Natur: Die nächsten Favoriten lagen am Boden, zehn Fahrer hatte es umgehauen. Dabei waren auch Lance Armstrong, sein Helfer Paolo Savoldelli und der Gesamtdritte, Francisco Mancebo sowie Juan Antonio Flecha. Die Ausreißer hatten sich 16 Minuten erarbeitet, doch darum kümmerte sich keiner mehr. Sechs Illes Balears-Helfer fuhren nach hinten zu den Gestürzten, um sie und vor allem ihren Kapitän wieder ins Feld zu fahren. Nach zehn Kilometern hatten sie ihre Aufgabe erledigt und fanden sich in der großen Meute wieder.

Die Bergwertung am einzigen Hügel des Tages ging mit inzwischen 22 Minuten Vorsprung an Ballan, es waren nur noch 60 Kilometer bis zum Ziel. 40 Kilometer dauerte die Eintracht noch, dann versuchte Mugerli, einen Sprint zu verhindern und trat an. 2000 Meter dauerte sein Alleingang mit maximal achtzehn Sekunden Abstand. 5 Kilometer vor dem Ziel begann dann endgültig das Taktieren, jeder wollte die ideale Position finden. Alessandro Petacchi führte die Gruppe letztendlich an, hinter ihm der Weltmeister und Peter Wrolich. Doch einmal mehr zeigte sich die schlechte Verfassung des Supersprinters: Bereits vor dem Flame Rouge war er nicht mehr vorne. Den Sieg machten Freire und Wrolich unter sich aus, der Österreicher drohte wie schon in Montpellier zu scheitern. Auch eine Schlussoffensive brachte ihm nichts mehr, das Regenbogentrikot durfte Jubeln. Fast 21 Minuten hatte Robert Hunter Rückstand, der den Sprint um Position elf gewann. In der Gesamtwertung veränderte sich nichts, die gestürzten Favoriten hatten Glück gehabt und keine Zeit verloren. Morgen auf dem Weg nach Mende kündigten sich die letzten Abstände vor dem Zeitfahren an, Vinokurov hatte die Chance, den Toursieg fast perfekt zu machen.

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Henrik
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Beitrag: # 318187Beitrag Henrik
13.11.2005 - 15:22

Letzte Möglichkeit zu Attacken

Die 18.Etappe war ein Teilstück, das in Mende im Zentralmassiv nach einem giftigen Anstieg endete. Diese Steigung versprach, noch einmal kleinere Zeitabstände hervorzurufen, doch große Änderungen im Gesamtklassement kündigten sich nicht mehr an. Es war wieder sonnig und auch die üblichen 30° waren zurückgekehrt. Früh gingen die ersten Angriffe, Roberto hängte sich wieder einmal an die Attackierer. Auch von diesen griffen einige schon zum wiederholten Male an, Nazon, Monnerais, Iglinski, Bongiorno, Freire und Etxebarria waren die Namen seiner Mitstreiter. Das Rennen verlief normal, bei wachsendem Abstand fuhren die Favoriten ruhig im Feld, es gab keine weiteren Angriffe.

100 Kilometer vor dem Ziel betrug der Vorsprung elf Minuten, jetzt würde sich entscheiden, ob das Feld wieder heranfahren wollte oder wie gestern eine Gruppe gewinnen würde. Doch das Peloton wurde jetzt von T-Mobile und Illes Balears gezogen, die Ausreißer schienen zum Scheitern verurteilt. Rasch wurden die Minuten weniger, zu Beginn des ersten der beiden Anstiege war nur noch eine Minute übrig. Acht Kilometer vor der Bergwertung wurden sie dann gestellt und sofort gab es neue Angriffe, dieses Mal von ambitionierteren Fahrern. Gomez Marchante und Moreau waren beide gut platziert, Verstärkung erhielten sie durch Nibali. Auch Casar attackierte wenige Momente später, doch Vinokurov holte die vier zurück, um dann selbst anzugreifen.

Viele Fahrer versuchten, mitzugehen, darunter Botero, Mancebo und Alejandro. Vinokurov setzte sich eine halbe Minute vor Basso, wiederum 30 Sekunden zurück lag eine 13-köpfige Verfolgergruppe um die meisten Favoriten, aber ohne Ullrich, Armstrong oder Oscar. Dieser hatte sich aus dem Feld abgesetzt und versuchte alleine, aufzuschließen. Der Gesamtführende vergrößerte seinen Abstand, Basso dagegen musste kämpfen, um nicht eingeholt zu werden.

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Zu Beginn der vier Kilometer langen Schlusssteigung lag Vinokurov eine Minute vor Basso, kurz darauf folgte Alejandro mit seinen Mitstreitern, die jetzt nur noch zu zehnt waren. Den Italiener konnten sie schnell stellen, aber das gelbe Trikot würde wohl den nächsten Sieg einfahren. Oscar näherte sich langsam, Alejandro versuchte noch eine kleine Attacke. Eine kleine Lücke riss zu den anderen auf, Meter um Meter wurde es mehr. Im Ziel fehlten 34 Sekunden zu Vinokurov, aber immerhin hatte er 28 Sekunden auf die anderen gutgemacht, Oscar hatte den Anschluss dagegen leider nicht mehr geschafft.

18.Etappe: Albi – Mende:
1 Alexandre Vinokourov T-MOBILE TEAM 4h36'21
2 Alejandro Valverde EUSKALTEL - EUSKADI + 34
3 Ivan Basso TEAM CSC + 1'12
4 Michael Rasmussen RABOBANK s.t.
5 Francisco Mancebo ILLES BALEARS s.t.
6 Santiago Botero PHONAK HEARING SYSTEMS s.t.
7 José Angel Gomez Marchante SAUNIER DUVAL - PRODIR s.t.
8 Cadel Evans DAVITAMON - LOTTO s.t.
9 Christophe Moreau CREDIT AGRICOLE s.t.
10 Rik Verbrugghe QUICK STEP + 2'12

12 José Azevedo DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 2'32
13 Óscar Pereiro EUSKALTEL - EUSKADI + 2'42
17 Jan Ullrich T-MOBILE TEAM + 4'02
19 Andreas Klöden T-MOBILE TEAM s.t.
22 Lance Armstrong DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 4'58
26 Jens Voigt TEAM CSC + 5'06
27 Georg Totschnig GEROLSTEINER + 5'14


Dieses Ergebnis rief in der Gesamtwertung keine allzu großen Veränderungen hervor, die Platzierungen von Alejandro und Oscar änderten sich nicht. Aber Alejadros Vorsprung auf Gomez Marchante betrug jetzt fast fünf Minuten, das sollte unter normalen Umständen zur Sicherung des Platzes reichen. Nur Oscar würde ihm wohl noch gefährlich werden, aber bei dreieinhalb Minuten Abstand konnte man keine Prognose wagen. Doch wer den vierten und fünften Platz belegen würde, war letztendlich egal, solange er aus unserer Mannschaft kam. Am nächsten Tag würde noch eine weitestgehend flache Etappe warten, auf der Vinokurov wohl auch sein zurückerobertes Bergtrikot behalten könnte. Alejandro besaß das weiße sowie das grüne, die Sprinter müssten morgen bereits angreifen, um im „ihr“ Trikot noch zu entreißen. In der Teamwertung würden wir voraussichtlich acht Minuten Vorsprung mit ins Mannschaftszeitfahren nehmen, so lange keine Veränderungen mehr passieren würden. Doch erfolgreiche Ausreißversuche von größeren Gruppen konnte es immer geben.

Gesamtwertung:
1 Alexandre Vinokourov T-MOBILE TEAM 78h24'09
2 Francisco Mancebo ILLES BALEARS + 5'13
3 Ivan Basso TEAM CSC + 6'18
4 Alejandro Valverde EUSKALTEL - EUSKADI + 7'39
5 Óscar Pereiro EUSKALTEL - EUSKADI + 11'16
6 José Angel Gomez Marchante SAUNIER DUVAL - PRODIR + 12'35
7 Sandy Casar FRANCAISE DES JEUX + 13'48
8 Michael Rasmussen RABOBANK + 16'14
9 Christophe Moreau CREDIT AGRICOLE + 20'14
10 Cadel Evans DAVITAMON - LOTTO + 21'59

11 José Azevedo DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 26'56
12 Santiago Botero PHONAK HEARING SYSTEMS + 27'19
13 Didier Rous BOUYGUES TELECOM + 29'53
15 Jan Ullrich T-MOBILE TEAM + 31'20
19 Lance Armstrong DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 36'07 20
21 Denis Menchov RABOBANK + 38'04
22 Andreas Klöden T-MOBILE TEAM + 39'08
26 Floyd Landis PHONAK HEARING SYSTEMS + 45'41
29 Andrei Kashechkin CREDIT AGRICOLE + 48'37
33 Georg Totschnig GEROLSTEINER + 51'58
34 Iban Mayo ILLES BALEARS + 53'25

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Henrik
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Beitrag: # 318272Beitrag Henrik
13.11.2005 - 20:41

Nur 156 weniger anspruchsvolle Kilometer stellten die letzte Etappe vor dem Zeitfahren dar. Es würde wieder zum Duell der Ausreißer gegen die Sprinter kommen, das schien klar. Doch am Anfang ging nur ein Duo weg, Max van Heeswijk sollte für Discovery wegfahren, mit ihm ging Detilloux von fdJeux.com mit. Das war es dann aber auch schon mit den Attacken, die beiden machten sich auf den Weg in Richtung Ziel. Das Rennen nahm einen völlig normalen Lauf: Der Franzose und der Holländer entfernten sich mit wachsender Distanz immer weiter vom Feld. 80 Kilometer vor dem Ziel waren es neun Minuten, jetzt musste das Feld sich entscheiden, entweder locker weiterzurollen und den Sieg zu verschenken oder einen Massensprint herbeizuführen. Die Tempoerhöhung deutete auf eine Entscheidung für letzteres hin, die Ausreißer sollten scheinbar scheitern. An einem möglichen Massensprint würden aber weder Petacchi noch McEwen teilnehmen können, der längste Anstieg des Tages hatte sie abgehängt. Van Heeswijk war nun endgültig platt und ließ sich zurückfallen. 40 Kilometer vor dem Ziel fand er sich im Feld wieder, es waren noch drei Minuten. Also lief das ganze auf einen sicheren Sprint hin. 20 Kilometer vor dem Ziel wurde dann auch der tapfer kämpfende Franzose gestellt, doch noch durften die Sprinter sich nicht freuen: Brandt und Casar griffen an, der junge Gesamtsiebte wollte offensichtlich nichts unversucht lassen. Anderthalb Minuten waren es unter dem 10-Kilometer-Banner, mit eher steigender Tendenz. Das konnte etwas werden. Näher kam man nicht mehr, die beiden machten den Sieg unter sich aus. Doch würde es den zweiten Sieg für den belgischen Meister geben oder könnte der Zweite vom Nationalfeiertag endlich ganz oben auf das Podest steigen? Brandt fuhr von vorne und war lange im Wind, unter dem roten Teufelslappen trat Casar an. Doch es reichte nicht, Brandt holte souverän den zweiten Etappensieg. Dritter wurde Guidi vor Cooke und O’Grady, dem seine schnelle Endgeschwindigkeit nichts mehr nützte. Eine Minute und 26 Sekunden Abstand wurden gemessen, Casar schob sich um einen Platz nach vorne. Das grüne Trikot verweilte mit noch 16 Punkten Vorsprung vor Cooke und 28 vor O’Grady auf Alejandros Schultern, auch in den anderen Klassements veränderte sich auf den vorderen Rängen nichts.



Am nächsten Tag stand das alles Entscheidende Zeitfahren auf dem Plan, ich sah im Internet den Ausgang nach.

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Henrik
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Beitrag: # 318313Beitrag Henrik
14.11.2005 - 12:21

Das letzte Teilstück zwischen Corbeil Essonnes und Paris würde wieder ein Schaulaufen werden, die Gesamtwertung war entschieden, die Strapazen der drei Wochen beinahe bewältigt und es ging nur noch um das Sprintertrikot. Auch das Wetter spielte mit, es herrschten für die Zuschauer herrliche 34° und die Sonne schien zum Finale auf dem Pariser Prachtboulevard. Schnell nach dem Start setzte sich der Spanier Fuentes ab und wurde zum Alleinunterhalter. Beim ersten Zwischensprint, der Ausreißer lag sechs Minuten vorne, konnte Cooke nicht punkten, andere schnappten ihm die Zähler weg. Die letzte Bergwertung der Tour 2005 passierte Fuentes mit inzwischen acht Minuten Vorsprung, mehr wurde es auch nicht mehr. Bei ihm machten sich erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar und das Feld wurde auch alles andere als langsamer. Bei der Stadteinfahrt von Paris, 55 Kilometer vom Ziel entfernt, lagen immer noch sieben Minuten zwischen Angreifer und Verfolgern, doch das Rennen begann erst jetzt richtig. Nach der ersten von vier Runden war mehr als die Hälfte eliminiert, lange würde es nicht mehr dauern. 28 Kilometer vor dem Ziel war der Angriff endgültig gestoppt, jetzt mussten die Sprinterteams das Feld zusammenhalten. Bis zur letzten Runde geschah nichts, und weiterhin spannten sich mehrere Teams vor das Feld, um Attacken zu unterbinden. Völlig problemlos gelang dieses Unterfangen, Davitamon und Phonak führten das Feld auf die Zielgerade. Den einen Zug führte Mattan an, rechts hinter ihm war Hunter im Wind. Mattan fuhr früh raus, McEwen musste lange im Wind stehen. Hunter zog vorbei, an seinem Hinterrad Guidi. Diesem überließ er das Feld 1,5 Kilometer vor der Ziellinie, es lief auf einen Kampf zwischen Guidi und O’Grady hinaus. Der Australien-Meister hatte die bessere Position, und die nutzte er grandios aus: Ein souveräner Sieg sprang heraus, er durfte sich als Sieger auf den Champs Elysees ehren lassen. Dann kamen Guidi und McEwen, doch keiner konnte den Sieger wirklich gefährden.

Die Siegerehrung des wichtigsten Rennens der Welt begann mit der Zeremonie für den Etappensieger Stuart O’Grady.

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Anschließen wurde Vinokurov aufs Podest gebeten, um den Pokal für den Gesamtsieg in Empfang zu nehmen.

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Viele Favoriten dagegen hatten gepatzt und waren weit zurück:

11 Santiago Botero PHONAK HEARING SYSTEMS + 27'24
12 José Azevedo DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 29'01
13 Didier Rous BOUYGUES TELECOM + 31'27
14 Jan Ullrich T-MOBILE TEAM + 31'32
15 Jonathan Gonzalez Rios ILLES BALEARS + 35'10
16 Cédric Vasseur COFIDIS, LE CREDIT PAR TELEPHONE + 35'50
17 Gilberto Simoni LAMPRE - CAFFITA + 36'22
18 Inigo Cuesta SAUNIER DUVAL - PRODIR + 36'32
19 Lance Armstrong DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 36'35
20 Marco Velo SONY ERICSSON - IKEA + 37'42

21 Andreas Klöden T-MOBILE TEAM + 39'35
22 Denis Menchov RABOBANK + 39'47
25 Floyd Landis PHONAK HEARING SYSTEMS + 46'16
29 Andrei Kashechkin CREDIT AGRICOLE + 50'36
32 Georg Totschnig GEROLSTEINER + 54'24
33 Iban Mayo ILLES BALEARS + 56'40
48 Jens Voigt TEAM CSC + 1h10'58
50 Danilo Di Luca LIQUIGAS - BIANCHI + 1h11'49
51 Leonardo Piepoli SAUNIER DUVAL - PRODIR + 1h13'48
52 Sylvain Chavanel COFIDIS, LE CREDIT PAR TELEPHONE + 1h16'12
60 Marzio Bruseghin SONY ERICSSON - IKEA s.t.
62 David Moncoutié COFIDIS, LE CREDIT PAR TELEPHONE + 1h27'01
70 Levi Leipheimer GEROLSTEINER + 1h32'04
79 Jörg Jaksche LIBERTY SEGUROS - WURTH TEAM + 1h38'37
80 George Hincapie DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 1h39'56
85 Carlos Sastre TEAM CSC + 1h41'34
86 Dario Cioni LIQUIGAS - BIANCHI + 1h43'31
87 Jaroslav Popovych DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 1h44'03
100 Bobby Julich TEAM CSC + 1h52'08
162 Paolo Savoldelli DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 2h37'44


Die Punktwertung ging ebenfalls an den Etappensieger, knapp hatte er Alejandro noch abgefangen.

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Das Bergtrikot ging an den Gesamtsieger Vinokurov.

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Bester Nachwuchsfahrer war Alejandro, er hatte das Ziel erreicht, auf das wir das ganze Jahr über hintrainiert hatten.

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Die Teamwertung ging auch an uns, eine erfolgreiche Tour ging zu Ende. Unsere Erfolge im Überblick:

3 Etappensiege durch Alejandro Valverde (Gerardmer, Courchevel, Pau)
6 Tage im Gelben Trikot durch Alejandro Valverde
Zweiter Platz in der Punktwertung durch Alejandro Valverde
Gewinn der Nachwuchswertung durch Alejandro Valverde
Gewinn der Teamwertung
Plätze in der Gesamtwertung:
4. Alejandro Valverde
5. Oscar Pereiro
24. Inigo Landaluze
26. Iker Camano
30. Samuel Sanchez Gonzales
39. Alberto Lopez de Munain


Auch die neuen Pro Tour-Wertungen hatten sich für uns deutlich verbessert: Alejandro war auf Platz vier vorgerückt, Oscar auf Platz 14.

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Henrik
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Beitrag: # 318332Beitrag Henrik
14.11.2005 - 14:02

Das Pro Tour-Rennen Nummer eins nach der Tour fand in Hamburg statt. Auf dem flachen, aber durch einige Hügel schwer gemachten Kurs sollten die Sprinter um den Sieg kämpfen. Die Angreifer kurz vor dem Ziel wurden mit gebündelten Kräften wieder gestellt, Stuart O’Grady und Tom Boonen kämpften lange um den Sieg. Am Ende unterlag der Paris-Gewinner knapp, Boonen gewann nach einer schwachen Tour und war plötzlich dritter im Rennen um die Pro Tour.

Am ersten August hatten wir unsere Präsentation, für mich gab es nicht viel Neues. Aber immerhin erfuhr ich, dass wir uns auch auf anderen Gebieten als den Bergen verstärken sollten und auch Ausländer verpflichten würden.

Einen Tag später stand die „Anreise“ nach Broto an, für mich nur 50 Kilometer. Diese Strecke bewältigte ich zum Einrollen mit dem Rad, und dann traf ich mit den Teamkollegen zusammen, die mit mir zusammen starten sollten: David, mit dem ich mir mein Zimmer teilte, Igor Hernandez Anton, Joseba Albizu, David Lopez Garcia, Alberto Lopez de Munain und Egoi Martinez de Esteban. Wir hatten keinen eindeutigen Kapitän, sondern würden im Laufe des Rennens entscheiden, für wen man fahren müsste. Insgeheim erhoffte ich mir diese Rolle, aber erst einmal musste ich meine Form abwarten.

Ich sollte als dritter unserer Mannschaft an den Start gehen, gemeinsam mit David rollte ich mich warm. Auf den neun Kilometern hatten wir keine Zwischenzeiten, um uns zu orientieren, also müssten wir rein nach Gefühl fahren. Ein schwieriges Unterfangen, wie ich beim Clasica International a Alcobendas bereits gemerkt hatte, doch ich versuchte, mich zu konzentrieren und nicht nervös zu werden. Ohne Musik in den Ohren wäre mir wohl nichts gelungen heute, aber so wurde ich etwas beruhigt.

Dann, es schien mir, als wären nur wenige Minuten vergangen, wurde mein Name aufgerufen und ich rollte langsam in Richtung Startrampe. Vor mir in der kurzen Reihe stand ein CSC-Fahrer namens Brian Vanborg, nach Informationen von Miguel Indurain, der uns erstmals betreute, ein passabler Zeitfahrer. Dann rollte er los und ich fuhr auf die Rampe. Ein letztes Richten der Brille, dann zählte der Mann neben mir runter. Und los ging es, mein zweiter Wettkampf in der ehemaligen Spezialdisziplin meines sportlichen Leiters.

Ich fuhr los, die ersten beschleunigenden Tritte, dann in den Sattel gehen und hoch schalten. Mein Gefühl sagte mir nichts schlechtes, ich kam etwas näher an den Dänen vor mir heran. Bis 2000 Meter vor dem Ziel ging es mir halbwegs gut, aber dann schrieen meine Lunge und meine Beine förmlich, doch ich musste weitermachen, es war nicht mehr weit... Der Flame Rouge kam, ich fuhr stur weiter, Miguels Anfeuerungsrufe in den Ohren. Jeder Meter kam mir unendlich vor, dann tauchte ich ins Ziel ein, rollte aus und fragte nach meiner Platzierung. „Sechs Sekunden vorne“, hörte ich nur. Dann setzte ich mich und musste erst mal wieder zu Kräften kommen, bis ich überhaupt realisierte, dass meine Leistung stark gewesen war.

Also setzte ich mich in den Teambus und schaute mir im Fernsehen das Rennen an, Gusev war zweiter. Dann kam der nächste, der mich gefährden konnte: Ein mir unbekannter Fahrer namens O’Neil. Doch auch ihm fehlten vier Sekunden, ich blieb vorne. David kam ebenfalls etwas später, Platz 11 stand zu Buche. Er war 25 Sekunden langsamer als ich. Daniel Becke fuhr als nächster knapp an meiner Zeit vorbei. Lange dauerte es, bis der nächste meine Zeit gefährdete. Und Luke Roberts gefährdete sie nicht nur, nein, er pulverisierte sie. 23 Sekunden war er schneller und damit wurde er zum unangefochtenen Spitzenreiter. Direkt danach kam Alberto, vier Sekunden hinter mir. Meine Leistung gewann immer mehr an Wert. Escobar, ein Illes Balears-Profi, war der nächste, der meine Zeit unterbot, aber ebenfalls nicht an Roberts herankam. Selbiges galt für Gerben Löwik, nur noch Rang vier. Nur vom drittletzten Fahrer, dem Polen Niemic aus der Miche-Equipe, erwartete ich jetzt noch Gefahr. Die Minuten, die er brauchte, zogen sich ewig hin, dann passierte er die Linie. Mein Blick wanderte zur Anzeigetafel, ich war immer noch vierter. Niemic war auf Platz acht gefahren.

Damit war das Ergebnis klar, ich war vierter geworden und außerdem bester Jungprofi. Ein gutes Rennen, und morgen würden die Berge anstehen. Aber noch keine Bergankunft, das heftigste würde uns auf den letzten drei Teilstücken erwarten, mit einem Bergzeitfahren und zwei Bergankünften.

1 Luke Roberts TEAM CSC 12'22
2 Sergio Escobar ILLES BALEARS + 15
3 Gerben Löwik RABOBANK + 16
4 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI + 24
5 Nathan O'Neill NAVIGATORS INSURANCE CYCLING TEAM + 28
6 Daniel Becke ILLES BALEARS s.t.
7 Alberto Lopez De Munain EUSKALTEL - EUSKADI s.t.
8 Przemyslaw Niemiec MICHE s.t.
9 Vladimir Gusev TEAM CSC + 29
10 David Muñoz Banon COMUNIDAD VALENCIANA + 30


Übrigens war auch bei der Benelux-Rundfahrt der Prolog ausgetragen worden. Wir starteten mit einem Team um Unai Etxebarria und Aitor Gonzales, der als 36. bester aus unserer Mannschaft war.
________________________________________________________
Momentan spiele ich mit dem Gedanken, zumindest die Bergetappen der Tour im nächsten virtuellen Jahr zu ersetzen, vermutlich durch Fantasy-Etappen. Aber ist nur ein Gedanke, könnt ja mal eure Meinungen dazu posten.

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Henrik
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Beitrag: # 318619Beitrag Henrik
16.11.2005 - 14:25

Als ich am nächsten Morgen aufwachte und mit David zum Frühstück hinunterging, warf ich, nachdem ich mir genug zu Essen geholt hatte, einen Blick in die Zeitung und verschluckte mich erst mal an meinem Brot.

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„Was ist denn“, fragte David, und ich reichte ihm die Zeitung. „Lies das mal, wird dich interessieren.“
Sprachlos starrte er mich an. „Vinokurov und Kirchen kommen? Wie hat er das denn geschafft?“
„Keine Ahnung, aber damit haben wir uns ja nicht schlecht verstärkt. Vielleicht schafft er ja noch die eine oder andere gute Verpflichtung.“
„Das wird ,er’ ganz bestimmt versuchen“, hörte ich eine amüsierte Stimme hinter mir. Miguel Indurain setzte sich zu uns.
„Toll, was uns da für zwei Fänge gelungen sind, was? Aber Jose, ich muss mit dir sprechen.“ Miguel sah sich um, ob jemand zuhörte. Davids Anwesenheit schien ihn nicht zu stören, aber sein ernstes Gesicht beunruhigte mich.
„Was ist mit diesem letzten Abschnitt? Gerolsteiner will dich verpflichten, hast du schon was von ihnen gehört?“
Darum ging es also.
„Nein, noch hatte ich keinen Kontakt zu Holczer.“ War das alles? Sofort fand ich heraus, dass noch nicht alles gesagt war.
„Hast du dich schon mit dem Gedanken an einen Wechsel beschäftigt?“
„Ich habe noch nicht darüber nachgedacht“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Aber tendenziell möchte ich lieber bleiben, mir gefällt das Umfeld hier.“
„Julian hält große Stücke auf dich. Wir möchten dich unbedingt halten, aber nicht gegen deinen Willen. Also, falls du in ein paar Tagen anders denkst, sag uns bescheid.“
Er schien zu erwarten, dass ich nicht weggehen würde, dachte ich. Es war ein Gedanke, der mir einfach so kam. Aber warum hätte ich auch wechseln sollen? Bei Julian Gorospe fühlte ich mich wohl, das Umfeld passte. Und bei Gerolsteiner oder anderen Teams mit wenigen Spaniern wäre es für mich sicher schwierig, die Integration problemlos zu schaffen. Natürlich würde ich über andere Angebote nachdenken, doch eigentlich war ich mit der aktuellen Situation zufrieden.

Aber ich musste mein Philosophieren unterbrechen, das Rennen stand an. Und es war direkt eine schwere Etappe: Der Puerto de Cotefablo mit einer Höhe von 1423 Metern war das Aufwärmprogramm, das uns unmittelbar nach dem Start erwartete. Anschließend ging es über den Col du Pourtalet, seine Spitzenhöhe betrug 1794 Meter. Nur 85 Meter tiefer lag der Gipfel des Col d’Aubisque, für heute der letzte Gipfel, wenn man einmal von dem kurzen Gegenhang zum Col du Soulor absah. Aber insgesamt 148 Kilometer mit drei schweren Bergen, an denen es vielleicht eine erste kleine Vorentscheidung geben konnte.

Fröhlich und witzelnd fuhren David und ich uns nebeneinander warm, dann begann das Rennen. Bei der sengenden Hitze war es unsere Aufgabe, uns am Anfang im Feld zu schonen und nachher der Situation entsprechend zu reagieren. Für mich stand je nach Renngeschehen eine Attacke auf dem Plan, aber noch machte ich mir wenige Gedanken darüber. Aber wegen der nicht allzu vielen Kletterspezialisten ging es ruhig los und ich konnte mich recht locker einfahren, wieder einmal im blauen Nachwuchstrikot einer Rundfahrt. Direkt ging es in den ersten Berg, den Puerto de Cotefablo, und sofort kamen erste Attacken. Wir reagierten nicht und ließen die Fahrer weg, wenn sie es schaffen würden. Doch für viele war der Ausflug vor das Feld nur von kurzer Dauer. Reynes setzte sich als Solist ab, nur Nodera konnte sich auf die Verfolgung begeben. Nur wenige Kilometer später fuhren auch noch Musiol und Alonso aus dem Feld, keiner war wegen seiner Kletterstärke beunruhigend gefährlich.

Der Japaner kam während der Abfahrt an den spanischen Sprinter heran und machte nun gemeinsame Sache mit ihm. Drei weitere Fahrer wagten eine Attacke, darunter Giovanni Lombardi. Zu Beginn des Anstiegs zum Col du Pourtalet fanden die sieben Ausreißer zusammen, inzwischen war der Vorsprung nach einer für mich ruhigen Abfahrt auf fast fünf Minuten angewachsen. Doch von keinem konnte man erwarten, einer ernsthafteren Tempoverschärfung am Aubisque zu wiederstehen oder gar in den nächsten, noch schwereren Tagen vorne mitzumischen. Noch befand sich unsere komplette Mannschaft im Feld, ich unterhielt mich amüsiert mit David. Er schien schon etwas mehr Probleme zu haben als ich, sein Lieblingsterrain würden die Berge nie werden.

Quickstep spannte sich jetzt vor das Feld um den Abstand langsam zu verkleinern, ich traute es den Ausreißern nicht zu, den Aubisque überhaupt zu erreichen, geschweige denn ihn zu überstehen. Nun musste man sich um David, genau wie um Igor Hernandez Anton, schon ernsthaftere Sorgen machen, denn beide fielen jetzt öfter in hintere Regionen des Feldes zurück und mussten mit hartem Kampfgeist alles geben, um wieder zu uns zu fahren. Aber auch den Pourtalet überstanden sie noch, drei Minuten nach den Ausreißern passierten wir die Bergwertung und David erschien wieder neben mir.
„Wie geht es dir?“, informierte ich mich.
„So schnell wirst du mich nicht los“, grinste er zurück. „Nein, im Ernst, ich war schon besser drauf. Am Aubisque werde ich dich wohl verlassen müssen“, machte er ein übertrieben trauriges Gesicht. David verlor seinen Humor fast nie, ich spielte mit.
„Da werde ich aber traurig sein“, scherzte ich zurück. Doch wir unterbrachen unser Gespräch, das Tempo war jetzt schneller. Nach einiger Zeit fragte er mich: „Und, wie fühlst du dich? Fit für den Sieg?“
„Ich werde es versuchen, wenn ich darf. Aber vom Aubisque sind es ja noch 40 Kilometer ins Ziel, da müsste ich schon mit einer netten Gruppe oder mit viel Vorsprung ankommen.“ Das wäre ein Traum, ein Sieg und vielleicht die Gesamtführung… Doch ich musste mich erst einmal auf die Abfahrt konzentrieren, worauf ich gerade unangenehm aufmerksam gemacht wurde. Gerade noch wich ich einem Schlagloch aus, das sich mitten auf der Straße befand. Innerlich schimpfte ich über den Veranstalter, den Fahrern so etwas zuzumuten… Aber auch ein Jean-Marie Leblanc kann nicht überall seine Augen haben und jeden Quadratzentimeter vorher besichtigen.

„Noch zwei Minuten“, tönte es aus dem Kopfhörer. Die Abfahrt war fast vorbei. „Jose, quatsch vorne, wenn du dich unterhalten willst. Du setzt gleich den ersten Angriff, wenn bis 15 Kilometer vor dem Gipfel nichts passiert.“
„Okay“, funkte ich nur zurück. Meine Konzentration galt wieder dem Rennen. Ich löste mich von meinen Mannschaftskameraden, CSC machten jetzt das Tempo. Langsam schob ich mich in dem Getümmel aus Farben unterschiedlicher Mannschaften nach vorne. Dann kam ich in der ersten Reihe nach den Tempomachern an, spürte den Wind im Gesicht. Ich wartete, jederzeit zum Antritt bereit.

„Greif nach der nächsten Kehre an, die vorne kommen wieder weiter weg. Aber da bist du schnell dran, die können nichts am Berg“, kam es wieder von Miguel. Ich bereitete mich vor, die letzten Tritte im Sattel. Die Kurve durchsteuern, aus dem Sattel und antreten. Vorbei an den vier Tempomachern, noch einmal die Trittfrequenz erhöhen. Stürmische Anfeuerungsrufe drangen aus meinem Kopfhörer, weiter trat ich wie ein Verrückter, ohne auf meine Beine oder meine Lunge zu achten. Die Gruppe vorne rückte näher an mich heran, ich setzte mich wieder und versuchte, meinen Rhythmus zu finden. Vor der nächsten Serpentine drehte ich mich kurz um, nur die Effektivität meines Angriffes abzuschätzen. Es waren drei- oder vierhundert Meter zum Feld, dazwischen fuhr noch ein Fahrer in einem Trikot, dass ich als blau zu erkennen glaubte. Als hätte er meine Gedanken geahnt, gab Miguel durch: „Guter Angriff. Righi ist hinter dir, mittelmäßiger Kletterer von Lampre. Find deinen Tritt und saug dich vorne ran, noch zehn Kilometer bis oben.“ Etwas mehr, um genau zu sein, etwa zweihundert Meter vor mir befand sich das 10-Kilometer-Banner. Das würden zehn hart umkämpfte 1000-Meter-Einheiten werden, ich musste weitertreten.

Righi hinter mir wurde eingeholt, ohne dass ich es wirklich mitbekam. Mein Blick galt nur der Gruppe, dabei lauschte ich Miguels regelmäßigen Ansagen. Ich fühlte mich noch gut, ich konnte noch etwas zulegen. Schnell hatte ich das Ende der Gruppe erreicht, kurz ruhte ich mich aus. Dann ging ich nach vorne, die anderen begannen zu kämpfen. Aber sie schlugen sich noch gut, ich kam nicht wirklich weg. Doch als ich mich nach einem besonderen Steilstück umsah, war nur noch Lombardi an meinem Hinterrad. „Super, anderthalb Minuten. Achte nicht auf Lombardi, entweder fällt er zurück oder er kann dir vielleicht noch helfen. Weiter so“, wies Miguel mich an. Die letzten drei Kilometer des Anstieges brachen an, weit war es nicht mehr. Dann hatte einer der Mitfavoriten, Frank Schleck, einen Defekt, sein CSC-Team, das gerade noch dafür gesorgt hatte, dass die Ausreißer eingeholt wurden, ging aus der Führung.

Das war meine Chance, den Abstand weiter auszubauen, und während der Luxemburger den Anschluss an das Feld wiederherzustellten versuchte, hängte ich seinen Mannschaftsgefährten ab. Die Bergwertung war passiert, die Abfahrt stand an. Tief über den Lenker gebeugt fuhr ich hinunter, der kurze Gegenhang zum Col du Soulor kam mir nach dem Aubisque extrem kurz vor, wieder ging es bergab. Eine weitere Moralstütze bekam ich, als mir Miguel noch einmal die Situation im Gesamtklassement klarmachte: „Roberts und Löwik sind im Feld, Escobar weiter hinten. Also halt dir die vom Leib und du bist in Gelb.“ Das hörte sich so leicht an und würde so schwer werden, aber ich fand einen weiteren Motivationsgrund. Dann war die Abfahrt beendet, noch zwanzig flache Kilometer warteten, auf denen ich die zwei Minuten und die fünfundzwanzig Sekunden verteidigen musste. Lombardi wurde eingeholt, jetzt waren nur noch das Feld und ich da, ich gegen 57 andere Fahrer.

Bild

Jetzt musste ich meine Lunge, meine Beine und alles andere, was mir sonst noch wehtat, vergessen und mich ins Ziel retten. Dann… aber darüber konnte ich dann nachdenken, erst mal musste ich es erreichen. „Komm, gleich hast du es geschafft, noch zehn Kilometer. Das schaffst du, Jose, beiß dich durch.“ Aus Miguels Stimme klang das große Vertrauen in mich hervor, ich fuhr stur weiter. Zwei Minuten waren es noch, aber in einem solchen Zustand konnte man nicht sagen, ob das viel oder wenig war. Ich musste mir das Feld einfach vom Leib halten, ich musste. Und hinter mir im Auto saß ein ganz Großer des Radsports, der mir das zutraute.

Mit sinkender Distanz zum Ziel wurde auch der Abstand zum Feld weniger, noch anderthalb Minuten. Aber ich sah nicht nach hinten, mein Blick galt dem Zielort. Luz-Saint-Sauveur kam näher, der Tourmalet, auf den es morgen gehen würde, türmte sich neben mir auf. Alles gebend trat ich in die Pedale, der Flame Rouge. Noch ein Kilometer, nicht umblicken, den Schlussturbo zünden. Die „frischen“ Fahrer hinter mir taten dies ebenfalls, sie kamen bedrohlich heran. Kurz vor der Linie sah ich nach hinten, und jubelnd riss ich meine Arme hoch. Ich hatte gewonnen. Ich hatte gewonnen! Mein erster Profi-Sieg, ein gigantisches Gefühl. Vor mir stand schon einer unserer Pfleger, Joaquin Riesco. Er gratulierte mir und führte mich auf einen Sitz in unserem Teambus. 15 Sekunden hatte ich retten können, ich war überglücklich. Auch Miguel kam und gratulierte mir, ich dankte ihm, dass er mir auf den letzten zehn Kilometern so viel Vertrauen entgegengebracht hatte. „Normalerweise hätte ich Zweifel gehabt, aber du warst so entschlossen, alles zu geben…“ Das war für mich das größte Lob, ein riesiger Stolz füllte mich. Ich hatte es geschafft, mir Alejandro ans Telefon zu organisieren, auch er gratulierte mir.

Ein toller Tag war zu Ende, und morgen wollte ich das gelbe Trikot im Bergzeitfahren am Tourmalet verteidigen. Ein hoch gestecktes Ziel, aber ich wusste, dass das nach dieser Vorstellung möglich war.

2.Etappe: Broto – Luz-Saint-Sauveur:
1 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI 3h53'29
2 Salvatore Commesso LAMPRE - CAFFITA + 15
3 David Muñoz Banon COMUNIDAD VALENCIANA s.t.
4 Marek Rutkiewicz INTEL ACTION s.t.
5 Alain Van Katwijk SHIMANO - MEMORY CORP s.t.

58 Frank Schleck TEAM CSC + 2'55

Gesamtwertung:
1 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI 4h05'55
2 Luke Roberts TEAM CSC + 11
3 Gerben Löwik RABOBANK + 27
4 David Muñoz Banon COMUNIDAD VALENCIANA + 33
5 Nathan O'Neill NAVIGATORS INSURANCE CYCLING TEAM + 39
6 Przemyslaw Niemiec MICHE s.t.
7 Daniel Becke ILLES BALEARS s.t.
8 Alberto Lopez De Munain EUSKALTEL - EUSKADI s.t.
9 Vladimir Gusev TEAM CSC + 40
10 Balazs Rohtmer MICHE + 51

59 Frank Schleck TEAM CSC + 3'32


Aus den BENELUX-Staaten gab es das Erwartete zu berichten: Wir hatten im Massensprint keine Rolle gespielt, Tom Boonen hatte den Sieg geholt.

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Henrik
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Beitrag: # 319078Beitrag Henrik
19.11.2005 - 9:37

05.08.2005

Das Bergzeitfahren der Pyrenäen-Tour wartete auf uns. Und es stand nicht nur irgendein Berg auf dem Streckenplan, nein, der Col du Tourmalet wartete mit 7,4% Durchschnittssteigung und einer Länge von 19 Kilometern. Aber das war immer noch nicht alles: Ein schwülheißes Wetter war aufgezogen, es regnete in Strömen, aber die Temperatur betrug 40°. Es würde also ein ganz hartes Rennen werden, bei dem ich erstmals ein Führungstrikot tragen würde. Und mein Ziel war klar: Ich wollte es auf keinen Fall direkt wieder abgeben.

Da ich als letzter starten musste, hatte ich im Hotel länger Zeit als meine Mannschaftskameraden, die sich einer nach dem anderen zum Start verabschiedeten. Auch für mich ging es dann irgendwann los, das typische warm machen mit Musik, bevor ich in Richtung Rampe rollte.

Dann ging ich ins Rennen, der Regen peitschte mir ins Gesicht. Im Ziel lag mittlerweile Rutkiewicz vor Garrido und Schleck, viele Favoriten kamen nicht mehr. Aber das Podium könnte noch komplett umgeworfen werden, das war mir klar. Ich ging in den Berg, fuhr lange im Sitzen. Langsam fand ich meine Trittfrequenz, mein Rhythmus wurde ruhiger. Ohne Zwischenzeiten ging es hinauf, Roberts vor mir kam näher. Aber darauf konnte ich mir nichts einbilden, er war bekanntermaßen nicht der beste Bergfahrer. Acht Kilometer vor der Ziellinie zog ich dann vorbei, Löwik tauchte vor mir auf, Roberts verschwand nach kurzer Zeit von meinem Hinterrad. Meine Beine wollten jetzt endgültig nicht mehr mitspielen, ich musste mich ein ums andere Mal zwingen, meine Frequenz beizubehalten. Roberts hinter mir kämpfte verbissen, das war zusätzlich eine kleine Demotivierung. Aber ich trat weiter, mein gelbes Trikot wollte ich behalten. Dann brach der letzte Kilometer an, ich ging aus dem Sattel, zündete den letzten Antritt. Ich flog an Löwik heran, erreichte sein Hinterrad. Aber bevor ich vorbeiziehen konnte, kam das Ziel. Komplett ausgelaugt taumelte ich mehr als dass ich ging zum Teambus und regenerierte etwas. Dann verstand ich, was ich geschafft hatte: Den zweiten Sieg in zwei Tagen und die Verteidigung der Führung! Ein tolles Ergebnis, jetzt würde meine Mannschaft wohl für mich fahren. Aber das müsste man auch vom Rennverlauf abhängig machen.

In den Benelux-Staaten waren wir in einer fünfköpfigen Gruppe doppelt vertreten gewesen, die Ausreißer kamen durch. Nazon gewann erwartungsgemäß, wir belegten die letzten beiden Plätze. Aber immerhin hatten wir erste Aktivitäten gezeigt.

Morgen würde die erste der beiden abschließenden Bergankünfte anstehen, der Port del Canto wartete auf das Feld.

1 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI 52'48
2 Marek Rutkiewicz INTEL ACTION + 23
3 Przemyslaw Niemiec MICHE + 27
4 José Antonio Garrido QUICK STEP + 39
5 Alberto Lopez De Munain EUSKALTEL - EUSKADI s.t.
6 Tomasz Brozyna INTEL ACTION + 1'10
7 Frank Schleck TEAM CSC + 1'18
8 Juan Fuentes LAMPRE - CAFFITA + 1'27
9 David Muñoz Banon COMUNIDAD VALENCIANA s.t.
10 David Lopez Garcia EUSKALTEL - EUSKADI + 1'40


1 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI 4h58'43
2 Przemyslaw Niemiec MICHE + 1'06
3 Alberto Lopez De Munain EUSKALTEL - EUSKADI + 1'18
4 Marek Rutkiewicz INTEL ACTION + 1'45
5 David Muñoz Banon COMUNIDAD VALENCIANA s.t.
6 José Antonio Garrido QUICK STEP s.t.
7 Tomasz Brozyna INTEL ACTION + 2'10
8 Nathan O'Neill NAVIGATORS INSURANCE CYCLING TEAM + 2'37
9 Luke Roberts TEAM CSC s.t.
10 Juan Fuentes LAMPRE - CAFFITA + 2'42

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Kim Kirchen
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Beitrag: # 319275Beitrag Kim Kirchen
20.11.2005 - 21:52

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Henrik
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Beitrag: # 319321Beitrag Henrik
21.11.2005 - 15:09

06.08.2005

Das Rennen des heutigen Tages würde uns alles abverlangen: Nach einer langen Aufwärmphase im flachen führte die Rennleitung um den Tour-Organisator das Feld über den Col du Portillon, den Puerto de la Bonaigua und dann auf den Port del Canto hinauf. Als ich aufwachte, registrierte ich eine deutlich gesunkene Temperatur und auch das Ende des Regens. Nach der Vorbereitung auf das Rennen mit Frühstück, Warmmachen und dem übrigen Prozedere zog ich mein gelbes Trikot an. Würde ich es heute zum letzten Mal tragen? Ich würde alles dagegen tun, das war klar. Aber es sah mit meiner Kraft nicht mehr perfekt aus nach den beiden Siegen. Doch trotzdem, ich würde kämpfen und versuchen, meine Führung möglichst lange zu verteidigen.

Den ersten Angriff gab es sehr schnell, ein Quartett mit Grishkine als besten, aber schon fünf Minuten zurück, attackierte. Nur drei andere zogen nach, ebenfalls keine gefährlichen Fahrer. Daher stemmten wir uns nicht gegen die Ausreißer, meine Teamkollegen reihten sich um mich herum auf und hielten mich aus dem Wind. Der Vorsprung wuchs permanent, am Fuß des ersten Berges waren es dreizehn Minuten. Jetzt wachte das Feld auf, andere Teams erhöhten das Tempo. Am Gipfel des steilen Berges waren zwei Minuten abgebaut, es ging auf die Abfahrt. Meine Teamkameraden waren größtenteils in hintere Regionen des Feldes zurückgefallen, das Gefälle gab mir Zeit, in mich hineinzuhorchen.

Wie ging es mir? Noch einigermaßen gut, war die Antwort. Die steilen Rampen hatten weh getan, ja gut, aber das war bei den anderen genau so gewesen. Und ich hatte mich permanent an der Spitze gezeigt und war nie wirklich in Probleme geraten. Also insgesamt ein gutes Fazit. Auch Miguel war einigermaßen zufrieden, er erkundigte sich bei den anderen nach ihrem Zustand. Viele hatten schon zu kämpfen, das Feld spaltete sich in mehrere Gruppen. Unter den 27 Fahrern, die die erste große Gruppe bildeten, fuhren nur Alberto und ich, die nächsten lagen schon fast zwei Minuten zurück. Womöglich müssten wir uns alleine die letzten beiden Anstiege hinaufquälen.

Besonders Miche und Quickstep schienen sehr daran interessiert, dass wir isoliert blieben, beide Mannschaften hielten sich an der Spitze auf. Doch trotz der Tempoarbeit schmolz der Abstand zur Spitzengruppe nur langsam, noch waren es zehn Minuten. Aber das Feld kam näher, und am Anstieg schien die Gruppe auseinander zu fallen. Ich dagegen kam noch recht gut zurecht, auch Alberto ließ sich keine Schwächen anmerken. Mit sechs Minuten Rückstand auf die vier verbliebenen Spitzenreiter überquerten wir den höchsten Pass des Tages und den dritthöchsten der Rundfahrt, jetzt kam wieder Zeit zur Erholung.

Auf dem langen abfallenden Stück wurde der erste Angreifer gestellt, im flacheren, aber immer noch abschüssigen Bereich ließen sich die anderen Verfolger einholen. Das Quartett hatte am Fuß des Zielanstieges noch immer fünf Minuten Vorsprung, würde es auf den 20 Kilometern zu einem Sieg reichen? Keiner war ein sehr begabter Kletterer. Horillo war ein eher mittelmäßiger Sprinter, der in den letzten Jahren fast gänzlich in der Versenkung verschwunden war. Grishkine und Ballan konnten ebenfalls etwas im Sprint, Ballan war ein halbwegs akzeptabler Klassikerjäger in flachen Rennen und solchen mit Kopfsteinpflaster, doch auch er war eher ein Helfertyp, genau wie Breschel, der die Gruppe komplettierte. Doch der Belgier setzte mit Grishkine den ersten Angriff, jetzt mussten die anderen dagegenhalten. Doch weder Horillo noch Ballan folgten den beiden, Breschel riss eine kleine Lücke auf, dann Grishkine und wieder einige Meter bis zu den beiden anderen.

Zu diesem Zeitpunkt begann für uns der Schlussanstieg, meine Beine waren schlechter als an den Steigungen zuvor. Würde ich heute verlieren? Auf keinen Fall jedoch dürfte ich meine Schwächen offensichtlich zeigen, ich rückte die verspiegelte Brille zurecht und positionierte mich neben dem Gesamtzweiten Niemic. Miguel riet mir genau dazu: „Zeig keine Schwächen, wenn sie auftreten. Je später Attacken kommen, desto länger kannst du dranbleiben. Und für dich reicht es, zu reagieren, du bist vorne.“

Doch in diesem Moment griff Fuentes an, und das löste einen Schwall von Attacken aus. Ich musste wohl oder übel mitgehen, meine Beine begannen wieder, zu brennen, das gewohnte Gefühl des schweren Atmens kam über mich. Fuentes setzte sich ab, dahinter eine Dreiergruppe, dann führte Alberto mich den Berg hinauf, bevor die große Gruppe kam. Die anderen vier Angreifer kamen zu den Ausreißern hin, nur Breschel fuhr noch vorne. Wir mühten uns ein kleines Stück dahinter, den Rückstand nicht anwachsen zu lassen. Erst ließen wir Ballan stehen, dann Grishkine und Horillo. Auch Breschel tauchte vor uns auf, Alberto gab wie ich alles. Er brauchte eine kurze Pause, ich ging nach vorne und überholte den Dänen.

5000 Meter waren es noch, Alberto war wieder vor mir. Ein letztes Mal gab er seine letzten Reserven, dann ließ er sich zurückfallen und ich musste den Rückstand auf mich allein gestellt aufholen. Ich kämpfte mich hinauf, der letzte Kilometer kam. Ich sah, dass sich einer von den vieren abgesetzt hatte, trat erneut an. Die Ziellinie kam näher, mein einziger Gedanke war, den Rückstand gering zu halten. Das gelbe Trikot, ich musste es verteidigen… Ich tauchte unter dem Ziel hindurch, drehte meinen Kopf in Richtung Anzeigetafel, auf der mein Name aufleuchtete. Garrido hatte gewonnen, eine Minute und 22 Sekunden war ich zurück. Aber auf die Gruppe zwischen uns waren es nur 50 Sekunden… Nach mehrmaligem Durchrechnen war mir klar, dass ich es geschafft hatte. Acht Sekunden waren übrig geblieben, so gut wie nichts! Aber acht Sekunden, die ich morgen verteidigen wollte. Eine völlig neue Situation hatte sich ergeben, vier Fahrer innerhalb von 43 Sekunden. Das kündigte eine spannende Entscheidung an für morgen…

1 José Antonio Garrido QUICK STEP 5h18'51
2 Marek Rutkiewicz INTEL ACTION + 32
3 Przemyslaw Niemiec MICHE s.t.
4 Juan Fuentes LAMPRE - CAFFITA s.t.
5 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI + 1'22
6 Alberto Lopez De Munain EUSKALTEL - EUSKADI + 2'06
7 Tomasz Brozyna INTEL ACTION + 3'19
8 Frank Schleck TEAM CSC + 3'35
9 Kevin De Weert QUICK STEP + 3'51
10 Matti Breschel TEAM CSC s.t.



1 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI 10h18'56
2 Przemyslaw Niemiec MICHE + 8
3 José Antonio Garrido QUICK STEP + 18
4 Marek Rutkiewicz INTEL ACTION + 43
5 Juan Fuentes LAMPRE - CAFFITA + 1'52
6 Alberto Lopez De Munain EUSKALTEL - EUSKADI + 2'02
7 Tomasz Brozyna INTEL ACTION + 4'07
8 David Muñoz Banon COMUNIDAD VALENCIANA + 5'25
9 Nathan O'Neill NAVIGATORS INSURANCE CYCLING TEAM + 6'02
10 Luke Roberts TEAM CSC s.t.

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Henrik
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Beitrag: # 319480Beitrag Henrik
22.11.2005 - 19:06

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Henrik
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Beitrag: # 319813Beitrag Henrik
24.11.2005 - 18:51

Es würde der letzte Tag werden, den ich bei der Pyrenäen-Tour 2005 im Führungstrikot fahren würde, das stand fest. Aber würde ich wie tags zuvor Zeit verlieren und damit den Gesamtsieg verspielen oder könnte ich mich von den Schwächen erholen und noch einmal auftrumpfen? Die Strecke war das härteste, was sich mir dieses Jahr in den Weg gestellt hatte. Nach zwei mittelschweren Bergen zum „Aufwärmen“, aber auch schon nicht leicht, leiteten das Rennen ein, dann stand mein Heimspiel, der Anstieg zum Tunel de Bielsa, auf dem Programm, bevor, wieder in Frankreich angekommen, der Schlussberg, der Col de Portet, anstand. In Salinas würde übrigens Alejandro am Straßenrand stehen und mir zusehen, er hatte mir am letzten Abend alles Gute gewünscht. Übrigens waren auch die 40° und der Regen wieder da, also ähnliche Bedingungen wie beim Bergzeitfahren. Ich musste mich morgens ganz schön quälen, um aufzustehen und mich in den warmen Regen zu stellen.

Das Rennen ging los, schnell gab es die ersten Angriffe. David Lopez Garcia war mit dabei, damit wir nicht alleine für die Aufholjagd verantwortlich wären. Keine Favoriten waren in der Gruppe, alles lief normal. Das Feld ließ die Ausreißer fast schon traditionell ziehen, wir platzierten uns in der zweiten Reihe hinter den führenden Teams. Wir hatten vorläufig kein Interesse am Kontrollieren des Rückstands, die anderen sollten sich aufreiben, wenn sie es wollten. Der erste Berg sowie der kurze zweite Anstieg wurden locker gefahren, ich fühlte mich noch gut. Auch meine Teamkameraden ließen sich keine Probleme anmerken, der Rückstand betrug vier Minuten.

Viel mehr wurde es auch nicht mehr, zu Beginn der zweiten nennenswerten Steigung reagierte das Feld auf die inzwischen sechs Minuten. Doch das merkte ich schon, ein weiterer schwacher Tag deutete sich an. Meine Beine bereiteten mir Schwierigkeiten, ich wurde von meinen Teamkollegen isoliert. Nur Alberto und Aitor Silloniz konnten bei mir bleiben.

Der Rückstand wurde bis zum letzten Anstieg, vor dem mir insgeheim grauste, auf zwei Minuten und dreißig Sekunden verkleinert, und jetzt gab es sofort die ersten Attacken. Die anderen Favoriten setzten wohl auf einen weiteren schwachen Tag von mir. Aber ich wollte sie enttäuschen, ich hängte mich an sie dran. Jetzt wurde es hart, ich war auf mich allein gestellt und hatte zehn Konkurrenten. Ich hielt mich aus der Führung heraus, das Tempo verlangsamte etwas. So konnte ich mich ein bisschen erholen, falls man überhaupt davon reden konnte. Als nächster griff Munoz Banon an, doch er wurde schnell gestellt und mit einem anderen Fahrer durchgereicht. Es wurde ernst, wann würden die Favoriten mich stürzen wollen? Erst 2500 Meter vor der Ankunft, kurz vor dem Zielort, griff Niemic an. Aber seine Attacke verpuffte ins Leere, ich hatte gekontert. Auch der Angriff von Rutkiewicz brachte mich nicht zu Fall, aber ins Wanken. Jetzt musste ich kämpfen und den Anschluss halten. Die nächste Attacke startete Garrido, und es war der finale Angriff. Er konnte sich nicht absetzen, aber es schien zum Etappensieg zu reichen. Doch von hinten schoss Fuentes heran, er zog noch vorbei und holte den Sieg. Doch noch jemand anders jubelte: Ich rollte als dritter mit erhobenen Armen über die Linie, ich hatte es geschafft! Der erste Rundfahrt-Sieg meiner noch jungen Karriere. Ich hatte in einer knappen Entscheidung die Nase vorn behalten, weder Garrido noch Niemic oder Rutkiewicz hatten mich schlagen können.

Eine tolle Rundfahrt ging zu Ende, und mein Fazit fiel selbstverständlich positiv aus. Ich hatte den Sieg geholt, und meiner Meinung nach verdient: Einem guten Auftaktzeitfahren hatte ich eine starke Kampfleistung folgen lassen, die mit dem Sieg und einem knappen Vorsprung belohnt worden war. Das eroberte Führungstrikot hatte ich einen Tag später mit einem erneuten Sieg im Bergzeitfahren am Tourmalet verteidigt, bevor mein schwacher Tag folgte. Doch auch diesen hatte ich überwunden, und das war ebenfalls eine starke Leistung. Ich hatte nicht aufgegeben und den Rückstand im Rahmen gehalten, sodass es noch zum Behalten der Führung reichte.

Dann kam die Siegerehrung. Jean-Marie Leblanc persönlich war es, der mir zum Sieg gratulierte und mir auch die Preise für das Punkte- und das Nachwuchstrikot überreichte. Eine tolle Woche ging zu Ende, ich war mit den fünf Tagen rundum zufrieden. Auch Alejandro gratulierte mir, als ich ihn am Abend wiedersah. Zuvor hatte es nur zu einem kurzen Telefongespräch gereicht, doch jetzt erzählte ich ihm ausführlich von dem Rennen. Doch auch die Erschöpfung machte sich jetzt bemerkbar, ich ging daher früh schlafen, um mich schon morgen perfekt auf die Vuelta vorbereiten zu können.

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Henrik
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Beitrag: # 319960Beitrag Henrik
25.11.2005 - 15:15

Woche der Wechsel bringt viele Überraschungen

Nachdem ich mit einigen Tagen Abstand auf die Pyrenäen-Tour schauen konnte, musste ich sagen, dass mein Sieg mich noch einmal weiter angestachelt hatte, bei der Vuelta in Top-Form aufzutreten und nicht unterzugehen. Also verbrachte ich weiter viel Zeit in der sengenden Hitze beim Bergtraining, aber auch das Zeitfahren trainierte ich im hügeligen Gelände an den Füßen der Pass-Riesen. Alejandro fuhr zum Teil mit mir, aber auch alleine, nach der Tour fühlte er sich noch etwas ausgelaugt. Ich hatte die leise Befürchtung, dass er die Vuelta nicht fahren würde, weil er sich nicht mehr dazu motivieren könnte, aber ich erwartete nicht, dass dies wirklich eintreten würde.

Währenddessen tat sich auch wieder einiges auf dem Transfermarkt: Lampre hatte mit Gonchar einen weiteren Kapitän gewonnen, doch für Gilberto Simoni war die teaminterne Konkurrenz für den Giro damit wohl endgültig zu groß geworden. Er würde seine Mannschaft in Richtung Dänemark zu Bjarne Riis verlassen, der noch in Verhandlungen mit seinem Kapitän Ivan Basso stand. Doch zwei Tage später erlitt meine Überzeugung, dass die beiden ein Gespann bleiben würden, einen erheblichen Dämpfer: Auch Michael Rasmussen gab seinen Wechsel zu dem Team aus seinem Heimatland bekannt. Aber auch ein Abgang musste verkraftet werden: Bobby Julich fühlte sich nicht mehr wohl und es zog ihn zu Davitamon.

Währenddessen waren auch wir wieder auf dem Transfermarkt aktiv geworden. Julian Gorospe hatte viel getan und zuerst Bernhard Eisel von fdJeux verpflichtet. Der junge Österreicher würde für uns in Sprints und bei den Klassikern über Pflastersteine wichtig sein. Auch für wen er anfahren würde war jetzt klar: Thor Hushovd würde im nächsten Jahr bei uns fahren, zur Unterstützung wurde Jimmy Casper von Cofidis abgeworben. Der nächste Neuzugang war Lorenzo Bernucci, der von Sony Ericsson zu uns wechseln würde. Auch um Michael Rogers wurde von unserer Seite weiter geworben, der Zeitfahrweltmeister würde in den nächsten Tagen seine Entscheidung fällen.

Damit hatte Sony nach dem Wechsel von Kirchen einen weiteren Fahrer an uns verloren, doch Ersatz wurde schnell herbeigeschafft. Und der Ersatz war hochkarätiger als Kirchen und Bernucci: Für die Ardennen holte man Davide Rebellin von Gerolsteiner, das nun nach Leipheimer bereits einen weiteren prominenten Abgang verkraften musste. Als starker Bergfahrer konnte der ehemalige Giro-Sieger Stefano Garzelli von Liquigas übernommen worden. Die Italiener verloren auch noch Dario Cioni an Barloworld, Bradley McGee von fdJeux würde nächstes Jahr bei Wiesenhof das Unternehmen Aufstieg mitgestalten. Auch David Moncoutie wechselte von Cofidis in die Zweitklassigkeit, AG2R würde sein neues Team sein.

Das ehemalige Weltcup-Rennen in San Sebastian fand leider ohne meine Beteiligung statt, ich würde bis zur Vuelta keine Einsätze mehr bekommen. Paolo Bettini gewann nach einem Antritt und einem starken Solo, zweiter wurde Fabian Wegmann im Sprint der ersten größeren Gruppe. In dieser waren auch unsere besten Fahrer vertreten, doch Samuel wurde nur 16. und Oscar 47.
_______________________________________________
Ich werde heute und morgen definitiv nichts schreiben, Sonntag aber wahrscheinlich wieder. Und vielleicht klappt es bald wieder etwas öfter, da ich die Tour-Etappen jetzt zum Großteil fertig habe. (Ich habe nicht alles perfekt gemacht, Profile sind so genau wie möglich, aber bei der Streckenführung habe ich mir teilweise nicht allzu viel Mühe gegeben. Nach der Vuelta und den Herbstklassikern kommt dann die Vorstellung, aber erst mal sind die Spanien-Rundfahrt und die Wechselphase dran.)

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Beitrag: # 320387Beitrag Henrik
27.11.2005 - 18:51

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Beitrag: # 320543Beitrag Henrik
28.11.2005 - 18:50

Die zweite Etappe der Deutschland-Tour ging im Sprint einer 49-köpfigen Spitzengruppe an Oscar Freire, von uns waren nur Unai und Samuel mit dabei. Damit schien die Rundfahrt für uns schon so gut wie gelaufen, was sich an den nächsten Tagen fortsetzte: Oscar Freire gewann erneut im Massensprint, dann setzte sich Jan Ullrich im Alleingang durch. Samuel verlor mehr als zwölf Minuten, während es vorne noch spannend blieb. Tags darauf war wieder McEwen erfolgreich, auf dem sechsten Teilstück überraschte Jurgen van Loocke die gesamte Elite. Am Feldberg konnte dann Jens Voigt die Gesamtführung übernehmen, Euskaltel zeigte sich weiterhin nicht vorne. Im Kampf gegen die Uhr siegte er erneut und machte so den Gesamtsieg vor seinem Teamkollegen Bobby Julich perfekt. Jan Ullrich erreichte Rang fünf in seinem Heimatland, eine weitere Enttäuschung nach der Tour. Am letzten Tag kam dann eine sechsköpfige Gruppe durch, zwei meiner Teamkollegen waren dabei. Doch weder Josu Silloniz noch Roberto Laiseka konnten Sebastien Chavanel im Sprint schlagen, die Plätze drei und sechs sprangen heraus.

Auch auf dem Transfermarkt gab es weitere Hammerwechsel: Liberty Seguros verlor nach Nozal einen weiteren Fahrer: Jörg Jaksche würde zu Quickstep gehen. Aber das Team verstärkte sich auch gut: Andreas Klöden würde T-Mobile verlassen, Jose Rujano wechselte von Colombia – Selle Italia. Doch T-Mobile gelang nach den Verlusten von Vinokurov und jetzt Klöden ein großer Fang: Alessandro Petacchi würde nächstes Jahr in Magenta fahren. Michael Rogers gab seinen Wechsel zu uns bekannt, als Ersatz organisierte Quickstep den Amerikaner David Zabriskie. Cardenas würde die Kletterer-Fraktion bei Saunier Duval verstärken, Domina Vacanze verlor in Mirko Celestino einen weiteren Top-Mann. Er würde in den Ardennen mit Danilo Di Luca eine Liquigas-Doppelspitze bilden.

Alejandro erzählte mir dann, dass Gerolsteiner und Rabobank bei ihm angefragt hätten. Gerolsteiner wollte uns beide im Doppelpack, doch er sagte sowohl den Deutschen als auch den Niederländern ab. Wir bereiteten uns statt Verhandlungsgesprächen auf die Vuelta vor, die wir in Top-Form bestreiten wollten. Am 24.August reisten wir an, bevor einen Tag später die Teampräsentation anstehen würde. Unsere Mannschaft stellte ein recht starkes Aufgebot ab:

191 Alejandro Valverde
192 Oscar Pereiro
193 Samuel Sanchez Gonzales
194 David Herrero Llorente
195 Inigo Landaluze
196 Alberto Lopez de Munain
197 Jose Romero
198 Unai Etxebarria
199 Koldo Fernandez

Das Starterfeld der Vuelta, das wurde mir klar, war nicht schlecht besetzt.

Jose Azevedo: Der Portugiese in Diensten von Discovery Channel will die für sein Team schwache Tour vergessen machen und bei der Vuelta auftrumpfen. Ein starker Rundfahrer, der 2004 trotz Helferdiensten stark in der Gesamtwertung der Frankreich-Rundfahrt war.
Joseba Beloki: Der Baske will seine Schwächephase beenden, die seit seinem Tour-Sturz 2003 anhält. Allerdings konnte er seitdem nie wirklich an seine starken Leistungen anknüpfen und wird wohl Heras helfen müssen.
Tom Boonen: Belgiens Top-Sprinter wird in den Massensprints zuschlagen. Er möchte sich auf die WM vorbereiten, wo er als einer der Favoriten startet.
Fabian Cancellara: Der Zeitfahrer aus der Schweiz will im Prolog vorne sein.
Mario Cipollini: Der extrovertierte Italiener konnte beim Giro noch einmal stark auftrumpfen und hat sich vorgenommen, bei seiner vielleicht letzten GT noch einige Siege zu feiern.
Jose Angel Gomez Marchante: Nach einer starken Tour ist sein Ziel, auch in der Heimat zu glänzen. Ein Geheimtipp für das Podium.
Sergey Gonchar: In dieser Saison war der Ukrainer selten vorne zu sehen. Das soll sich in Spanien ändern.
Igor Gonzales de Galdeano: Seine starken Jahre sind wohl vorbei. Helfer von Heras, der vielleicht für eine Überraschung gut ist.
Thor Hushovd: Seine letzte GT für Credit Agricole. Möchte sich vor dem Wechsel zu ONCE ordentlich verabschieden.
Vladimir Karpets: Nach Mancebos Fehlen einer der beiden Kapitäne für Illes Balears. Will diese Aufgabe rechtfertigen und sich vorne zeigen.
Andreas Klöden: Seine letzte große Rundfahrt für T-Mobile kann der zukünftige Liberty Seguros-Profi auf dem Podium beenden.
Floyd Landis: Ambitionierter Amerikaner, der nach einer schwachen Tour um den Sieg mitfahren will.
Levi Leipheimer: Der neue Gerolsteiner Kapitän hat in Frankreich enttäuscht und muss nun seine Verpflichtung rechtfertigen, damit das Gerolsteiner-Jahr nicht zum Reinfall wird. Geht aber schon wieder nach der Saison zu Discovery.
Iban Mayo: Nach dem Wechsel von Euskaltel bei der Tour nicht zufrieden. Muss sich steigern, um nicht endgültig zum Helfer zu werden.
Eddy Mazzoleni: Giro-Zweiter, der wieder um den Sieg mitfahren will.
Bradley McGee: Starker Zeitfahrer, aber im Hochgebirge wohl zu schwach, um ganz vorne reinzufahren.
Isidro Nozal: Soll zum Abschied seinem Kapitän zum Sieg verhelfen.
Stuart O’Grady: Der Australier hat in den letzten Jahren etwas von seiner Endschnelligkeit eingebüßt, ist aber trotzdem Kandidat für Siege.
Oscar Pereiro: Soll zusammen mit Alejandro Valverde für Wirbel sorgen und um das Podium kämpfen.
Michael Rogers: Letzter großer Auftritt für Quickstep. Kann vorne mitmischen, wenn er im Hochgebirge gut drauf ist. In einigen Wochen heißer Kandidat für den WM-Titel im Zeitfahren.
Oscar Sevilla: T-Mobile-Kapitän mit Andreas Klöden. Soll sich nach schlechteren Jahren wieder steigern.
Alejandro Valverde: Euskaltel-Leader, der seine tolle Tour bestätigen will.
Erik Zabel: Möchte endlich wieder bei Massensprints jubeln.
David Zabriskie: Heißer Siegkandidat im Prolog und in den Zeitfahren. Sonst aber Helfer oder Ausreißer.

Fazit:
Roberto Heras ist der Favorit auf den vierten Vuelta-Sieg. Doch seinem Rekord stellen sich viele in den Weg: Alejandro Valverde ist eine tolle Frankreich-Rundfahrt gefahren, Eddy Mazzoleni war beim Giro zweiter. Levi Leipheimer und Floyd Landis wollen endlich ihre Leistungen bringen, Andreas Klöden möchte sich würdig verabschieden. Sergey Gonchar und Jose Azevedo müssen verhindern, dass die Saison für ihre Mannschaften zum Flop wird.
Viele Geschlagene können die Vuelta nutzen, um sich zu rehabilitieren, andere wollen ihre Leistungen bestätigen. Uns erwarten drei spannende Wochen!

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Henrik
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Beitrag: # 320780Beitrag Henrik
30.11.2005 - 16:16

Die Vuelta begann mit einem sieben Kilometer kurzen Kräftemessen der Favoriten, bei dem ich wohl keine Rolle spiele würde, aber mein bestes geben wollte. Das komplett flache Profil würde mir nicht liegen, also galt es, den Rückstand gering zu halten. „Wenn du unter die besten

kommst, dann können wir zufrieden sein. Fahr einfach dein Rennen und zieh ohne Druck durch“, wies Julian Gorospe mich am Morgen an. Ich würde bereits der zweite Starter unseres Teams sein, daher machte ich mich mit dem noch vor mir antretenden Alejandro früh auf dem Weg in Richtung Start.

27° und ein strahlend blauer Himmel wären ein perfektes Badewetter gewesen, doch stattdessen quälten wir uns auf die Rolle. Die Bedingungen hatten aber auch ihr Gutes: Ich mochte Hitze und konnte auch so starke Rennen fahren. Mit Musik im einen Ohr spulte ich mein Programm ab, mit dem anderen hörte ich Alejandro zu. Er würde früh ins Rennen gehen, doch da Zwischenzeiten fehlten, hätte man auch anders keine wirklichen Anhaltspunkte.

Um Punkt zwei Uhr eröffnete der erste Favorit das Rennen, Vladimir Karpets war dran. In 9'33 setzte er die erste Richtzeit, im Anderthalb-Minuten-Rhythmus starteten die nächsten Fahrer. Michael Rogers, unser zukünftiger Teamkollege, kam als erster Favorit schon sehr früh, und er konnte die Bestzeit direkt um 41 Sekunden verbessern. David Zabriskie trat an, um seine Zeit zu schlagen, um 14:27 Uhr rollte Alejandro in den Prolog. Ekimov verfehlte Rogers Zeit um 21 Sekunden, ich verfolgte gespannt den Auftritt meines Kapitäns und Trainingspartners. Zabriskie war im Ziel noch einmal 22 Sekunden vor Rogers, der nächste Top-Favorit, Fabian Cancellara, kam nicht an ihm vorbei und lag sechs Sekunden zurück. Alejandro kam auf die Zielgerade, er gab noch einmal alles. Die Zeiten der besten ratterten auf der Anzeige durch, Platz sieben, acht, neun. Ein neunter Platz, eine Minute und 21 Sekunden auf Zabriskie verloren. Die anderen Favoriten würden den Wert des Ergebnisses herausfahren.

Mein Start rückte ebenfalls näher, ich verließ die Rolle. Das Trikot mit der Nummer 197 lag bereit, ich streifte das extra für Zeitfahren geschaffene Produkt über. Zur Rampe, den dritten Platz nahm ich in der Schlange ein. Vor mir unterhielten sich zwei Franzosen in ihrer Landessprache, bis der erste und dann auch der zweite losfahren musste. Ich fuhr hinauf, der Mann neben mir fing an, zu zählen. „Fünf, vier, drei, zwei, eins“, ich trat in die Pedale. Mein Rennen hatte begonnen, für zehn Minuten gab es nur noch mich und die Straße. Vor mir fuhr der Credit-Agricole-Profi Le Mevel, dessen Qualitäten begrenzt waren, doch das junge deutsche Talent Markus Fothen hinter mir wäre schon eher ein Orientierungspunkt. Ich zog meinen regelmäßigen Tritt durch, hielt trotz der schmerzenden Lunge meine Position, trat weiter, während aus dem Kopfhörer ständig die Anfeuerungen von Julian Gorospe drangen. Le Mevel kam näher, und mit seinem grünen Trikot näherte sich auch die Säule in derselben Farbe, die den letzten Kilometer markierte. Ich nahm das Ziel ins Visier, schaltete die Gedanken aus, gab weiter alles, nur noch 200 Meter…

„49 Sekunden. Sechster, klasse!“ Das war Julian Gorospe mit meinem Ergebnis. Ich war stark gefahren, hatte unter anderem Alejandro geschlagen, war sechster geworden! Ein tolles Ergebnis, die übliche Regeneration stand bevor. Danach unterhielt ich mich mit Alejandro.
„Wie ging es bei dir?“, war meine erste Frage.
„Mittelmäßig. Aber ich denke mal ganz okay.“
„Bei mir war es hart, aber ich bin komplett zufrieden. Hätte mir zwei Minuten mehr vorgestellt“, grinste ich.
„Nicht untertreiben. Aber wir müssen die anderen abwarten.“

Wenig redeten wir, während ein Fahrer nach dem anderen ankam. Erst der insgesamt 64. Fahrer, Jose Ivan Gutierrez Palacois, konnte mich gefährden, doch es reichte nicht ganz. Ich blieb sechster, Alejandro war inzwischen auf den 26. Rang zurückgefallen. Wiederum etwas später kam ein nächster Favoriten-Doppelpack, der uns eine bessere Einschätzung ermöglichen würde. Andreas Klöden war als zwölfter 25 Sekunden schneller als Alejandro, Jose Azevedo verdrängte mich um fünf Sekunden. Floyd Landis war knapp langsamer als Klöden, Joseba Beloki kam in Alejandros Region.

Der nächste Favorit war Oscar, er schlug mich um eine Sekunde, was meine Leistung weiter aufwertete. Bradley McGee dagegen verlor 20 Sekunden und verfehlte die Erwartungen deutlich. Igor Gonzales de Galdeano schob sich auf Platz vier, nur sieben Sekunden von mir entfernt, Levi Leipheimer fuhr ähnlich wie McGee. Iban Mayo fuhr kurz hinter Alejandro gestoppt ins Ziel, Cadel Evans knapp vor ihm. Dann kam Roberto Heras, er machte zwei Sekunden gut. Sergey Gonchar näherte sich gemeinsam mit dem vor ihm gestarteten Gomez Marchante, der Ukrainer fuhr auf Platz drei. Damit war ich jetzt zehnter, und mein Top-Ten-Ergebnis war in Gefahr. Jose Luis Ruibiera war der nächste Kandidat, der mich verdrängen konnte. Aber ihm fehlten ganze zwei Sekunden, keiner war mehr schneller als ich.

David Zabriskie gewann also vor Fabian Cancellara (+6 Sekunden) und Sergey Gonchar (+19), Michael Rogers wurde vierter (+21). Die übrigen Favoriten:
6. Jose Azevedo +43
9. Oscar Pereiro +47
10. Jose Romero +49
18. Andreas Klöden +56
22. Floyd Landis +1:01
31. Levi Leipheimer +1:09
46. Cadel Evans +1:16
50. Joseba Beloki +1:18
51. Roberto Heras +1:19
56. Alejandro Valverde +1:21
86. Iban Mayo +1:28
175. Jose Angel Gomez Marchante +1:45

Mein zehnter Rang war ein tolles Ergebnis in einem knappen Rennen. Ich war damit auch dritter der U25-Wertung und rechnete mir eventuelle Chancen auf die zwischenzeitliche Führung aus. Auch Alejandro und vor allem Oscar konnten einigermaßen zufrieden sein, in den nächsten Tagen würden wohl die Sprinter am Zug sein. Auf jeden Fall konnte ich mit meinem Auftakt glücklich sein, nicht jeder feiert einen zehnten Platz zum GT-Einstand.

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Henrik
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Beitrag: # 320839Beitrag Henrik
30.11.2005 - 19:46

Vuelta mit angespannter Schlussphase und einem Negativeffekt

Bei der Vuelta erwartete uns auf der zweiten Etappe ein flaches Teilstück über 188 Kilometer, bei dem ein kurzer Hügel recht nah am Ziel in Cordoba das einzige ernstzunehmende Hindernis darstellte, das sich einem Massensprint in den Weg zu stellen drohte. Bei heißen 35° ging das Rennen schnell los, denn die Sprinterteams wollten bis zum ersten Zwischensprint nach nur 19 Kilometern alle Ausreißversuche unterbinden. Ich musste direkt spüren, dass die Vuelta etwas anderes als die kleinen Rennen war, die ich bisher gefahren war. Die beteiligten Mannschaften beendeten ihr Unterfangen erfolgreich, Horillo war der Nutznießer. Er sammelte vor Boonen und Furlan die meisten Punkte, die anderen Favoriten gingen leer aus. Sofort beruhigte sich das Feld und die ersten Angriffe kamen. Hunter, Bertolini und Baguet waren die ersten, Andrle, Turpin und Lombardi bildeten ein Verfolgertrio, dem sich Knaven und Renier anschlossen. Die Ausreißer fanden schnell zusammen, Julian Gorospe wies uns an:
„Nicht nachführen, entweder machen die anderen das oder sie lassen es.“

CSC und Rabobank setzten sich zwar an die Spitze des Feldes, aber es war mehr ein Kontrollieren als Tempoarbeit, was sie ablieferten. Also war es noch etwas geruhsamer, ich konnte mich mit anderen Fahrern unterhalten, darunter Thor Hushovd, einer meiner zukünftigen Teamkollegen. Er stellte sich als angenehmer Mensch heraus, und erzählte mir, dass er sich für heute etwas vorgenommen hätte, wenn es zum Massensprint kommen würde. Wir verstanden uns auf Anhieb recht gut, und ich freute mich, dass er wechseln wollte. Der Vorsprung der Gruppe schien ununterbrochen zu wachsen, doch als die Zehn-Minuten-Grenze zu fallen drohte, reagierte CSC um das Trikot für Zabriskie zu retten, das offenbar wichtiger als ein möglicher Etappensieg durch Lombardi war.

Jetzt war der Angriff wohl schon zum Scheitern verurteilt, heute würde es nichts werden mit einem Sieg von einem der acht. 75 Kilometer vor dem Ziel waren es noch 3:30 min, ich fuhr im Feld unbesorgt durch den Farbenwirbel. Doch dann, direkt neben mir, hörte ich ein unangenehmes Geräusch. Ein Sturz hatte einen Fahrer lahmgelegt, doch wer war es? Ich suchte meine Teamkollegen, ich fand aber nur sieben. Sechsmal das Euskaltel-Orange, einmal die spanischen Landesfarben. Wo war Inigo? Er war gestürzt und momentan mit Schmerzen vier Minuten hinter der großen Meute.
„Nicht zurückfahren, Inigo schafft das.“ Das war die Anweisung aus dem Teamwagen. Inigo konnte seine Gesamtplatzierung wohl vergessen, wenn er überhaupt die Etappe überstehen würde, und, am wichtigsten, unverletzt geblieben wäre. Doch vorläufig machte er weiter und biss sich durch. Aber er würde Glück brauchen, um auch morgen noch dabei zu sein.

Der Abstand zur Spitzengruppe verkleinerte sich unterdessen weiter, 50 Kilometer vor dem Ziel waren es nur noch zwei Minuten. CSC verlangsamte das Tempo etwas, da weder Zabriskie noch Lombardi helfen konnten und auch Hoffman jetzt auf dem Asphalt landete. Doch trotz des gemäßigten Tempos verringerte sich sein Rückstand nicht, doch der Vorsprung der Ausreißer konnte weiterhin nicht abgebaut werden. Erst 15 Kilometer später fand sich ein Mischmasch aus allen möglichen Mannschaften vorne wieder, jetzt zog die Geschwindigkeit wieder an. Wir mussten jetzt Alejandro und Oscar positionieren, bis der 6000 Meter lange Hügel begann. Mit Mühe gelang unser Vorhaben, die Ausreißer waren jetzt nur noch wenige Meter weit weg, würde es weitere Attacken geben?

„Wenn jemand angreift, dann seid wachsam. Unai, du gehst bei der ersten Attacke mit, die anderen, wenn Favoriten dabei sind.“ Eine klare Marschroute, Unai war der Bewacher und wir müssten auf die Top-Leute aufpassen. Wachsam traten wir hinauf, die Situation war geladen. Doch niemand trat in der Spannung an, souverän führten Lampre, T-Mobile und Rabobank das Feld über den Hügel. Unser Arbeitstag war größtenteils vorbei, nur noch in der Entscheidung aufpassen.

Hinault führte seinen Kapitän Hushovd auf die letzten Kilometer, an seinem Hinterrad hielten sich die Sprinter. Schnell musste der Norwegische Meister in den Wind, hinter ihm aufgereiht Zabel, Boonen, Eisel, O’Grady, Bennati, Furlan und Pagliarini. Der deutsche Routinier sah unter dem Flame Rouge den Zeitpunkt gekommen, um seinen Turbo zu zünden und an Hushovd vorbeizuziehen. Es wurde ein Zweikampf zwischen ihm und Tom Boonen, doch der Altmeister gewann vor dem Riesentalent und Thor Hushovd. Levi Leipheimer verlor bereits drei Minuten, Inigo kam als 197. und letzter an, mit 14 Minuten Rückstand. Morgen früh würde über sein weiteres Antreten entschieden werden.

1 Erik Zabel T-MOBILE TEAM 3h53'15
2 Tom Boonen QUICK STEP s.t.
3 Thor Hushovd CREDIT AGRICOLE s.t.
4 Stuart O'Grady COFIDIS, LE CREDIT PAR TELEPHONE s.t.
5 Bernhard Eisel FRANCAISE DES JEUX s.t.
6 Daniele Bennati LAMPRE - CAFFITA s.t.
7 Angelo Furlan DOMINA VACANZE s.t.
8 Luciano Pagliarini LIQUIGAS - BIANCHI s.t.
9 Pedro Horrillo RABOBANK s.t.
10 Marco Zanotti LIQUIGAS - BIANCHI s.t.

30 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI s.t.


Ein ruhiger Tag für mich war zu Ende gegangen, ich hatte meine zweite GT-Etappe gut überstanden und erwartete für das nächste Teilstück nichts anderes.

Währenddessen konnte Michael Boogerd beim GP de Plouay den Sprint einer Dreiergruppe gegen Mirko Celestino und Jens Voigt gewinnen, der sich damit bis auf zehn Punkte an Alexander Vinokurov im Kampf um den Pro Tour-Sieg heranschob.

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Henrik
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Beitrag: # 320939Beitrag Henrik
1.12.2005 - 17:21

Weitere Schwierigkeiten auf kurzer Etappe

Los ging der erneut heiße Tag (die Temperaturen würden erneut 35° erreichen) mit erstaunlich guten Beinen. Wie um meine Laune noch zu verbessern, teilte Inigo uns mit, dass er zwar Schmerzen habe aber weiterfahren wolle. In guter Stimmung fuhren wir zum Start, und heute begann das Rennen nicht so schnell wie noch tags zuvor. Die erste Sprintwertung lag zwar nur 28 Kilometer entfernt, aber auch die Länge der gesamten Etappe war mit 150 Kilometern überschaubar. So konnte früh eine siebenköpfige Gruppe weggehen, in der CSC durch den gestern gestürzten Hoffman erneut vertreten war.

Auch andere starke Fahrer wie van Bon, Zanini oder Bossoni fanden sich ein, viele andere zogen nach. Die Anzahl der Ausreißer wurde nun zu groß, das Feld reagierte und die Gruppe zerfiel. Neun Fahrer ohne Hoffman, dafür aber mit dem estischen Meister Putsep kamen letztendlich weg, im Feld übernahmen Credit Agricole, Saunier Duval und nach dem missglückten Versuch, einen Mann vorne zu positionieren, auch CSC die Kontrolle. Doch die Dänen hatten noch nicht aufgegeben: Lombardi machte sich mit Hoste und Guesdon davon.

Der belgische Discovery-Profi verlor den Anschluss, die anderen beiden kamen nach vorne. Der Abstand wuchs bis 85 Kilometer vor die Ziellinie auf sieben Minuten, doch CSC wollte frühzeitig den Massensprint sicherstellen. Die ehemalige Unterstützung zog sich angesichts des hohen Tempos zurück, Hoste konnte sich nicht länger wehren. Mitte des Rennens wartete ein etwas längerer Anstieg, der aber wohl kein Problem werden würde, da noch fast 50 Kilometer Flachland danach anstanden.

Bis zur Spitze des Berges verkürzte das Feld den Rückstand auf zwei Minuten, wir hatten den Anstieg problemlos überstanden. Die Ausreißer wurden jetzt an der langen Leine gehalten, 15 Kilometer vor der Ziellinie waren sie eingeholt. Für mich unverständlich blieb, warum CSC mit Lombardi zum zweiten Mal einen guten Sprinter aus der eigenen Mannschaft eingeholt hatte.

Dann gab es noch einmal helle Aufregung: Ein Massensturz teilte das Feld. Wir waren zum Glück nicht beteiligt, aber einige andere Favoriten, unter anderem Leipheimer, McGee, Cipollini, Garate, Nozal und Landis. Sie konnten nicht mehr nach vorne aufschließen und verloren schon wertvolle Zeit.

Den Sprint eröffnete heute Erik Zabel, doch er war zu früh vorne. Von seinem Hinterrad zog Horillo vorbei und gewann vor Hushovd und Zabel. Ich rollte als 25. in dem nur noch 108 Fahrer umfassenden Feld ins Ziel. Neben den vielen Stürzen hatte es auch zwei erste Aufgaben gegeben: Steinhauser und Moos hatten das Rennen beendet. Inigo hatte sich zwar tapfer durchgekämpft, aber erneut fünf Minuten verloren. Hoffentlich würde es ihm bald besser gehen. Morgen würde ein neuer harter Prüfstein warten, denn die mit 219 Kilometern längste Etappe der Rundfahrt stand auf dem Plan. Als ich später in den Ergebnislisten nachschaute, fiel mir auf, dass Thor Hushovd mich aus den besten zehn verdrängt hatte. Aber spätestens auf der sechsten Etappe würde sich alles komplett neu ordnen.

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Henrik
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Beitrag: # 321061Beitrag Henrik
2.12.2005 - 17:08

Aufwärmen für die Berge mit nächstem Schock

Teilstück Nummer vier, das längste der drei Wochen, war wieder komplett flach. Nur eine kleine Bergwertung stand im Weg, doch die würde zu keiner Selektion führen. Schnell bildete sich das übliche: Eine Gruppe. Aber während sich an den zwei Tagen zuvor sieben bzw. neuen Fahrer abgesetzt hatten, gab es heute nur vier mit dem Mut, zu attackieren: Ronald Mutsaars, Fabio Sacchi, Sebastien Hinault und dem Klassikerspezialisten Peter van Petegem. Das Feld kontrollierte den Abstand und ließ ihn nicht über zwölf Minuten steigen, um die Ausreißer am Ende acht Kilometer vor dem Ziel zu stellen. Nur Sacchi konnte sich noch bis kurz vor die Linie halten. Im Massensprint sah es lange so aus, als ob es wieder einen Sieg durch Horillo geben würde, doch O’Grady nutzte exakt den richtigen Moment zum Vorbeiziehen. Dritter wurde Pagliarini vor dem gerade noch eingeholten Sacchi, der nach 200 Kilometern Alleinfahrt nicht die Früchte seiner Arbeit ernten durfte.

Die fünfte Etappe, erneut tellerflach, war das letzte Aufwärmen für die Bergankunft einen Tag später. Doch das hieß auch, dass die Sprinter sich noch einmal besonders ins Zeug legen müssten, um nicht schon jetzt leer auszugehen. Die vier Anstiege waren nichts wirklich Schwieriges, doch ein Ausreißer würde die Chance haben, das Bergtrikot von Guesdon auf den 175 Kilometern zu übernehmen. In unserer Teambesprechung gab Julian Gorospe als Parole weiterhin aus, dass wir uns schonen sollten, um morgen einen ersten Angriff zu setzen.

Eine ruhige Startphase ohne Attacken war nach 17 Kilometern vorbei, erneut war es Lombardi, der einen Angriff initiierte. An seinem Hinterrad befand sich Bouyer, die Spitze des Feldes übernahmen nun verschiedene Mannschaften. Liberty Seguros, Kelme, Quickstep und fdJeux hatten Männer zur Tempoarbeit abgestellt, CSC zeigte sich nicht vorne. Lange dauerte es nicht, bis die nächsten Vorstöße folgten: Putsep, Bossoni, Hayman und Ivanov machten sich auf den Weg. Bei dem Namen „Ivanov“ musste ich zuerst an den Russischen Meister denken, aber es war sein Namensvetter von Domina Vacanze, ein wohl schwächerer Fahrer.

Das Quartett machte sich auf die Verfolgung, im Feld brach nun das absolute Chaos aus. Keiner fühlte sich verantwortlich für die Nachführarbeit, daher wuchs der Vorsprung permanent. Liquigas zeigte sich zwar vorne, aber wirkliche Anstrengungen waren nicht zu erkennen. Nach 50 Kilometern schlossen die Spitzenreiter, mittlerweile mehr als sechs Minuten vor dem Feld, zusammen. Wenig später gab es im Feld die nächsten Stürze, es erwischte Mason und Klier. Sie konnten zwar weiterfahren, doch zu ihrem Pech hatte CSC wieder die Nerven verloren und das Tempo angezogen, da ihnen die neun Minuten 115 Kilometer vom Ziel entfernt zu viel geworden waren.

Schnell wurde der Abstand geringer, die Arbeit würde wohl wieder Früchte tragen. Putsep verlor den Anschluss und wurde nach zwei Dritteln der Strecke eingefangen, seine ehemaligen Gefährten würden sich zumindest noch über die dritte Bergwertung retten können. Das reichte für Hayman, um das Trikot des besten Kletterers zu übernehmen. Aber ich zweifelte daran, dass er es lange behalten würde.

Lombardi gab als nächster auf, 25 Kilometer waren noch zu fahren, als er gestellt wurde. Und in diesem Moment fiel der nächste Fahrer: Christophe Detilloux lag auf dem Asphalt. Nur knapp konnten wir ihm ausweichen, doch sofort gab es den nächsten Schock: Alejandro hatte eine Reifenpanne, er musste sein Hinterrad wechseln. Abgesehen von Oscar ließ sich das ganze Team zurückfallen um ihm zu helfen.

Ich hätte schreien können, aber das musste ich auf später verschieben. Jetzt gab es wichtigeres zu tun. „Ausreißer eingeholt, zwei Minuten müsst ihr auffahren“, tönten Julian Gorospes nicht gerade motivierende Worte aus dem Kopfhörer. Ich musste jetzt alles geben, endlich konnte ich mich beweisen. Koldo Fernandez vor mir fuhr aus dem Wind, ich spürte den Widerstand. Ich trat schneller in die Pedale, gab alles. Dann übergab ich an Detilloux, der uns nach seinem Sturz etwas helfen konnte. Andere Fahrer kamen aus dem Feld und konnten nicht mehr mitgehen, auch unser Tempo war zu hoch für sie. Der letzte Hügel, Alejandro führte uns hinauf. Wir gaben alles, aber gegen das große Feld waren wir chancenlos.

Während vorne die Sprinter um den Sieg fuhren, waren wir endgültig geschlagen. Inigo konnte nicht mehr und musste reißen lassen, doch wir schnupperten plötzlich wieder Morgenluft: Vor uns machte man scheinbar Stehversuche, Julian Gorospe schrie nur noch. „Antreten, die stehen. Venga, venga, VENGA!“ Ich war wieder vorne. Ich ignorierte meine Beine, schaltete die Gedanken aus. Nur das langgezogene Feld sah ich noch, Stück für Stück kam ich näher. Und dann, es war ein wunderbares Gefühl, passierten wir das Ende des Feldes. Ich ließ ein paar Tritte aus und war zwar völlig platt, aber mindestens genauso glücklich. Ich drehte mich zu Alejandro um, und wusste: Er spürte dasselbe.

Wir gingen in den Teambus, Alejandro bedankte sich bei allen einzeln. Inigo saß etwas zerknautscht auf seinem Platz, doch wir alle hatten Hochachtung vor seinem Kampfgeist. Er war nicht nur angeschlagen die Etappe gefahren, nein, er hatte sich auch bereit erklärt, trotz Schmerzen harte Arbeit zu leisten. Jeder war mit beteiligt, und im Hotel gab Alejandro uns nicht nur ein Getränk, sondern ein paar mehr aus. Inigo würde morgen übrigens die rote Laterne des Gesamtletzten tragen, er war auf Platz 195 zurückgefallen. „Wenn du die Berge überstehst, sehe ich da keine so großen Chancen, wenn du ganz hinten bleiben willst“, scherzte ich. Wenn er die Berge überstehen würde, er müsste sich wohl noch etwas fangen. Denn er hatte schon mehr als eine halbe Stunde verloren, etwas, das man ihm sonst nach drei Wochen vielleicht zugetraut hätte.

Morgen würde die erste Bergankunft auf dem Programm stehen, wir müssten einen ersten Härtetest bestehen. Aber nach dem gerade noch gelungenen Aufschluss-Manöver am Ende der heutigen Etappe waren wir zuversichtlich, dass alles glatt laufen würde.

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Henrik
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Beitrag: # 321162Beitrag Henrik
3.12.2005 - 14:02

Nach dem Schock der Schlussphase am Tag davor mussten wir uns voll auf die sechste Etappe konzentrieren. Denn von Cuenca ging es zur Bergankunft nach Valdelinares hinauf. Zwar nicht die schwerste Schlusssteigung, aber immerhin waren erste Selektionen möglich und einige würden vielleicht schon verlieren. Auch ein Wechsel an der Spitze der Gesamtwertung zeichnete sich ab, ich wollte meine Position bestätigen und womöglich sogar noch verbessern.

Morgens wachte ich auf, und ich merkte sofort: Die gesamte Stimmung hatte sich verändert. Alles war angespannter geworden, jeder wollte den perfekten Einstand in die Berge erwischen. Auch ich war nervöser als an den vorhergegangenen Tagen, ich wollte mich beweisen und meine sportliche Leitung nicht enttäuschen. Und ich musste Erfahrungen sammeln, meine erste Bergetappe bei einer GT stand bevor. Es ging zum Frühstück, viel wurde nicht gesprochen. Schade eigentlich, denn in den Tagen zuvor war es direkt ein kleines Aufwecken gewesen, wenn Witze gerissen wurden und wir gemeinsam lachten. Doch das war heute nicht der Fall, alle saßen gespannt am Tisch, was die heutige Etappe bringen würde.

Die Mannschaftsbesprechung ergab nicht viel Unerwartetes, Julian Gorospe wollte heute einen Fahrer in eine Gruppe schicken. Diese Aufgabe sollten Koldo Fernandez, Alberto Lopez de Munain oder Samuel Sachez Gonzales übernehmen. So würden wir einen taktischen Vorteil haben, wenn es an die Anstiege ging, und vielleicht könnte einer von ihnen sich im Tagesklassement und damit auch in der Gesamtwertung vorübergehend vorne platzieren. Am letzten Berg war dann klar, dass wir alles für Oscar und Alejandro geben würden, um sie an der Spitze ins Ziel zu bringen. Vielleicht gäbe es auch noch Attacken, aber das konnte man noch nicht planen.

Die Sonne war uns treu geblieben, doch die Hitze verschwand pünktlich zum Auftakt für die Kletterer. Nur noch angenehme 16° zeigte das Thermometer, ich konnte kein eindeutiges Urteil fällen. Ich hatte zwar nichts gegen angenehme Bedingungen, doch meine besten Rennen hatte ich immer in der Hitze Spaniens abgeliefert. Das Rennen startete zwei Minuten verspätet, ein Fotograf, der wohl eher Schlecht als Recht spanisch sprach, musste noch aus dem Weg geräumt werden. Doch nachdem dieser kleine Zwischenfall beseitigt war, konnte es losgehen. Ich nahm das noch nicht besonders hoch angeschlagene Tempo der anderen auf, fuhr vor Alejandro im Feld. Acht Kilometer rollten wir so dahin, bis die ersten Attacken das Rennen wirklich eröffneten. Alberto war sofort dabei, doch T-Mobile, Saunier Duval, fdJeux und vor allem CSC waren dagegen, zwölf Ausreißer ziehen zu lassen. So war das Feld nach 30 Kilometern wieder geschlossen, es ging von vorne los. Dieses Mal waren es neun Fahrer, die angriffen. Und erneut war Alberto darunter. Aber keine starken Bergfahrer hatten sich abgesetzt, Discovery und CSC, durch Christian Müller vertreten, leisteten die Arbeit im Peloton.

Endlich schien Ruhe eingekehrt, doch der Frieden wurde bald gestört: Martias aus der französischen Bouygues Telecom-Mannschaft stürzte, riss aber niemandem mit zu Boden. Glücklicherweise schien er davongekommen zu sein und konnte das Rennen fortsetzen. Weiter setzten wir unseren Weg auf die Gebirgsketten fort, die erste Sprintwertung war nach 73 Kilometern passiert. „Acht Minuten, weiter ruhig fahren“, drang die Stimme meines sportlichen Leiters mit der kurzen Anweisung aus dem Auto hinter mir. Alberto fühlte sich vorne noch stark, die Gruppe lief gut und baute den Vorsprung weiter aus.

Die Vuelta 2005 blieb weiter ein auch von Stürzen geprägtes Rennen, Koldo Gil, heute mit Außenseiterchancen als Helfer für Heras angetreten, musste den Anschluss wiederherstellen. Und auch er war erfolgreich, doch inwieweit seine Leistungsfähigkeit eingeschränkt sein würde, konnte man noch nicht sagen. Währenddessen passierten wir die zweite Sprintwertung, mit weiterhin ungebremst steigendem Abstand zu der neunköpfigen Gruppe. Abgesehen von einer Reifenpanne bei Bileka passierte nichts Besonderes mehr, bis die Spitze den Fuß des ersten recht flachen, aber langen Anstiegs erreichte. Bis wir an diese Stelle kommen würden, sollten noch neunzehn Minuten vergehen. Aber vorher stürzte der nächste, Marco Fertonani war der Pechvogel.

Es schien klar, dass einer aus der Gruppe gewinnen würde. Aber würde Alberto genug Kraft besitzen, um den Sieg mitzukämpfen? Er war der beste in der Gesamtwertung, doch schon die kleinste Zeitgutschrift konnte einen seiner Gegner vorbeiziehen lassen. Es würde natürlich eine tolle Sache sein für meinen Teamkollegen, aber das Trikot würde gleichzeitig mehr Arbeit für das Team bedeuten. Doch wie würde ich handeln, wenn ich diese beiden Optionen hätte? Ich würde wie jeder andere auch alles für die Führung geben.

Dann kamen wir in meine Heimat, die Berge. Endlich würde mein Teil der Vuelta beginnen, was würden die Anstiege für mich bringen? Den größten Erfolg meiner Karriere (was zugegebenermaßen nicht allzu schwierig werden würde), oder eine große Enttäuschung? Mit allem Kampfgeist den ich besaß, das war klar, würde ich mich für eine positive Lösung einsetzen. Doch diese sah nicht unbedingt nach einem guten Gesamtplatz aus, sondern ich wollte dem Team nützlich sein. Meine Rennen würden noch kommen, ich müsste mich weiterentwickeln.

Ich unterbrach mein Philosophieren, als ich zur Kenntnis nahm, dass der Vorsprung trotz des Berges weiter wuchs, während die Gruppe sich teilte. Und Alberto war nicht mehr gut drauf, er konnte nur mühevoll sich am Ende halten. Drei Fahrer hatten sich eine Minute abgesetzt, wir fuhren hinten weiter nach vorne. Inigo bekam die ersten Schwierigkeiten und musste wieder auf die Zähne beißen, blieb jedoch im noch kompletten Feld. Vorne brachen die Gruppen jetzt weiter auseinander, Albertos Chancen auf den Tagessieg oder Gold sahen nicht mehr so groß aus wie noch vor einigen Minuten. Doch für mich war das Renngeschehen im Kampf um den Sieg jetzt zweitrangig, das Feld war schneller geworden. Daraufhin zeigten sich Fahrer mit Problemen, von denen ich es nicht erwartet hätte, doch alle fanden bis zum Ende der Abfahrt wieder heran.

Dann begann die Schlusssteigung, zehn Kilometer hinauf zum Wintersportort. Die Luft knisterte, jederzeit konnte die Situation explodieren. Weiterhin blieb ich an Alejandros Seite, auch Unai, Oscar und Samuel konnten uns noch helfen. Wir fuhren in der zweiten, dritten oder vierten Reihe und warteten. Es war zum Verrücktwerden, ich wäre vor Spannung fast umgekommen. Doch dann „erlöste“ mich der Angriff von Iban Mayo, der eine wahre Lawine an Attacken auslöste. „Hinterher, alles was kann“, schrie Gorospe in heller Aufregung. Alles, dazu zählte ich mich auch. Gemeinsam mit meinen beiden Kapitänen setzten wir nach, auch Heras, Horner und Montgomery waren bei uns. Aber plötzlich verlor Alejandro leicht den Kontakt. „Bleib vorne“, war das einzige, was ich hörte.

Alejandro schien in ernsthaften Problemen zu stecken, eine verflixt ungünstige Situation. Hatte ihn die Panne gestern zu viel Kraft gekostet, oder war es einfach eine gewöhnliche Schwäche? Die nächsten Fahrer kamen von hinten, Gonchar und Beltran näherten sich. Doch kein spanisches Meistertrikot war in Sicht, Mayo griff an. Was sollte ich jetzt tun? Für Oscar fahren und Alejandro weiter zurückfallen lassen oder auf meinen Freund warten? Gorospe beantwortete die Frage, ich ging nach vorne. Meter um Meter holte ich Mayo zurück, ich hatte sein Hinterrad. Der Flame Rouge, der letzte Kilometer. Mayo forcierte erneut, ich hielt diesmal mit. Und Oscar blieb weiter hinter mir, Mayo kam nicht weg. So belegte ich hinter ihm den zehnten Platz, Oscar hinter mir. Dann mussten wir warten, warten auf unsere Gegner, aber vor allem auf Alejandro. 56 Sekunden hatten wir gutgemacht auf Rogers, mit dessen Zeit wurde die erste große Gruppe und auch Alejandro gewertet.

Aber würde er sauer sein auf mich, weil ich nicht auf ihn gewartet hätte? Was hätte ich tun sollen, mich meinen Anweisungen wiedersetzen? Ein Blick zu ihm, und sofort hatte ich die Antwort. Enttäuschung lag in seinen Augen, aber nicht darüber, dass ich für Oscar gefahren war. Sondern über seine eigene Leistung, die ihn zwar nicht aus dem Rennen warf, aber ein erster Fingerzeig war. Ich ging auf ihn zu und versuchte, ihn zu trösten.
„Wieso sollte ich dir Vorwürfe machen? Du hast das Beste für die Mannschaft gemacht, jeder hätte so gehandelt. Vielleicht war die Tour für mich zu anstrengend, man wird sehen. Auf jeden Fall musst du nicht für mich, sondern für Euskaltel fahren. Und das werde auch ich tun.“
Es klang wie Trotz, und ich war froh über seine Reaktion. Ich wusste, dass ich richtig gehandelt hatte. Ich durfte nicht für einen Fahrer arbeiten, meine Aufgabe war, alles für die Mannschaft zu geben. Und ich würde auch für Oscar aufopfernd fahren, das war klar.

„Weißt du, wer gewonnen hat?“ Alejandro riss mich aus meinen Gedanken.
„Keine Ahnung, aber da ist Alberto.“
Alberto kam auf uns zu. Wir fragten ihn, wie sein Rennen gelaufen war.
„Na ja, bis zu den Bergen gut. Aber dann habe ich den Anschluss verloren und bin sechster geworden. Gewonnen hat Sacchi, ist auch neuer Gesamtführender. Ich bin jetzt dritter. Schade, aber immerhin haben wir uns gezeigt. Wie war’s bei euch?“
Ich wollte schon antworten, doch Alejandro war schneller.
„Beschissen, ich bin erst mal bei Mayo mitgekommen, aber dann hat Jose mich abgehängt und ich war plötzlich wieder im Feld.“ Erschrocken sah ich ihn an. Aber ich erkannte das Grinsen auf seinem Gesicht.
„Na gut, du hast noch alle Möglichkeiten. Aber bei Oscar und mir ist alles gut gelaufen. Ein Zuckerschlecken war der Anstieg trotzdem nicht.“
Damit war unser Gespräch beendet. Ich ging in den Teambus, zog mich um und fuhr ins Hotel. Dort sah ich mir noch einmal die Ergebnislisten an. In der Gesamtwertung würde wohl erst in Barcelona beim Kampf gegen die Uhr wieder etwas geschehen, die nächsten zwei Tage brachten leichtere Etappen.

6.Etappe: Cuenca – Valdelinares:
1 Fabio Sacchi SONY ERICSSON - IKEA 4h45'14
2 Francesco Bellotti CREDIT AGRICOLE + 16
3 Ludovic Turpin AG2R PREVOYANCE s.t.
4 Oscar Mason LIQUIGAS - BIANCHI s.t.
5 Christian Müller TEAM CSC + 52
6 Alberto Lopez De Munain EUSKALTEL - EUSKADI + 1'03
7 Andrea Moletta GEROLSTEINER + 1'46
8 Christophe Kern BOUYGUES TELECOM + 2'14
9 Benoit Vaugrenard FRANCAISE DES JEUX + 2'38
10 Iban Mayo ILLES BALEARS + 12'07
11 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI s.t.
12 Óscar Pereiro EUSKALTEL - EUSKADI s.t.
13 Roberto Heras LIBERTY SEGUROS - WURTH TEAM s.t.
14 Sven Montgomery GEROLSTEINER s.t.
15 Chris Horner SAUNIER DUVAL - PRODIR s.t.
16 Sergei Gonchar DOMINA VACANZE s.t.
17 Manuel Beltran DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM s.t.
18 Michael Rogers QUICK STEP + 13'01
19 Pieter Weening RABOBANK s.t.
20 Bingen Fernandez COFIDIS, LE CREDIT PAR TELEPHONE s.t.

28 Alejandro Valverde EUSKALTEL - EUSKADI s.t.


Gesamtwertung:
1 Fabio Sacchi SONY ERICSSON - IKEA 21h47'00
2 Ludovic Turpin AG2R PREVOYANCE + 43
3 Alberto Lopez De Munain EUSKALTEL - EUSKADI + 1'20
4 Andrea Moletta GEROLSTEINER + 2'19
5 Christophe Kern BOUYGUES TELECOM + 2'32
6 Benoit Vaugrenard FRANCAISE DES JEUX + 5'48
7 Francesco Bellotti CREDIT AGRICOLE + 7'04
8 Sergei Gonchar DOMINA VACANZE + 11'13
9 Óscar Pereiro EUSKALTEL - EUSKADI + 11'41
10 Jose Romero EUSKALTEL - EUSKADI + 11'43

11 Manuel Beltran DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 11'48
12 David Zabriskie TEAM CSC s.t.
13 Fabian Cancellara SONY ERICSSON - IKEA + 11'54
14 Chris Horner SAUNIER DUVAL - PRODIR + 12'08
15 Michael Rogers QUICK STEP + 12'09
16 Roberto Heras LIBERTY SEGUROS - WURTH TEAM + 12'13
17 Pedro Horrillo RABOBANK + 12'18
18 Iban Mayo ILLES BALEARS + 12'22
19 Sven Montgomery GEROLSTEINER + 12'24
20 Thor Hushovd CREDIT AGRICOLE + 12'29
21 Igor Gonzalez De Galdeano LIBERTY SEGUROS - WURTH TEAM + 12'30
23 José Azevedo DISCOVERY CHANNEL PRO CYCLING TEAM + 12'32
29 Markus Fothen GEROLSTEINER + 12'43
31 Andreas Klöden T-MOBILE TEAM + 12'44
33 Erik Zabel T-MOBILE TEAM s.t.
34 Vladimir Karpets ILLES BALEARS + 12'50
35 Tom Boonen QUICK STEP s.t.
39 Oscar Sevilla T-MOBILE TEAM + 12'55
41 Stuart O'Grady COFIDIS, LE CREDIT PAR TELEPHONE s.t.
47 Cadel Evans DAVITAMON - LOTTO + 13'04
53 Alejandro Valverde EUSKALTEL - EUSKADI + 13'09


Ein tolles Ergebnis, ich war wieder unter den besten zehn und hatte nur wenige starke Bergfahrer vor mir und wir lagen in der Teamwertung nur noch zwei Sekunden zurück. Aber das Allerwichtigste war: Ich hatte die erste Bestätigung, dass ich auch bei großen Rennen vorne mitfahren konnte. Und das löste bei mir ein tolles Gefühl der Freude aus, ich schlief früh ein, zwar völlig erschöpft, aber auch komplett zufrieden.

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Kim Kirchen
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Beitrag: # 321189Beitrag Kim Kirchen
3.12.2005 - 17:07

Immer wieder geil zum Lesen (ist halt nur ein bisschen viel ;) )

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