Jerdona Zeres [Vuelta 2007 - beendet]

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

Ricardo84
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Beitrag: # 369310Beitrag Ricardo84
17.7.2006 - 11:40

Die Berichte über die Bergetappen sind genial!!! :)

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arkon
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Beitrag: # 369923Beitrag arkon
19.7.2006 - 14:42

18. Juli 2006
L’Alpe d’Huez

Das besondere Flimmern, was die Morgende umgab, an denen es hinauf zu den besonderen Pässen der Radsportwelt gehen sollte, es war wieder da. Es war nicht so, als ob sie es noch nie gespürt hätten, Fabian Schmidt und Jerdona Zeres. Ebenso sollten sie es auch noch öfter spüren, oft genug zusammen. Aber heute, an diesem 18. Juli, war es für beide anders, neu, für jeden von ihnen. Der eine hatte es noch nie in der Lage eines Favoriten gespürt, der andere würde zum ersten Mal mit der Tour de France auf einen der geheiligten Berge der Fahrradkultur klettern. Für den Rest des Fahrerfeldes war dieser Morgen natürlich auch alles andere als langweilig. Die Vorbereitungen auf den ersten Showdown in den Alpen liefen. Und das Klassement, welches jetzt noch völlig offen war, würde schon in 7 Stunden mindestens einen Favoriten weniger aufweisen. Vielleicht auch mehr… Wer konnte das schon sagen?

Thorsten wurde früh geweckt. Nicht etwas der Wecker war schuld, vielmehr war es der Regen, der gegen die Fensterscheibe seines Hotelzimmers gepeitscht wurde. Ächzend hob er seinen pochenden Schädel und sah hinüber zum Ursache der Störung. Hinter den grellen 70er Jahre Gardinen des Skihotels sah er eine graue, trübe Suppe, die von einem erbarmungslos harten Wind vorwärts getrieben wurde. Er hatte gestern den Wetterbericht verpasst, aber als er sich am Abend noch mit ein paar Kollegen in einer Kneipe getroffen hatte, um über Gott, die Welt, Frauen und vor allem Radsport zu sprechen, hatte er von den Unwetterwarnungen gehört. Heute sollte es schlimm werden, und übermorgen ganz schlimm. Danach war es wieder besser angesagt, aber wann konnte man der Vorhersage schon trauen, gerade in den Alpen?

Das Rennen begann eher verhalten. Die große Entscheidung, die für Heute, ganz sicher aber morgen erwartet wurde, blieb aus. Ein paar Mutige griffen an und setzten sich an den Hängen des Col de Izoard ab und konnten auch schnell einen großen Vorsprung herausfahren. Phonak schien heute nicht gewillt, so früh schon alle Kräfte anzustrengen. Doch als die Spitzenreiter auf 9 Minuten weggefahren waren und die anderen Teams schon langsam etwas nervös ihre Leute nach vorne schickten kam endlich die Tempoerhöhung. Wobei endlich nicht das war, was sich die Sprinter in diesem Moment denken mussten: Während das Feld eben noch dicht zusammengepackt gewesen war zog es sich jetzt plötzlich lang auseinander. Die schwachen Bergfahrer mussten aus dem eher warmen und vor Wind und vor allem Regen geschützten Kokon des Pelotons hinaus und alleine oder in kleineren Gruppen nicht nur dem Izoard sondern auch dem Spiel der Elemente trotzen.
Auch bei Credit Agricole, gerade eben noch vollzählig, schlug sich eine gewisse personelle Ausdünnung nieder: Hushovd, Kirsipuu und Bodrogi waren die ersten und auch die voraussehbaren Opfer. Aber noch vor dem Gipfel verabschiedeten sich auch Saul Raisin und Patrice Halgand. Noch kein Grund zur Nervosität, gerade, weil der Zielstrich noch etliche Kilometer und 2 Berge entfernt war.
Die Abfahrt verlief relativ glimpflich. Phonak räumte den Platz an vorderster Front und so rollte das Feld eher langsam hinab ins Tal. Von hinten schafften viele Gruppen wieder den Anschluss, aber der Rennverlauf sollte keine Gnade mit ihnen haben. Aufgrund der fehlenden Risikobereitschaft, besser gesagt der den Witterungsverhältnissen angepassten Fahrweise blieben Stürze aus.

„Jetzt ist auch das Feld endlich in Briançon angekommen. Der Vorsprung der Ausreißer beträgt jetzt 5 Minuten 30 – nicht besonders viel, wenn man das einmal so sagen darf. Und Zwei Berge stehen ihnen ja noch im Weg, besser gesagt bevor. Den Izoard haben sie gemeistert, aber das heißt noch nicht viel.“
„Phonak hat sich schon länger aus der Tempoarbeit verabschiedet. Caisse d'Epargne, Credit Agricole, Liberty Seguros, CSC und T-Mobile bestimmen hier das Tempo. Gemeinsam heizen sie hier den Anstieg zum Col de Lautaret empor.“
„Ja, das ist wirklich ein Wahnsinns Tempo, da werden wohl gleich die ersten abreißen lassen müssen“

Es wurde wirklich schnell. Der Wind pfiff jetzt exakt von vorne auf die Fahrer drauf. Der Regen fegte über sie hinweg und jeder war froh, wenn er nicht in der ersten Reihe fahren musste. Jerdona ließ sich kurz zurückfallen zu Pietro Caucchioli. Er hatte kein Wasser mehr und brauchte auch noch eine Stärkung. Der Lautaret war zwar „nur“ ein Berg der 1. Kategorie, aber er durfte auf keinen Fall riskieren, einen Hungerast zu bekommen. Den Anstieg nach Le Deux Alp, wo Ullrich dieser Fehler 1998 bei ähnlichem Wetter die Tour gekostet hatte, würden sie als mahnendes Beispiel auf ihrem Weg passieren. Und auch wenn er noch jung war, diesen Fehler würde ihm ganz sicher nicht unterlaufen.

„Ein Attacke! Es gibt einen Angriff! Etwas Früh, wie man meinen könnte, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Floyd Landis macht sich da auf den Weg. Er greift damit zwar indirekt seinen Teamkollegen, Fabian Schmidt, der Gelb trägt an, aber das dürfte ihm reichlich egal sein. Er liegt schon etwas zurück und dies ist vielleicht seine letzte Gelegenheit, die Tour zu gewinnen.“
„Und im Feld wird reagiert. Ivan Basso und Levy Leipheimer steigen hinterher. Damit wird aus einer Verzweifelungsattacke eine ernstzunehmende Bedrohung für alle anderen, die nicht aus dem Sattel gegangen sind.“
“Jan Ullrich, Jerdona Zeres, Alexander Vinokourov, Alejandro Valverde… Die Liste ist lang. Aber wer kann reagieren, wer kann jetzt Tempo machen? Es sind schon viele abgeschüttelt, und das Tempo vorne ist immens. Jetzt braucht man her vorne gute Kletterer, nein, Spitzenkletterer um die Lücke zu schließen!“

Zeres rollte hinüber zu Christoph. Es war eine kitzelige Situation. Er war zwar nominell der Teamkapitän, aber sie hatten sich immer wie zwei Gleichgestellte behandelt. Und Christoph lag momentan noch vor ihm im Gesamtklassement. Aber er brauchte ihn. Die Lücke war da und bei den Windverhältnissen brauchte er seine Teamkameraden mehr denn je, um den Abstand nicht zu groß werden zu lassen.

„Und es wird reagiert. Pietro Caucchioli sehen wir vorne. Und hinter ihm ist Christoph Moreau, gefolgt von Jerdona Zeres. Die Credit Agricole Phalanx hat sich formiert und stürmt den Lautaret empor, in Verfolgung der Spitzengruppe.“
„Das ist natürlich Glück für die anderen Favoriten. Denn wer sollte hier sonst die Nachführarbeit leisten? Kashechkin, Pereiro, Rasmussen, aber das war es auch schon. Kein anderes Team hat hier Helfer in so guter Form mit, als das sie jetzt noch was zulegen könnten. Vor allem nachdem Phonak sich fast komplett kaputt gefahren hat um die Attacke des Kapitäns vorzubereiten und die Gruppe schön klein gemacht hat.“

Jerdona war dankbar, das er sich hinter Moreau verstecken konnte. Der Wind fiel ziemlich frontal auf sie drauf und wenn er kurz nach links oder rechts ausscherte konnte er spüren, wie die Tropfen in sein Gesicht gepeitscht wurden und ihm die Sicht und den Atem nahmen. Mörderisch.

„Der Abstand zum Feld hat sich jetzt bei einer Minute eingependelt. Und Caucchioli wird abgelöst von Moreau. Das ist schon eine ziemlich eindeutige Teamorder: Der Mann, der im Klassement weiter vorne liegt, wird geopfert für den Kapitän. Und der Franzose legt hier wirklich einen Affenzahn vor.“
„Der Abstand wird aber nicht geringer, eher im Gegenteil. Vorne hat man den Braten wohl gerochen und will noch vor dem Schlussanstieg nach Alp d’Huez das Spiel gewinnen. Und sie sind sich einig. Das ist jetzt ganz wichtig, man braucht wirklich jemanden, hinter den man sich kauern kann, der einen aus dem Wind nimmt.“

Von hinten rollte Jerdona neben seinen Teamkollegen und reichte ihm eine Wasserflasche. „Wie fühlst du dich?“
„Gut genug. Du versteckst dich hinter mir, und wenn wir im Schlussanstieg sind, dann zeigst du ihnen das, was du mir den ganzen Frühling lang gezeigt hast.“
Ein etwas gezwungenes Lächeln unter der blau-grünen Sonnenbrille. Christoph opferte sich wirklich für ihn auf. Jerdona war fast schon geschockt von der Treue, die sein deutlich älterer Leutnant hier bewies. Er hatte auch gute Aussichten gehabt, sich heute gut zu platzieren. Noch heute Morgen hatte er verkündet, er fühle sich gut wie schon lange nicht mehr. Und nun fuhr er in der wahrscheinlich besten Form seines Lebens um ihn zu helfen. Das waren Dienste, die der Zuschauer immer als etwas selbstverständlich erachtete: Loyalität zum Team war die Regel, und solche Extremsituation wurden niemals als Ausnahme wahrgenommen. Aber das, was Christoph heute für ihn tat, konnte er ihm nicht zurückzahlen, jedenfalls nicht in dieser Tour.

„Die Spitzentrio mit Landis, Leipheimer und Basso hat den Gipfel erreicht. Die Ausreißergruppe haben sie auf dem Weg hierher quasi überrollt. Der Weg ist damit quasi frei für sie. Aber von hinten kommt noch die Verfolgergruppe, die immer kleiner wird.“
„Das sind vielleicht noch 20 bis 25 Mann, die hier zusammen sind. Das ist schon ein brutales Denkmal von dem, was hier heute geleistet wurde. Moreau hat quasi im Alleingang die Gruppe kaputt gehauen und damit seinen Kapitän Jerdona Zeres im Rennen gehalten, der wohl im entscheidenden Moment der Attacke zu weit hinten im Feld war, als das er noch hätte reagieren können.“

Zu ihrer Rechten erhob sich wie ein Gigant der Col du Galibier, oft genug das Dach der Tour. Er hatte sie die letzten Meter zum Gipfel vor dem direkten Wind geschützt. Allzu oft war dieser Riese nicht so gnädig mit den Rennfahrern gewesen. Umso mehr wussten sie es jetzt zu schätzen, dass er etwas für sie tat.
Die Abfahrt hinab war lang, aber nicht so kurvig wie die nach Briançon. Das kam ihnen gerade Recht: Es war immer eine schwere Entscheidung, Sturzrisiko gegen Zeitgewinn abwägen zu müssen, und jetzt fiel diese Wahl nicht so schwer, wie manche befürchtet hatten.

„Das Feld hat nun auch Bourg d'Oisans erreicht, 1’30 hinter den Spitzenreitern. Das ist nicht viel, und es würde mich wundern, wenn es bis oben reicht. Die Fahrer hier haben viel riskiert und wahrscheinlich zu hoch gepokert. Was sie verloren haben werden wir gleich wissen, wenn sie oben angekommen sind.“

Die ersten Kehren. Es begann also. Jerdona schaute sich um, zu Pietro und musste grinsen. Gemeinsame hatten sie fast ein halbes Jahr hierfür trainiert. Die 3 Alpenetappen waren die entscheidenden der Tour. Und sein Ziel. Er hatte sein Leben seit der Vertragsunterzeichnung bei Credit Agricole, seit er der Kapitän für die Tour war, auf diese 3 Tage ausgerichtet. Und der erste ging jetzt in die entscheidende Phase. Er nickte seinem Teamgefährten zu.

„Pietro Caucchioli geht in die Führung und übernimmt dieses Amt von Christoph Moreau. Der hat für heute wirklich genug getan. Am Lautaret sah Caucchioli nicht so aus, als ob er den Anschluss würde halten können, aber er hat uns eines besseren belehrt. Vielleicht hat er in der Abfahrt genug Kraft gesammelt.“
„Egal wie und warum, er zieht hier das Tempo noch mal kräftig an, hält seinen Kapitän aus dem Wind. Und das ist wirklich nötig, denn auch hier bläst es kräftig in den Hang hinein.“
„Vorne ist man sich nicht mehr so einig, die Arbeit verschleppt. Und Floyd Landis sieht so aus, als hätte er sich heute wirklich übernommen. Jetzt muss er abreißen lassen. Basso und Leipheimer damit alleine unterwegs. Landis sieht sie wegfahren und damit auch seine letzten Chancen im Klassement werden hier vom Regen weggespült. Ihr Plan war gut, aber Moreau war zu stark. Er hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Chapeau!“

Im Regen konnte er nur undeutlich die Kurven erkennen. Die Leute um ihn herum sprangen auf und ab, schrieen ihn wie verrückt hier den Hang hinauf. Er sah sich um, direkt in die Gesichter seiner Kontrahenten. Ullrich, Mancebo, Valverde, Vinokourov. Er grinste, drehte sich nach vorne um und griff aus der ersten Reihe an. Das Blut schoss ihm in den Kopf. Das Adrenalin pumpte in seinen Adern. Sein Tritt war leicht und flüssig, er spulte hier sein Programm ab. Die Leute um ihn herum tobten jetzt. Als er kurz zurück schaute konnte er nichts mehr erkennen. Motorräder, Zuschauer, Regen, alles stellte sich zwischen ihn und die Favoritengruppe, die er eben verlassen hatte. Kam jemand hinterher? Konnte er es riskieren, zu warten? Er konnte es nicht sagen. Und über Funk würde er so eine wichtige Entscheidung niemals fällen. Es ging um das gesamte Rennen. Er drehte sich nach vorne um und fuhr. Es gab zumindest einen Ausweg aus dem Dilemma.

„Der Baske ist jetzt verschwunden. Verschwunden zwischen den Zuschauermassen und dem Nebel, der sich jetzt so langsam ins Renngeschehen mit einklinkt. Aber ihm hinterher ist jetzt eine Dreiergruppe mit Ullrich, Valverde und Vinokourov. Und sie spulen hier ein ziemlich gutes Tempo runter.“

Etwas war vor ihm. Er konnte es nur erahnen, aber da musste ein anderer Fahrer sein. Noch ein paar Meter, jetzt sprangen die Zuschauer nicht mehr dazwischen. Ein Phonak-Teamfahrzeug. Das musste Landis sein. Er war also dran an der Spitzengruppe. Der Angriff war endgültig vereitelt. Er fuhr an dem Auto vorbei. Die Seitenscheiben waren beschlagen, er konnte noch nicht einmal ins Innere schauen. Sein Blick glitt zurück auf die Straße. Vor ihm fuhr Landis. Er konnte seine Rückennummer erkennen, die 7 für Phonak und die 1 für den Kapitän. Das war er. Einen Moment lang fuhr er hinter ihm, sammelte ein wenig Kraft und schoss dann mit all seiner Urgewalt an ihm vorbei.
Sein Gesicht war gezeichnet, gezeichnet von der langen Fahrt an der Spitze. Er hatte sich Stundenlang auf dem Rad abgequält, sich einen heldenhaften Kampf mit dem Elementen und dem Lautaret gewidmet und gewonnen. Und dennoch war der Krieg für ihn verloren gegangen, weil Christoph heute das Rennen seines Lebens gefahren war, nicht für sich selbst, sondern für ihn, für Jerdona Zeres.
Der Moment, in dem er zurückblickte auf den geschlagenen, dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, doch es kam ihn wie eine Ewigkeit vor. Noch nie war er Christoph, nein, überhaupt einem anderen Fahrer so dankbar, das er ihn geschützt, dass er sich für ihn geschunden hatte. Und dennoch hatte er Mitleid mit Landis, der sich genauso lange gequält hatte und dafür nun nichts zurückbekommen würde. Aber als er wieder nach vorne schaute blieb auch das Mitleid zurück bei Landis, irgendwo hinter ihm im Nebel.

„Und Ullrich und Vinokourov werden kurz alleine gelassen von Valverde. Der geht nach vorne. Aber das ist ein Aussichtsloses Unterfangen. Vor allem Ullrich macht jetzt das Tempo und die beiden anderen haben gar keine Wahl als das Tempo mitzugehen. Wie eine Maschine spult er das Programm ab und man kann wirklich sehen, wie sich bei Vinokourov jetzt die Schmerzen breit machen. Die beiden ehemaligen Teamkollegen liegen jetzt wirklich im Krieg miteinander.“

Vor sich konnte er sie jetzt endlich erkennen. Basso und Leipheimer. Das waren sie und damit seine Chance. Heute könnte sein Tag werden. Er flog nicht ganz so schnell wie bei Landis eben heran, aber er konnte es doch deutlich spüren, wie sie ihm unterlegen waren. Mit einem Kopfnicken setzte er sich neben sie. Etwas verdutzt schaute Basso herüber. Er war sicher schon informiert worden das Jerdona von hinten herangeflogen kam, aber er hatte wohl nicht damit gerechnet, wie locker und leicht er sich hier neben die beiden gesellen würde.
Und er wartete auch gar nicht lange. In seiner gewohnten, lockeren Art schwang er sich aus dem Sattel und war mit ein paar Tritten schon ein, zwei Meter weg. Im Zurückblicken konnte er erkennen, wie Basso noch kurz versuchte, sein Tempo mitzugehen, aber er besann sich bald eines besseren. Er hatte zu viele Körner auf der Flucht gelassen.

„Das ist schon der Ort, das ist Alp d’Huez. Zeres biegt allein in den umzäunten Bereich ein. Der Sieg ist noch diskutabel, von hinten kommt die Gruppe um Ullrich angeflogen. Und der Abstand wird immer kleiner.“
„Ich denk mal nicht, dass es reichen wird. Vielleicht ist er unten einfach zu schnell angegangen, wer weiß.“

Der Wind pfiff hier oben mörderisch. Als er sich umdrehte und seine Verfolger erkannte war er fast schon froh, dass er jemanden hatte, hinter dem er sich verstecken konnte. Die letzten Kilometer waren einfach mörderisch gewesen. Auf der Höhe blies der Wind noch stärker. Einige Male dachte er fast, er würde vom Rad fallen. Der Regen rann ihm durch jede Ritze, jede Pore seines Rennanzuges. Er war trotz der Anstrengungen kaum warm. Sein Schweiß, so er überhaupt welchen produzierte, verlor sich völlig in den Bächen, die an ihm herabstürzten.
Aber Ullrich war auch einfach verdammt schnell. Wie ein D-Zug pfiff er an ihm vorbei. Nur mit äußerster Mühe konnte er sich hinter den Deutschen klemmen. Was er in den Pyrenäen nicht gezeigt hatte, das tat er jetzt: Er wollte den zweiten Toursieg. Valverde und Vinokourov, die hinter ihm klemmten, waren auch schon absolut am Limit. Mit jedem Meter konnte er spüren, wie sie lockerer fuhren. Der Zielstrich und damit trockene Kleidung und ein warmer Tee.
Auf den letzten Meter kam dann zuerst die Attacke von Vinokourov, auf die Valverde dann aber noch einen draufsetzte. Ullrich und Zeres konnten sich zwar dranhalten, mussten aber dem Spanier den Vortritt lassen. Die Plätze waren egal, der Sieg war wichtig. Und natürlich die Zeiten. Zitternd wartete Zeres die Minuten ab. Ein Betreuer legte ihm ein paar Handtücher um die Schultern, mit denen er sich provisorisch abtrocknete. Dann kamen sie endlich: Basso führte die Verfolger, unter ihnen auch Schmidt ins Ziel, mit fast 3 Minuten Rückstand! Das war es, er war zweiter im Klassement! Er riss die Arme in die Höhe. Der Triumph war zum greifen nahe!

Fabian Schmidt dagegen war ziemlich zerknirscht im Ziel. Er hatte Gelb verloren. Früher oder später hatte es passieren müssen, klar. Aber er hatte zusammen mit Ivan Basso, Dennis Menchov, Andreas Klöden und noch ein paar anderen Kletterspezialisten das Ziel erreicht. Er war auch heute wieder meisterhaft die Berge hinauf gekommen. Und trotzdem hatte es nicht gereicht. Und das weiße Trikot hatte er auch verloren, an Jerdona Zeres.
Als er auf den Stufen des Teambusses hockte und abgetrocknet wurde, überkamen ihn fast die Tränen. Natürlich, er hatte viel erreicht, er war über sich hinaus gewachsen. Und Morgen würde er sicher wieder drüber lachen können. Aber heute fühlte er sich hundselend. Er hatte alles gegeben und es hatte nicht gereicht.
Er sah auf, als sich jemand neben ihn setzte. Louise war gekommen. Tröstend legte sie ihren Arm um ihn. Gestern wäre sein Herz bei dieser Gelegenheit noch in die Hose gerutscht. Jetzt aber reizte es ihn nur noch mehr dazu, die Tränen laufen zu lassen. Völlig kaputt kuschelte er sich in den Arm. Der Betreuer verstand und ließ sie alleine.
Fabian gönnte sich die Minuten, in denen er losließ und den gesamten Stress, den er mit dem Gelben Trikot in Rennes gewonnen hatte, hinter sich. Es war eine schöne Zeit gewesen, vielleicht die schönste seines Lebens. Aber sie war auch unglaublich aufreibend gewesen. Noch nie war er so gefragt gewesen wie in diesen Tagen, wo er doch die Zeit am liebsten nur für einen Menschen genutzt hätte.
Er sie an und brachte ein etwas gequältes Lächeln zustande. „Wenigstens hab ich jetzt mehr Zeit für dich.“ Sie musste auch kurz Grinsen und sah ihn dann direkt an. Und dann geschah es. Sie küssten sich einfach so. Um sie herum stand die Zeit Still, für einen Moment.
Dann war es vorbei. Er hatte heute Gelb verloren. Aber das, was er gewonnen hatte, war Ersatz genug – und er würde es wahrscheinlich auch länger behalten können.

Etappenergebnis:
1 Alejandro Valverde Caisse d'Epargne - Illes Balears 5h07'23
2 Jerdona Zeres Credit Agricole s.t.
3 Jan Ullrich T-Mobile Team s.t.
4 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth s.t.
5 Ivan Basso Team CSC + 2'55
6 Pietro Caucchioli Credit Agricole s.t.
7 Fabian Schmidt Phonak Hearing Systems s.t.
8 Denis Menchov Rabobank s.t.
9 Andreas Klöden T-Mobile Team s.t.
10 Ivan Parra Cofidis s.t.

Gesamtklassement:
1 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth 66h29'10
2 Jerdona Zeres Credit Agricole + 17
3 Jan Ullrich T-Mobile Team + 26
4 Alejandro Valverde Caisse d'Epargne - Illes Balears + 1'44
5 Fabian Schmidt Phonak Hearing Systems + 1'56
6 Ivan Basso Team CSC + 3'43
7 Denis Menchov Rabobank + 6'28
8 Yaroslav Popovych Discovery Channel + 7'28
9 Levi Leipheimer Gerolsteiner + 7'46
10 Francisco Mancebo AG2R Prévoyance + 8'32

Punktetrikot:
1 Jaan Kirsipuu 197
2 Tom Boonen 185
3 Thor Hushovd 182
4 Alessandro Petacchi 181
5 Oscar Freire 177

Bergwertung:
1 Alexandre Vinokourov 148
2 Iñigo Landaluze 104
3 Ivan Basso 102
4 Jerdona Zeres 95
5 Nick Nuyens 86

Freut mich, da es gefällt. Sorry für die Pause und vor allem der kurze Bericht über die drei Zwischengebirgsetappen: Mein Internet ist im Arsch. Im Augenblick muss ich immer von einem anderen Rechner aus die Posts abschicken. Kann also in nächster Zeit noch durchaus öfter zu Verzögerungen kommen. That's life, hoffe, es gefällt euch trotzdem und noch nen schönen Gruß an alle da draussen, die mich noch lesen ;).
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

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arkon
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Beitrag: # 370618Beitrag arkon
21.7.2006 - 10:28

19. Juli 2006
La Toussuire

Es passiert wohl in Büchern und Filmen öfter, aber auch Fahrradfahrer haben dieses besondere Erlebnis von Zeit zu Zeit: Das Gefühl der Entscheidung, schon beim Aufstehen. Dieses besondere Grinsen des Schicksals, sicherer Vorbote einer ganz eigenen, da vorausgeahnten Überlegenheit. Für Jerdona war es an diesem Morgen nichts anderes. Nachdem er gestern mit seiner Attacke nicht ganz den erwünschten Erfolg erzielen konnte und dann, im Hinblick auf die beiden folgenden Etappen, sich nicht ganz bis an die letzte Grenze belastet hatte um den sicher prestigeträchtigen Sieg in Alpe d’Huez zu erringen, konnte er heute fühlen, das es anders war. Er war anders. Frischer. Seine Regeneration funktionierte. Die Entscheidung, gestern ganz auf Interviews zu verzichten und sich ganz in Ruhe ins Hotel zu verziehen, war richtig gewesen. Denn nun stand die Entscheidung an.

Auch Fabian Schmidt fühlte sich brillant an diesem Morgen. Nachdem er gestern noch hart zu knabbern hatte am verlorenen Gelben war die Niedergeschlagenheit oben auf der Höhe zurückgeblieben. Sein Blick führte jetzt geradeaus, auf eine gute Platzierung im Klassement und vielleicht seinen dritten Etappensieg im abschließenden Zeitfahren. Er gab sich nicht der Illusion hin, den drei führenden noch entscheidend Zeit abnehmen zu können. Und wenn Ullrich nicht ganz erheblich einbrach würde er sich wohl auch im Zeitfahren gegen ihn behaupten können. Ähnliches galt für Vinokourov. Und das weiße Trikot…. Dafür durfte Jerdona Zeres bei weitem nicht an das anknüpfen, was er gestern gezeigt hatte. Und das war mehr als unwahrscheinlich.

Ein dritter fühlte sich heute ebenfalls wesentlich besser als die vergangenen Tage: Yuri Madarkady spürte wieder die Angriffslust in sich aufkeimen, die ihn die ersten Wochen angetrieben hatte. Schon relativ früh machte er sich mit einer Gruppe auf den Weg. Das Wetter war bei weitem nicht so grimmig wie gestern, leichter Nieselregen trieb hie und da durch den Etappenverlauf. Dieser näherte sich strenger als asymptotisch einem Schlachtverlauf an, als das Feld den Anstieg zum Galibier hinter sich gelassen hatte. Bis hier hatte noch Liberty Seguros mehr aus Pflichtgefühl das Tempo hochgehalten. Die Ausreißer durften bis auf 7 Minuten weg, aber nicht wesentlich mehr. Mit 8 Mann war die Gruppe zu groß um bequem zu sein.
In den ersten Kehren des Croix de Fer wurde dann endgültig aus dem Geplänkel ernst. T-Mobile und Credit Agricole setzten sich nach vorne und fuhren ein Höllentempo den Berg hoch. Spätestens jetzt waren die meisten Fahrer über die kühle, feuchte Luft froh, an der sie sich gut abkühlen konnten. Die Abfahrten wurden zwar nicht gerade angenehmer, aber bergan war es schon eine Erleichterung.
Halgand, Raisin und auch Caucchioli fuhren vorne, den Glandon fest im Blick. Oben ging es dann links ab zum Croix de Fer, über die 3 schwersten Kilometer des Anstieges. Doch schon kurz vor dem Gipfel des Glandon, in einer steilen Rampe, gab es die erste Entscheidung des Tages.

„Ein Angriff, ich erkenne ein Credit-Trikot. Das muss… das ist schon Jerdona Zeres. Etwas früh, wie ich finde, aber er mag es eben überraschend. Das er sich seine Kräfte mal gut eingeteilt hat.“
„Er kriegt Gesellschaft. Ivan Basso kraxelt da mit ihm hoch. Das gleiche hat er auch schon gestern probiert, mit mäßigem Erfolg. Aber da fuhr ihn auch Credit Agricole kaputt. Das wäre heute anders, und der Weg zum Ziel sieht doch schon wesentlich freundlich, sprich steiler aus.“
„Aber die anderen haben irgendwie die Lust verloren. Man wird sehen, wie weise diese Entscheidung ist.“
„Das Loch zumindest ist schon mal da. Und Caucchioli zieht sich natürlich nur allzu gern aus der Führungsarbeit zurück“

Man konnte es fast für ein gemütliches Tempo halten, mit dem Basso und Zeres den Berg hochfuhren. Beide hatten einen lockeren Tritt drauf und man konnte förmlich sehen, dass sie erst die Vorentscheidung herbeigeführt hatten.
Jetzt waren sie oben, der Glandon war erreicht. Zeres nutzte die vielleicht 80 Meter, die die Straße bergab führte, und lockerte kurz noch mal seine Muskeln. Noch bevor er zur Flasche greifen konnte befanden sie sich schon auf den letzten, vernichtenden Metern zum Gipfel des Croix de Fer. Doch auf dem Weg wartete noch eine Überraschung auf die beiden: Yuri Madarkady übte sich in Stehversuchen. Als er seinen Kapitän erblickte lächelte er kurz zum Gruß. Sie rauschten geradezu an ihm vorbei und er hatte Mühe, auf ihr Tempo zu beschleunigen. Zunächst gab er ein paar Flaschen an seinen Kapitän weiter. Jerdona reichte noch zwei an Basso weiter, was so weit vor dem Ziel noch mehr eine Geste darstellte. Aber heute fühlte er sich so gut, dass er es sich erlauben konnte, Geschenke zu machen. Und sie verstanden sich auch abseits der Rennstrecke gut. Anschließend begann für Yuri der schwere Teil seines Jobs. Zusammen mit Basso führte er das letzte Stück, empor zum Gipfel des Croix de Fer, der aus dieser Entfernung sich nur dunkel durch die Regenschauer als ein dunkelgrünes Manifest gegen den ansonsten stahlgrauen Himmel abzeichnete.

Das Wasser, welches unablässig auf die Fahrer hinabrieselte, ran durch seinen Helm hinab in sein Gesicht. Mit der Hand wischte er sich durch das selbe um wenigstens einige Züge atmen zu können, ohne einen ganzen Schwall kleiner Tröpfchen durch seine Nase mit einzusaugen. Fabian Schmidt mochte den Regen. Er genoss es, so unablässig von oben abgekühlt zu werden und den Schweiß auf seiner Haut gar nicht erst richtig zu spüren.
Die Gruppe, in der er sich noch immer mit fast allen anderen Klassementfahrern befand, wurde von T-Mobile angeführt. Mit einem gleichmäßigen, aber nicht übermäßig hohem Tempo näherten sie sich dem Glandon. An seiner Seite fuhren immer noch Botero und Landis, die von Moos noch unterstützt wurden. Mittlerweile war auch Landis im Klassement so weit zurückgefallen, das sich die Bemühungen des Teams ganz alleine auf ihn stützten. Die Situation war für ihn heute noch völlig neu und ungewohnt, sowie sicher auch unangenehm: Er hatte schließlich einen langen Weg des Trainings mit den beiden und dem Rest des Teams hinter sich und hatte die ganze Zeit damit gerechnet, für sie auf den Flachstücken das Tempo machen zu müssen, oder besser gesagt zu dürfen. Doch das hatte sich geändert und damit manifestierte sich vor allem das Scheitern der Träume und Ziele der beiden gesetzten Kapitäne der Mannschaft. Das war Grund genug, das er sich in der Rolle ein wenig unwohl fühlte.
Andererseits war es natürlich für ihn auch eine ungeheure Bestätigung. Nicht nur seiner Leistungen im Zeitfahren, sondern endlich auch seiner Kletterfähigkeiten. Seit er gestern aus dem Gelben herausgefahren worden war blieb von den letzten zwei Wochen kaum mehr zurück als eine gute Ausgangsposition im Gesamtklassement. Um daraus auf den letzten Etappen noch eine gute Platzierung in der Endabrechnung zu machen bedurfte es mehr als sich nur von der Euphorie des legendären Trikots des Spitzenreiters tragen zu lassen. Heute konnte er endgültig unterstreichen, dass er ein guter Bergfahrer war und dass mit ihm in den nächsten Jahren ganz sicher zu rechnen sein würde.

„Die Verfolger am Gipfel. Und sie sehen nach wie vor gut aus. Madarkady trägt langsam die Spuren des langen Tages, aber er wird wahrscheinlich noch bis an den Fuß des Schlussanstiegs dabeibleiben, vielleicht sogar noch länger“
„Wenn Zeres ihn da noch braucht. Er ist ja bekannt für seine Vorliebe, solche Berge alleine zu meistern. Aber das wird man sehen. Sein bissiger Angriff ist sicher auch noch gefährlich genug, um Basso los zu werden. Daher wird wahrscheinlich der Italiener nach La Toussuire rauf das Tempo übernehmen um gar nicht erst in die Verlegenheit zu kommen, reagieren zu müssen.“
„Das ist alles noch graue Theorie, viel handfester sind die Abstände: Die Spitze ist ihnen noch mit 2:30 enteilt, das Feld hat dagegen immer noch einen Rückstand von fast 4 Minuten. Also, noch kaum eine Reaktion zu sehen. Das kann von Nervenstärke sprechen, aber auch von Misskalkulation. Nach dem derzeitigen Stand wären es nämlich grob überschlagen fast eine Minute Vorsprung für Jerdona Zeres im Klassement, und so wie er sich hier hinter seinen beiden Begleitern versteckt kann er am letzten Berg sicher noch etwas aufdrehen. Das wird ganz spannend, und nach dem derzeitigen Stand ein entscheidendes letztes Zeitfahren. Aber wir sind ja noch nicht am Ende.“

In St Jean de Maurienne hatten sie zur Spitze noch etwa 1’30 Rückstand. Yuri war ein sehr guter Abfahrer und konnte den beiden eher als Angstvögel bekannten ’Passagieren’, die ihm hinten drauf saßen, gut den Weg hinab zeigen. Also ging es relativ dich hinter der Spitze hinein in den Berg. Dieser stellte sich dann gleich, wie es sich gehörte, mit einer bissigen Rampe vor, die sich dann gleich in Wohlgefallen auflöste. Noch zuckte keiner der beiden.
Yuri zog sie schön gleichmäßig hinter sich her. Basso stellte ja keine direkte Bedrohung für Jerdona dar, der erst einmal die Gelegenheit nutzen wollte, Zeit auf den Rest der Konkurrenz heraus zu fahren. Die legten dann gleich auf den ersten Metern hinauf nach La Toussuire ein Wahnsinnstempo vor, die sie mit rund zwei Minuten Rückstand erreichten: Das Feld hatte seine Hausaufgaben ebenfalls gemacht.

„Und Angriff, Angriff im Feld. Vinokourov versucht da zusammen mit Alejandro Valverde gleich etwas Dampf zu machen. Und Jan Ullrich reagiert, so wie es aussieht. In der ruhigen Art, die wir von ihm gewohnt sind, spannt er sich vor den Rest und verschärft das Tempo. Aber ganz erheblich, so wie es aussieht, den die Platzen erst einmal weg.“
„Und Valverde muss Vinokourov auch ziehen lassen. Der sieht richtig platt aus, das wird hart. Olala, der steht ja fast am Berg, hat sich verschaltet und kann erst jetzt wieder ein bisschen anfahren. Und schon ist Ullrich da. Der zieht hier echt wie eine Lokomotive den Berg hoch.“
„Schnitt zurück zu den abgehängten. Cadel Evans, Moreau, Caucchioli, Schmidt. Ein illustrer Kreis. Aber die beiden Fahrer von Credit Agricole werden hier wohl kaum die Arbeit übernehmen. Das müssen die beiden selbst machen. Und mindestens für Schmidt steht ja eine gute Position im Klassement zur Disposition.“
„Für Zeres wird es jetzt ganz hart. So, wie Ullrich hier hochfährt, dürfte er die drei Flüchtigen bald erreicht haben. Können sie, nach der langen Flucht, noch ein bisschen was zusetzen?“

„Hinten geht die Post ab, greif an.“ Tönte es durch den Knopf, den Zeres im Ohr trug. Er sah hinüber zu Yuri Madarkady, der es ebenfalls gehört haben musste. Er ließ sich noch eine Flasche geben, die würde er brauchen. Er fuhr an die Spitze der Gruppe, direkt neben seinen Teamkollegen. „Danke, Yuri. Das war heute echt ne Riesensache von dir. Wenn ich Gelb kriege, dann wegen dir.“ „Hat mich gefreut, helfen zu können“ kam die Antwort des Russen.
Dann blickte er zurück, auf Ivan. Er hatte ihn heute auch eine Menge Hilfe geleistet bei seinem Vorhaben, in Gelb zu fahren. Und jetzt würde er ihn um die Möglichkeit bringen, einen Etappensieg als Belohnung dafür einzuheimsen. Leicht, fast unmerklich, zuckte er mit den Schultern. ‚That’s life.’

„Und Attacke von Zeres. Mit einem gigantischen Antritt. Direkt kommt er weg, keine Chance mehr für Basso, der jetzt auch noch den Atem von Madarkady hinter sich spürt.“
„Hier sehen wir noch mal den Moment vor der Attacke. Zeres blickt rüber zu Basso, das ist kein Blick der Herausforderung, wie ihn Armstrong damals drauf hatte. Das ist ein Schulterzucken, in der Art ’He, tut mir leid, hast mir gut geholfen, aber jetzt muss ich ans Klassement denken.’ Tja, das ist wohl das Ende der wunderbaren Zusammenarbeit“
„Und Madarkady platzt. Er nimmt sofort raus und lässt sich zurückfallen. Er hat wohl auch über seine Verhältnisse gelebt.“

Selten hatte Jerdona erlebt, das es am Berg so locker lief. Fast tat es ihm leid, dass er nicht aus dem Feld heraus angegriffen hatte. Dieses Zurückschauen, zu sehen, wie seine Gegner litten, das war schon immer ein klasse Gefühl. Besonders heute, wo er sich so stark wie selten fühlte. Er musste noch mal hoch schalten, um überhaupt in den roten Bereich gehen zu können.
„Bravo Jerdona, Basso ist weg. Noch 5 km.“

„Blick zurück auf Ivan Basso. Der sieht immer noch stark aus. Und allem Anschein nach kann er auch den Vorsprung auf Ullrich halten. Er wäre auch aus dem Feld heraus wohl einer der Stärksten gewesen, nachdem er auf der Flucht bis zu diesem Punkt auch schon eine Menge geleistet hatte. Was wäre gewesen, wenn er gestern mit dem Spitzenquartett ins Ziel gekommen wäre? Der Toursieg wäre wirklich in greifbarer Nähe gewesen. Denn Zeres, den wir hier sehen, ist im Zeitfahren bei weitem nicht so konstant wie der Italiener.“
„Aber dafür am Berg. Der spult hier ja hoch als wäre das eine kleine Trainingseinheit. Würde mich nicht wundern, wenn er nicht mal schwitzt.“
„Na ja, das tut er schon. Aber immer noch eine Riesenleistung von ihm. Gestern war sein Angriff nicht von Erfolg gekrönt, aber heute scheint er sein Tempo durchziehen zu können.“

Durchziehen konnte auch ein anderer: Fabian Schmidt hatte sich wieder erholt und roch nun Blut. Vorbei ging es an Vinokourov, der seine Souveränität von gestern eingebüßt hatte. In dem gewohnten Zeitfahrstil rollte er hinauf: Viel schalten, gleichmäßig treten, fast nie aus dem Sattel. Als nächstes rauschten Boogerd und Rebellin an ihm vorbei, Überbleibsel der Ausreißer.

„Jerdona Zeres erreicht das Ziel, und das gilt auch im Übertragenen Sinn. Er übernimmt heute Gelb, und das nicht zu knapp. Wenn er sich im Zeitfahren einigermaßen behaupten kann und morgen nicht völlig einbricht, sieht es verdammt gut aus.“
„Da hast du wohl Recht. Ich wollte lange gar nicht von Gelb für ihn sprechen. Bis noch vor 20 Minuten habe ich auf Vinokourov oder zumindest Ullrich gesetzt, Valverde war ja schon länger raus. Aber jetzt ist wohl nahezu offiziell: Die 17 Sekündchen, die ihn gestern noch von Gelb getrennt haben, dürften heute geradezu vaporisiert worden sein: Die Konkurrenz rechnet ab sofort wohl eher in Minuten. Jerdona Zeres im Ziel, und wir wollen hoffen, das sich das Missgeschick von der Vuelta im letzten Jahr nicht wiederholt.“

Die letzten Meter hatten dann doch noch ziemlich an seinen Reserven gezerrt. Er war nicht kaputt, aber dafür ziemlich müde. Und überglücklich. Während er hier stand und alle über ihn herfielen, die Mikros fast in seine Trinkflasche gerammt wurden, konnte er sich erinnern, wie er vor einigen Monaten hier oben stand. Und damals hatte er davon geträumt. Geträumt, hier oben Gelb zu übernehmen. Und er hatte seine Träume übertroffen. Gerade trudelte Basso als zweiter ins Ziel, sein Rückstand im Klassement musste mittlerweile fast 5 Minuten sein. Und der Rest stand noch längst aus. Heute hatte er vieles gutgemacht von dem, was ihm letzten Herbst widerfahren war. Es fühlte sich einfach großartig an. Statt vor den Mikros zu flüchten nahm er sie gerne in Empfang.

Die letzten Meter, und Fabian konnte ihn sehen. Jan Ullrich fuhr vor ihm, dicht, viel dichter, als er erwartet hatte. Mit aller ihm verbliebenen Kraft wuchtete er sich nach vorne. Der dritte Platz wartete. Aber da drehte sich sein Landsmann noch um und sprintete ihm davon. Erst auf den letzten Metern geschlagen. Aber es ging auch eher um die Zeit. Und um das Gefühl. Am Berg mit Jan Ullrich mitzuhalten war einfach großartig. Als Amateur hatte er noch davon geträumt, und heute wurde er Wirklichkeit. Gestern hatte er Gelb verloren, aber heute hatte er seine Moral wieder gefunden und der Welt gezeigt, wie gut er am Berg wirklich war.

„Und das ist er. Heute hat er es wohl endgültig bestätigt: Er ist ein Bergfahrer. Und kein schlechter. Nächste Tour werden wir wohl ernsthaft mit ihm rechnen müssen, denn wenn er sich da noch steigern kann…“
„Das ist noch lange hin. Für den Moment muss man festhalten: Großes Rennen und große Tour von Fabian Schmidt. Jan Ullrich dagegen muss heute seine Ambitionen um den Gesamtsieg begraben. Es klappt wohl wieder nicht.“
„Na ja, die Aussichten sind zwar sehr dünn, aber die Hoffnung stirbt doch bekanntlich zuletzt. Und im Zeitfahren gibt es immer noch den dünnen Silberstreif der Hoffnung am Horizont.“
„Im Ziel jetzt auch die Gruppe um Vinokourov. Rebellin und Boogerd konnten sich da noch mit reinmogeln. Für den Kasachen gilt wohl das gleiche wie für Ullrich: Heute hat er die Tour verloren, gewinnen ist wohl jetzt nur noch ein theoretischer Aspekt.“

Endlich. Auf diesen Moment hatte er sehr lange warten müssen. Die heroischen und mitreißenden Akkorde der Podiumsmusik der Tour. Trompetenklänge, erzählend von den Schmerzen und Qualen, von den unerbittlichen Bergen und harten Rampen, von der grenzenlosen Freude des Sieges. Es waren die Klänge der Tour, wie sie sich über 100 Jahre lang geformt hatte. Und nun wurden sie für ihn gespielt. Mit feierlicher, fast ernster Miene trat er hinaus auf das Podium. Sobald er aber die jubelnde Menge erblickte fiel die Anspannung von ihm. Überschwängliche Freude floss durch seine Adern, er ballte die Faust im Gefühl des Sieges.

Statt vieler kleiner gab er heute nur ein Interview, damit er sich danach schnell ins Hotel verziehen konnte. Er brauchte die Regeneration, denn Morgen war nochmal eine ganz schwere Etappe. Thorsten stand schon bescheid, und so wurde es ein Routine-Interview.
„Wie fühlen Sie sich heute?“
„Wahnsinn. Das ist der schönste Sieg in meinem Leben. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, wie es von nun an noch bergauf gehen kann.“
„Dabei mögen Sie es so steil. Was haben sie gedacht oder ausdrücken wollen als sie heute zu Ivan Basso zurückschauten, kurz bevor sie angriffen?“
„Ach, das war schon ne schwere Sekunde. Ich mag ihn, und er hat heute einen Riesenbatzen Arbeit für mich erledigt. Ohne ihn wäre mein Vorsprung bei weitem nicht so groß. Und da fällt es einem natürlich schon schwer, ihm nicht den Tagessieg schenken zu können. Aber ich brauchte die Zeit und war mir auch nicht mehr so sicher, wie lange er bei Ullrichs Tempo noch gegenhalten kann. Das Risiko war mir zu groß.“
„War das heute schon der Toursieg?“
„Nein, die Tour endet, wie ein gewisser Amerikaner zu sagen pflegte, in Paris. Vor uns liegt noch eine Menge Arbeit. Und das Wir findet hier bewusst seinen Platz: Das Team wird jetzt die Hauptlast tragen. Morgen darf ich noch mal kurz für mich alleine fahren, je nachdem wie das Rennen sich entwickelt. Aber den Rest der Tour müssen sich meine Kollegen dann Quälen.“
„Wie sehen sie das abschließende Zeitfahren?“
„Oh, das wird noch mal ganz schwer. Ich werde wohl jetzt anfangen, meine Kräfte aufzusparen. Aber als Spitzenreiter in ein Zeitfahren zu gehen fällt mir wesentlich leichter. Ich denke es ist schaffbar.“
„Wer ist ihr Hauptkonkurrent auf den Sieg, jetzt, wo sie fast schon einsam an der Spitze liegen?“
„Ich habe vor allem vor Ullrich Respekt. Ihn werde ich morgen im Auge behalten müssen. Er hat in den Alpen bisher ne Riesenleistung gezeigt, und wenn er da morgen toppen kann und ich ein bisschen zurückstecken muss wird es schon gefährlich. Vor allem ist er ein gigantischer Zeitfahrer.“
„Und Fabian Schmidt fällt ihnen da, als Zeitfahrer, nicht ein?“
„Nein. Er hat erheblich Kraft gelassen in den Bergen und kann seinen Coup wohl kaum wiederholen. Da bin ich mir fast sicher. Vielleicht gewinnt er, aber nicht mehr mit 3-4 Minuten vor dem Rest, bis auf Ullrich. Und dafür hat er bisher zu viel Zeit verloren. Da wird es morgen auch wohl kaum ne Trendwende geben.“
„Dann viel Glück und danke für das Interview“

Etappenergebnis:
1 Jerdona Zeres Credit Agricole 5h37'17
2 Ivan Basso Team CSC + 1'10
3 Fabian Schmidt Phonak Hearing Systems + 3'18
4 Jan Ullrich T-Mobile Team s.t.
5 Davide Rebellin Gerolsteiner + 4'04
6 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth s.t.
7 Danilo Di Luca Liquigas - Bianchi s.t.
8 Cadel Evans Davitamon - Lotto s.t.
9 Christophe Moreau Credit Agricole s.t.
10 Pietro Caucchioli Credit Agricole s.t.
11 Michael Boogerd Rabobank s.t.
12 Alejandro Valverde Caisse d'Epargne - Illes Balears + 5'27

Gesamtwertung:
1 Jerdona Zeres Credit Agricole 72h06'24
2 Jan Ullrich T-Mobile Team + 3'47
3 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth + 4'07
4 Ivan Basso Team CSC + 4'44
5 Fabian Schmidt Phonak Hearing Systems + 5'09
6 Alejandro Valverde Caisse d'Epargne - Illes Balears + 7'14
7 Denis Menchov Rabobank + 11'58
8 Yaroslav Popovych Discovery Channel + 12'58
9 Cadel Evans Davitamon - Lotto + 13'46
10 Pietro Caucchioli Credit Agricole + 14'30
11 Christophe Moreau Credit Agricole + 14'33

Punktewertung:
1 Jaan Kirsipuu Credit Agricole 197
2 Thor Hushovd Credit Agricole 192
3 Tom Boonen Quick Step - Innergetic 185
4 Oscar Freire Rabobank 181
5 Alessandro Petacchi Team Milram 181

Bergwertung:
1 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth 174
2 Ivan Basso Team CSC 149
3 Jerdona Zeres Credit Agricole 135
4 Jan Ullrich T-Mobile Team 112
5 Iñigo Landaluze Euskaltel - Euskadi 104
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Barnetta
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Beitrag: # 370678Beitrag Barnetta
21.7.2006 - 13:41

Ich bin gespannt auf die letzten Berge und das Zeitfahren ... wer weiß ... vielleicht holt sich ja noch Fabian Schmidt den Sieg :D

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arkon
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Beitrag: # 371811Beitrag arkon
24.7.2006 - 19:25

20. Juli 2006
Morzine, Frankreich

Es war der Tag danach. Der Tag nach dem großen Knall, mit dem Jerdona Zeres da Ruder der Tour übernommen hatte. Nicht völlig überraschend, es hatte schon nach Entscheidung gerochen, als sich die drei ersten gestern noch innerhalb einer Minute befanden. Aber die Art und Weise, mit der Jerdona gestern seine Gegner am Berg pulverisiert hatte nötigte den meisten schon mehr als nur Respekt ab. Es war wirklich der große Schlag gewesen, den viele nach dem Abschied von Armstrong erwartet und erhofft hatten. Nun galt es, diese Leistung erfolgreich über den Zielstrich zu retten.
Heute war die letzte, die dritte, der schweren Alpenetappen. Wenn noch jemand etwas in der Gesamtwertung bewegen wollte musste er es heute tun. Der Col de Joux Plane war immerhin einer der schwersten Anstiege der Tour in diesem Jahr. Und anders als die meisten im Feld freute sich Jerdona auf diesen Berg. Eigentlich freute er sich ja über jeden Meter, der nicht stur geradeaus führte. Aber der Joux Plane war bekannt für seine Steilheit und seine Monotonie im Anstieg. Ein idealer Berg, um noch mal seine Konkurrenten ein bisschen zu ärgern….
Aber zunächst mal stand eine lange und auch nicht gerade schwere Anfahrt auf dem Programm. Credit Agricole sah sich zum ersten Mal der Aufgabe gestellt, das Gelbe Trikot verteidigen zu müssen. Nach dem typischen Schaulaufen auf den ersten Kilometern, bei denen alle 9 Mann in einer Weiß-grünen Phalanx vor dem Feld posierten übernahmen Bodrogi, Halgand und Raisin die Arbeit. Kirsipuu und Hushovd schieden ebenso wie Zeres aus nahe liegenden Gründen aus, während sich Moreau und Caucchioli für den letzten Berg schonten.
Yuri Madarkady hatte sich schon am ersten Berg nach vorne abgesetzt und jagte wieder einmal die Bergpunkte. Das führte natürlich ziemlich schnell zu einer Ablösung an der Spitze des Feldes. Wieder war es T-Mobile, die die Arbeit übernahmen. Liberty Seguros und CSC klingten sich ein. Caisse d'Epargne dagegen arbeitete heute nicht für Valverde, der sich schon gestern nicht sehr gut gefühlt hatte. Phonak ließ ebenso die Beine baumeln, überraschte damit aber nun wirklich keinen. Der Abstand wurde größer und kleiner, pendelte sich aber bei etwas über 3 Minuten ein. Eine ideale Kampfdistanz also, die leicht zugefahren werden konnte, wenn es wirklich losging.
Und das tat es schließlich auch. Credit Agricole fuhr in den letzten Berg hinein das Tempo. Erst zerstörten sich Halgand und Raisin, dann übernahmen Caucchioli und Moreau. Die Konkurrenz war zu dem Zeitpunkt schon etwas zerstreut. Aus den letzten Jahren der Tourgeschichten war man so etwas zwar gewöhnt, aber der plötzliche Zug am Gashebel erwischte die meisten doch sehr unvorbereitet.

„Und sofort geht Jerdona Zeres auch schon weg. Seine beiden Leutnants mussten sich bisher nicht zerstören und können heute wohl selber ihre Positionen im Gesamtklassement aufbessern. Und die anderen Fahrer? Die versuchen verzweifelt, den Anschluss zu halten. Aber wie wir das von solchen Bergen gewöhnt sind, gibt es sofort viele kleine Gruppen. Jetzt ist jeder auf sich alleine gestellt“
„Und wir sehen, dass auch heute keiner den Anschluss an Zeres halten kann. Das Spielchen, was er auf den ersten Bergetappen gespielt hat, kann er sich heute getrost sparen.“

Er schaute sich noch mal kurz um, sah aber sofort, dass es keinen Sinn mehr hatte, sich nochmals zurückfallen zu lassen. Hinter sich konnte er Ullrich erkennen. Über Funk kam dann die Nachricht „Moreau hinter Basso und Ullrich. Klasse Leistung, halt einfach nur das Rad“. Als er sich das nächste Mal umschaute, waren seine Verfolger schon kaum mehr zu erkennen.
„Jerdona Zeres weiter alleine an der Spitze. Sein Vorsprung jetzt schon 30 Sekunden. Die Verfolgung funktioniert noch nicht so ganz. Jan Ullrich ist am Limit, aber so richtig kann er das ganze nicht stabilisieren. Das wird ihn sicherlich an die Zeit mit Lance Armstrong erinnern, wo er ebenso wenig in den Bergen mithalten konnte.“
„Und das, obwohl er dieses Jahr wirklich in Topform ist. Er konnte Basso und Vinokourov relativ gut unter Kontrolle halten. Und es kommt ja noch das Zeitfahren. Momentan sind die Abstände von den dreien da noch relativ gering. Das wird ein enges Rennen um den zweiten Platz hinter Zeres“

Für Schmidt lief es heute nicht so gut wie gestern. Nur mit Mühe konnte er sich aus einer Gruppe mit Klöden und Evans lösen und sich auf den Weg nach vorne machen. Über Funk wurde der Abstand zu Mancebo und Rasmussen, die sich hier gefunden hatten, mit etwa 20 Sekunden ausgegeben. Aber jetzt konnte er wieder genau das machen, was er an Bergen am liebsten tat: Seinen ganz eigenen Rhythmus fahren.

„Schwenk nach vorne auf Zeres. Der sieht immer noch locker aus, spult da sein Programm runter. Bei dieser Tour konnte ihn in den Bergen wirklich niemand ernsthaft in Schwierigkeiten bringen. Ihm gelang nicht alles, aber alles Wichtige. Und heute holt er sich wohl dazu noch seinen zweiten Etappensieg.“
„Hier sehen wir Francisco Mancebo. Er hängt hinter Rasmussen, schaut sich aber schon nach hinten um. Da kommt Fabian Schmidt ran. Für Mancebo heute natürlich die Möglichkeit im Gesamtklassement einen ganz großen Schritt nach vorne zu machen. Eine Menge Fahrer mit Problemen und es sieht so aus als ob er hier ganz gut hochkommt.“

Der Gipfel. Die Bergpunkte auf dem Joux Plane nahm er einfach so mit. Für ihn war das Bergtrikot ohnehin uninteressant, vor allem nach dem Sieg, den er heute erringen würde. Aber der war noch eine Stück entfernt. Und keines, auf dem er sich besonders wohl fühlte. Sein Vorsprung war irgendwo bei 40 Sekunden, ein bisschen drüber. Das sollte zwar reichen, aber besonders vorsichtig konnte er nicht fahren.

„Die Verfolger um Jan Ullrich am Gipfel. Zu ihm, Basso und Moreau hat noch Vinokourov aufgeschlossen. Sie haben einen Rückstand von…. 42 Sekunden. Das ist nicht übermäßig viel, aber die Tour wurde ja schon gestern verloren. Alleine die Tatsache, dass sie Zeres schon wieder hinterherfahren hat eigentlich das Gesamtklassement besiegelt, natürlich mit Vorbehalt. Denn das Zeitfahren kommt ja noch.“

Jerdona war unglaublich erleichtert, als es endlich flacher wurde. Wie ein Wilder trat er in die Pedale, von hinten kamen die Verfolger. Und sein Vorsprung war schon ganz erheblich geschmolzen. Je nach Zeitmessung waren es 15 oder auch 20 Sekunden, definitiv nicht sehr viel. Ihm ging es nicht so sehr um den Vorsprung, aber den Etappensieg wollte er sich unbedingt holen. Nachdem dem fast mühelosen Triumph gestern war es eigentlich die logische Konsequenz gewesen heute nochmals auf den Etappensieg zu fahren.
Er drehte sich um, konnte sie aber nicht entdecken. Die Strecke war dafür zu winkelig. Er blickte wieder nach vorne und machte sein Trikot zu. Das musste es eigentlich schon gewesen sein. Wieder ein kurzer Blick nach hinten, wieder niemand zu sehen. Endlich konnte er sich aufrichten, seine Arme zum Triumph heben. Mit geschlossenen Augen und einem entspannten Lächeln rollte er über die Ziellinie.

„Alexander Vinokourov siegt im Sprint, holt sich damit noch ein paar Bonussekunden. Aber das ist fast schon egal. Für ihn steht als nächste Aufgabe an, Ullrich im Zeitfahren zu schlagen. Und das dürfte nicht einfach werden.“
„Jerdona Zeres lässt sich hier wirklich feiern. Gut gelaunt umarmt seinen Trainer Emanuel und reißt Späße mit der Presse. Der hat sich hier heute wirklich selber eine Freude bereitet. Gestern der Sieg zu Gelb, heute nur zum Etappensieg. Die Zeit hat er kaum noch nötig, so schlecht ist er im Zeitfahren auch wieder nicht.“

Völlig kaputt erreichte Schmidt das Ziel. Die Etappe heute war doch deutlich schwerer gewesen als er es erwartete hatte. Aber er hatte sich doch noch recht gut gefangen, eine halbe Minute hinter Zeres im Ziel. Der war heute wieder einmal echt viel zu hart gefahren… In Momenten wie diesen war er froh, Gelb nicht bis aufs Blut hatte verteidigen zu müssen. Gegen Jerdona Zeres so einen Berg hochzuklettern musste wirklich die Hölle sein. In den nächsten Jahren würde er, mit gestiegenen Ansprüchen und Erwartungen, es sicher nicht so einfach haben wie dieses Mal.
Wieder einmal war er froh, Louise Douar im Ziel zu sehen. Sie war ein weiterer Grund sich auf das Ende der Tour zu freuen. Dann würden sie nämlich endlich ein wenig Zeit füreinander haben. Seine restliche Saison bestand ja fast nur noch aus der Zeitfahrweltmeisterschaft...

Etappenergebnis:
1 Jerdona Zeres Credit Agricole 5h23'01
2 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth + 16
3 Christophe Moreau Credit Agricole s.t.
4 Ivan Basso Team CSC s.t.
5 Jan Ullrich T-Mobile Team s.t.
6 Michael Rasmussen Rabobank + 31
7 Fabian Schmidt Phonak Hearing Systems s.t.
8 Francisco Mancebo AG2R Prévoyance s.t.
9 Cadel Evans Davitamon - Lotto + 1'05
10 Andreas Klöden T-Mobile Team s.t.

Gesamtwertung:
1 Jerdona Zeres Credit Agricole 78h01'55
2 Jan Ullrich T-Mobile Team + 4'15
3 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth + 4'27
4 Ivan Basso Team CSC + 5'12
5 Fabian Schmidt Phonak Hearing Systems + 5'52
6 Alejandro Valverde Caisse d'Epargne - Illes Balears + 10'28
7 Christophe Moreau Credit Agricole + 15'01
8 Cadel Evans Davitamon - Lotto + 15'03
9 Francisco Mancebo AG2R Prévoyance + 16'13
10 Denis Menchov Rabobank + 16'22

Punktewertung:
1 Jaan Kirsipuu Credit Agricole 197
2 Thor Hushovd Credit Agricole 192
3 Oscar Freire Rabobank 185
4 Tom Boonen Quick Step - Innergetic 185
5 Alessandro Petacchi Team Milram 181

Bergwertung:
1 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth 228
2 Jerdona Zeres Credit Agricole 209
3 Ivan Basso Team CSC 187
4 Yuri Madarkady Credit Agricole 153
5 Jan Ullrich T-Mobile Team 112
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Beitrag: # 371892Beitrag arkon
25.7.2006 - 0:31

Bild
Zaungäste bei der Krönung?

Die Tour de France steuert nach der Erfolgreichen Passage der letzten Bergetappen sicher auf das entscheidende, letzte Zeitfahren zu. Hier wird man dann wohl endgültig den Namen des Gesamtsiegers verkünden können. Aber es stellt sich wohl die Frage, ob Ullrich, Basso, Schmidt und Vinokourov nicht Konkurrenten sondern eher geladene Zaungäste bei der Krönung von Jerdona Zeres sind. Sein Vorsprung ist mit 4'15 wirklich beachtlich und es scheint kaum noch vorstellbar, das selbst Jan Ullrich, der zweifache Zeitfahrweltmeister, dem Ruf des Schicksals, des Unvermeidbaren widerstehen könnte. Denn selbst Fabian Schmidt gelang es im ersten Zeitfahren, wo er in blendender Verfassung selbst Ullrich um 2'06 distanzierte, nicht, die erforderliche Zeit zu gewinnen. Dabei sind die Vorzeichen, unter denen die Fahrer morgen an den Start gehen, nicht nur gänzlich anders, sondern vor allem für den Basken bedeutend besser: Er drehte in den letzten Tagen nochmals beträchtlich auf, seine Form ist besser den je. Und im ersten Kampf gegen die Uhr trat er noch etwas geschwächt von einer Erkältung auf, die ihn auch im Prolog deutlich gebremst hatte. Ausserdem hat er mit seinem Sieg im Zeitfahren der Dauphinee und seiner zwar damals nicht aussreichenden, aber dennoch beachtlichen Leistung im Abschlusszeitfahren der Vuelta 2005 unter Beweis gestellt, das er dieser Disziplin durchaus gewachsen ist. Er ist nicht unter die Spezialisten zu zählen, aber mit seiner fantastischen Form und einer gehörigen Portion Kampfeswillen sowie den schmerzhaften Erinnerungen an letztes Jahr, wo er bei eben jenem Zeitfahren der Vuelta den Gesamtsieg einbüßte, dürfte er mehr als gerüstet für den Kampf sein.
Und danach? Wenn wir Zeres jetzt schon zum Favoriten auf den Sieg erheben, dann dürfen wir einen Blick in das nächste Jahr wagen. Mit wem wird zurechnen sein? Nach der noch nicht überragenden, aber tollen Vorstellung in diesem Jahr zählt Jerdona Zeres wohl auch in Zukunft zu denen, die es zu schlagen gilt. Fabian Schmidt, Jan Ullrich, Ivan Basso, Francisco Mancebo, Alejandro Valverde... Konkurrenten hat er genug. Die Frage ist nur: Wenn Zeres noch in der Entwicklung ist, was ist mit den anderen? Wir können definitiv festhalten: Die Vorstellung in diesem Jahr macht Lust auf mehr, und das könnten wir bekommen.

Etappenergebnis:
1 Bernhard Eisel Française des Jeux 4h29'22
2 Luca Paolini Liquigas - Bianchi s.t.
3 Angel Vicioso Liberty Seguros - Würth s.t.
4 Bobby Julich Team CSC s.t.
5 Dario Cioni Liquigas - Bianchi s.t.
6 Jaan Kirsipuu Credit Agricole s.t.
7 Fabio Sacchi Team Milram s.t.
8 Simone Cadamuro Team Milram s.t.
9 Danilo Napolitano Lampre s.t.
10 Nick Nuyens Quick Step - Innergetic s.t.

Gesamtwertung:
1 Jerdona Zeres Credit Agricole 82h46'10
2 Jan Ullrich T-Mobile Team + 4'15
3 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth + 4'27
4 Ivan Basso Team CSC + 5'12
5 Fabian Schmidt Phonak Hearing Systems + 5'52

Punktewertung:
1 Jaan Kirsipuu Credit Agricole 216
2 Thor Hushovd Credit Agricole 194
3 Tom Boonen Quick Step - Innergetic 186
4 Oscar Freire Rabobank 185
5 Alessandro Petacchi Team Milram 181

Bergwertung:
1 Alexandre Vinokourov 228
2 Jerdona Zeres 209
3 Ivan Basso 187
4 Yuri Madarkady 153
5 Jan Ullrich 112
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Beitrag: # 371899Beitrag arkon
25.7.2006 - 0:56

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Der König kommt!

Juan Carlos I., der König von Spanien, hat sich für die Abschlussetappe der Tour de France am Sonntag angekündigt, die auf dem Champs-Élysées in Paris Enden wird. Seine Hoheit kommt, um dem Spanier Jerdona Zeres zu seinem voraussichtlichen Toursieg zu gratulieren. Das dürfte für den erst 24-jährigen Radprofi nochmal eine ungeheure Motivation sein, den Sieg im Heutigen Zeitfahren perfekt zu machen.
Die Staatsreise des Königs ist lediglich die Spitze des Eisberges der Tour-Euphorie, die sich seit wenigen Tagen durch Spanien. Jerdona Zeres ist nahe daran, den ersten spanischen Sieg im bedeutendsten Radrennen der Welt seit Miguel Indurain anzutreten. Und damit tritt er in der Tat ein historisches Erbe an.
Es scheint, als ob wirklich ein ganzes Land den jungen Hoffnungsträger anspornen will und damit die Niederlage im letzten Jahr vergessen machen will. Die Zahl der spanischen Zuschauer an der Strecke, für die es keine offiziellen Zahlen gibt, hat sich zumindest subjektiv erheblich erhöht. Auf der letzten Bergetappe nach Morzine war Orange die dominierende Farbe auf dem Schlussanstieg. Und der Gedanke ist klar: Was ihm dort geholfen kann, kann ihm auch hier helfen. Beim abschließenden Zeitfahren. Wollen wir hoffen, dass all das Daumendrücken letztlich hilft.
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Beitrag: # 371965Beitrag arkon
25.7.2006 - 11:28

22. Juli 2006
Le Creusot, Frankreich

Gleich nach dem Aufstehen hätte sich Jerdona am liebsten Übergeben. Ihm war körperlich richtig übel. Die ganze Nacht hatte er von dem heutigen Zeitfahren geträumt, und in den meisten Fällen war es für ihn nicht gut ausgegangen. Nachdem er die Wasserflasche neben seinem Bett mit einem Zug fast ausgetrunken hätte schaute er sich um. Yuri war noch nicht auf. Er ging in das Bad, um sich leise fertig zu machen. Er war eigentlich froh, das er endlich aufgewacht war. Der Schlaf war zwar erholsam, aber nicht sehr angenehm gewesen. Er fühlte sich psychisch angeschlagen, aber physisch war er fitt. Und das war wichtig. Unten beim Frühstück herrschte dann doch eine etwas gespannte Atmosphäre, was ihm nicht gerade behagte. Die Gespräche wurden gedämpft geführt, keiner sprach mit ihm mehr als zwei Sätze ("Wie gehts dir heute?" "Ich wünsch dir viel Glück"). Aber das war wohl das Kreuz, was er heute zu tragen hatte.
Er war froh, als er endlich mit Emanuel zur finalen Streckenbesichtigung aufbrechen konnte. Sein Trainer war heute auch sichtlich angespannt, aber noch wesentlich lockerer drauf als er selbst. Er holte sich sein Zeitfahrrad aus der Werkstatt, Emanuel setzte sich hinten in den Wagen, neben sich ein Techniker, und los gings. In relativ langsamen Tempo nahm er den Kurs in Angriff. Vorsichtig trahierte er die Kurven aus. Am Streckenrand waren schon einige Zuschauer zu sehen, die, als sie ihn erblickten, sofort begannen, ihn anzufeuern. Er sah viele spanische Fahnen am Straßenrand, und auch die baskische wehte hier und da. Und auch seinen Namen erkannte er einige Male auf dem Asphalt. Es nahm zwar nicht den Druck von seinen Schultern, aber er fühlte sich besser. Er würde nicht alleine kämpfen.
Als er ins Hotel zurück kam verabschiedete sich Laszlo Bodrogi schon. Er musste als erster des Teams auf die Strecke. Jerdona wünschte ihm nochmal viel Glück. Bodrogi hatte ihn mit seinen Kommentaren beim ersten Zeitfahren mitgeholfen, seine Platzierung einzufahren. Insofern war er auch diesmal gespannt, was der Ungar zu dem Kurs zu sagen hatte. Vielleicht konnte er so nochmal ein paar Sekunden einsparen.
Im Fernsehn verfolgte Zeres dann zusammen mit Yuri und Emanuel, wie Laszlo zwar eine Bestzeit vorlegte, jedoch eine, mit der er alles andere als einverstanden war. Er hatte Rubens Bertogliati, der vor ihm gestartet war, überholt. Jedoch war er zu diesem Zeitpunkt noch auf weiter Flur der einzige wirkliche Zeitfahrer.
Es wurde langsam Zeit, sich fertig zu machen. Jerdona schaute sich nochmal im Zimmer um. Er hatte nichts vergessen. Tief einatmen, ausatmen. "He, das wird schon" Yuri klopfte ihm auf die Schulter. "Tja, das werden wir wohl bald sehen."
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arkon
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Beitrag: # 372165Beitrag arkon
25.7.2006 - 20:33

Auch bei Tobias Schuster machte sich mittlerweile eine gewisse Anspannung bemerkbar. Er hatte Jerdona nun schon seit gut einem Jahr über Höhen und Tiefen hin bis zu diesem Punkt begleitet. Und fast die kompletten 10 Monate hatte Jerdona, Emanuel, Dave und auch selbst auf diesen Punkt hin gearbeitet. Alles, was bisher während der Tour geschehen war, wurde heute gewissermaßen nochmals kritisch auf den Prüfstand gestellt. Würde Jerdona Zeres den Test bestehen und die Tour gewinnen? Das schlimmste war seine Ohnmacht. Er konnte jetzt nichts mehr tun, was das Ergebnis in irgendeiner Weise beeinflussen würde. Er musste sich in Geduld fassen und die Dinge in ihrem Lauf lassen. Und beide Daumen drücken.
Die letzten Tage waren für ihn auch eine neue Erfahrung gewesen. Er war abends deutlich weniger weg gewesen, war immer überpünktlich zum Start erschienen und hatte zum Teil zweimal auf einer Etappe Posten bezogen, bevor er in den Zielbereich gefahren war. So nahe hatte er sich der Tour, einem Fahrer der Tour, noch nie gefühlt. Es war absolut großartig.

„Eine neue Bestzeit von Santiago Botero. Der Sieger der Vuelta im letzten Jahr scheidet damit wohl versöhnlich aus der Tour in diesem Jahr, bei der er vom Start weg seinen eigenen Ansprüchen hinterherlief.“

Er wischte sich eine Schweißperle aus dem Gesicht. Das Wetter heute war erträglich warm, ein leichter, stetiger Wind wehte über das Gelände. Ideale Bedingungen. Eben war Fabian Schmidt von der Startrampe gerauscht. Das hieß, dass Basso oben auf der Rampe saß und vielleicht schon sein Rad bestieg. Vinokourov gehörte der Bereich vor der Rampe, Ullrich machte sich wohl gerade fertig für den Abmarsch und er stieg gerade eben von dem Einfahrrad.
„10 Minuten“. Emanuel wies ihn mit ruhiger Stimme auf die noch verbleibende Zeit hin. Aber es war die Zeit bis zum Start. 5 Minuten vorher musste er auf dem Platz vor der Rampe sein. Er würde die verbleibenden Sekunden nutzen um noch ein, zwei Runden auf seiner Zeitfahrmaschine zu drehen. Er beherrschte das Rad im Traum und hatte heute Morgen schon eine Runde darauf gedreht, aber die Techniker hatten noch ein bisschen herumgeschraubt und er wollte sicher gehen, dass nichts Unvorhergesehenes geschah.
„5 Minuten“. Sein Trainer und wohl engster Vertrauen, jedenfalls im Bereich Radfahren, reichte ihm seine Trinkflasche. Noch ein letztes Mal wünschte er ihm Glück. Dann war er allein. Emanuel lief schnell zum Begleitauto, während Jerdona nach vorne rollte. Oben auf der Rampe stand Alexander Vinokourov. In der geduckten Zeitfahrhaltung hockte er wie eingefroren auf seinem Rad, lauerte gespannt. Jan Ullrich lehnte neben seinem Rad an einem der Container. Das laute Piepsen des Starttimers lies seinen Kopf hochschnellen und der Deutsche fuhr auf seinem Rad hinauf zu den Startern. Als der Timer auch für den Deutschen auf die Null tickte setzte Jerdona’s Atem für eine Sekunde aus. Er holte tief Luft und fuhr ebenfalls hinauf, auf die Abschussrampe.
Erst als er auf sein Rad kletterte und fest in die Pedale einklickte startete sich sein interner Rechner, der ihn für gewöhnlich durch diese Zeitfahren brachte. Das Lampenfieber fiel nicht von ihm ab, es war mehr als wäre es seiner Stimme beraubt worden. In ihm gab es nur noch das Radfahren. Das Zeitfahren. 57 km. Das Ziel. Dahinter…. Nichts.

„Jerdona Zeres rollt von der Rampe. Damit der letzte Fahrer im Rennen. Und nun gilt es: Wiederholt sich die Geschichte oder kann Jerdona Zeres seinem Schicksal ein Schnippchen schlagen? Die Zeiten sehen wesentlich beruhigender aus als noch vor 10 Monaten, dafür ist aber die Konkurrenz hochklassiger. Wird es reichen?“

Emanuel schwieg. Wie Jerdona es verlangt hatte. Das nahm zwar die Verantwortung von den Schultern des Trainers, aber er verlor auch jede Einflussmöglichkeit. Jedenfalls bis zur ersten Zwischenzeit. Ab da durfte er dann reden.
Hilflos musste er zusehen wie Jerdona seinen eigenen Rhythmus suchte und fand. Und er machte es gut. Beeindruckt musste er sich eingestehen, dass sein Schützling heute wirklich sehr gut auf dem Rad saß. Wenn er mit ihm noch ein bisschen in den Windkanal gehen würde, ein paar Ergometerfahrten…

„Das ist die erste Zwischenzeitnahme für Ullrich. Schmidt führt hier, aber nur mit 12 Sekunden vor Alexander Vinokourov. Aber das reicht nicht. Ullrich nur zweiter, 10 Sekunden zurück.“
„Das ist ja Ding, die Spitze viel dichter zusammen als beim ersten Zeitfahren. Eigentlich würde man es umgekehrt erwarten. Mal sehen, wie sich Jerdona Zeres hier schlägt“

Da war die Zeitnahme. Er rauschte um die letzte Kurve und erspähte den weißen Strich, welches den genauen Ort markierte. Sein Herz schien für einen Moment aus zusetzten, als er hinüber rollte. Aber sofort war er wieder in seinem Rhythmus drin. Wie ein Uhrwerk spulte er ihn runter, während über ihm die Anzeige mit den Zeiten hinwegrauschte. Aus Angst, durch das Heben seines Kopfes für einige Momente seine ideale Haltung zu verlassen schaute er nicht hoch.

Tobias fiel im wahrsten Sinne des Wortes die Klappe runter. Mit offenem Mund starrte er auf die Anzeige. 25 Sekunden standen da hinter einem Plus. Perfekt. Das waren 15 Sekunden auf Ullrich. Egal, wie pessimistisch man hochrechnete, das würde eigentlich in jedem Falle reichen.

„Zeres gut am ersten Messpunkt, 25 zurück. Weiter so“
Wie ein Irrer trat Fabian weiter in die Pedale. Das Podium, heute Nacht im Traum noch scheinbar nahe, war gestorben. Aber die realistischen Ziele hießen ohnehin eher 4. Platz und Etappensieg. Für das eine musste er Basso schlagen, für das andere Ullrich. Beide schien nun greifbar nahe: Basso war schon 35 Sekunden zurück.

„Zeres am zweiten Zwischenmesspunkt. Ein großartiges Rennen bisher. Schmidt führt hier nur noch mit 5 Sekunden vor Ullrich, und Zeres weicht um keinen Millimeter nach hinten: 20 Sekunden hinter Schmidt, 15 hinter Ullrich. Scheinbar wird Schmidt ein wenig langsamer, die anderen halten hier die Abstände in etwa Konstant.“
„Und das ist schon ein riesiger Schritt in Richtung Toursieg. Jetzt müsste ihm schon das Rad wirklich unter dem Hintern zusammenbrechen. Aber nicht einmal ein normaler Radwechsel gefährdet ihn jetzt noch. Die spanischen Fans können jetzt wieder atmen, der Kampf scheint gewonnen.“
„Na, die Tour endet erst in Paris“

Und plötzlich schien die Strecke neben ihm zum Leben zu erwachen. Auf einmal konnte er all die spanischen und baskischen Fahnen am Straßenrand sehen, seinen Namen lesen und Hören. Einige Kilometer vor dem Ziel hatte einige Fans orangene Bengalfackeln entzündet, deren dichter Nebel vom Wind quer über die Straße getrieben wurde. Ein Baske an der Spitze der Tour.

„Die Bestzeit von Fabian Schmidt gerät noch einmal in Bedrängnis. Jan Ullrich nähert sich dem Ziel. Er rückte im Laufe des Rennens immer näher an seinen Landsmann heran. Was ist jetzt mit seiner Endzeit? Es wird ganz knapp“
„15 Sekunden liegt er noch vorne, aber es ist ja noch ein Stückchen. Immer näher rückt er dem Ziel, aber was ist mit der Zeit?“
„Nein, er bleibt darüber, aber nur um 1 Sekunde. Wahnsinn! Eine Denkbar knappe Entscheidung. Einzig Jerdona Zeres kann Schmidt noch den Etappensieg streitig machen, aber dafür müsste er im letzten Streckenteil noch kräftig zulegen.“

Die letzte Kurve, das Ziel. Er ging noch einmal aus dem Sattel. Diesmal blickte er empor und sah die Zeiten ticken. Aber über Funk kam schon etwas vorher das entscheidende Signal „JAAAAAAAAA!“. Aus vollem Lauf richtete er sich auf, riss seine Arme gen Himmel, schloss seine Augen und brüllte aus Leibeskraft „JAAAAAAAAA!“

„Jerdona Zeres jubelt selber, er weiß schon von der frohen Kunde. Ein Spanier gewinnt die Tour de France. Der erste seit Miguel Indurain und der einzige Baske, dem das jemals gelang.“
„Unglaublich, und der freut sich wirklich“

Er war abgestiegen und umarmte sofort den Betreuer, der auf ihn zugelaufen kam. Das gesamte Team stürmte herbei, kam aber nicht so recht hindurch. Jerdona war in einer riesigen Menschentraube eingesperrt. Aber das machte ihm eigentlich nicht viel aus. Er fühlte sich völlig frei, am Ziel seiner Träume. In seinem Wahn fiel er auch einigen Pressevertretern um den Hals. Die waren schon ein wenig befremdet, nicht zuletzt weil er überhaupt nicht auf ihre Fragen einging. Endlich erreicht er Christoph und Pietro. Ausgelassen begrüßte er seine beiden wichtigsten Helfer. Jetzt fehlte nur noch Yuri, aber der war wohl noch im Mannschaftshotel.

„Das wird ein weiter Weg für ihn zum Siegerinterview und auf die Bühne. Aber genießen wir die Bilder noch ein wenig.“

Auch Fabian hatte allen Grund sich zu freuen. Nicht nur, das er heute seinen dritten Etappensieg bei der Tour gewonnen hatte, er hatte auch den 4. Gesamtrang errungen und damit schließlich sozusagen amtlich ein hervorragendes Ergebnis erzielt. Er hatte Basso hinter sich gelassen, so, wie einst Andreas Klöden. Nur, das Basso dieses Jahr dem Vernehmen nach wesentlich stärker gewesen war.

Das heutige Gelbe Trikot war ihm heilig. Schon auf der Bühne war ihm klar, das er nie eines gewinnen würde, gewinnen konnte, das ihm mehr bedeutete. Heute hatte er seinen Sieg eingelocht, sein Ziel erreicht. Er hatte dem Druck standgehalten. Es würde wohl heute etwas länger werden. Und morgen…

Etappenergebnis:
1 Fabian Schmidt Phonak Hearing Systems 1h17'10
2 Jan Ullrich T-Mobile Team + 1
3 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth + 15
4 Jerdona Zeres Credit Agricole + 16
5 Santiago Botero Phonak Hearing Systems + 45
6 Serhiy Honchar T-Mobile Team + 54
7 Ivan Basso Team CSC + 58
8 Christophe Moreau Credit Agricole + 1'04
9 Andreas Klöden T-Mobile Team + 1'25
10 José Azevedo Discovery Channel + 1'33

Gesamtwertung:
1 Jerdona Zeres Credit Agricole 84h03'36
2 Jan Ullrich T-Mobile Team + 4'00
3 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth + 4'26
4 Fabian Schmidt Phonak Hearing Systems + 5'36
5 Ivan Basso Team CSC + 5'54
6 Alejandro Valverde Caisse d'Epargne - Illes Balears + 12'47
7 Christophe Moreau Credit Agricole + 15'49
8 Cadel Evans Davitamon - Lotto + 17'33
9 Denis Menchov Rabobank + 19'04
10 Francisco Mancebo AG2R Prévoyance + 19'07

Punktwertung:
1 Jaan Kirsipuu Credit Agricole 216
2 Thor Hushovd Credit Agricole 194
3 Tom Boonen Quick Step - Innergetic 186
4 Oscar Freire Rabobank 185
5 Alessandro Petacchi Team Milram 181

Bergwertung:
1 Alexandre Vinokourov Liberty Seguros - Würth 228
2 Jerdona Zeres Credit Agricole 209
3 Ivan Basso Team CSC 187
4 Yuri Madarkady Credit Agricole 153
5 Jan Ullrich T-Mobile Team 112
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Ricardo84
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Beitrag: # 372209Beitrag Ricardo84
25.7.2006 - 22:45

Glückwunsch an Jerdona, hab echt mitgefiebert die letzten par Posts hehe :)

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hertha_andre
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Beitrag: # 372549Beitrag hertha_andre
27.7.2006 - 2:33

Definitiv Glueckwunsch... auch wenn ich dem Frieden erst trauen werde, wenn die Fahrer in Paris sind ;)

(Nicht, dass Fabian Schmidt noch aufs Podium kommt, weil Jerdona ausscheidet - auch wenn ich es ihm sonst goennen wuerde)
#87
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arkon
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Beitrag: # 373908Beitrag arkon
30.7.2006 - 23:51

23. Juli 2006
Paris, Frankreich

Es war ein rarer Moment der Ruhe. Jerdona lehnte sich in seinem Sitz zurück und blickte hinaus, durch das Fenster seiner Air-France Maschine, die ihn von Paris direkt nach Bilbao brachte. Erst jetzt fand er einen kurzen Moment der Ruhe, und selbst dieser war nur kurz und unvollkommen. Eigentlich störte ihn das gar nicht. Er war Spanier und an das Feiern gewöhnt, aber nach 3 Wochen harter Rundfahrt war er froh über einen kurzen Moment Schlaf. Heute Abend würde die Feier sofort weitergehen, und die letzte Nacht hatte er, wie die davor, auch nicht besonders lange und gut geschlafen. Die heutige, letzte Etappe, hatte schon ziemlich an seinen Kräften gezerrt. Nach dem gemütlichen Einrollen kam eine lange Phase des Feierns und, vor allem für ihn, des gefeiert werdens. Er hatte kurz angestoßen, in die Kameras der Motorräder gelächelt und danach zirka 100000 Glückwünsche der anderen Fahrer und Teamchefs annehmen ’müssen’. Zusammen mit Christoph war er durch den Bandwurm an Begleitfahrzeugen gefahren und hatte in die zahlreichen Fenster hineingelächelt. Zu den Teams waren natürlich noch die Touroffiziellen gekommen. Er hatte jede einzelne Sekunde genossen.
Als das Rennen dann langsam in die kritische Phase ging hatte er dann aber doch ziemlich deutlich die letzten Tage gespürt. Er war bei weitem nicht mehr so frisch wie noch gestern beim Zeitfahren. Aber das war eigentlich auch egal gewesen. Er wurde von seinem Team gut geschützt, bis es dann zum Sprint kam. Hier sahen die beiden Credit Agricole Sprinter zum ersten Mal in dieser Tour nicht wirklich glücklich aus. Es reichte dann aber doch noch zu Platz 4 und 5, während Erik Zabel bei einer seiner vielleicht letzten Tourteilnahmen endlich einmal die Etappe auf dem Champs-Elysées gewinnen konnte. In der Endabrechnung reichte es damit für Thor Hushovd zum grünen Trikot, dem zweiten seiner Karriere.
Das war dann auch schon der Startschuss gewesen für die Siegerehrung. Für Jerdona Zeres ein Traum der Extraklasse. Nachdem er sein gelbes Trikot in Empfang genommen hatte durfte er auch noch Thor zujubeln, mit seinem Team nach oben steigen und schließlich, mit Glückwünschen des spanischen Königs, seiner Hoheit Juan Carlos I., das Podest besteigen, gesäumt von Jan Ullrich und Alexandre Vinokourov. Der erste baskische Toursieg. Er hatte kaum sagen können, ob er mehr baskische oder spanische Fahnen erblickte, als er, auf dem Ziel seiner Träume angekommen, vom höchsten Thron des Radsports hinab auf die jubelnde Menge blickte. Das weiße Trikot hatte er irgendwo dazwischen, im Rausch des totalen Triumphes, kaum mehr bewusst entgegen genommen.
Die folgende Feier hatte er dann abgekürzt und war mit der Kernmannschaft der Tour zum Flughafen abgedüst, um noch am selben Abend in Bilbao den gebührenden Empfang und die anschließende Party genießen zu können. Schon nach der letzten Vuelta hatten ihn die Ausmaße des Events beinahe umgehauen. Heute musste wohl die ganze Stadt auf den Beinen sein, wenn man das, was im Fernsehen ab und zu über den Bildschirm flimmerte, glauben konnte.
Neben ihm döste Emanuel vor sich hin. Während er selbst zwar körperlich ziemlich fertig war nach 3 Wochen härtester Strapazen, hatte Emanuel mit seiner persönlichen Tour eher für einen permanenten Schlafentzug gesorgt, der sich nun bemerkbar machte. Na ja, dafür würde er morgen schon wieder fitt sein. Jerdona musste da auf eine etwas ausgereiftere Erholungsstrategie zurückgreifen. Aber nun hieß es erst einmal die Früchte seiner, ihrer, Arbeit zu pflücken.

So, nachdem die (wichtigen) Klausuren geschafft sind kann es hier weitergehen. Hoffe, die Tour hat gefallen und weiterhin: Daumendrücken für Jerdona und Fabian ;)
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Beitrag: # 373919Beitrag arkon
31.7.2006 - 0:47

Bild
Unglaublich
19. September 2006

Hallo Fans!
Mehr fällt mir zu den vergangenen drei Wochen nicht ein....

euer

Fabian Schmidt

Der Post war aus versehen weg editiert worden, daher nur kurz rekonstruiert. wird irgendwann mal ausgebessert werden.
Zuletzt geändert von arkon am 13.12.2006 - 15:24, insgesamt 3-mal geändert.
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Damiano Cunego
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Beitrag: # 377173Beitrag Damiano Cunego
12.8.2006 - 20:18

Super aar, einfach genial geschrieben. Herzlichen Glückwunsch zum Toursieg mit zeres und ich hoffe du schreibst schnell weiter, da deine berichte super sind
mfg

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arkon
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Beitrag: # 378034Beitrag arkon
18.8.2006 - 18:17

2. August 2006
Elgea, Spanien

Er konnte sein Gesicht nur erahnen. Mit tief hängendem Kopf und krummen Rücken saß, nein, vielmehr lag Emanuel über einigen Papieren. Eine kleine 40-Watt Birne fristete über seinem Kopf ein undankbares, nacktes Dasein, in welchem sie auch nicht in der Lage schien auch nur ihre nähere Umgebung aufzuhellen. Die Papiere, scheinbar planlos auf dem Tisch verstreut, waren kaum lesbar. Und die Bleistiftmarkierungen, die Emanuel immer wieder darin verzeichnete, ließen sich in diesem Licht nur erahnen.
„Und, drehen wir heute noch `ne Runde?“ wollte Jerdona wissen. Er lümmelte in einem Sessel und gönnte sich etwas Wasser nebst ein paar Broten. Seit der Tour war etwas mehr als eine Woche vergangen. Nach den Feierlichkeiten, um die er sich nicht vollständig gedrückt, dafür aber drastisch abgekürzt hatte, waren sie zu zweit nach Elgea gefahren um in Ruhe arbeiten zu können. Wobei die Ruhe sehr relativ zu sehen war.
Zum einen brauchte Zeres unbedingt etwas Abstand, Zeit für sich selber. Der Toursieg war ein gigantischer Schritt gewesen. Die Transformation vom Nobody zum Superstar, die vor einem Jahr bei der Vuelta begonnen hatte, schien nun nahezu abgeschlossen. Er war ganz oben angekommen. Sportlich konnte er jetzt fast nur noch nach unten fallen, daher wollte er dieses Gefühl genießen. Und was wäre ihm mehr entgegen gekommen als mehr Rennen zu fahren? Er wollte wieder raus.
Zum anderen aber war genau dass das Problem: Er brauchte die Ruhe nicht so sehr für sich als vielmehr für seinen Körper. Wenn er nicht sofort weiterfahren sondern die Saison noch um einiges verlängern wollen würde käme er um eine kontrollierte Pause nicht herum. Deswegen war er nach Elgea gefahren, wo er alleine mit Emanuel zunächst ein paar Tage sehr gemütlich gefahren war. Und nun wollten sie so langsam die Intervalle erhöhen, vorbei mit dem Frieden.
Der dritte Faktor, der die Ruhe limitierte, war Jerdonas Popularität. Er konnte hier keine normalen Trainingsfahrten mehr machen. Auch hier hatte sich der Trend seit der letztjährigen Vuelta fortgesetzt. Wenn er irgendwo kurz Pause machte und sich auf eine Bank setzte, um einen Schluck zu trinken, war er in der Regel sofort umringt. Die Leute in der Umgebung wussten, dass er öfter Trainieren fuhr und kamen dementsprechend sofort und unablässig mit Autogrammwünschen und anderem auf ihn zu. Er war der neue baskische Volksheld.
All das verkomplizierte die ohnehin schon nicht einfache Aufgabe von Emanuel: Er musste jetzt genau den richtigen Trainingsplan aufstellen um Jerdona zu regenerieren, aber nicht zu verschleißen. Und dabei noch die zahlreichen psychologischen Faktoren mit einberechnen, die jetzt auf ihn einschlugen.
„Ich glaube, heute drehen wir nur noch ne kurze Runde. Und bis morgen steht dann der Masterplan“ grinste Emanuel seinen Boss an. Während sich Jerdona fertig machte wählte Emanuel im Geist unter den verschiedenen, möglichen Routen eine passende aus. Mittlerweile kannte er die Gegend hier nahezu auswendig und konnte so im Bedarfsfall reagieren, wenn sich das Wetter änderte oder Jerdona sich nicht wohl fühlte.
Er schob seinen Roller aus dem Schuppen und machte sich an seinem Tachometer zu schaffen. Um die Fahrten besser überwachen zu können hatte er sich einen zweiten Tacho montiert, das auf die gleichen Funkfrequenzen eingestellt war wie das auf dem Rad von Jerdona. So konnte er immer überwachen mit welchem Puls, welcher Frequenz, Geschwindigkeit etc. Zeres gerade fuhr. Nicht, das es nötig gewesen wäre, ihn in seinem Training zu korrigieren. Aber er wusste gerne ganz genau, was Jerdona tat, um den Plan besser anpassen zu können.
Der rauschte gerade auf seinem Rad an ihm vorbei. Los ging’s!
Das nächste Ziel von Jerdona, das letzte große Rennen für diese Saison war die Vuelta. Nicht nur, das er sich nach Möglichkeit für die Niederlage im letzten Jahre rächen wollte, nein, es wäre auch einfach ein schöner Ausklang der Saison: Mit einigen seiner wertvollsten Tourhelfern würde er quasi eine Ehrenrunde durch Spanien drehen. Das war ihm persönlich auch besonders wichtig weil seine Zukunft bei Credit Agricole in den Sternen stand. Das Klima zwischen ihm und der Teamleitung war von beiden Seiten aus zunehmend schlechter geworden, auch der Toursieg hatte diese Entwicklung nur vorübergehend bremsen können. Hinzu kam das er nun der wohl berühmteste aktive spanische Radprofi war. Das eröffnete ihm natürlich ganz ungeahnte Möglichkeiten im Hinblick auf einen Wechsel. Und auch seine Popularität würde nur schwerlich darunter leiden, wenn er in ein spanisches Team zurückwechseln würde. Da er mit Euskaltel immer noch einen Kleinkrieg führte schied ein baskisches Team aus, aber es gab ja noch einige Alternativen.
Aber für den Moment freute er sich eher auf die Vuelta, bei der er sehr entspannt an den Start gehen konnte. Das gab ihm die nötige Ruhe, um den Sommer zu genießen…
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Beitrag: # 378388Beitrag arkon
20.8.2006 - 23:10

3. August 2006
Laigueglia, Italien

Die Sonne stand schon hoch, als sich Dave endlich auf dem Weg machte. Gemeinsam mit Joachim saß er in seinem Mietwagen und fuhr von seinem Hotel in Laigueglia die Küste entlang. Das schöne Wetter und den Wolkenlosen Himmel konnte er nicht so recht genießen. Zu sehr lastete auf ihm das bevorstehende.
Die Villa thronte hoch oben auf einem der Berge, welche in das Meer hineinragten. Der majestätische Blick und die exquisite Lage unterstrichen nur nochmals die Bedeutung des Besitzers. So ein Anwesen war unbezahlbar teuer, jedenfalls für normalsterbliche. Zu denen zählte aber ganz sicher nicht Sandro Maginia. Schon allein die Erwähnung seines Namens jagte vielen einen Schauer über den Rücken. Und das vor allem deshalb weil nur die wenigsten von seiner Existenz wussten. Der beste Schutz für sein Leben war seine Anonymität. Maginia war einer der mächtigsten Mafiabosse und vielleicht auch Menschen überhaupt. Er hatte seine Finger überall drin. Sein Reichtum kannte keine Grenzen. Dave wusste auch nur durch Zufall von seiner Existenz und war dementsprechend erschrocken gewesen, als die Spuren auf ihn deuteten. Er hatte die Daten, die sie aus der Bank geborgen hatten, ausführlich untersucht. Aber selbst mit diesem Kompletteinblick, den vermutlich noch kein Mensch so frei bekommen hatte (Auch die Bankangestellten selbst unterlagen natürlich einigen Datenschutzbestimmungen) war es ein gewaltiges Stück Arbeit gewesen. Aber nun war er sich sicher. Fast sicher. Und deswegen war er hier.
Er erreichte das Tor zu dem Anwesen. Jetzt galt es. Die Schwarzgestrichenen Flügel des Tores wirkten Antik. Sicherheitstechnik war kaum zu erspähen. Nur mit einiger Mühe konnte er den Verlauf des Zaunes erahnen, der sich um das Gelände erstrecken musste. Die Besucher und vor allem die Bewohner bekamen kaum einen Blick auf das komplizierte Sicherheitsnetzwerk, das sich um sie erstreckte. Er hatte gestern einige Beobachtungen des Anwesens gemacht und war schon da erstaunt gewesen, wie geschickt das Haus in den Berg hinein gebaut war. Kein Busch, kein Erdhügel, kein Baum stand hier zufällig. Der Verlauf der Straße zum Tor war genaustens durchdacht.
Die Wachen kamen ihnen aus einem antik wirkenden Bau entgegen. Ihre Uniformen wirkten sauber und freundlich. Der Boss wollte sich wohl fühlen. Mit einem lächeln beugte sich der Posten in das Fenster vor.
„Einen schönen guten Tag, kann ich ihnen helfen?“
Die Frage war absolut unverbindlich und höflich gestellt und nur mit seiner jahrelangen Erfahrungen konnte er den drohenden Unterton herausfiltern.
„Ich möchte zu Signore Maginia.“
„Haben sie einen Termin?“
„Nein, leider noch nicht. Sagen sie ihm, Dave ist hier. Ich bin ein Freund von Aleksei. Er wird verstehen.“
Etwas misstrauisch beäugte ihn der Wachmann, aber dann ging er zurück in seine Häuschen. Er unterhielt sich kurz etwas aufgeregt mit seinem Kollegen, bevor er den Hörer eines Telefons abnahm und offensichtlich mit der Wachmannschaft im Haus telefonierte. Es dauerte lange. Dave wurde langsam nervös. Was sollte er machen, wenn es nicht funktionierte? Er konnte hier unmöglich so eindringen. Konnte er Aleksei erreichen? Es würde schwierig werden, sehr schwierig. Da kam der Wachposten zurück.
„Er empfängt sie. Fahren sie durch bis vor den Eingang. Dort wird man sie in Empfang nehmen.“
Dave atmete tief durch. Die Erleichterung, die sich breit machen wollte wurde durch die Anspannung, die sofort greifbar war, verscheucht. Er hatte ein Etappenziel erreicht, der große Sieg war jetzt in Reichweite.
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Beitrag: # 379064Beitrag arkon
24.8.2006 - 13:33

Es war nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Wie immer man sich auch eine Besprechung mit einem der mächtigsten Kriminellen der Welt vorstellen mochte. Natürlich war er gefilzt worden, gründlich und ausführlich. Dann hatte er ein paar Worte mit Aleksei gewechselt, bevor dieser ihn in ein helles und großes Wohnzimmer führte.
Sandro Maginia saß auf einem Sofa und hatte es sich offensichtlich bequem gemacht. Seine Kleidung war leger, aber immer noch vorzeigbar: Ein weit geschnittenes, cremefarbenes Sakko mit dazugehöriger Hose. Kein Goldschmuck, keine Brustbehaarung, die hervorquoll. Sandro war zwar übergewichtig, aber nicht mehr als für Männer seines Alters üblich. Dave wusste, das er über 60 sein musste, vom sehen hätte er ihn aber eher auf 50 geschätzt. Sonnengebräunt, aktiv, ganz und gar nicht der gestresste Geschäftsmann, den er erwartet hatte. Seine dunklen Augen blitzten ruhig und gelassen in die Runde. Er wusste, wer er war, aber er bildete sich nichts darauf ein. Seine Autorität begründete er nicht auf seine Macht, sondern auf seinen natürlichen Stolz. Dave konnte sich gut vorstellen, dass Sandro der geborene Anführer war und wie er dadurch zu einem der mächtigsten Bosse aufgestiegen war.
„Einen schönen guten Tag. Gino hat mich unterrichtet.“
Er deutete auf Aleksei.
„Sie sind Dave?“
Der angesprochene nickte.
„Bitte, setzen Sie sich. Wenn sie etwas zu trinken wünschen, wenden sie sich an den Gentleman rechts von ihnen. Ich werde es ihnen aber nicht verübeln, wenn sie aufgrund fehlenden Vertrauens nicht von dem Angebot gebrauch machen.“ Er lächelte kurz. „Wie kann ich ihnen behilflich sein?“
Die Höflichkeit wirkte nicht aufgesetzt, aber Dave erkannte sofort, dass der Pfad, auf dem er diese Unterhaltung so weiterzuführen konnte, äußerst dünn war.
„Wie ihnen Aleksei sicher schon erzählt hat arbeite ich zurzeit für Jerdona Zeres. Nun, die Sache ist, dass mir im Laufe meiner Arbeit einige Dokumente in die Hände gefallen sind. Ich habe ein wenig recherchiert und bin dabei auf ihren Namen gestoßen, der sich mit Hilfe dieser Papiere mit einigen weniger legalen Geschäften in der Radsportwelt in Verbindung bringen lässt.“ Bei den letzten Worten griff er in seine Aktentasche und holte einen Stapel Papiere heraus, die er auf den Couchtisch zwischen sich legte.
Die peinliche Stille hielt nur für Bruchteile einer Sekunde an. Sandro blinzelte kurz, und alleine in dieser Geste offenbarte er den Zorn, der ihn sicherlich durchzucken musste.
„Bitte, fahren sie fort.“ Antwortete er stattdessen.
„Wissen Sie, ich liebe den Radsport. Es ist ein dreckiges Geschäft, aber ich liebe es. Ich kämpfe seit geraumer Zeit dafür, das der Sport sauberer bleibt, zuerst mit Aleksei zusammen, mittlerweile ohne ihn. Uns sind schon einige bedeutende Coups gelungen, doch während er nach Profit strebt, habe ich erkannt, dass mich alleine die Liebe zum Sport antreibt. Und das, was ich hier gefunden habe, ist mit Abstand das gefährlichste, was ich jemals gesehen habe. Sie unterminieren eine gesamte Sportart, sie kaufen sich Fahrer, Manager, Masseure. Sie haben genug Leute in ihrer Hand um Erik Zabel die Tour gewinnen zu lassen. Ich weiß, dass sie ihr Netzwerk noch bei weitem nicht so konsequent benutzen, wie sie es könnten, aber sie werden es. Und alleine schon dieser Gedanke treibt mich fast zur Weißglut.“
Er setzte kurz ab, um seinen Worten mehr Bedeutung zu verleihen.
„Sie wären nicht hier, wenn sie mir nicht ein Geschäft vorschlagen würden wollen. Ich bin interessiert. Um was geht es?“
„Ich werde, und daran können sie mich nicht hindern, einen beträchtlichen Teil dieser Akten der Polizei übergeben. Es wird genug sein, um einen großen Teil ihres Netzwerkes vor Gericht zu bringen oder zumindest zu sprengen. Aber: Sie können bestimmen, wie groß der Teil sein wird. Ich bin bereit, auf alles, was sie belastet, zu verzichten, wenn sie mir ihr Wort geben, ebenfalls still zu halten.“
Sandro musste kurz lächeln.
„Wissen sie, ich bewundere Sie. Es zeugt nicht von außergewöhnlichem Mut, dass sie herkommen, im vollen Bewusstsein meiner Person und Macht. Die Art und Weise, wie sie ihre Aktionen planen und ausführen, zeugt auch von großem Idealismus. Und schlussendlich sind sie Ehrenmann genug, von mir ein einfaches Wort zu akzeptieren. Mein Wort….“
Um der Theatralik seines Monologes auf die Sprünge zu helfen legte er eine rhetorische Pause ein und nahm einen Schluck aus einem Glas, in dem eine dicke, braune Flüssigkeit ihr Unwesen trieb.
„Es geht ihnen doch sicher um Jerdona Zeres, nicht? Sie wissen, dass ich alleine aus Rachsucht sein Leben zerstören würde. Abgesehen von ihrem. Sie sind weiterhin sicher klug genug, um zu wissen, das sie mir zwar einen Prozess anhängen können. Aber in einem Indizienprozess, den ich mit Anwälten, Staatsanwälten und Richtern vorbildlich inszenieren und quasi beliebig in die Länge ziehen kann, wird man mich niemals verurteilen. Es gibt keine harten Beweise und diese werden sie auch nicht bekommen.
Der Grund, weswegen ich sie nicht hier sofort und auf der Stelle erschieße, ist, neben ihrem Vertrauten, der mit Kopien von den Papieren in der Hand auf sie wartet, schlicht und ergreifend, das ich keine Lust auf so etwas habe. Nicht auf ihre Hinrichtung, sondern auf Prozess. Er ist unnötig und belastend und ich werde ihn vermeiden.
Allerdings, und das müssen sie immer im Hinterkopf behalten, hat mich auch dieses Netzwerk eine Menge Zeit und Geld gekostet. Eine verdammte Menge. Und ich wäre nicht froh, wenn sie es sprengen würden. Es läuft also auf eine Abwägung heraus…“
Er schwenkte sein Glas umher und blickte nachdenklich hinein. Er blickte kurz zu Aleksei herüber, der unmerklich mit dem Kopf nickte.
„Ich sage ihnen was: Wir haben einen Deal. Sie gehen nach Hause und sprengen einen großen Teil des Netzwerkes. Gino wird sie darüber informieren an welchen Teilen ich besonders hänge. Damit halte ich mir eine kleine Hintertür offen. Die restlichen Papiere werden freigegeben. Das wird eine Menge Fahrer und auch einigen Teams den Kopf kosten. Aber das wird einfach passieren. Und unter diesen Fahrern wird einer nicht sein.“
Er beugte sich vor.
„Jerdona Zeres.“
Mit einem wissenden, entspannten Lächeln lehnte er sich zurück und trank den Rest des Glases aus. Es war das Lächeln des Siegers.
„Deal“ nickte Dave kurz.
„Na also“ Sandro erhob sich, schüttelte die Hand seines Gegenspielers und geleitete ihn mit einer Geste nach draußen.
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Beitrag: # 379389Beitrag arkon
25.8.2006 - 14:34

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Bestechungs-Skandal schockt die Radwelt

Die Schockwelle des Bestechungs-Skandals, der in den letzten Tagen aufgeflogen ist, geht um die Welt. Viele Größen des Radsports verglichen die Affäre zu recht mit dem Festina-Skandal 1998. Damals stand die Tour de France vor dem Abbruch. Heute wird die ganze Sportart in Frage gestellt. Der französischen Polizei liegt eine Liste von 59 Fahrern vor, die verwickelt sein sollen. Eine ncoh unbekannte Quelle, angeblich in der italienischen Mafia beheimatet, hatte Geld für gefälschte Rennergebnisse gezahlt. Betroffen sind auch viele Betreuer. Besonders in den Teams Phonak, Liberty Seguros, Comunidad Valenciana und Euskaltel sollen viele Fahrer und Betreuer in die Affäre verwickelt sein.
Phonak und Comunidad Valenciana stehen damit unmittelbar vor der Auflösung, ebenso Liberty Seguros. Bei allen Teams seien die Sponsoren abgesprungen. Alexander Vinokourov, der nicht auf der Liste der betroffenen Fahrer steht, hat indessen angekündigt, den Rennstall selber übernehmen zu wollen, um sich damit seine sportliche Zukunft zu sichern. Er und Jerdona Zeres sind die einzigen Spitzenfahrer der Tour, die nicht verwickelt zu sein scheinen. Jan Ullrich, Ivan Basso, Francisco Mancebo und Floyd Landis sollen alle betroffen sein.
Das baskische Team Euskaltel, das ebenfalls stark betroffen sein soll, hat indessen angekündigt, um den Erhalt kämpfen zu wollen. Schon Stunden nach dem bekanntwerden sollen sich zahlreiche Baskische Größen des Radsports in Bilbao getroffen haben um über eine mögliche Zukunft des Teams zu diskutieren.
Die bevorstehende Spanienrundfahrt dürfte ganz erheblich beeinträchtigt werden, soll aber trotzdem stattfinden. "Wir wollen gerade dem stark betroffenen spanischen Radsport eine Perspektive für die Zukunft geben. Wenn wir die Rundfahrt abgsagen, würde das den Schaden des Skandals potenzieren."
Die zahlreichen Verfahren werden wohl erst in einigen Wochen eröffnet werden, so das konkrete Konsequenzen von Seiten der Justiz noch länger ausbleiben werden. Jedoch wurden schon jetzt alle betroffenen Fahrer von ihren Teams suspendiert. Das Team Comunidad Valenciana wurde sogar von den Organisatoren der Vuelta ausgeladen.
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arkon
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Beitrag: # 379577Beitrag arkon
25.8.2006 - 23:43

7. August 2006
Bilbao, Spanien

Es war für Jerdona die endgültige Bestätigung seines Aufstiegs. Hier waren alle Radsportgrößen des Baskenlands versammelt. Von Iban Mayo, Haimar Zubeldia bis hin zu Julian Gorospe. Alle waren sie da, einige kannte er nur durch das Fernsehen. Und er war nicht etwa ein Außenseiter, nein, er war der gefeierte Held. Der baskische Tour-Triumphator. Miguel Indurain war zwar eingeladen worden, hatte aber abgesagt. Damit war er auch der einzige Toursieger im Raum und wahrscheinlich der sportlich Erfolgreichste. Joseba Beloki hätte ihm hier das Wasser locker reichen können, nur war er leider selber betroffen von den Vorwürfen: Sein Name stand auch auf der „Liste der 59“, oft mittlerweile nur noch „Die Liste“ genannt.
Julian Gorospe eröffnete die Versammlung. „Wie ihr alle wisst, ist Ronsino Baldo seines Amtes als Teamchef von Euskaltel enthoben worden. Als sein Vorgänger leite ich diese Versammlung. Unser Ziel ist es, einen Weg auszutüfteln, wie wir Euskaltel retten können. Dabei ist natürlich auch das Wohl unserer Fahrer ein Aspekt. In erster Linie geht es aber um die Institution ‚Euskaltel-Euskadi’.
Dieser Rennstall bedeutet nicht nur uns viel. Er ist für das gesamte Baskische Volk ein weiterer Ausdruck seines Stolzes. Auch wenn für einige von euch dieser Gedanke mittlerweile fern erscheinen dürfte“ Er bedachte Jerdona mit einem beiläufigem Blick „So ist es doch für die meisten Basken elementar wichtig, zusammen hinaus in die Welt zu ziehen und unsere Kultur, unseren Stolz in der Welt zu repräsentieren. Um dieses Ziel auch weiterhin verwirklichen zu können werden uns von der Bevölkerung und der Regierung Mittel zu Verfügung gestellt. Es ist nicht viel, aber ein Anfang. Es könnte das Radteam retten. Aber damit wären wir verdammt zum Abstieg aus der ProTour.“
Er legte eine bedeutungsschwangere Pause ein und setzte sich, um damit den anderen am Tisch die Möglichkeit zu geben, das Wort zu ergreifen. Jerdona lehnte sich zurück und verfolgte das sich entspannende Wortgefecht etwas zurückgezogen. Viele am Tisch tendierten zu der Lösung, ähnlich dem ehemaligen Kelme-Team, den Abstieg zu akzeptieren und durch gute Ergebnisse neue Sponsoren anzuziehen. Dieser Vorschlag schien sich durchzusetzen, trotz der offensichtlichen Risiken ob der vagen Zukunft des Teams.
„Wir sind nicht die einzigen in dieser Situation.“ Ließ sich Jerdona vernehmen. Sie schauten sich um. Er sprach? Er hatte doch nichts mehr mit diesem Team zu tun, das er letztes Jahr nach deftigem Streit und der Hoffnung auf eine bessere Mannschaft und mehr Geld verlassen hatte.
„Und bei weitem nicht die einzigen Spanier in dieser Situation.“ Auf sein Handzeichen hin öffnete sich die Tür und ließ Emanuel ein. „Ich spiele nicht auf das Liberty-Seguros Team an. Manolo Saiz, so brillant er auch sein mag, er steckt einfach zu tief in dieser Sache drin. Wenn wir irgendetwas bewegen wollen, dann ohne ihn. Und wenn wir alleine nicht in die ProTour können, warum dann nicht mit Comunidad Valenciana? Der Sponsor steigt auch aus? Na schön. Ich war so frei und habe auf die Schnelle einige Gespräche geführt. Und es scheint, als ob es Unternehmen gäbe, die das älteste Radteam der Welt am Leben erhalten möchten und auf der anderen Seite das wohl stolzeste Team in der ProTour sehen möchten. Ich spreche von Kelme. Ich habe mit dem Manager telefoniert und ihm von meiner Idee erzählt. Kelme-Euskadi.“ Er ließ seinem Publikum eine Sekunde, das gehörte zu verdauen.
„Ich werdet wahrscheinlich denken: ‚Das ist nicht mehr Euskadi, das ist auch nicht mehr Kelme’, aber ich hoffe ihr irrt. Ich werde selber meinen Vertrag mit Credit Agricole am Ende der Saison auflösen. Es ist schon mit der Teamleitung abgesprochen. Und dann wären wir in der Lage, einen baskischen Rennstall aufrecht zu erhalten, mit Beteiligung von außen natürlich. Das würde natürlich voraussetzen, das wir die Selbstverpflichtung, nur Basken aufzunehmen, fallenlassen und auf eine Konzentration auf Basken aufweichen. Das wird einigen nicht schmecken, aber es ist meiner Meinung nach ein toller und Aufregender Weg, den baskischen Radsport zu beleben. Wir schicken unseren Nachwuchs nicht mehr in ein Randgruppenteam, sondern in ein Spitzenteam. Wir sind nicht mehr schlechter, als wir müssen, nur weil wir es selber so wollen. Und wir könnten die Tour gewinnen. Wenn ich für das Team fahre, und Iban, und Haimar, zusammen mit den besten Profis Spaniens, dann haben wir eine Mannschaft beisammen, die stark genug ist, 2 Landesrundfahrten zu gewinnen, und noch viel mehr. Mir schwebt kein rein baskischer Rennstall vor, mir schwebt ein baskisch-spanisches Gespann vor, mit dem wir endlich in der Lage wären, die ganz großen Erfolge einzufahren.
Was sagt ihr?“
Am Tisch machte sich ein Schweigen irgendwo zwischen ungläubigem Entsetzen und sprachloser Begeisterung breit. Jerdona konnte es einfach nicht genau definieren. Anstatt abzuwarten gab er Emanuel einen Stoss in die Rippen, der daraufhin ein Bild eines potenziellen, neuen Trikots hochhielt. Es waren die typischen Kelmestreifen, aber anstatt der Blau-grünen Streifen auf weißem Untergrund waren diesmal orange-schwarze auf Weiß. Dies reichte aus, um die Versammlung zu kippen. Es brach zwar kein Applaus aus, aber den Rest der Zeit vertrieb man sich mit eifrigen Gesprächen über das neue, designierte Team. Der Plan schien aufzugehen.
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hertha_andre
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Beitrag: # 379830Beitrag hertha_andre
26.8.2006 - 21:36

weiterhin ein genialer AAR!
mir gefällt es sehr gut, wie du die Dopinggeschichte irl hier einbringst... auch das neue team ist eine sehr gute idee...

mach weiter so!
#87
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arkon
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Beitrag: # 380005Beitrag arkon
27.8.2006 - 16:59

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Schmidt untergetaucht

Der Jungprofi Fabian Schmidt, bei der Tour aus dem Nichts auf Platz 4 der Gesamtwertung gefahren, ist untergetaucht. Sein Team berichtete, er wollte sich in aller Ruhe auf die Weltmeisterschaften, bei der er als Titelverteidiger im Zeitfahrwettbewerb an den Start geht, vorbereiten. Der Trubel, der nach der Tour de France um ihn herum losgebrochen war, hatte ihn wohl überrollt. Vor der Tour war er, trotz seines Sieges bei der Zeitfahrweltmeisterschaft und guter Ergebnisse bei der letzten Tour de France, noch relativ unbekannt gewesen. Sein Ziel waren gute Ergebnisse in den Zeitfahren. Nach dem Sieg im Prolog und im ersten Zeitfahren hatte er völlig überraschend auch in den Bergen mithalten können und damit, nach dem Sieg im Abschlusszeitfahren, sich den 4. Platz noch vor Ivan Basso verdient. Nach eigenen Angaben bedeutet ihn der Weltmeisterschaftstitel offenbar eine Menge, weswegen er das Rennen offenbar als einziges in der verbliebenen Saison noch ernsthaft bestreiten wird.
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