Im siebten Himmel

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

Gerrit
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Beitrag: # 6739535Beitrag Gerrit
9.10.2008 - 18:12

Das ist jetzt kein Witz. Ich finde du solltest dir mal überlegen ein Buch zu schreiben. Der Schreibstil, ist einfach so fesselnd, ich könnte stundenlang die Texte lesen.

Andy92
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Beitrag: # 6739553Beitrag Andy92
9.10.2008 - 20:16

:oops: Oh, danke. Ideen hab ich auch immer, doch meistens schreib ich mich irgendwann fest, deshalb mache ich mir jetzt immer Pläne. Mal gucken. Vielleicht seht ihr in einem Buchladen einen Roman von mir stehen... :D
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Megamen 1
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Beitrag: # 6739572Beitrag Megamen 1
9.10.2008 - 21:26

Sach uns bitte vorher bescheid^^
Am besten so eine Doppelbuchausgabe mit dem AAR von Arkon zusammen :D

Andy92
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Beitrag: # 6739574Beitrag Andy92
9.10.2008 - 21:30

:D

Ach übrigens: In ein paar Minuten folgt der nächste Teil. Nur so als Info, damit sich dieser Post auch gelohnt hat. :D
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Time2Play
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Beitrag: # 6739585Beitrag Time2Play
9.10.2008 - 21:57

Yeah, ich freu mich schon drauf :)

Andy92
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Beitrag: # 6739595Beitrag Andy92
9.10.2008 - 22:22

5.Kapitel - Was uns bleibt

„Sie können jetzt zu ihr.“
Dass ich im Alter von 16 Jahren mit „Sie“ angesprochen werde, hatte mich noch nie gestört. Und jetzt war mir das sowieso gleichgültig. Nichts zählte in diesem Augenblick soviel, wie der Mensch, der in einem weißen Bett hinter dieser weißen Tür lag.
Sie fiel hinter mir ins Schloss. Ein kleiner Gang führte am Badezimmer vorbei. Ich konnte sie noch nicht sehen. Vorsichtig lief ich nach vorne. Im Bett am Fenster lag eine fremde Person – ein Mann Mitte vierzig im Anzug gekleidet hielt ihre Hand. Das weiße Haar klebte am schneeweißen Kissen – vermutlich war diese Frau seine Mutter.
Mein Blick fiel auf das Bett vor mir. Mein Herz machte einen Hüpfer. Dort lag meine Mutter und versuchte ein Lächeln aufzusetzen, als ich ihr in die Augen blickte. Sie setzte sich auf – ja, sie konnte sich aufsetzen. Sofort stand ich vor ihr und umarmte sie vorsichtig.
„Du brauchst nicht so zurückhaltend zu sein. Mir geht es gut“, sagte sie.
Ich war überrascht.
„Schau – ich hab nur diese Wunde am Bauch.“ Sie schleuderte die Bettdecke von sich weg, rollte das Nachthemd hoch und präsentierte mir ein großes weißes Pflaster. Ihr Verhalten wirkte aufgesetzt – gespielt. Dennoch nickte ich und versuchte zu lächeln.
„Was ist mit Papa?“ Ich wollte Gewissheit. Die Ärzte konnten, oder besser gesagt, wollten mir nichts sagen.
Sie schluckte und Tränen stiegen ihr in die Augen. Es dauerte einen Augenblick, bis sie etwas sagte. Ich drängte sie nicht und wartete geduldig.
„Er liegt auf der Intensivstation“, meinte sie kurz und knapp.
„Wegen ein paar Böller?“
„Du warst nicht dabei. Als der Rucksack flog, da...“ Sie schluchzte.
„Da was?“
„Da wollten alle weg. Auf einmal. Doch das ging nicht. Er rannte blind drauf los und ist einfach so gegen die Menschen geprallt. Er ist zurückgetorkelt und diesem Bastart direkt in die Arme gefallen – mit dem Rücken voran“, sie weinte.
Ich konnte mir die Szene vorstellen. Und dann sah ich das Bild eines unbekannten Mannes im Rollstuhl vor meinen Augen. Mit Brandnarben am Hinterkopf und am Rücken – nicht nur körperlich, sondern auch geistig behindert.
Das helle Fenster verbrannte diese schreckliche Vorstellung. Es war immer noch Samstag. Die Sonne warf ihren roten Abendschimmer auf die Berggipfel.
Papa lag nicht in Meran – er war nach Bozen geflogen worden. Die hatten angeblich einen Spezialisten für Brandwunden, erzählte mir meine Mutter im Lauf der nächsten Viertelstunde. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte ich.
Wir schwiegen für einige Minuten. Mama beruhigte sich wieder – ich hielt ihre Hand. Noch nie hatte ich ihre Hand gehalten – zumindest, kann ich mich nicht daran erinnern. Auch die anderen beiden Personen im Raum schwiegen und schauen sich nur an – Mama schlief vor Erschöpfung ein. Die Frage, die mir so brennend auf der Zunge lag, sollte also noch warten müssen. Wahrscheinlich würde sie mir bis dahin schon ein Loch in den Mund geätzt haben.
Es klopfte an der Tür.
„Herein.“
Es war der behandelnde Arzt meiner Mutter. Jung, sonnengebräunt, kurze braune Haare und eine Brille – der weiße Kittel komplettierte das Bild.
„Es tut mir Leid, aber ich habe eine schlechte Nachricht für sie“, sagte er in geschäftlichen ja beinahe beiläufigen Tonfall.
„Was denn?“, warf meine Mutter ein – sie war aufgeschreckt.
„Ich bitte sie, den Raum zu verlassen“, forderte er den Mann auf, der immer noch auf dem Nachbarbett hockte und die Hand seiner Mutter hielt.
„Natürlich.“ Er hatte eine angenehme Stimme. Sofort stand er auf und verlies den Raum. Mit einem leisen Klack zog er die Tür hinter sich zu – gentlemanlike.
„Mama, ich muss dich zuerst noch was fragen.“ Ich ahnte bereits, was kommen würde und die Frage danach zu stellen, wäre mehr als taktlos gewesen.
„Ja?“
„Warum wart ihr auf der Passhöhe und nicht in Prad?“
Sie nickte. Ihr Gesichtsausdruck zeigte Verständnis für diese Frage.
„Ja, das solltest du wissen.“
Sie machte eine kurze Pause. Sie blickte nachdenklich auf ihren Nachttisch (nur ihre Handtasche lag darauf), als würde sie ihre Gedanken sammeln müssen. Schließlich war es soweit: „Wir wollten ja eigentlich in Prad bleiben, doch auf einmal wollte dein Vater unbedingt sehen, wie du die Passhöhe erreichst. Ich weis aber nicht wieso. Außerdem waren wir in den letzten Tagen ja schon mal auf der Passhöhe gewesen, doch er wollte plötzlich unbedingt noch einmal dorthin. Ich glaube fast, er sieht es sehr gerne, wenn du Rad fährst. Du weist ja, dass er kurz bevor ich ihn kennen gelernt hatte eine Knieverletzung hatte. Keine großen Belastungen mehr und das mit 26 – das war natürlich ein Schock für ihn. Er war vorher sogar in einem Radklub. Aber sicher bin ich mir da nicht. Er redet ja nicht viel über seine Vergangenheit. Als wolle er nichts mehr davon wissen. Aber Radfahren war für ihn damals wohl schon wichtig gewesen. Dann hat er noch ein paar Jahre diese Tour de France, oder wie sie auch immer heißt, geschaut, doch irgendwann hat er wohl auch daran die Lust verloren. Auf jeden Fall hat er mir kürzlich gesagt, dass er es prima findet, dass du jetzt so fleißig trainierst. Das war wohl der Grund, warum wir hinaufgefahren sind – mit dem Shuttlebus über die Schweiz. Vom Umbrailpass bis zum Stilfser Joch sind wir gelaufen. Und kurz nachdem wir oben ankamen, war da auch schon der erste Knall...“
Die Erklärung betrachtete ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits war ich unheimlich stolz darauf, dass mich mein Vater offensichtlich unterstützen will. Andererseits ist er durch die Idee mich abgekämpft auf der Passhöhe zu sehen im Krankenhaus gelandet – und verpasst hatte er mich auch noch.
Meine Mutter schaute den Arzt erwartungsvoll an. Ach ja, der war ja auch noch da. Ich hatte ihn schon wieder vergessen.
„Also“, fing er an. Er blickte zu Boden. Ein Räuspern folgte. Anscheinend wusste er nicht, wie er das, was er sagen wollte, ausdrücken könnte. „Es ist nun mal meine Aufgabe ihnen das zu sagen....Vor ein paar Minuten hat mich das Krankenhaus in Bormio angerufen.“ Er machte wieder eine Pause. Ein flaues Gefühl in der Magengegend sagte mir, dass das nichts gutes heißen konnte.
„Diese Sprengkörper durch die ihr Mann beziehungsweise ihr Vater verletzt wurde, haben nicht nur Verbrennungen ausgelöst – sie haben auch einen Wirbel oberhalb des Beckens in das Rückenmark getrieben.“ Seine Stimme wurde immer tiefer und leiser. „Anscheinend zu weit. Meine Kollegen in der Lombardei konnten ihm nicht mehr helfen.“
Er starrte betroffen zu Boden. „Es tut mir Leid“, fügte er plötzlich noch hinzu.
Nein, gleich würde er noch etwas dazu sagen. Ich konnte die Wahrheit nicht begreifen. Wie versteinert stand ich da. Meine Beine gaben nach und ich fiel in den kleinen Stuhl zurück. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Meine Gedanken drehten sich gerade um nichts.
Meine Mutter hielt sich die Hand vor den Mund und begann jämmerlich zu weinen. Es war so still. Nur das Schluchzen meiner Mutter war zu hören.
„Nein!“, klagte sie, „Oh nein!“
Der Arzt war verschwunden. Ich glaubte noch die Worte, „Ich lasse sie jetzt besser alleine“, gehört zu haben. Doch dieser Arzt war mir jetzt egal.
Ich fiel in ein bodenloses Nichts. Der Raum wirkte plötzlich noch kälter und abweisender, als er schon bei meiner Ankunft gewesen war. Wäre ich doch bloß nie auf die Idee gekommen! Warum hatte ich das unbedingt gewollt?! Auf das Stilfser Joch – mit dem Rad! Ich hätte sofort umdrehen sollen, als ich dort den Tumult gesehen hatte. Ich brauche irgendetwas um das Geschehene rückgängig zu machen!
Zur Vervollständigung der Ironie, war es mein Vater selbst gewesen, der unbedingt auf die Passhöhe wollte. Warum war das Leben nur so Ungerecht? Warum ausgerechnet er? Ich konnte es immer noch nicht begreifen, dass ich jetzt keinen Vater mehr hatte. Gleich würde er durch diese Tür kommen – auf einem Bett liegend, aber lächelnd. Gesund und glücklich. Nur zum Erholen war er hier.

Was waren noch mal meine letzten Worte zu ihm gewesen?
Zuletzt geändert von Andy92 am 10.10.2008 - 14:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Time2Play
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Beitrag: # 6739604Beitrag Time2Play
9.10.2008 - 23:43

Klasse Schreibstil, erinnert mich wirklich an ein Buch und das kannst du als Kompliment auffassen ;)

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soerenrudi
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Beitrag: # 6739646Beitrag soerenrudi
10.10.2008 - 13:06

Gerrit hat geschrieben:Das ist jetzt kein Witz. Ich finde du solltest dir mal überlegen ein Buch zu schreiben. Der Schreibstil, ist einfach so fesselnd, ich könnte stundenlang die Texte lesen.
Bin da genau deiner Meinung!!!

Fox
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Beitrag: # 6739670Beitrag Fox
10.10.2008 - 15:54

Das ist echt gut geschrieben!
Hab dein AAR als Gast mitverfolgt und werd es ab jetzt weiter als Fox machen!!

Noch viel Spaß beim Schreiben und weiter so!

Andy92
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Beitrag: # 6739681Beitrag Andy92
10.10.2008 - 16:30

Danke ihr drei. :D
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Andy92
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Beitrag: # 6739761Beitrag Andy92
11.10.2008 - 11:21

Die folgenden Tage liefen völlig an mir vorüber. Mama wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Wir fuhren nach Bormio und klärten die Formalitäten. Zudem wurde die tatsächliche Todesursache festgestellt: Blutverlust. Wirbelsäule und Rückenmark waren zwar auch betroffen, doch tatsächlich hatten die Böller den Rücken so sehr zerfetzt, dass einfach zu viel Blut ausgeströmt war.
Zu meiner Verwunderung nahm ich alles ziemlich gefasst auf. Auch, als ich erfuhr, dass drei der vier Attentäter verhaftet wurden – einer war ja bereits tot. Damit würden sie alle ihre gerechte Strafe bekommen – doch ich freute mich nicht darüber. Zunächst wusste ich gar nicht warum. Ich hatte eigentlich erwartet so viel Genugtuung zu verspüren, dass es schon in überschäumender Freude enden müsste.
Meine Mutter war da anders. Sie redete nicht mehr viel, weinte oft, doch damit hatte ich von dem Moment an, als wir von seinem Tod erfuhren, gerechnet. Auch ich wusste, dass ich eigentlich in tiefe Trauer stürzen würde. Doch ich vermochte mit der Situation ziemlich gut umzugehen – oder war es nur ein Schutzmechanismus?

Am 4. September fuhren wir nach Hause. Papa würde einige Tage später folgen, um natürlich bei uns zuhause beerdigt zu werden. Der Termin für die Beerdigung war bereits festgelegt, die Trauergäste waren eingeladen und der Sarg war auch schon bezahlt – alles in allem eine teure Angelegenheit. Wir mussten also nicht nur psychisch, sondern auch finanziell bluten. Das Rennrad zu Weihnachten konnte ich mir damit auch abschminken. Als wäre es Gedankenübertragung gewesen folgten im Radio die Sportnachrichten – wir waren bereits in Deutschland – das Wetter war regnerisch und immer noch flog alles an mir vorbei – doch irgendwie schien mein Unterbewusstsein ein Ziel zu verfolgen, doch welches?
Ich kam nicht dahinter. Schon seit zwei Tagen hatte ich dieses Gefühl einer Bestimmung – doch mein Kopf wollte mir nicht verraten, was er sich ausgedacht hatte. Das Radio gab mir die Antwort: „Kommen wir nun zum Sport...Leider müssen wir mit einer schlechten Nachricht anfangen: Der Mineralwasserhersteller aus der Eifel Gerolsteiner zieht sich nach der Saison 2008 aus dem Sponsoring des gleichnamigen Teams zurück – der Vertrag wurde nicht verlängert. Als Begründung gab das Unternehmen eine neue Marketingstrategie an. Der Teamchef Hans-Michael Holczer gab sich aber optimistisch bei der Suche nach einem neuen Sponsor...“
Ein Zitat der mir mittlerweile wohlbekannten Stimme folgte: „Wir haben jetzt ein gutes Jahr Zeit einen Nachfolger bekannt zu geben. Ich denke wir werden da keine Probleme haben.“
„Das hoffen wir natürlich auch – ich fand das Team sowieso immer sehr sympathisch.“
„Ja klar, Marc...“
Jetzt wusste ich es. Jörg Jaksche – meine Fahrt aufs Stilfser Joch – dieser Kampfgeist – und – für meinen Vater! Ja! Mein Vater liebte offenbar diesen Sport – ich wollte ab jetzt führ ihn fahren – führ ihn und natürlich für mich. Ich will Profi werden! Und den ersten Sieg als selbiger werde ich ihm widmen! Ich werde voll und ganz für ihn fahren!
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Andy92
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Beitrag: # 6740757Beitrag Andy92
16.10.2008 - 20:52

6.Kapitel - Der Neuanfang

„Und du hast es dir wirklich gut überlegt, ja?“, meinte Jörg noch einmal.
„Ja“, stöhnte ich. Ich war es so leid immer die selbe Antwort geben zu müssen – das ging jetzt schon zwei Stunden so. Er wollte es einfach nicht kapieren, oder? Ich will Radsportler werden. Mein Trainingsfleiß war in den letzten Wochen ungebrochen und das obwohl es schon November ist und seit Tagen kein einziger Sonnenstrahl mehr meine Augen geblendet hatte. Mein Blick fiel aus dem Fenster – es regnete – wie immer.
Wir saßen in einem Cafe gegenüber vom Ulmer Bahnhof. Ich wohnte nicht in dieser Stadt, doch Jörg hatte sich mit mir hier treffen wollen. In einer halben Stunde ging sein Zug nach Kempten. Von dort ging es weiter nach Innsbruck – in ein Trainingszentrum.
Als er erfuhr, dass ich mich voll und ganz für den Radsport und für sein Angebot entschieden hatte, hatte ihn sofort die Lust gepackt. Er begann wieder mit professionellem Training und plant ein Comeback. Eigentlich wollte er mich mit in die Alpen nehmen, doch ich wollte nichts überstürzen – vor allem wegen meiner Mutter.
Mittlerweile hatte ich mich durch die Trainingsbibel für Radsportler von Joe Friel gearbeitet und mein Training etwas heruntergefahren. Ich wollte auf keinen Fall ins Übertraining geraten. Das Buch ist wirklich ein guter Lehrmeister, doch der beste den ich mir nur vorstellen kann, ist Jörg selbst. Und das, obwohl er mir noch keinerlei Tipps gegeben hat – außer, dass ich mir dieses Buch kaufen sollte...

„Dann würde ich vorschlagen, dass du dich endlich in einem Verein anmeldest. Das muss der erste Schritt sein und meines Erachtens ist es zunächst auch mal der beste – gibt es einen in deiner Nähe?“
„Ja. Ich hab mich schon ein wenig erkundigt: In Vöhringen gibt es einen – das wird dir jetzt nichts sagen, aber das liegt nur ein paar Kilometer von Weißenhorn entfernt.“
Weißenhorn ist mein Geburts- und Wohnort.
„Sehr gut. Und keine Sorge – die werden dich schon gerne aufnehmen. Vor allem dann, wenn du ihnen eine Kostprobe deiner Künste zeigst“, lachte Jörg.
Da fiel es mir wieder ein. Es gab da noch etwas, was ich Jörg unbedingt sagen musste. Eigentlich hoffte ich sogar, dass er von selbst auf die Idee kommen würde. Jetzt würde sich zeigen, ob sein Augenzwinkern in dem Restaurant auf dem Stilfser Joch ernst gemeint war, oder ob er es schon wieder vergessen hatte. Der Gedanke an diesen gottverdammten Pass jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken – und schon war ich wieder bei meinem Vater. Und wieder versetzte mir der Gedanken an ihn einen Stich in den Magen, wie schon die ganzen letzten Wochen.
Meiner Mutter ging es dagegen wieder besser. Sie suchte gerade im ganzen Land einen Job, um uns durchzubringen. Und da war ich beim zweiten Punkt, den ich Jörg lieber sagen sollte.
„Du“, fing ich an.
„Ja, was gibt’s?“
„Ich hab doch immer noch kein Rennrad und wir stehen zur Zeit finanziell ziemlich schlecht da, deshalb...“, weiter kam ich erst gar nicht.
Jörg winkte ab: „Klar, ich versteh schon. Weihnachten kommt bald, Andreas, schneller als du denkst.“ Und wieder zwinkerte er mir zu.
Ich lachte zurück. Doch auch der Gedanke an ein Weihachten ohne meinen Vater versetzte mir einen schmerzhaften Stich. Ich wollte lieber nicht mehr an das Thema denken, obwohl ich ihm die Annerkennung doch eigentlich schuldig bin, oder?
Ach, was, dafür fährst du doch schon Rad – für dich und für ihn und der erste Sieg ist für ihn. Ich hatte Jörg auch die ganze Geschichte erzählt. Er fand es eine tolle Idee, die meinem Vater den nötigen Respekt zolle, den er verdient hätte – es wäre eine heldenhafte Tat, meinte er. Und es würde mir gelingen, da war ich mir und er sich auf jeden Fall sicher.

„Da wäre noch was: Ich melde mich erst Mal doch nicht in einem Verein an, sondern mach diesen Winter nur Ausdauertraining.“
Jörg wirkte etwas enttäuscht – ja fast verärgert. „Die Trainingstaktik hast du von Friel. Aber den ersten Punkt versteh ich nicht.“
„Meine Mutter ist auf Jobsuche. In ganz Deutschland, weil sie hier nichts findet. Sie hat doch Konditorin gelernt und will jetzt eine eigene aufmachen. Sie ist voller Tatendrang, weist du. Und deshalb sucht sie den perfekten Ort, wo sich das Geschäft so richtig lohnen wird.“
„Das heißt, die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich groß, dass ihr umziehen werdet, nehme ich an.“
„So ist es, ja.“
Jörg nickte und betrachtete den Teller vor sich auf dem Tisch, der noch mit den Bröseln seines Apfelkuchens bestückt war, den er vor wenigen Minuten verdrückt hatte. „Ja, das ist ein Grund abzuwarten, das stimmt. Dann halte dich solange an die Trainingsbibel, mehr denn je. Wir wollen doch dein Talent richtig fördern.“
Ich nickte zurück.
„Da fällt mir noch was ein,“ sagte er. „Ich hab dem Auswahltrainer der U19 Nationalmannschaft von unserer Geschichte erzählt. Er war interessiert!“
Da musste ich lächeln. Glück durchströmte meinen Körper – ja, es ging wieder bergauf – ein neues Leben – eine richtiger Neuanfang ist das jetzt!

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Das Ulmer Münster - mit dem höchsten Kirchturm der Welt.
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Andy92
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Beitrag: # 6740869Beitrag Andy92
17.10.2008 - 23:50

Mein Handy klingelt.
„Sorry.“ Jörg nickt und ich drücke auf die silberne Taste mit dem kleinen grünen Hörer.

„Ja?“
„Hallo mein Großer“, antwortet mir die Stimme meiner Mutter.
„Hi.“
„Ich wollte dir nur schon mal eröffnen, dass ich jetzt den perfekten Ort für meine Ich-AG gefunden habe.“
Ich machte eine kurze Pause. Es versetzte mir einen schmerzhaften Stich, das zu hören – ich wollte hier nicht weg. Weißenhorn ist perfekt zum Trainieren und meine Freunde wollte ich auch nicht auf immer verlassen müssen. Nicht jetzt.
„Und wo?“, stöhnte ich. Die Frage stellte ich nur widerwillig. Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen.
„Also bitte. Ein bisschen mehr Begeisterung, Andreas – immerhin ist es Weißenhorn“, lachte sie.
„Echt?“
„Ja, echt. Ich bin einfach zu faul umzuziehen und außerdem ist es hier doch gar nicht so schlecht – auch geschäftlich gesehen. Ich geh dann morgen zur Bank und mache das mit dem Kredit, ja? Also, du bist dann mal wieder alleine, aber das wird sich in nächster Zeit sowieso häufen – bei dem Fulltimejob...“
„Perfekt! Ich freu mich echt für dich. Und natürlich bin ich echt so erleichtert, dass wir nicht weg ziehen, das kannst du dir gar nicht vorstellen!“
„Ja ja, das habe ich mir schon gedacht...Also bis morgen dann, ich geh heute Abend ja noch mit ein paar Freundinnen ins Kino, tschüs.“
„Ja, viel Spaß.“

Ich legte auf und sofort fiel mein Blick auf Jörg, der mich mit großen Augen ansah.
„Ihr bleibt hier?“
„Ja.“
„Schau, das ist doch schon mal was. Um auf die U19 Nationalmannschaft zurückzukommen: Das Angebot gilt natürlich erst langfristig gesehen. Er hat auch gemeint, dass du dir erst mal einen Verein suchen sollst und ein paar kleine Kriterien bestreitest. Du hast ja noch keine Rennerfahrung – da wäre es total unsinnig, dich in ein Internat oder in die Auswahl zu stellen.“
„Ehrlich gesagt, will ich das jetzt auch noch gar nicht. Erst mal mache ich zur Sicherheit mein Abi – wer weis was noch kommt. Und außerdem möchte ich jetzt im nächsten Jahr auf keinen Fall hier weg.“
„Das kann ich verstehen. Und es ist auch ganz gut so.“
Es entstand eine kleine Pause. Uns wollte nicht so richtig einfallen, über was wir noch diskutieren sollten. Doch irgendwie mussten wir diese letzten 20 Minuten auch noch rumkriegen, bis der Zug kommt. Schließlich brach ich das Schweigen. Es entstand die selbe Situation wie eben – nur anders herum.
„Und du willst echt wieder anfangen?“
„Klar, wieso nicht. Mich hat wieder die Lust gepackt.“
Ich nickte anerkennend.
„Wer weis, vielleicht fahren wir ja bald auch noch im selben Team“, meinte ich halb im Spaß.
„Du wirst es nicht glauben, aber das ist ein Ziel oder besser gesagt ein Wunsch von mir“, lachte Jörg. „Ach, da fällt mir gerade noch was ein.“
Er tauchte unter den Tisch und kramte in seiner Reisetasche herum. Nach ein paar Sekunden kam er wieder zum Vorschein und warf den Sportteil einer Tageszeitung auf den Tisch.
„Auf Seite drei.“
Ich blätterte um und entdeckte einen relativ kleinen Artikel in der Mitte der Seite:

Jörg Jaksche inspiriert die „Konkurrenz“
Auch Ivan Basso, Floyd Landis, Patrik Sinkewitz und Lance Armstrong (!) planen ein Comeback
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Beitrag: # 6740880Beitrag Time2Play
18.10.2008 - 1:39

Weiterhin klasse zu lesen!

Verlier blos nicht die Motivation ;)
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Beitrag: # 6740936Beitrag Andy92
18.10.2008 - 22:10

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Beitrag: # 6741003Beitrag Andy92
19.10.2008 - 18:10

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Beitrag: # 6741004Beitrag Andy92
19.10.2008 - 18:11

Ich muss zugeben: Ein wenig Enttäuschung verspürte ich schon, als ich den Artikel gegen Abend las. Jan Ullrich würde also nie mehr als Radprofi zurückkehren. Wie gerne hätte ich ihn noch mal gegen Armstrong und Basso fahren sehen wollen. Wenigstens hat er jetzt reinen Tisch gemacht und die Ankündigung, dass er vielleicht irgendwann einmal als Sportlicher Leiter fungieren könnte, verlieh mir neuen Auftrieb und Ansporn ein echter Vollprofi zu werden – vielleicht kommt mir die Ehre zu Teil einmal unter seiner Leitung fahren zu dürfen...

Mittlerweile habe ich mich tatsächlich in einem Radklub angemeldet. Aber nicht beim SC Vöhringen, nein, ich habe einen in Weißenhorn entdeckt. Eigentlich sind es nur acht Leute, die zusammen eine Lizenz gelöst haben, aber anscheinend gibt es diese Vereinigung schon seit längerer Zeit.
Sven – siebzehn Jahre alt und damit der Jüngste im Verein – erzählte mir stolz, dass er schon seit 10 Jahren auf dem Rad sitze. Insgesamt hat mich die Truppe sehr erfreut aufgenommen, obwohl ich noch gar nichts von meinen Fähigkeiten erzählt hatte, geschweige denn unter Beweis stellen konnte, denn zunächst hatte ich mich nur angemeldet. Die Trainingsausfahrt hatte ich mit meinem Mountainbike gegen acht Rennräder lieber nicht angehen wollen. Zudem würden sie mich jetzt vielleicht unterschätzen und völlig überrascht und erfreut sein, dass ich in Wirklichkeit richtig gut bin. Aber mit einem Mountainbike über meist eher flaches Terrain gegen ein Rennrad – da ist kein Kraut gewachsen. Bei uns ist es zwar hügelig, aber so bergig wie in den Alpen, wo sich der Unterschied durch Schaltwerk, Gewicht und Reibung etwas verkleinert, ist es bei weitem nicht. Eine Blamage wollte ich mir gleich bei der ersten Ausfahrt nicht antun.
Natürlich hatten mich alle belächelt, als ich mit dem Mountainbike aufkreuzte, doch meine Jeans und der Pulli verrieten, dass ich heute wohl nicht mitfahren werde.
Aber da heute ja der erste Dezember ist und die nächste gemeinsame Ausfahrt erst nach Weihnachten stattfindet, werde ich bis dahin mit meinem wunderschönen Rennrad aufkreuzen. Ich dachte fast jeden Tag an das Rad: Metallicblau würde mir am besten gefallen – oder weiß-blau. Diese Mischung wäre echt perfekt. Das wäre dann genauso wie bei meinem Mountainbike.
Ich konnte es kaum erwarten endlich meine Hände nicht mehr oben sondern unten am Lenker zu halten – optimal gegen den Wind – mit einem leichten Rad und perfekt arbeitender Gangschaltung einen Hügel hinauffliegen – die staunenden Mädchen aus meiner Klasse am Straßenrand vorbeilaufend...
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Beitrag: # 6741107Beitrag Time2Play
20.10.2008 - 17:46

Er hat ja anscheinend keine Probleme Geschenke jenseits der 1000 Euro Marke einfach anzunehmen, es wirkt vielleicht etwas selbstverständlich das Jörg ihm das Rad schenkt, in keinem Satz erwähnt er wie dankbar er ihm dafür ist.

Aber schön, dass es wieder was neues gibt.
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Beitrag: # 6741125Beitrag Andy92
20.10.2008 - 19:33

Bisher waren es ja nur Winks mit dem Zaunpfahl. Das Danke kommt schon noch an Weihnachten - Andreas ist ja kein Arschloch.
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Beitrag: # 6741415Beitrag Andy92
22.10.2008 - 22:32

Noch am selben Abend stieß ich auf eine weitere Meldung im Internet. Diese Nachricht musste ganz frisch sein, denn als ich vor einigen Stunden von Ullrichs Comebackverzicht gelesen hatte, blieb mir diese – ja, es ist wohl eine – „Schreckensbotschaft" erspart. Doch jetzt traf sie mich mit ihrer vollen Wucht und Unbarmherzigkeit. Mein Herz sank mir sprichwörtlich in die Hose. Ich konnte es einfach nicht glauben – suchte nach Erklärungen, besseren Gründen für die Genannten – nach dem, was tatsächlich dahinter stecken könnte – hinter dieser absolut unerwarteten Nachricht.
Ich ging einige Minuten in meinem Zimmer auf und ab. Es dauerte eine sehr lange Zeit bis ich zu dem Entschluss gekommen war, dass es eine Ente sein musste – die ganze Aufregung umsonst?
Mitnichten. Während meiner Überlegungen hatte sich die Nachricht wie ein Lauffeuer in sämtlichen Nachrichtenagenturen verbreitet – fast jede Seite, die ich aufrief, berichtete davon – und vor allem die Radsportseiten. Ich war wohl einer der ersten, die von der Nachricht Wind bekam – aber davon konnte ich mir jetzt auch nichts kaufen. Wenigstens war ich so mit der Leidens- und Trauerzeit früher fertig, als diejenigen, die erst später oder morgen in der Zeitung davon erfahren würden.
Eine Lawine der Entrüstung wurde losgetreten. Sämtliche Sportjournalisten ließen ihrer Phantasie freien Lauf – jeder wollte Recht haben und in den Radsportforen entfachten wilde Diskussionen über das, was alle auf ihren flimmernden Bildschirmen lesen konnten.
Vielleicht waren es auch die Tränen einzelner, die den Bildschirm zum Flackern bewegen. Möglicherweise trauert der Bildschirm als einzigster Freund in der Not mit. Ich war auf jeden Fall unter ihnen – erst das mit Gerolsteiner und jetzt das...

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Zuletzt geändert von Andy92 am 26.10.2008 - 11:18, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag: # 6741427Beitrag Time2Play
22.10.2008 - 23:00

Was ist daran so schlimm, wenn das Team unter einem neuen Namen fährt?
Verstehe grad nicht, was so schlimm daran ist, das Team an sich bleibt ja erhalten ;)
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