"Schatz? Wo bist du? Ich mach mir total Sorgen, du meldest dich nicht und bist nicht zu erreichen. Warum gehst du nicht an dein Handy? Was ist los? Ich hab Angst um dich. Deine Freunde wissen auch nicht, was mit dir ist. Meld dich bitte. Ich liebe dich."
Ach Mist, dachte sich Markus als er seine Mailbox abhörte. Da war er gerade so schön in Fahrt und nun plagte ihn doch die Sorge, die sich seine Freunde mal wieder machten. Dabei war er doch schon fast wieder daheim.
Am Vorabend als sein Vater nach einem Streit mit seiner Mutter und drei Bier ins Bett ging und das Haus ins dunkle verfiel, nahm Markus sich sein Rad und fuhr los. Einfach weg von Zuhause. Wie jedes Mal wenn er Stress mit seinen Eltern hatte oder er einfach nur einen freien Kopf bekommen wollte.
Doch dieses Mal fuhr er nicht nur eine Runde um den Baldeneysee, sondern suchte eine Richtung und fuhr ohne auch nur daran zu denken, dass er irgendwie wieder nach Hause muss. Am frühen Morgen stoppte er kurz und schaute auf seinen Tacho. 8 Stunden war er durchgefahren. Ohne einen großartigen Halt. Nur einmal füllte er an einer Tankstelle seine Flasche mit Wasser auf. Bereits früh wurde es warm und hell an diesem Sommertag. Markus hielt an einem kleinen Örtchen in der Nähe von Bielefeld. Fast 200 Kilometer war er in dieser Nacht gefahren. Normalerweise achtete er immer penibel darauf wo er fährt um nachher auch ganz genau seine Route am Computer nachverfolgen zu können. Doch auch dieses Mal schaute er auf jedes Ortsschild, aber es kümmerte ihn nicht wie weit weg er doch bereits war. Er nahm es einfach hin und zwei Tage später konnte er noch die genaue Route im Internet nachgehen. Stolz würde er dabei sein.
In einer Bäckerei aß er etwas und machte sich dann auf den Weg nach Bielefeld. Auf dieser Fahrt überlegte er was er nun machen solle. Bis hierhin dachte er kein einziges Mal daran zurückzufahren. Er kam zu dem Entschluss, dass auf eine Nachtfahrt keine Tagfahrt folgen sollte. So fragte er nach einer kurzen Besichtung der Innenstadt bei einem Gasthaus am Stadtrand an, ob er nicht für einen Tag eine Bleibe bekommen könnte. Überrascht, aber dennoch sehr interessiert zeigte der Wirt ihm ein kleines Zimmer im Dach. Ein Bett, ein Spiegel und eine knatternde Tür.
"Das reicht. Ich bleibe auch nur bis spätestens 23 Uhr. Dann bin ich wieder raus."
Verblüfft starrte er ihn an, doch Markus unterbrach ihn in seinem Staunen.
"Und jetzt hoffe ich, dass ich was ordentliches zu essen bekomme."
Dem konnte der bärtige Ostwestfale, den alle nur Winnie riefen, nicht widerstehen und tischte ordentlich auf.
Nach einer ordentlichen Mahlzeit setzte dieser sich zusammen mit seiner Frau zu Markus und es entwickelte sich eine muntere Runde. Viel Verständnis und noch mehr Sorge. Gegen Nachmittag verließ Markus jedoch nach einer guten Unterhaltung den Tisch und begab sich ins schnuckelige Schlafgemach.
Der harten Tour und den schweren Beinen sei dank wachte er erst um halb 1 auf und beeilte sich, denn aus der Nachttour sollte keine morgendliche Dämmerungstour werden. Großzügig hinterlegte er einen 50-Euro Schein mit einer kleinen Notiz "Danke euch herzlichst. P.S.: Unser Bier schmeckt besser" auf dem Kopfkissen, begab sich zu seinem Fahrrad und machte sich auf den Weg zurück nach Mülheim.
In den späten Morgenstunden erreichte er über seinen "Heimberg" den Esel, der eher ein kleiner Hügel ist, seine Heimat und genau da blickte er zum ersten Mal auf sein Handy. 17 ungelesene Nachrichten, 37 entgangene Anrufe. Während er seine Mailbox also abhörte, ließ er den Blick mit den Worten "Da bin ich doch schon wieder" über das Ruhrtal schweifen.