29.3.2004:
Unsere Kapitäne in Brabant heute waren Gianni Faresin und Beat Zberg. Die Konkurrenz war nicht zu stark und wir wollten unbedingt gewinnen. Deshalb setzten wir uns schon sehr früh mit dem gesamten Team an die Spitze des Feldes.
Als die erste kleine Gruppe attackierte ging Torsten Schmidt als Bewacher mit. Jetzt ließen wir es etwas ruhiger angehen und konzentrierten uns nur darauf, dass die Gruppe nicht so extrem weit davonfahren würde. Es lief ganz gut und das zeigten uns auch die Fans. Wir hatten viele Fans heute an der Strecke. Wo die alle herkamen weiß ich auch nicht. Jedenfalls überraschten sie uns mit Schriftzügen in den Anstiegen. Einmal fand ich sogar meinen Namen richtig groß auf der Straße! Das war ein wundervolles Gefühl! Bin ich jetzt ein Großer?
32 Kilometer vor dem Ziel wurde die Gruppe um Schmidt gestellt. Vier andere Ausreißer waren aber noch 1’27 vorn. Jetzt ging es los. Maarten Den Bakker von Rabobank attackierte gefolgt von Baguet (lotto), Dufaux und Baranowski. Jetzt mussten wir reagieren, wenn wir um den Sieg kämpfen wollten. Gianni tat es. Er ging aus dem Sattel und jagte los. Dabei rief er mir zu: „Komm Rot! Ich brauch dich jetzt.“
Ich fühlte mich gut. Ich kam mit. Zu sechst machten wir uns jetzt auf Verfolgungsjagd um die Ausreißer einzuholen. Ja – zu sechst – bis Gianni stürzte. Ich wollte anhalten um ihm zu helfen, aber da hörte ich Udo von hinten aus dem Auto schreien: „Fahr weiter Rot!“
Also trat ich rein. Ich blieb bei der Gruppe und war nun allein. Ganz allein weit vorn in einem Profi-Rennen. Es waren jetzt noch 22 Kilometer bis ins Ziel und Baguet attackierte erneut. Ich blieb erstmal an Den Bakkers Hinterrad sitzen, in der Hoffnung, dass Gianni vielleicht nochmal zurückkommen könnte.
Er war zwar wieder auf dem Rad, aber er hatte viel Zeit verloren. Nach vorn würde er heute sicher nicht mehr kommen. Das merkte nun das ganze Team. Udo konzentrierte sich per Funk jetzt ganz auf mich. Ständig wurde ich informiert, ständig angespornt und ständig nach meinem Zustand gefragt. „Gut“ sagte ich jedes mal. Ich fühlte mich wirklich gut. 9 Kilometer vor dem Ziel war Baguet mit der Spitzengruppe noch etwa 8’’ vor uns. „Jetzt oder nie“, dachte ich mir. In einem kleinen Anstieg trat ich an und schloß die Lücke zur Spitze, doch im selben Augenblick ging auch Baguet nochmal aus dem Sattel und fuhr wieder davon.
Jetzt ging es nochmal kurz bergab. Ich nutzte die Zeit zum trinken und umgucken. Hinter mir blickte ich direkt in Den Bakkers Gesicht.
Ich wusste, dass ich grade für ihn arbeitete, aber das war mir egal. Ich wollte an Baguet herankommen. Die letzten 2000 Meter führten nochmal bergauf. Jetzt sollte das Rennen entschieden werden. Ich trat voll rein und gab Gas. Ich konnte sehen, wie der Vorsprung von Baguet schmolz.
Umdrehen wollte ich mich nicht. Ich hatte Angst vor der Ernüchterung, wenn Bakker noch immer da war.
Dann ging ich nochmal aus dem Sattel. Mit meiner letzten Kraft versuchte ich zu Baguet nach vorn zu sprinten, aber es reichte nicht. Jetzt drehte ich mich um.
Da war niemand. Bakker hatte schon einige Meter Rückstand. Ich hatte sie abgehängt. Von der Spitze weg!
Zwar konnte ich Baguet nur von hinten jubeln sehen, aber ich war nur um wenige Meter geschlagen worden und hatte Platz 2 belegt. Platz 2 bei den Profis! Bin ich jetzt ein Großer?
Ergebnis:
1 Serge Baguet LOTTO - DOMO 4h20'14
2 Rot Rigo GEROLSTEINER s.t.
3 Maarten Den Bakker RABOBANK + 12
4 Laurent Dufaux QUICK STEP - DAVITAMON + 26
5 Dariusz Baranowski LIBERTY SEGUROS + 39
...
12 Gianni Faresin GEROLSTEINER + 1'58
13 Marco Serpellini GEROLSTEINER s.t.
14 Beat Zberg GEROLSTEINER s.t.
15 Marcel Strauss GEROLSTEINER + 2'16
16 Sven Montgomery GEROLSTEINER s.t.
18 Torsten Schmidt GEROLSTEINER + 5'27