20. Etappe: Montereau – Paris-Champs-Elysees
Wird er auch in knapp dreieinhalb Stunden noch das Maillot Jaune tragen und damit zum zweiten Mal nach 1997 die Tour de France gewinnen? Mit einem Blick auf Jan Ullrich begrüßen wir Sie, liebe Zuschauer, zur letzten Etappe der Tour de France. Vor dem Feld liegt eine flache Etappe ohne besondere Schwierigkeiten in Richtung Hauptstadt mit dem traditionellen Finale auf der Prachtstraße Champs-Elysees. Auch das Wetter spielt mit, warme 27 ° zeigt das Thermometer an, es ist angerichtet für einen Festtag für Jan Ullrich, sein T-Mobile-Team und ganz Radsport-Deutschland.
Während das Rennen um das Gelbe Trikot zumindest auf dem Papier noch offen ist, so haben zwei Heroen der vergangenen drei Wochen ihr Wertungstrikot bereits sicher. Alessandro Petacchi / FASSA BORTOLO, den wir soeben gesehen haben wird sein erstes Grünes Trikot gewinnen und Cadel Evans / FOSTERS – nun im Bild – darf das Trikot des besten Kletterers mit nach Hause nehmen. Er hat damit einen historischen siebten Erfolg von Richard Virenque / QUICK STEP – DAVITAMON in dieser Wertung verhindert:
Auch wenn die Schlussetappe traditionell von einem Nichtangriffspakt auf das Gelbe Trikot geprägt ist, so dürfen wir doch auch heute wieder mit einigen Ausreißern rechnen, die ihr Glück in einer Gruppe versuchen werden. Besonders die letzten Runden auf dem Champs-Elysees sind immer sehr hart umkämpft und von ständigen Attacken geprägt.
Kaum habe ich es ausgesprochen, da sehen wir nach 25 Kilometern schon die erste Attacke. 5 Fahrer können sich vom Feld absetzen: Daniel Becke / ILLES BALEARS – BANESTO, Salvatore Commesso und Stefano Casagranda von SAECO, Bram de Groot / RABOBANK und Beckes Teamkollege José Vicente Garcia Acosta haben sich dank harmonischer Führungsarbeit schnell vom Feld absetzen können.
Bei der ersten Sprintwertung, 90 Kilometer vor dem Ziel, beträgt der Vorsprung bereits über 5 Minuten. Im Feld lässt man es unter der Führung von T-MOBILE noch ruhig angehen. Offensichtlich plant auch Iban Mayo keinen Angriff auf das Gelbe Trikot, die Zwischensprints – und damit Sekunden im Kampf gegen Jan Ullrich – sind durch diesen Ausreißversuch schon vergeben:
Es läuft also alles nach Maß für Jan Ullrich, während ich Ihnen in aller Ruhe berichten kann, dass Garcia Acosta auch den zweiten Zwischensprint für sich entscheidet. Punkte für die Statistik, auf die Wertung um das Maillot Vert haben sie selbstverständlich keinen Einfluss mehr. Wir können uns nun also etwas zurücklehnen, bis die Fahrer Paris und den Hamps-Elysees erreichen – es sei denn der Pannenteufel schlägt noch einmal zu...
Nun ist es endlich so weit, die Spitze biegt auf den Champs-Elysee ein, wo ihnen über eine Millionen Radpsortfans zujubeln werden. Welch prächtige Kulisse, im Hintergrund sehen wir den Arc de Triomphe. Der Vorsprung ist bei rund 5 Minuten konstant geblieben, allerdings sind noch mehr als 50 Kilometer zu fahren. Und im Feld ist es jetzt an der Spitze bunter geworden, es haben nun die Sprinterteams die Kontrolle übernommen:
In vorderster Front sehen wir AG2R PREVOYANCE und FDJEUX.COM – verständlich, dass sich die Franzosen besonders heute profilieren wollen. Ich glaube auch, dass der fast fünfminütige Vorsprung der Ausreißer, die wir nun erstmals am Triumphbogen vorbei fahren sehen, nicht bis ins Ziel reichen wird:
Ja, liebe Zuschauer, wer wird heute, am Nachmittag des 20. Juli 2004, unter dem Triumphbogen als strahlender Sieger einziehen? Ist es wirklich Jan Ullrich, der damit sein Image des ewigen Zweiten und sein Trauma Armstrong besiegt haben dürfte? Oder doch Iban Mayo, der immer noch Chancen auf den Gesamtsieg hat? Zumindest rein optisch macht sich Ullrich unter dem 1836 zu Ehren Napoleons errichteten Bogen schon einmal ganz gut:
Widmen wir uns aber wieder der Spitze, denn dort gibt es aus Deutscher Sicht wenig erfreuliches zu berichten, wie ich soeben durch den Mann im Ohr – der Stimme von Radio Tour – erfahre. Daniel Becke, der es erneut versucht hat, muss zu seinen Mitstreitern abreißen lassen:
Es sind noch gut 30 Kilometer zu fahren und ein Blick auf die Uhr verrät uns, dass der Vorsprung auf unter drei Minuten geschmolzen ist. Meine Prognose scheint sich zu bewahrheiten, mit Tempo 50 und mehr rauscht das Feld nach fast vier Tausend Kilometern quer durch Frankreich heran.
Zur Orientierung, es sind jetzt noch knapp 20 Kilometer zu fahren und auch Garcia Acosta ist mittlerweile aus dem Führungsquartett zurückgefallen, das nun nur noch als Trio an der Spitze unterwegs ist. Wir warten gespannt auf den ersten Angriff aus dem Feld, die magischen letzten Runden sind eingeläutet. Und da sehen wir schon den ersten Fahrer aus dem Feld springen, es ist ein FOSTERS-Mann! Die Australier haben sich echt was vorgenommen – und ihm setzt Paolo Bettini nach:
Auf den Angriff von Bettini haben wir schon die ganze Tour gewartet, nun fasst sich der Italiener endlich ein Herz. Aber es wird schwer für die beiden vom Feld wegzukommen, und Bettini gibt auf und lässt sich wieder zurückfallen – schade! Damit ist Stuart O´Grady, der seinen Antritt durchgezogen hat, nun alleine zwischen Feld und Spitzengruppe:
O´Grady verfügt über gute Qualitäten auf diesem Terrain – das weiß man. Das Peloton wäre gut beraten, ihn nicht allzu weit davon fahren zu lassen. Aber auch ein O´Grady hat auf einer solch relativ kurzen Etappe wie heute zum Schluss noch etwas zuzusetzen, das wird nicht einfach für die Edelhelfer der Sprinter. Kurz vor der letzten Runde hat er Garcia Acosta eingeholt:
Und auch die Drei verbliebenen an der Spitze – de Groot, Commesso und Casagranda sind bereits in Sichtnähe. Das wird dem Australier natürlich neue Kräfte, neues Selbstvertrauen verleiten. Noch kann er sich vor dem Feld halten und es ist nicht mehr weit zu fahren. Jetzt hat er die Ausreißer des Tages kassiert, biegt nun ein letztes Mal in die Spitzkehre am Triumphbogen ein und hat nun das Ziel bereits vor Augen, während das Feld erst noch umkehren muss:
Dieser psychologisch wichtige Moment wird ihm einen gehörigen Schub geben, ich rechne nicht mehr damit, dass O´Grady noch einmal eingeholt wird. Welch Husarenstück des Australiers, welch Happy-End für FOSTERS! Welch Pech aber auch für Danilo Hondo und seine Mitstreiter vom TEAM GEROLSTEINER, die auf den letzten Kilometern viel Führungsarbeit verrichtet haben:
In der Verfolgung wird zwar noch einmal verbissen gesprintet, Petacchi, Zabel, Boonen und Co. holen ein letztes Mal alles aus sich raus. Aber es wird nicht ganz reichen, Stuart O´Grady fährt den Vorsprung nach Hause und damit den vierten Tagessieg für FOSTERS - nach Cadel Evans, Bradley McGee und Michael Rogers Erfolgen - ein:
Herzlichen Glückwunsch an Stuart O´Grady und natürlich auch herzlichen Glückwunsch an Jan Ullrich! Iban Mayo hat sich wie ein großer Champion verhalten, die Niederlage auf der gestrigen Etappe akzeptiert und auf einen neuerlichen Angriff heute verzichtet. Mit einem Bild auf die beiden besten Fahrer der diesjährigen Tour, wie sie symbolträchtig Seite an Seite über die Ziellinie fahren – verabschiede ich mich für dieses Jahr von Ihnen und gebe ab unser Studio – Au Revoir!
![Bild](http://www.vennhaus-it.de/aar/etappe20-20.jpg)