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Andy92
10.1.2009 - 16:04
„Jetzt weiß ich’s wieder!“, rief Tanja völlig unerwartet.
„Was?“ Pierre verstand die Welt nicht mehr. Dieser Ausruf passte so gar zu seinem Gedankengang und so brauchte er eine Weile, um zu verstehen, was Tanja überhaupt meinte.
„Na, woher ich diesen Georg von Klavsen kenne.“
Pierre verstand immer noch nicht. Er hatte von der einen auf die andere Sekunde alles vergessen. Warum waren sie überhaupt hier?
„Hallo, Pierre, träumst du?“, lachte sie jetzt.
Ja, von dir, schwärmte eine Stimme in seinem Kopf. Was war das? Nein! Das konnte jetzt aber nicht wahr sein, oder?
Er schüttelte den Kopf und hätte sich am liebsten dazu noch kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Aber sobald er wieder seine Kollegin ansah, entglitten ihm wieder sämtliche Zusammenhänge. Plötzlich kam sie ihm so unglaublich attraktiv vor. Ihr seidiges blondes Haar, dass sie hinten zu einem kurzen Zopf zusammengebunden hatte, ihr hübsches, anmutiges blasses Gesicht, das noch immer jugendliche Züge annahm und ihre tiefblauen Augen, in denen man sich bis in die Unendlichkeit verlieren konnte. Und jetzt zeigte sie ihm wieder ihr strahlendes Lächeln...
Er arbeitete jetzt fast ein Jahr mit ihr zusammen und auf einmal sah er sie in einem ganz anderen Licht. Warum hatte er eigentlich nie eine Sekunde damit verschwendet, diese wunderschönen langen Beine zu betrachten? Es war so warm, dass man selbst auf dem Berg eine kurze Hose tragen konnte – er schickte ein großes Dankeschön an den Wettergott und lächelte, während sein Blick langsam an ihr wieder hinaufwanderte. Sie war gertenschlank, sportlich, ja, da ist es eigentlich kaum verwunderlich, dass sie so gut aussieht. Die Proportionen stimmten einfach und ihre Brüste schienen auch noch die perfekte Größe zu haben.
Mein Gott, ich bin doch nicht mehr in der Pubertät!, dachte er und versuchte seine Gedanken neu zu ordnen. Er kannte sie jetzt doch schon so lange.
Jetzt konzentrier dich! Ja nicht mehr ablenken lassen!, doch sein Kopf wollte sich nichts sagen lassen.
Unwillkürlich musste Tanja an ihren ersten Arbeitstag im Kommissariat der Luzerner Polizei denken. Sie war damals 27 Jahre alt gewesen und hatte ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Sie sollte mit einem versetzten Kommissar aus Martigny zusammenarbeiten, der zwar sieben Jahre älter als sie war, doch seine Ausbildung ebenfalls erst vor wenigen Monaten beendet hatte. Ursprünglich hatte er mit einem Sportstudium begonnen, welches er aber aus Unentschlossenheit abbrach, um zur Polizei zu gehen.
Als er dann vor ihr stand, merkte sie sehr schnell, dass er wie sie auch, immer noch regelmäßig trainierte. Was er genau machte, um seine Fitness zu halten, war ihr zunächst egal. Sie bestaunte seine ausgeprägten Muskeln und seinen ästhetischen Körper, der aber bei weitem nicht überproportioniert war, und hatte sich zwei Sekunden, nachdem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, in sein Äußeres verliebt.
Das ist doch ganz normal, hatte sie zunächst gedacht. Doch den ganzen Vormittag hatten sie nichts anderes getan, außer sich über ihre berufliche und oberflächliche private Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auszutauschen, bis hin zu den sportlichen Interessen. Ein wenig wehmütig musste sie erfahren, dass er wegen seiner Frau hierher nach Luzern gekommen war. Schade, denn es hatte nicht mal eine Stunde gedauert, um sich auch in seinen charmanten, offenen Charakter zu verlieben – er hätte auch glatt als echter Franzose durchgehen können, trotzdem sah er sich als absolut echten Schweizer an, wie er immer wieder betonte. Als er dann auch noch davon anfing, im Mountainbiking seine wahre sportliche Leidenschaft gefunden zu haben, die sie absolut mit ihm teilte, war es schon beinahe um sie geschehen.
Es dauerte lediglich zwei Wochen und er hatte all ihre Sympathien gewonnen. Mittlerweile trainierten sie zusammen, um sich auf die Events im Sommer vorzubereiten und darüber hinaus waren sie nicht mehr „nur“ Arbeitskollegen, sondern echte Freunde geworden. Kaum verwunderlich, dass sie sich in ihrer Arbeit blind verstanden und absolut ergänzten – der Erfolg blieb auch nicht lange aus.
Doch all diese Sympathien für Pierre Besson sollten vergeblich bleiben. Immer wieder schwärmte er ihr von seiner Frau vor – jedes Mal brach er ihr dabei das Herz, bis sie schließlich aufgab und versuchte, ihn weiterhin nur als guten Freund anzusehen. Von Woche zu Woche bekam sie das besser auf die Reihe, bis der Schmerz fast verschwunden war, wenn er wieder einmal das Thema auf seine Ehe lenkte. Doch diesmal setzte er ihrer verzwickten Lage die Krone auf, in dem er ihr eröffnete, dass seine Frau ein Kind erwartete.
Jetzt kannst du’s alle Mal vergessen!, dachte sie. Bis jetzt. Vor zwei Tagen erst war seine Frau zu ihr ins Büro hereingeschneit und hatte ihr klar gemacht, dass sie nicht weiterhin versuchen soll einen Keil zwischen die beiden zu treiben. Dabei wollte sie das doch gar nicht mehr. Bei der Diskussion fiel jedoch ein wichtiger Satz: „Ich habe das Gefühl, dass mein Mann mehr Zeit mit ihnen verbringt, als mit mir“, hatte Fiona, so hieß sie, gesagt.
Und gerade in diesem Moment ging ihr ein Licht auf, warum Pierre sie so lange mit seinem treuen Hundeblick anstarrte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie hatte es also tatsächlich geschafft! Ausgerechnet jetzt, wo sie es gar nicht mehr wollte. Oder hatte sie doch noch Gefühle für ihn?
„Was wolltest du mir vorhin noch mal sagen?“, fragte Pierre schließlich. Sie sah ihm an, dass er sich unheimlich konzentrieren musste, um überhaupt einen Ton herauszubringen. Sollte sie etwa mit ihm spielen?
Nein, der Arme hat jetzt schon genug „gelitten“. Gib ihm lieber wieder die Chance, sich zu erholen. Den Rundumschlag kannst du später noch starten, dachte sie und sie begann abermals zu grinsen.
„Dass ich wieder weiß, woher ich Georg von Klavsen kenne“, sagte sie gelassen.
„Und?“ Pierre schien erstaunt – er hatte sie vorhin also wirklich nicht gehört. Schon seltsam, wie schnell sich manchmal alles ändern konnte...
„Meine Schwester Yvonne ist doch mit Johannes Simon verheiratet...“
„Ja, und?“, fragte Pierre. Er erkannte keinerlei Zusammenhang zwischen Georg von Klavsen und Tanjas Schwager Johannes Simon, von dem er bisher nur ein paar schnippische Bemerkungen zu hören bekam. Tanja verstand sich mit ihrer älteren Schwester anscheinend nicht sonderlich gut.
„Ja, lass mich doch mal ausreden.“ Pierre bemerkte, dass sie dabei schon wieder Lächeln musste. Wusste sie etwa, dass er immer wieder etwas sagen musste, um sich von ihrer Schönheit abzulenken, damit er sich überhaupt auf die Arbeit konzentrieren konnte? Moment mal – hier oben war niemand, der sie überwachte – hier war, um genau zu sein, überhaupt niemand...
„Also, dieser Johannes Simon hat so weit ich weiß noch zwei Geschwister. Einen kleinen Bruder und eine große Schwester – er ist glaub ich so Mitte zwanzig und heißt Fabian, allerdings hab ich ihn noch nie gesehen. Du weißt ja, dass ich die Familie Simon kaum kenne. Yvonne hab ich auch erst an den Weihnachtsfeiertagen das letzte Mal gesehen – wir haben uns ja nie wirklich gut verstanden, aber das ist ein anderes Thema. Wie gesagt, Johannes hat auch noch eine große Schwester, die schon über vierzig sein dürfte. Keine Ahnung, wie diese großen Altersunterschiede zustande gekommen sind, aber die Kinder stammen angeblich alle aus ein und der selben Ehe. Aber frag mich ja nicht, wer die Eltern sind und ob die überhaupt noch leben. Von denen hab ich nämlich noch nicht mal was gehört. Na ja, auf jeden Fall heißt diese Frau Isabel, war früher Model und mit diesem steinreichen Manager aus Luzern verheiratet – wie hieß der noch mal?“
Pierre hatte ihr bis hier hin aufmerksam zugehört. Doch jetzt ging ihm ein Licht auf. Er ahnte schon, woher Tanja diesen Georg kannte.
„Du meinst den Gruber Fall. Warte, der hieß Richard Gruber. Meyer hat den Fall bearbeitet, weil nicht sicher war, ob diese Isabel was mit seinem Tod zu tun hatte.“
Tanja schaute etwas verdutzt, fast schockiert drein – wahrscheinlich hatte sie Angst, dass sich ihre große Schwester mit dem Bruder einer Mörderin verheiratet hatte.
„Keine Sorge, da ist nichts rausgekommen. Das waren alles nur Spekulationen, vor allem aufgrund des Erbes, was Isabel damit von Gruber bekommen hat. Allerdings war Richard Gruber auch schon sehr alt und die beiden hatten einen Sohn, diesen Radsportler Alexander Gruber, der jetzt dieses Internat gegründet hat. Am Wochenende war übrigens dieses Nachwuchsrennen – das war ja mal Hammer, wie der eine in der U19-Klasse die anderen in Grund und Boden gefahren hat – der hat echt Talent. Warst du eigentlich auch da?“
„Nein, ich war doch mit meinen Eltern in Bern, das hab ich dir doch erzählt, außerdem ist das jetzt total unwichtig“, winkte Tanja gelangweilt ab.
„Ja, das stimmt allerdings.“
Hätte Pierre Besson auch nur ein winziges Zeichen bekommen, dass er bei diesem Jungtalent mit dem Namen Andreas Wagner, der ihm gerade entfallen war, auf der richtigen Spur gewesen wäre, er hätte es wohl nicht beachtet. Selbst er, der geniale Kommissar, der er zweifellos war, konnte solche Zusammenhänge nicht erschließen. So sollten die beiden einen beschwerlichen Umweg einschlagen, um eine erste heiße Spur in diesem Fall zu bekommen. Dabei hatten sie die Leiche immer noch nicht gefunden.
Hatte Georg sein Handy vielleicht nur über die Klippe geworfen, um einen falschen Verdacht zu erzwingen? Wollte er Zeit gewinnen, um aus seinem Leben fliehen zu können?
Pierre wusste nicht, warum und wieso ihm diese Fragen plötzlich durch den Kopf geschossen waren, doch sie zwangen ihn dazu, kurz inne zu halten. Vielleicht sollten sie doch erst mal nach dem Handy suchen, bevor sie hier völlig falsche Mutmaßungen anstellten und Isabel von Klavsen erneut von der Polizei fälschlicherweise verdächtigt wurde.
Als er das Tanja erzählte, war sie sofort damit einverstanden auf dem Weg diese Gedanken weiterzuspinnen. Sie folgten dem Bergpfad am Hang entlang hinunter in das schmale Tal.
„Um auf Isabel Gruber zurückzukommen“, fing Tanja nach ein paar Minuten wieder an. „ Sie hat vor kurzem Georg von Klavsen geheiratet., da bin ich mir ganz sicher. Ich glaub ich hab die beiden vor zwei oder drei Jahren auf irgendeiner Familienfeier gesehen. Da waren aber so viele Leute, dass ich gar kaum mit denen geredet hab.“
„Das hab ich mir schon gedacht“, meinte Pierre. Dennoch war es besser noch mal die Bestätigung aus Tanjas Mund zu hören – zum Glück lief er wieder voraus, sonst hätte er wahrscheinlich keinen Fuß vor den anderen setzen können.
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Warum hatte er das nur vergessen? Was war bloß mit ihm los? Er war glücklich verheiratet, er erwartete ein Kind, warum hatte ihm Tanja plötzlich nur so die Augen verdreht, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte?
„Also, falls wir einen Toten haben, dann können wir Isabel von Klavsen schon mal ausschließen. Erstens war sie seine Ehefrau, aber das war Kommissar Meyer beim Fall Richard Gruber auch schon egal, also ist das diesmal auch kein ,Alibi’ – allerdings hat sie doch die Vermisstenanzeige aufgegeben, oder? Ich hab Meyer nicht so ganz zugehört, als er uns mit dem Suchen beauftragt hat, wie der genaue Stand ist...“
„Mensch, Pierre, was ist bloß los mit dir?“, lachte Tanja. „Sicher hat sie das. Nur, ein wenig spät, findest du nicht?“
Pierre errötete. Ja, sie spürte es offensichtlich – dabei gab er sich doch soviel Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Allerdings hatte sie in dem Punkt Recht, dass Isabel von Klavsen etwas spät damit begonnen hat, ihren Mann zu suchen. Mal sehen, was bei einem Verhör mit Meyer persönlich herauskommen würde. Das beherrschte sein Vorgesetzter wirklich perfekt, um nicht zu sagen, dass er ein Genie auf diesem Gebiet war.
„Du hast Recht“, sagte er schließlich. „Aber jetzt lass uns erst Mal suchen. Nicht, dass wir uns wirklich umsonst solche Gedanken gemacht haben. Wobei ich meine, dass an der ganzen Sache schon irgendetwas faul ist, das spür ich einfach.“
„Dann sollten wir nicht allzu lange suchen müssen.“
Wie Recht Tanja damit doch hatte. Pierres Gespür für einen angebrachten Verdacht hatte ihn noch nie im Stich gelassen und diesmal sollte es nicht anders sein.
Nach einer Dreiviertelstunde erreichten sie die Talsohle und folgten wieder dem GPS-Signal. Schließlich lotste sie das kleine Gerät durch den Wald zum Fuße der Steilwand. Umso näher sie dem nackten Fels kamen, desto spürbarer wurde die Aufregung. Sie sprachen jetzt kaum noch ein Wort. Stattdessen sahen sie sich ständig um, als ob der Mörder oder der Tote persönlich hinter ihnen auftauchen könnte. Zwar war um die Hütte hier unten im Tal schon etwas mehr Betrieb auf den Wanderwegen, doch jetzt waren sie wieder ganz allein in der Wildnis der Berge unterwegs. Zum Glück waren sie zu zweit – alleine hätte es Pierre hier keine Sekunde lang ausgehalten, zumal die Sonne jetzt auch noch von ein paar Wolken verdeckt wurde. Ein kalter Schauer jagte ihm über dem Rücken, als das GPS-Gerät in seiner Hand zu piepsen begann. Das Signal, dass das Handy im Umkreis von fünf Metern zu finden sein müsste, so genau war die Technik dieses Gerätes dann doch noch nicht.
Er blickte auf und erkannte ungefähr zehn bis fünfzehn Meter vor sich die Felswand. Die Baumwipfel über ihm wiegten sich im Wind. Es frischte auf. Zu seinen Füßen breitete sich ein Dickicht aus allerlei Pflanzen und Büschen aus, was wohl vom feuchten Fels dahinter herruhte. Zu seiner Erleichterung konnte er aber nirgends einen leblosen Körper entdecken. Weder eines Tieres noch eines Menschen. Doch das Handy würde er in diesem Gestrüpp auch nicht so schnell finden, wie er erhofft hatte. Zudem war der Waldboden weich und sumpfig – ein wenig Wasser lief am Felsen herunter. Anscheinend hatte selbst hier vor noch nicht allzu langer Zeit Schnee gelegen. Das könnte schon mal eine Erklärung dafür sein, dass das Handy und sein Besitzer Georg, falls er überhaupt hier unten liegen sollte, während des Sturzes getrennte Wege gegangen sein sollten – der Boden war so weich, dass das Gerät wohl kaum einen Schaden genommen hätte. Allerdings könnte es ganz gut eingesunken sein. Und dann würde es bei der nahen Felswand, dem dichten Wald und dem Schlamm dazwischen wohl kaum noch einen Netzempfang haben können. Hatte er etwas übersehen? Ein kleines Detail war ihm sicherlich entgangen, was sicherlich daran lag, dass er eigentlich an nichts anderes mehr denken konnte, außer an die schönen Beine von Tanja.
„Denkst du was ich denke?“, fragte sie. Pierre spürte wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg.
Nein, das würde sie sicherlich nicht!, dachte er. Er versuchte sich daran zu erinnern, über was er davor gegrübelt hatte.
„Ich denke schon“, fing er an. „Das Handy muss zusammen mit von Klavsen hier runter gefallen sein, weil es sonst hier im Schlamm versunken wäre und somit keinen Empfang gehabt hätte.“
„Ja, so ähnlich“, lachte sie. „Allerdings versinkt es gleich wirklich im Boden, wenn du deinen Fuß noch länger da stehen lässt.“
„Oh!“ Pierre machte einen Schritt zurück und hob das Handy auf.
Nobel, nobel, dachte Pierre – und das obwohl es jetzt total verdreckt war. Außerdem war es ausgeschaltet. Hoffentlich hatte er es gerade nicht kaputt gemacht. Wahrscheinlich hatte er Wasser in das Gehäuse gedrückt – heute war wirklich nicht sein Tag. Trotzdem probierte er, es anzuschalten. Es tat sich nichts.
„Akku leer“, meinte er zuversichtlich.
„Ist anzunehmen, ja“, bestätigte Tanja.
Stimmt! Wenn von Klavsen bereits am Freitag verschwunden ist und das Ding hier seitdem liegt, dann war anzunehmen, dass der Akku bereits leer ist.
„So, und wo ist jetzt Georg von Klavsen?“, meinte Pierre etwas verärgert. Er liebte diese Selbstironie.
„Keine Ahnung.“
Sie schauten sich ein wenig um. Drückten ein paar Büsche zur Seite. Nichts. Hier lag niemand und hier hatte wohl auch nie jemand gelegen. Pierre sah sich in seiner Vermutung, dass von Klavsen aus seinem Leben fliehen wollte, bestätigt. Warum? Das würde er schon noch herausfinden können, denn eigentlich hatte dieser Mann alles was das Herz begehrt. Seine Frau war steinreich. Er musste sich eigentlich um nichts mehr kümmern.
Er zuckte zusammen. Sein Handy klingelte. Auch Tanja war kurz aufgefahren. Pierre schüttelte über seine eigene Nervosität den Kopf. Die Umstände waren aber auch mysteriös.
Meyer rief an. Was wollte der denn jetzt?
„Hallo?“
„Mahlzeit Herr Besson.“ Pierre konnte ihn Schmatzen hören. „Haben sie das Handy schon gefunden?“
„Ja, es liegt in meiner linken Hand“, meinte Pierre etwas genervt. Warum begann Meyer wieder damit, ihn zu überwachen? Er hatte ihm doch vollstes Vertrauen zugesprochen.
„Gut. Ich hab den Besitzer gefunden.“
„Was?!“, rief Pierre. Jetzt verstand er gar nichts mehr. Er schaute hinüber zu Tanja, die ihn fragend anblickte. Bevor er sich wieder in ihren Augen verlor, schaute er schnell weg.
„In ihrer Nähe befindet sich doch eine Berghütte. Sie wurde erst vor wenigen Tagen zur Sommersaison wieder eröffnet. So und jetzt kommt’s: Der Wirt hat heute Morgen den Wald durchkämmt, der zur Hütte gehört. In diesem Wald dürften sie jetzt stehen. Um genau zu sein, dürften sie genau an dem Punkt stehen, wo dieser arme Mann die Leiche eines Bergwanderers entdeckt hat. Am Telefon hat er mir gesagt, dass er ihn unterhalb einer Felswand fand, wo schon viele Leute abgestürzt sind, also der Mann hat schon Routine in so was und hat natürlich sofort die Polizei verständigt. Sinnvollerweise hat er die Leiche aber zu sich in die Hütte geschleift. Ich weiß auch nicht, wie man so dämlich sein kann, aber eine Spurensicherung können wir jetzt schon so gut wie vergessen.“ Meyer wirkte verärgert.
Dagegen hatte Pierre ein mulmiges Gefühl, da er wohl tatsächlich genau auf dem Flecken Erde stand, wo noch vor wenigen Stunden eine Leiche gelegen hatte. Jetzt wusste er, warum die Erde hier so rötlich lehmig war. Das war nämlich gar kein Lehm, sondern geronnenes Blut. Es war ihm nicht aufgefallen, da es so wenig war. Beim Aufprall nach einem Sturz holte man sich in der Regel eher innere Verletzungen als äußere.
„Und da sie ja gerade in der Nähe der Hütte sind, sollten sie wissen, was sie zu tun haben“, fuhr Meyer seine Rede fort.
„Sicher. Könnten sie aber trotzdem schon mal die Kollegen herbestellen? Laut Karte gibt es einen geteerten Fahrweg zur Hütte“, antwortete Pierre.
„Ja, schon unterwegs. Bis heute Abend Herr Besson. Das wird sicherlich noch ein langer Tag für sie werden. Und einen schönen Gruß an Frau Hagen.“
„Ja, werd ich ausrichten. Bis heute Abend Herr Meyer.“