Im siebten Himmel

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

Andy92
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Beitrag: # 6753130Beitrag Andy92
26.1.2009 - 17:10

Das muss man einfach akzeptieren können, dass es wichtigere Sachen gibt als einen AAR zu schreiben. Dieses Wochenende sind wieder einmal mehrere Dinge dazwischen gekommen. Und da man einen AAR ja eher für sich als für die Leser schreiben sollte, bin ich zu dem Entschluss gekommen erst dann wieder was zu schreiben, wenn ich auch wirklich Zeit und Lust dazu habe, was sinnvolles zu produzieren.
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Andy92
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Beitrag: # 6753178Beitrag Andy92
26.1.2009 - 22:40

4.Kapitel - Ein neuer Lebensabschnitt

Es war Freitag Nachmittag. Jörg Jaksche saß auf der Couch in seinem Wohnzimmer und überlegte. Seine Trainingseinheit für heute hatte er bereits abgeschlossen. Nach seinem überzeugenden Auftritten im Frühjahr, welche mit dem Coup in der Bergwertung bei Paris-Nizza schlossen, hatte er sich nach der Fernfahrt durch Frankreich eine kleine Erholungsphase gegönnt, um das Aufbautraining für sein Saisonziel die Tour de France optimal vorbereiten zu können.
Vor gut 18 Monaten hatte er das Radfahren noch so satt gehabt und kurzfristig beschlossen das Rad an den Nagel zu hängen. Die Saison war damals äußerst unbefriedigend verlaufen. Vom Profizirkus hatte er ein für alle Mal genug – dachte er – und legte seine Konzentration lediglich auf den Hobbybereich: Radmarathon. So hieß seine neue Leidenschaft, die er im Sommer entdeckte, denn so ganz hatte er die Finger nicht von seiner Rennmaschine lassen können. Die Faszination sich ohne Druck über Alpenpässe zu quälen und ausschließlich für sich selbst zu fahren, begeisterten ihn plötzlich ungemein. Nicht viele erkannten ihn in seiner unauffälligen neutralen Radlermontur. Die meisten liebäugelten lediglich mit seinem Rad – er selbst versteckte sich hinter seiner Sonnenbrille und einem neuen Bartgewächs.
Aber dann stellte sich seinen Unabhängigkeitsträumen das Stilfser Joch in den Weg. Er erinnerte sich nicht einmal, ob er diesen Pass schon jemals befahren hatte – längst vergangen und vergessen schien seine Profikarriere. Doch der Ortler schickte ihm ein Zeichen. Ein enormes deutliches Zeichen. Es war ein einfacher Junge gewesen, der auf einem Mountainbike mit ihm, dem einstigen und immer noch gut trainierten Profi mithalten konnte. Natürlich hatte er sofort das Bedürfnis, die Passhöhe in der Einsamkeit zu erreichen, doch der Junge hielt zu seiner großen Verwunderung das leicht erhöhte Tempo mit.
Ab diesem Augenblick wollte er es wissen. Plötzlich packte ihn der Rappel – in ihm regte sich der so lange vermisste Ehrgeiz und verlangte danach mit dem Jugendlichen hinter ihm zu spielen. Schnell wurde ihm klar, dass der Junge absolutes Ausnahmetalent besaß – und das obwohl er bei seiner schmächtiger Figur für einen Bergfahrer eigentlich viel zu groß war. Doch seine Beine arbeiteten wie ein Schweizer Uhrwerk unaufhörlich weiter und wollten sich einfach nicht geschlagen geben. So viel Kampfgeist und Zähigkeit wollte Jörg belohnen und lies dem Jungen kurz vor der Passhöhe den Vortritt.
Ja, so hatte er ihn kennen gelernt. Fast schon ein Geschenk des Himmels, der ihn aus seiner unentschlossenen Lage befreite. Am Anfang dachte er eigentlich nur an eine erfolgreiche Managerkarriere. Vielleicht ein eigenes junges Team aufbauen? Nein. Den Jungen alleine betreuen? Nein. Selbst wieder fahren? Ja. Aber wo?
Hans-Michael Holczer nahm ihn in seinem Gerolsteiner Team auf – beinahe wie einen verlorenen Sohn. Er hatte fast den Eindruck, dass er wie gerufen zu den Zyanblauen gestoßen war. Und das Geschenk Patrik Sinkewitz brachte er gleich noch mit. Anscheinend hatte Hans zwei Helfer für die Tour gesucht, da Fothen und Kohl im letzten Jahr eigentlich nur enttäuscht hatten – sie waren deutlich unter ihren Möglichkeiten gefahren.
Da war der Start in die Saison 2008 schon deutlich gelungener. Inzwischen standen 12 Siege auf der Haben Seite. Zudem mehrere gewonnene Wertungstrikots außerhalb der Gesamtwertung. Und dabei sollten die Hauptziele erst noch kommen. Das Frühjahr sollte ganz im Zeichen vom alten Hasen Davide Rebellin stehen. Der Auftakt mit Paris-Nizza – eigentlich wollte das Team dort den Gesamtsieg erringen – glückte dem Italiener mit Rang 3 in der Gesamtwertung nicht ganz so wie erhofft. Der Mont Ventoux war ihnen zum Verhängnis geworden.
Doch das sollte sich jetzt im April grundlegend ändern. Und das tat es bereits. Im Baskenland holten sich gerade Davide, Patrik und Schumi den letzten Schliff für die Ardennenklassiker, die in wenigen Tagen den Wechsel zwischen Frühjahrsklassiker und Rundfahrtsaison einläuten sollten.
Gleich auf dem ersten Tagesabschnitt brannte Davide ein wahres Feuerwerk ab und legte wertvolle Sekunden zwischen sich und den ärgsten Konkurrenten. Auch die dritte Etappe – diesmal sogar im Alleingang – ging an das Team Gerolsteiner und an den Gesamtführenden Rebellin. Jörg wurde jetzt aufmerksam und legte seine Trainingsausfahrten um eine Stunde nach hinten – er wollte seine Teamkameraden zumindest symbolisch unterstützen. Gestern hatte Thomas Dekker aus einer Ausreißergruppe heraus gesiegt. Und heute?
Es sah schlecht aus, als Jörg den Fernseher einschaltete. Sofort steckte ihm die Abstandsanzeige zur Spitzengruppe am oberen Bildschirmrand wie ein Dorn im Auge und der Kilometerstand direkt daneben gab ihm den Rest. Carsten Migels setzte mit seiner Bemerkung „Zurzeit fährt Thomas Lövkvist im virtuellen gelben Trikot“ die Krone auf.
Na super! Jungs, was macht ihr für einen Scheiß?, dachte Jörg sofort und rutschte mit einem großen Seufzer auf seinem Sofa hin und her. Seine Mannschaftskameraden starteten jetzt an der Spitze des Hauptfeldes wohl eine letzte Offensive. Das Ziel und somit ein letzter Anstieg rückten immer näher – vielleicht könnten sie ja dort noch die entscheidenden Sekunden aufholen. Und wenn schon? Lövkvist würde eine halbe Minute locker im Zeitfahren morgen aufholen können, daran bestand kein Zweifel. Warum war Jörg jetzt nicht bei ihnen? Er hasste es zum Zusehen verdammt zu sein! Obwohl? In seiner derzeitigen Form hätte er Davide wohl eher keine so große Hilfe sein können.
Piepoli setzte sich jetzt vorne ab. Die Spitzengruppe war groß und sie zerriss. Lövkvist schien Probleme zu haben dem Tempo zu folgen, konnte sich aber in der ersten großen Verfolgergruppe halten, während die Bergziege aus Italien Meter für Meter zwischen sich und den Rest der Welt legte. Lediglich er junge Baske und somit Lokalmatador Txurruka Ansola konnte das Tempo noch für kurze Zeit halten, dann fiel auch er zurück. Piepoli sicherte sich unangefochten die letzten Bergpunkte der Rundfahrt – Moment mal! Das konnte doch nicht war sein!? Heute lief beim Team Gerolsteiner aber auch alles schief!
Der Fernseher zeigte jetzt das Bild eines resignierend lächelnden Bernhard Kohl – er fuhr im Bergtrikot, aber das, war er jetzt auf alle Fälle los. Piepoli war uneinholbar vorne, genauso, wie er in der Entscheidung um den Etappensieg uneinholbar vorne war – nur ein Sturz hätte ihn jetzt noch stoppen können. Der alte Haudegen war ein erfahrener und schneller Abfahrer und baute seinen Vorsprung sogar auf dem flachen Abschnitt ins Ziel weiter aus. Erst auf der Zielgeraden feierte er seinen Triumphzug nicht gerade theatralisch, aber mit einem milden Lächeln auf den Lippen.
Einige Kilometer weiter hinten ging jetzt die Post ab! Während sich Lövkvist in seiner Gruppe dem Ziel näherte, opferten Schumi und Patrik ihre letzten Kraftreserven für ihren Kapitän auf. Und das obwohl sie selbst gute Chancen hatten die Top-10 des Gesamtklassements zu halten bzw. zu erreichen. Plötzlich attackierte Leipheimer, der durch den Gerolsteiner Kräfteverschleiß seine einmalige Chance sah, diese Rundfahrt zu gewinnen. Der Sieg im morgigen Zeitfahren war ihm bei dieser Form eigentlich schon kaum zu nehmen und mit ein paar Sekündchen heute, könnte er sicherlich den Grundstein zum Erfolg legen – denkste! Da hatte der Ami die Rechnung ohne den Italiener gemacht! Rebellin setzte hinter her und blieb am US-Boy dran. Er klebte förmlich wie eine Zecke an seinem Hinterrad. So sehr es Leipheimer auch versuchte, aber er konnte Davide einfach nicht abschütteln. Thomas Lövkvist tat er damit übrigens einen Bärendienst. Der Abstand zum Schweden schmolz jetzt auf wenige Sekunden zusammen, sodass das Quartett Mosquera Miguez, Rebellin, Leipheimer, Devenyns (Silence) im Ziel gerade mal 2’39 Minuten Rückstand auf ihn hatte. Damit war es klar und deutlich! Der ärgste Gegner von Rebellin ist und bleibt Levi Leipheimer, zumal Valverde heute ebenfalls wertvolle Sekunden verlor. Das morgige Zeitfahren könnte zwar spannend werden, aber bei einem Vorsprung von 59 Sekunden auf Lövkvist, 1’28 auf Leipheimer und jetzt sogar 1’44 auf Valverde dürfte die Operation Gesamtsieg kein Problem für Davide werden, zumal ihm das äußerst wellige Terrain entgegen kommen dürfte.

Jörg hatte sich wieder beruhigt. Also nahm dieser Nachmittag doch noch ein glückliches Ende für sein Team und vor allem für Davide. Hans dürfte sein Hemd heute mit Sicherheit wieder ordentlich durchgeschwitzt haben – bei der brenzligen Lage und dem ärgerlichen und knappen (nur 4 Punkte fehlten!) Verlust von Kohls Bergtrikot, war das absolut zu erwarten. Heute Abend würde Jörg mit Andreas telefonieren. Bis dahin würde er noch eine kurze Einheit im Kraftraum einlegen und anschließend noch ordentlich was Essen. Appetit hatte er schon jetzt auf jeden Fall.
Zuletzt geändert von Andy92 am 5.2.2009 - 21:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Andy92
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Beitrag: # 6753441Beitrag Andy92
29.1.2009 - 21:52

Kurzer Einschub:
Für spätere AAR Projekte und eventuell auch für diesen AAR noch (eventuell lasse ich darüber abstimme) möchte ich nachfragen, ob es nicht irgendein Tool oder Trick gibt, dass man im RSM die Kreise unter den Fahrern ganz ausschalten kann. Dann sähen die Screens nämlich einfach besser aus. Bitte bei mir per PN melden. Danke.
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Grabba
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Beitrag: # 6753451Beitrag Grabba
29.1.2009 - 23:27

Bereits gefühlte 37 Mal in dieser Forensektion angepriesen, aber irgendwie ist es dann doch noch immer unbekannt. Egal, ich habe das vor einiger Zeit mal gemacht, bitte sehr... ;)

Andy92
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Beitrag: # 6753535Beitrag Andy92
30.1.2009 - 17:51

Danke sehr. ;)
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Andy92
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Beitrag: # 6753651Beitrag Andy92
31.1.2009 - 20:30

Was sollte ich bloß machen? Es war Freitag Nachmittag. In gut zwei Stunden würde Jörg anrufen. Aber das war nicht das Problem. Das Telefonat, das mich vorher erwartete, lies meine Hände zittern, den Schweiß auf die Stirn treten und mich keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Noch eine Viertel Stunde, dachte ich und setzte mich auf einen Stuhl am Esszimmertisch. Ich verbarg mein Gesicht in meinen Händen und fuhr mir anschließend mit verzweifeltem Gesichtsausdruck durch die Haare. Wäre ich unter normalen Umständen auch so nervös gewesen?
Nein, auf keinen Fall. Das hier waren keine „normalen“ Umstände mehr! In meinem Inneren herrschte totaler Ausnahmezustand! Angst und Nervosität hatten die Oberhand ergriffen. Meine ganzen Träume drohten den Bach hinunter zu laufen, mir wie Sand durch die Hände zu rieseln und auf nimmer wieder sehen in den Tiefen des Universums zu verschwinden.
Ich blickte abermals auf die Uhr – es war gerade mal eine Minute vergangen und trotzdem rückte die „Deadline“ gnadenlos schnell immer näher und näher.
Der Tod war ein gutes Stichwort, dachte ich. Tod. Georg von Klavsen war tot. Er war keines natürlichen Todes gestorben, nein, meine Mutter hatte ihn aller Vorrausicht nach kaltblütig ermordet. Meine Mutter! Eine Mörderin! Ich konnte es immer noch nicht fassen. Immerhin konnte ich einen Vorteil aus der ganzen Sache ziehen. Und der war, dass ich womöglich in ein Schweizer Elitesportinternat kommen könnte – mit dem Schwerpunkt Radsport. Gegründet, gesponsert und verwaltet von Alexander Gruber – dem Sohn von Isabel von Klavsen, der Frau von Georg – ach was, die Witwe.
Und Georgs Mörderin – die saß wohl im Moment in einem Schweizer Gefängnis in Untersuchungshaft oder in einem Verhörzimmer der Schweizer Kriminalpolizei. Und ich? Ich war hier ganz alleine – zuhause. Sie hatten Mama abgeführt, ohne auch nur die Wohnung zu durchsuchen. Wahrscheinlich wussten die Beamten nicht einmal, dass die Hauptverdächtige einen minderjährigen Sohn hatte. So schnell, wie sie meine Mutter ausfindig gemacht hatten, war ihnen wohl eher nach Feiern zu Mute gewesen, als nach solchen Lappalien zu recherchieren.
Und das Schlimmste an allem war, dass es mittlerweile alle wussten. Zumindest alle, die mir lieb oder wohlgesonnen waren. Sven, Christine, deren Mutter Viktoria und was jetzt gerade im Moment, just in diesem Augenblick am schlimmsten war: Alexander Gruber. Nach seinem leiblichen Vater hatte der arme Mann jetzt auch noch seinen Stiefvater verloren. Hoffentlich hatte er ihn gar nicht gut gekannt...halt. Natürlich hatte er ihn gekannt. Isabel war doch diejenige, die sich als Geschäftsführerin des Internats vorgestellt hat – also müssen die drei doch einen guten Kontakt gepflegt haben.
Diese Gedankengänge hatte ich in den letzten vierundzwanzig Stunden schon an die hunderttausend Mal durchgespielt und jedes Mal stärkte sich der Glaube in mir, dass alles ein ganz tragisches Ende nehmen würde. Ich würde nicht ins Internat gehen können!
Das Schrecklichste wurde mir aber erst jetzt bewusst – egal wie, ich würde Sven als Freund und Christine, die ich mehr denn je so sehr liebte, verlieren. Falls ich hier bleiben müsste, würde ich die schlimmste aller distanzierenden Strafen zu einem geliebten Mädchen erfahren müssen – die seelische. Ich würde ihr jeden Tag über den Weg laufen, wie heute in der Schule, und sie würde meinen Blick und meine Nähe bis aufs Äußerste meiden – genauso wie heute – das würde ich nie im Leben aushalten können!
Ich konnte sie sogar noch verstehen. Wahrscheinlich würde ich das selbe machen, wenn die Mutter meiner Freundin meinen Vater umgebracht hätte – obwohl eine Bewahrheitung dessen im Moment das abwegigste auf der Welt zu seien schien, denn ihn, könnte meine Mutter ja theoretisch auch noch auf dem Gewissen haben, wenn mich mein Bauchgefühl nicht täuschen sollte – und würde die ganze Familie meiden, um einen sicherlich vorhanden Schock zu verarbeiten. Dummerweise war es in diesem Fall so, dass ich der einzige der Familie war, und somit alle Schande auf alleine tragen musste. Doch vielleicht würden sie irgendwann zu der Einsicht kommen, dass mich überhaupt keine Schuld traf und ich Katharina Wagner ebenso hasste, wie die von Klavsens selbst. Allerdings könnte das sehr lange dauern und falls ans Licht kommen würde, dass ich schon seit über einer Woche über alles Bescheid wusste, dann wäre das für eine Versöhnung mit Sicherheit äußerst kontraproduktiv...

Das Klingeln des Telefons riss mich aus meinen Gedanken. Sofort schnellte mein Puls in die Höhe. Mit schweißnassen Händen griff ich zum Hörer.
„Andreas Wagner“, meldete ich mich wie gewohnt.
„Guten Abend. Alexander Gruber hier. Meinen Anruf haben Sie sicherlich schon erwartet, nehme ich an“, meinte die freundliche, helle Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung. Obwohl sich Gruber sehr viel Mühe gab, konnte man seinen Schweizer Dialekt deutlich heraushören.
Doch welch Ironie in seiner Äußerung! Natürlich hatte ich seinen Anruf erwartet, aber nicht aus den Gründen, welche er mit dieser herzlichen Begrüßung ausdrücken wollte. Dennoch war das natürlich ein gutes Zeichen, was meinen Puls zwar verlangsamte, doch mein Herz hämmerte jetzt umso fester und durchdringender gegen meine Brust. Es hätte mich nicht gewundert, wenn Herr Gruber die Schläge gehört hätte.
„Sicherlich“, antwortete ich und versuchte bei meinen Antworten möglichst souverän zu klingen. „Ihr Angebot ermöglicht mir natürlich auch eine großartige Chance für meine berufliche Zukunft. Außerdem wäre es eine Ehre für mich, unter ihrer Aufsicht und Leitung Radrennen zu bestreiten und natürlich auch zu trainieren.“
Das war es tatsächlich. Am Montag hatte ich mich im Internet über das für mich vorher völlig unbekannte Schicksal des Alexander Grubers kundig gemacht und staunte nicht schlecht, welches Potential dieser Junge einst hatte und Trainingstechnisch gesehen, wohl auch noch inne hat.
„Das hört sich doch schon mal prima an! Ich würde gleich mal vorschlagen, dass wir uns ab sofort duzen. Ich denke meinen Vornamen, Alexander, kennst du bereits. Wenn du willst können wir das ganze bei deiner Ankunft bei uns auch gleich gebührend feiern.“
Damit zauberte er mir ein Lächeln auf die Lippen. Nicht nur das Wort „Ankunft“, sondern auch die persönliche Art und Weise, wie Alexander mit mir umging, war es, die mich sukzessive beruhigten – abgesehen von der überaus treffenden Einladung zu einem Tropfen Alkohol.
„Das heißt Sie – ähm, du nimmst mich auf?“, stieß ich unwillkürlich hervor und vergaß völlig meinen Vornamen zu nennen – aber den dürfte er ja mittlerweile auch schon kennen.
„Na klar – denkst du, so ein Talent überlasse ich der Konkurrenz?“, lachte er. „Nein, nein. Außerdem denke ich, dass du nach den ganzen Schicksalsschlägen der letzten Monate eine positive Nachricht gebrauchen kannst.“
„Was meinst du damit?“ Wusste er vom Tod meines Vaters? Oder sogar von der Rolle meiner Mutter, die sie im Fall Georg von Klavsen spielte?
„Also, ich will ja nicht gefühllos erscheinen, aber ich habe gleich aus mehreren Quellen erfahren, dass dein Vater im September auf tragische Art und Weise ums Leben kam. Für mich persönlich, überschatten die aktuellen Ereignisse aber natürlich alles. Gestern Abend habe ich erfahren, dass die Polizei deine Mutter als Hauptverdächtige im Mordfall meines Stiefvaters festgenommen hat – aber das weißt du mit ziemlicher Sicherheit schon. Jedenfalls wäre es absolut vermessen, dich für die Taten deiner Mutter zu bestrafen, nur weil der Mensch nun mal in bestimmte Richtungen denkt – und außerdem ist ja noch gar nichts bei der ganzen Sache rausgekommen. Wenn ich jüngsten Berichten Glauben schenken darf, dann kommt sie schon bald wieder frei – aufgrund Mangels an Beweisen. So weiß aussieht findet man den Mörder meines Stiefvaters wohl nie. Es ist genauso wie bei der Sache mit meinem leiblichen Vater vor ach so vielen Jahren. Und da wären wir beim Punkt: Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich im Moment ziemlich durcheinander bin, aber ich sehe deutliche Parallelen zwischen meinem und deinem Leben. Wenn ich das so sagen darf, dann haben wir beide in Sachen Familie ein schlechtes Blatt bekommen und Sachen Radsport ein Gottesgeschenk. Ich werde alles dafür tun, dass dir nicht das selbe passiert wie mir!“
Ich war völlig perplex. Meine Mutter frei? Alexander Gruber war wohl tatsächlich völlig mitgenommen. Normalerweise würde sich kein Mensch am Telefon vor eigentlich wildfremden Leuten dermaßen öffnen. Ich wusste gar nicht was ich sagen sollte. Stattdessen schluckte ich betont laut, damit man es am anderen Ende der Leitung auch hören konnte. Zum Glück erzielte es seine gewünschte Wirkung perfekt.
Alexander gelang der Übergang zum formalen Teil des Telefonats besser, als es mir selbst je in den Sinn gekommen wäre. Er schaffte es irgendwie, dem Gespräch die Sachlichkeit zurück zu erlangen, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Wir klärten alles vom Abreisezeitpunkt über den „Vertrag“, den meine Mutter dann auch hoffentlich mit unterschreiben würde, bis hin zur Zahnbürste, die ich auf jeden Fall mitbringen müsste.
Von diesem Tage an bezog Alexander Gruber in meinem Kopf eine Art Gottstatus. Er war intelligent, clever und hatte stets gute Absichten, das spürte ich einfach. In dem Punkt hatte mir meine Mutter in den letzten Wochen so einiges beigebracht – leider. Und so wie es aussah, würde sie schneller als erwartet, wieder auf freiem Fuße stehen. Mir wurde bei dem Gedanken richtig übel, dass ich der einzige Mensch war, der über ihre schlimmsten Geheimnisse Bescheid wusste...


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Der Standort des Internats: Gersau...

...am malerischen Vierwaldstädtersee gelegen.
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Mor!tz
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Beitrag: # 6753652Beitrag Mor!tz
31.1.2009 - 21:20

Schön, dass es hier weitergeht. Nach wie vor finde ich deine Geschichte echt spannend, ich freu mich schon darauf zu erfahren, wie es weiter geht.

Ich hatte mich schon gefreut und gedacht, es gigt gleich 2 Neue Beiträge, aber dann waren es ja leider doch zwei gleiche... :)

Andy92
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Beitrag: # 6754215Beitrag Andy92
5.2.2009 - 21:43

Im Fall Georg von Klavsen sollte es zwischen allen Beteiligten, sei es der Staatsanwalt die Verdächtige oder die Angehörigen, kein Zusammentreffen vor Gericht geben. So viel stand fest. Aber nicht nur das. Der Fall sollte ein für alle mal zu den Akten gelegt werden. Zu unsicher waren die Beweise in dieser Sache.
Am Freitagabend klappte Pierre Besson die dünn gebliebene Mappe mit einem missmutigen und mulmigen Gefühl zu. Ein für alle Mal? Er war sich nicht sicher. Irgendetwas sagte ihm, dass hier doch noch nicht das letzte Wort gesprochen war. Jedenfalls war die Lage im Moment zu undurchsichtig, als dass man klare Schlüsse aus der Beweislast gegen Katharina Wagner ziehen konnte. Beweislast traf es nicht ganz: Pierre nannte die kleine Ansammlung von Daten – das Video der Seilbahn und die Affäre zwischen ihr und dem Toten – liebevoll „Nichts“.
Im Grunde genommen war es nicht nichts, aber es war auch bei weitem nicht so viel, als dass der Staat eine Anklage erfolgreich gegen Katharina Wagner vor Gericht durchdrücken könnte. Seltsamerweise war sie es selbst gewesen, die heute Nachmittag alle Zweifel an ihrer Unschuld verwischt hatte. Pierre und Tanja waren sich sicher, dass das Auftreten ihrer Hauptverdächtigen keine Schauspielerei gewesen sein konnte. Unter Tränen und mehr als das, gestand sie, dass sie mit Georg von Klavsen eine Liebschaft eingegangen war. Das entscheidende in Pierres Augen war, dass sie seit 5 Monaten Witwe war. Dennoch hatte sie ihm glaubwürdig versichern können, dass sie Georg nicht als ihren Rettungsring ansah, an dem sie sich krampfhaft festklammerte. Da niemand anderes das Gegenteil bezeugen konnte – die beiden hatten ihre Liebe nahezu perfekt geheim halten können – schied auch die Möglichkeit aus, dass sie von Klavsen aus Frust über eine nicht auf Gegenseitigkeit beruhende Liebe hätte umbringen können. Sie schilderte den Zwischenfall an der Felswand natürlich als Unfall:
Sie stand aufwärts des Weges auf einem Felsen und machte ein Foto von ihrem Geliebten, der wenige Meter von der Abbruchkante entfernt vor einer Bergkulisse im Hintergrund posierte. Und dann kam der Abschuss: Erleichtert präsentierte ihnen Katharina Wagner das Foto mit ihrem Handy. Es zeigte zweifelsfrei die Stelle, wo Pierre und Tanja wenige Tage zuvor ermittelt hatten. Sie erzählte dann weiter, dass sie Georg dann aus den Augen verlor, weil sie das Foto sofort auf dem Display betrachtete – als sie wieder aufblickte, war er verschwunden. Spurlos verschwunden. Auch war sonst niemand anderes in der Gegend gewesen, als dass ein anderer Georg in die Tiefe gestürzt hätte – nein, es deutete letztendlich alles auf einen Unfall hin. Vielleicht war er gestolpert, nach hinten getaumelt und schließlich in die Tiefe gestürzt. So etwas kann schneller geschehen als man denkt!
„Und er hat nicht einmal geschrieen oder um Hilfe gerufen?“, hatte Pierre sofort gefragt.
„Ich weiß es nicht mehr – der Schock danach, war viel zu groß! Ich weiß auch nicht, wie weit er von dem Abgrund entfernt stand – ich hab auch gar nicht versucht ihn zu suchen – er war ja weg, einfach weg! Sie können sich gar nicht vorstellen, welche Angst ich bekommen hab! Da würde jeder Mensch so schnell wie möglich davon laufen! Sie auch!“
Das war einleuchtend. Die Frau wand sich wirklich äußerst geschickt aus der ganzen Sache raus – vielleicht sprach sie ja aber auch tatsächlich die reine Wahrheit. Pierre konnte das Gegenteil nicht beweisen. Auf dem Foto war auf jeden Fall festzustellen, dass sich Georg von Klavsen der Abbruchkante bis auf zwei Meter genähert hatte. Unwillkürlich dachte Pierre, dass solch ein Leichtsinn wohl sofort bestraft werden müsste.
Katharina Wagner hatte ihn also überzeugen können. Daran würde auch eine Aussage ihres Sohnes nichts ändern. Es war ausgerechnet der Junge, der das U17-Radrennen auf den Ächerlipass so eindrucksvoll gewonnen hatte. Ausgerechnet der! Damit kam Pierre überhaupt nicht klar. Aber noch weniger erfreute es ihn, als Andreas Wagner eine Aussage in diesem Fall verweigerte – sogar mit einem psychologischen Artest. Anscheinend nahm ihn die ganze Sache mit seiner Mutter als potentieller Mörderin und das in Verbindung mit dem Tod seines Vaters sehr mit. Dadurch war es leider sein gutes Recht, die Aussage zu verweigern und vielleicht für immer zu schweigen.
Vielleicht wuchsen die Gewissensbisse in Pierres Kopf auch nur deshalb unaufhörlich weiter, als er die Akte im Archiv verstaute und nachdenkend in sein Büro zurückwanderte. Normalerweise schloss er mit seinen Fällen genau in diesem Moment entgültig ab, aber bei diesem nicht. Gut, bisher hatte er auch jeden Fall einwandfrei gelöst. Bei diesem hier war sowieso alles ganz anders – so verzwickt. Es wäre wohl wirklich am besten, diese Geschichte erst einmal ruhen zu lassen und sich anderen Dingen zu widmen – da gab es ja noch das Problem mit Tanja...
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Andy92
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Beitrag: # 6754359Beitrag Andy92
6.2.2009 - 23:51

Ich konnte die Schule sofort wechseln – alle Formalitäten waren geklärt. Im Grunde genommen hielt mich hier nichts mehr. Mein Heimatort lag mir zwar schon am Herzen, aber es sollte ja auch kein Abschied für immer sein. Wenn ich mich aber recht besann, dann kotzten mich die verdruckten Schwaben schon ein wenig an. Wie sie einen bei jeder Trainingsausfahrt angafften, als wäre man ein Jahrhundertphänomen. Ein wenig froh war ich schon, jetzt zu einem etwas aufgeschlosseneren Volk zu stoßen – den Schweizern.
Dieser Schritt sollte ein weiterer Meilenstein in die Selbstständigkeit werden – ein ganz großer sogar. Im letzten Jahr hat mich das Schicksal sosehr abgehärtet und mich so viel gelehrt wie noch nie. In den letzten Monaten hab ich mehr Lebenserfahrung erlangt, als in meiner ganzen Schulzeit. War ich zuvor noch relativ schüchtern, so hatte ich mittlerweile eine gehörige Portion Selbstbewusstein getankt und Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten errungen. Auch mit meinen Mitmenschen sprang ich besser um als je zuvor. Die Not hat aus mir einen zielstrebigen jungen Mann geschmiedet. Ich würde aber nicht sagen, dass hier das Sprichwort „In der Not frisst der Teufel Fliegen“ zugreift. Der Schmerz über den Verlust meines Vaters hat mich auch nicht direkt abgehärtet. Viel mehr entwickelte sich das über die Wochen hinweg. Ich wusste sofort, dass ich ab sofort sehr viel Eigenverantwortung übernehmen musste um im Leben voran zu kommen. Und der Eintritt ins Internat von Alexander Gruber war der krönende Abschluss des ganzen. Schon morgen sollte es losgehen. Die Koffer waren bereits gepackt.
Und dennoch hatte ich ein schlechtes Gewissen hier alles und jeden einfach so zu verlassen – sich still und heimlich aus dem Staub zu machen, als würde ich etwas verbergen wollen. Das wollte ich tatsächlich. In der Nähe meiner Mutter, die in den letzten Jahren wohl eine Intrige nach der anderen gesponnen hatte, konnte ich keinen Tag länger verweilen. Ich musste hier weg! Und zwar so schnell wie möglich! Ich wollte nicht einmal nach einer Aussprache suchen. Denn da gab es nichts. Es war sinn- und zwecklos. Außerdem wollte ich mich endlich ihrer Kontrolle entziehen. Seit sie mir ihr schreckliches Geheimnis offenbart hatte, spürte ich tagtäglich, wie sie mich zu manipulieren versuchte. Als könnte sie mich hypnotisieren. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass meine Gedanken in ihrer Gegenwart blockiert wurden – vor allem dann, wenn sie direkt vor mir stand und noch schlimmer war es, wenn ich mit ihr sprach und ihr dabei in die Augen blicken musste. Ich wollte endlich wieder einen klaren Gedanken fassen können – eine seelische Auszeit von all den Problemen und all dem Chaos nehmen.
Und dennoch wuchs stetig das Unbehagen in mir, dass sie mir etwas antun könnte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass diese kranke, verabscheuungswürdige und trotzdem hochintelligente Frau den einzigen Beweis ihrer Schuld in einem Mordfall so einfach fort schicken würde, damit er jeden Respekt vor ihr verlieren könnte. Eventuell glaubte sie ja auch, dass sie mich mit dem Internat besänftigen konnte – aber da unterschätzte sie mich gewaltig! Ich hatte den Entschluss gefasst – und da war ich absolut überzeugt – dass ich, am besten direkt an meinem achtzehnten Geburtstag zur Polizei gehe und meine Mutter ein für alle Mal hinter Gitter bringen werde. Sobald ich das geschafft haben sollte, würde ich die Suche nach meinem Vater beginnen – oder sollte ich das schon früher? Es wäre wohl angebracht. Ich hatte ja keine Ahnung, wie viel Zeit mir noch zur Verfügung stand, um ihn zu finden. Möglicherweise war er schon längst in irgendeinem Loch jämmerlich krepiert – nein! So durfte ich nicht denken! Es bestand Hoffnung! Meine Mutter hatte mir ja den besten Beweis dafür gegeben, dass er noch lebt.

Das einzige was mich noch hier hielt, war der Streit zwischen mir und den von Klavsens. Sven und Christine hatten mich auch die vergangene Woche über fast komplett ignoriert. Das einzig positive aus dieser Woche war einmal mehr der Radsport – und hier ganz speziell das Team Gerolsteiner und sein Superstar Davide Rebellin! Letzten Samstag hatte er seinen Vorsprung im Abschlusszeitfahren der Baskenlandrundfahrt souverän verteidigen können und heute Nachmittag das Amstel Gold Race so klar und deutlich gewonnen, wie kaum jemand in den letzten Jahren. Direkt am Fuße des Caubergs hatte er aus der Gruppe der verbliebenen Favoriten aus dem Windschatten vom Vorjahressieger Schumacher attackiert, der den Angriff perfekt vorbereitete und bereits ein kleines Loch zwischen sich und die Verfolger gerissen hatte. Und dann war Rebellin aus dem Sattel gegangen und hatte unwiderstehlich durchgezogen – mehrere Sekunden hatte er zwischen sich und dem Rest des Feldes gelegt. Mal sehen ob diese Dominanz auch am Mittwoch beim wallonischen Pfeil und am nächsten Sonntag bei Lüttich-Bastogne-Lüttich anhält. Mich würde es freuen.

Aber zurück zu den von Klavsens. Viktoria und Sven schienen in den letzten Tagen doch noch eher etwas zur Vernunft gekommen zu sein als Christine. Mittlerweile standen sie mir relativ neutral gegenüber. Zu einem „Hallo“ hatte sich Viktoria immerhin schon durchgerungen – und Sven hatte es sogar auf einen vollständigen Satz gebracht. Mit ihm würde ich mich sicherlich schnell wieder verstehen können – wir waren nun mal mittlerweile richtig gute Freunde. Und echte Freunde müssen sich auch in der größten Not nun mal vertrauen und verstehen können. Das sollte er aber auch wirklich, denn höchstwahrscheinlich werde ich mit ihm in den nächsten Wochen ein Zimmer teilen! Er würde morgen nämlich gleich mitfahren – das würde eine lange Autofahrt geben, um sich alles zu sagen, was einem auf dem Herzen liegt.
Seine Schwester hingegen würde ich wohl hier zurücklassen müssen. Ich musste zugeben, dass ich das Interesse an ihr mittlerweile fast schon verloren hatte. Sie zeigte mir auf eine schreckliche Art und Weise Tag für Tag, dass sie meine Gegenwart nicht verkraftete. Ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen sollte. Es hatte absolut den Anschein, dass sie mich zu hassen schien. Gut, ich mochte sie schon immer noch und mein Herz schlug ja auch immer noch ein wenig schneller, wenn ich bloß an sie dachte, aber trotzdem wusste ich nicht, ob ich diesen Zustand noch länger ertragen könnte.
Und deshalb beschloss ich, noch heute Abend zu ihr zu gehen. Ich wollte mit ihr reden. Vielleicht hätte ich das schon viel früher tun sollen. Möglicherweise war es jetzt bereits zu spät und ich hatte sie verloren.

„Oh, was willst du denn?“, begrüßte sie mich mit angewidertem Gesicht, als sie die Haustüre öffnete. Sofort rutschte mir mein Herz vor Enttäuschung in die Hose.
„Christine, ich bin nur gekommen, um mal mit dir ein paar vernünftige Worte zu wechseln. Könntest du solche Bemerkungen also bitte lassen?“
Sie seufzte. „Ich werd’s versuchen....und?“
„Ich versteh nicht so ganz, was du eigentlich plötzlich gegen mich hast“, fing ich an, doch das schien einmal mehr in solchen Dingen die falsche Entscheidung gewesen zu sein. Sofort sprudelten aus ihr die Worte heraus, als ob es einen gewaltigen Rohrbruch gegeben hätte.
„Das verstehst du nicht?! Deine Mutter hat meinen Vater umgebracht – glaub mir, ich spüre, dass es stimmt – auch wenn die Polizei etwas anderes glauben will! Verfahren eingestellt! Hallo?! Wo sind wir denn? Die Beweise sind doch eindeutig!...Und dann auch noch die Affäre zwischen den beiden! Erzähl mir ja nicht, dass du nichts davon wusstest!“ Ihre Stimme bebte.
„Ähm. Natürlich wusste ich nichts davon, wie auch? Es wusste ja keiner was“, entgegnete ich. Leider schien ich damit aber alles nur noch zu verschlimmern.
„Andreas – hör mir zu. Wir sind jung, ja? Du bist ja ganz süß, aber ich liebe dich nicht so sehr, als könnte ich mit dir durchs Feuer gehen. Im Grunde genommen war es doch nur ein Teenagerflirt. Gut, für dich war ich wohl die erste Liebe. Deshalb konnte ich es dir ja auch nicht einfach so ins Gesicht sagen und hab gewartet bis du selbst auf mich zukommst...Damit hatte ich eigentlich schon sehr viel eher gerechnet. Aber anscheinend hast du einfach nur Angst vor meinem Urteil gehabt. Und das fällt jetzt nun mal ziemlich heftig aus – so Leid es mir tut, aber mit uns ist es vorbei!“ Das letzte was ich von ihr sah, waren ihre wässrigen Augen, dann fiel die Haustüre krachend ins Schloss. Es herrschte Stille.
Ich stand mindestens zwei Minuten einfach nur da und starrte in die Leere. Ich wusste nicht mehr wo oben und unten war. Mein Hals schmerzte sehr, als ich tief schlucken musste. Am liebsten hätte ich jetzt angefangen zu weinen, so sehr trafen mich ihre Worte.
Komm schon, so hübsch war sie jetzt auch nicht – und so cool auch nicht gerade – überlasse sie doch der Konkurrenz. Die sollen sich die Zähne an ihr ausbeißen – es ist vorbei, sieh es ein!, dachte ich und machte mich langsam Schritt für Schritt und immer noch mit durchsichtigem Blick auf den Nachhauseweg. Trotz aller Hoffnung und Schönredens, war diese Aktion mal wieder eine einzige Enttäuschung gewesen. Aber wenigstens hatte ich jetzt mit dem Kapitel hier ein für alle mal abgeschlossen...


Da kam Sven die Treppe herunter. „Wer war das?“, rief er und kam um die Ecke. Sie musste für ihren Bruder wohl ein kläglicher Anblick sein, denn sofort als er sie sah, versteinerte sich seine Miene und die Farbe wich aus seinem Gesicht. Er trat sofort neben sie.
Sie kauerte tränenüberströmt am Boden vor der Haustüre. Ihre Beine hielt sie fest an sich geklammert. Es war wohl wirklich jämmerlich. Aber eigentlich war ihr ihr Aussehen gerade völlig egal. Sie hatte es hinter sich gebracht. Sie hatte Schluss gemacht. Doch jetzt kamen Zweifel in ihr auf. Gewissenbisse noch dazu – und Mitleid. Hatte sie das richtige getan?
Zuletzt geändert von Andy92 am 7.2.2009 - 15:59, insgesamt 1-mal geändert.
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Mor!tz
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Beitrag: # 6754372Beitrag Mor!tz
7.2.2009 - 9:36

Schön dass es wieder weitergeht. An sich ein toller Beitrag, Aber:
Andy92 hat geschrieben:Ich musste zugeben, dass ich das Interesse an ihr mittlerweile fast schon verloren hatte. Sie zeigte mir auf eine schreckliche Art und Weise Tag für Tag, dass sie meine Gegenwart nicht verkraftete. Ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen sollte. Es hatte absolut den Anschein, dass sie mich zu hassen schien. Gut, ich mochte sie schon immer noch und mein Herz schlug ja auch immer noch ein wenig schneller, wenn ich bloß an sie dachte, aber trotzdem wusste ich nicht, ob ich diesen Zustand noch länger ertragen könnte.
Dieser Teil will mir irgendwie nicht so recht in den Kopf. Es kommt für mich nicht klar rüber, ob er sie jetzt noch liebt, oder nicht. Erst will er eigentlich nichts mehr von ihr wissen und dann hat man wieder das Gefühl, er wollte sie auf keinen Fall verlieren:
Andy92 hat geschrieben:Vielleicht hätte ich das schon viel früher tun sollen. Möglicherweise war es jetzt bereits zu spät und ich hatte sie verloren.
Sein Gefühlskonflikt kommt irgendwie nicht klar rüber.

Ich hätte es auch besser gefunden, wenn er sie weiterhin liebt und todtraurig über ihre Trennung ist, aber dass ist deine Entscheidung.

Was mich noch stört, ist dass beim letzten Absatz nicht ganz klar wird, dass du die Perspektive änderst. Ich hab mir erst überlegt, woher Andreas dass wissen kann, die Tür ist doch zu. Erst dann wurde mir klar, dass du in die Perspektive von Christine gewechselt hattest. Vielleicht hättest du das noch irgendwie besser voneinander trennen können.

Trotzdem bis ich sehr gespannt darauf, wie es weitergeht. Ich gebe mal keine Prognose ab, aber ich denk mir meinen Teil...

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Fabian
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Beitrag: # 6754424Beitrag Fabian
7.2.2009 - 15:56

Ich kann ja nicht wirklich aus eigener Erfahrung reden, aber ich gehe schon davon aus, dass man erstmal ein wenig Abstand von der betreffenden Person kriegen will, wenn man eine solche Abfuhr erhält. Ich denke, ein solches Erlebnis kann die Liebe, auch wenn sie doch noch da ist, zumindest vorübergehend "ersticken". Aber ich bin ja auch kein Psychologe ;) Die Beschreibung der Situation und der Gefühle finde ich aber sehr gelungen.

Andy92
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Beitrag: # 6754426Beitrag Andy92
7.2.2009 - 16:04

@ Moritz:
Kann es leider nur optisch voneinander trennen - das heißt, ich hab jetzt zum größeren Zeilenabstand auch noch "..." hinzugefügt.
Zum Gefühlskonflikt: Der kommt eigentlich gerade wegen den extremen Widersprüchen in seinem Monolog ganz deutlich rüber.

@Fabian: Sorry, aber irgendwie versteh ich grad nicht, was du sagen möchtest.

Auf jeden Fall danke ich euch beiden für die Aufmerksamkeit, die ihr dem AAR schenkt.
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vino 12
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Beitrag: # 6754461Beitrag vino 12
7.2.2009 - 21:13

Mir gefällt die Geschichte immer noch sogut wie am Anfang (oder sogar noch viel besser?! wenn das überhaupt möglich ist). Und ich bin gespannt wie es weiter geht.

Andy92
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Beitrag: # 6754465Beitrag Andy92
7.2.2009 - 21:33

Danke vino.

Zum Abschluss dieses Kapitels (ab sofort immer) ein Update im Beziehungsschema auf der ersten Seite.
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Mor!tz
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Beitrag: # 6754496Beitrag Mor!tz
8.2.2009 - 10:39

Das leere Feld ganz oben lässt Spannung erahnen...

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Grabba
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Beitrag: # 6754572Beitrag Grabba
8.2.2009 - 17:36

Nach wie vor ganz, ganz toll sind deine Landschaftsbeschreibungen. Die alleine heben deinen AAR schon von vielen anderen ab. Bitte so aufrechterhalten!

Die Aufbereitung des Mordfalls gefällt mir auch sehr gut. Es ist alles Andere als oberflächlich oder plump, ganz im Gegenteil, es ist echt gut in die Story integriert. Aber es ist auch nicht zu komplex, nicht zu tiefgehend, als dass man dem Ganzen nicht folgen könnte. Ideal gelöst, würde ich sagen.

Wie du die Ergebnisse der Radrennen einbringst gefällt mir auch. Wobei du Dingen wie Bergtrikots o.ä. meines Erachtens etwas zu viel Bedeutung zukommen lässt. Egal. Was ich als Ergebnisfanatiker mir aber wünschen würde wären ein paar mehr Platzierungen. Zweiter und Dritter beim AGR z.B.

Etwas zum Beitrag zur Suche nach Georgs Leiche: Was mir hier missfällt ist der Perspektivwechsel an einer Stelle. Erst wird alles nur aus Pierres Sicht beschrieben. Dann aber plötzlich bist du in Tanjas Kopf um alles aufzudecken und zu erklären. Das ist in doppelter Hinsicht unschön, erstens wegen Stilbruch durch Perspektivwechsel und zweitens weil dem Leser so jeglicher Freiraum zum selbst überlegen genommen wird. Viel eleganter wären Mutmaßungen von Pierre gewesen, und Tanjas Gedanken subtil angedeutet durch ihr Verhalten und ihre Worte. Das ist natürlich ultraschwer, aber wir wollen uns ja verbessern. ;)
Beim letzten Beitrag kommt etwas Ähnliches. Der Perspektivwechsel am Ende hätte nicht sein müssen. Auch hier war das meiste dieser Gedanken bereits zuvor klar, und es hätte auch schöner rübergebracht werden können. Denke ich.

Insgesamt aber wirklich sehr gut. Du hast ein schönes Niveau erreicht, die Geschichte ist richtig gut. Was dir jedoch noch nicht wirklich gelingt, ob bewusst oder unbewusst, ob gewollt oder ungewollt, ist es, mich als Leser wirklich zu ergreifen, mir Tränen in die Augen zu treiben, oder wirkliche Spannung aufzubauen. Trotz allem insgesamt wirklich wunderbar, was du hier schreibst! :)

Andy92
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Beitrag: # 6754577Beitrag Andy92
8.2.2009 - 17:58

Danke Grabba - vor allem für die Verbesserungsvorschläge.
Was ich aber noch sagen möchte: Der Perspektivwechsel ist wichtig *Zwinker* *Zwinker*. Überlegt euch mal aus wessen Sicht ich jetzt die Rennen von Andreas (wenn er dann Profi ist) noch verfolgen kann und welche Gefühle die jeweilige Person dabei hat. So lässt das natürlich noch viele Möglichkeiten offen, ohne, dass es so aussieht, als wäre das einem noch später beim Schreiben eingefallen. Der Wechsel ist mir zwar nicht so ganz gelungen, muss ich zugeben, aber auf den Inhalt kommts da an. Ich denke echte Dramen- und Romankenner wissen was ich meine.
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Grabba
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Beitrag: # 6754578Beitrag Grabba
8.2.2009 - 18:06

Es ging ja nicht darum, dass du die Perspektive an sich verwendest; das finde ich völlig in Ordnung. Aber dass es mitten im Beitrag aus heiterem Himmel fällt finde ich unschön. Hätte ja völlig gereicht, sie "bei Bedarf" einzuführen. Aber ist ja auch nur ein Detail.

Andy92
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Beitrag: # 6754581Beitrag Andy92
8.2.2009 - 18:13

Hm, auf welchen Wechsel beziehst du das jetzt? Auf den zwischen Tanja und Pierre, oder auf den im letzten Teil?
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Grabba
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Beitrag: # 6754603Beitrag Grabba
8.2.2009 - 19:57

Auf den im letzten Teil. Den bei Pierre und Tanja fand ich völlig unnötig, und der hier (dessen Notwendigkeit ich ja durchaus einsehe) hätte doch besser an anderer Stelle durchgeführt werden sollen. Aber egal, war ja auch nur als gut gemeinter Hinweis für die Zukunft gedacht.

Andy92
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Beitrag: # 6754640Beitrag Andy92
8.2.2009 - 21:48

Ja passt schon. Aber um den Hinweis für die Zukunft noch besser aufzufassen, muss ich halt wissen, welche Stelle du mit welcher Aussage konkret gemeint hast. ;)
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