Jerdona Zeres [Vuelta 2007 - beendet]

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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arkon
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Beitrag: # 302853Beitrag arkon
5.9.2005 - 22:39

2. Juli 2005
Irgendwo im Baskenland...

Jerdona blickte überrascht auf die Zeitung. Der 2. Juli? Es war erst... er musste kurz rechnen... 4 Tage her seit dem Gespräch? Er konnte es kaum sagen. Die Zeit war aus seiner Perspektive gewichen. Er legte die Zeitung zurück in den Zeitschriftenständer. Er ließ sich eine Cola anschreiben, die er auch gleich gierig trank. Langsam fuhr er mit seinem Fahrrad über den Marktplatz vom Kiosk hinüber zu einer Bank am Brunnen. Erschöpft setzte er sich.
Erst nach einigen Minuten, er war in der Zwischenzeit im Kopf nocheinmal über seinen Trainingsplan gegangen, fiel ihm auf, das er noch nicht einmal die Schlagseite auf der Titelseite gelesen hatte. Naja, gelesen hatte er sie, aber die Wörter hatten nie wirklich den Weg in seinen Kopf hinein gefunden. In diesem schien es nur Platz für Räder, Speichen, Ritzel, Pedale, Puls, Blutdruck, Wasser, Schlafen und sonst nur wenig anderes zu geben. Eine Weile überlegte er, ob er nicht doch ein wenig mehr von der Welt ausserhalb dieser Bergdörfer wissen wollte oder sollte. Irgendwann würde er doch zurückmüssen....
Er hatte sich direkt nach dem Gespräch mit der Teamleitung, bei dem er die Zulassung für die Vuelta bekommen hatte, sein Fahrrad und ein paar Ersatzteile geschnappt und war in seine Heimat gefahren, in das Baskenland. Genau genommen war er nicht DORTHIN gefahren, sondern nur an einen anderen Punkt, aber für ihn war es das eintauchen in eine völlig andere Welt. Die Teamzentrale mit all den Leuten, Technikern, Medizinern, Fahrern, war ihm zu wuselig. Dort ging alles seinen geregelten Gang, die Maschinerie lief perfekt. Das Baskenland, welches er hier draussen fand, war etwas völlig anderes. Obwohl er nicht wirklich an dem Leben der einfachen Leute hier teilnahm, vermittelte schon alleine das Fahren durch die Strassen, die Berge, die Felder, die Täler, einen völlig anderen Touch. Es war einfach nicht das selbe.
Plötzlich fiel ihm auf das ja augenblicklich die Tour lief. Hatte sie schon angefangen, stand der Prolog noch aus? Er hatte die genauen Termine nicht mehr im Kopf, es gab schließlich wichtigeres. Leicht amüsiert über seine Abgeschiedenheit dachte er daran, wieviele der Dorfbewohner wohl Tag für Tag vor den Fernsehern in irgendwelchen Dorfkneipen hingen und den wenigen Basken im Fahrerfeld die Daumen drückten. Für sie war es wohl mehr ein aufwärmen für die Vuelta, aber trotzdem erklärte es, warum nachmittags die Strassen so leer waren. Es war keine verlängerte Siesta, es war das Radsportfieber, welches wieder grassierte. Grinsend schwang er sich wieder auf sein Rad. Alle schauten nach Frankreich, nur er, der in ein, oder aber sicher in zwei Jahren selbst dort fahren würde, ignorierte die Radsportwelt vollkommen.
Er klickte in die Pedale ein, schaltete ein wenig hin und her und rollte abwärts durch den Ort, auf der Suche nach dem nächsten Anstieg. Er hatte sein Pensum noch nicht erfüllt. Wie sah es wohl gerade bei seinen Teamkameraden aus?

Es war schon fast Abend, als Jerdona schließlich nach Hause kam. Er hatte sich in ein Hinterzimmer eingemietet, weil er Distanz von seiner Familie brauchte. Bei seinen Eltern wurde er zwar bekocht und bekam seine Trainingssachen gewaschen, aber er konnte sich nicht ganz so asketisch auf den Sport konzentrieren. Seufzend schmiss er den Helm in die erste freie Ecke, dich sich zeigte und schlurfte in die Küche, wo er ein paar Nudeln aufsetzte. Er hatte nur noch 1 Kilo, musste also wohl wieder morgen einkaufen gehen. Eigentlich war er ganz froh, das es unter Radsportlern Mode war, sich sehr einseitig zu ernähren. Die Nahrungsergänzungsmittel des Teamarztes schafften ihm ein reines Gewissen und so aß er morgens, mittags, abends Nudeln. Grinsend fragte er sich, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hatte, das Radsportler mit dieser Diät nicht klar kamen. Er sparte sich so eine Menge Arbeit und...
sein Handy piepste. Hätte er das verdammte Ding doch zu Hause, wo immer das auch war, gelassen. "Ja?" Meldete er sich ein wenig genervt.
Er blickte auf den Nudeltopf. Die nächsten 10 Minuten sagte er recht wenig. Das Wasser kochte hoch und brodelte über den Rand des Topfes. Jerdona lauschte immer noch gespannt. Plumpsend fiel er auf einen Stuhl. Das Wasser verkochte langsam, die Nudeln auch. Das Tuten, welches das Ende des Gespräches verkündete, hatte schon längst aufgehört.
Er war wieder solo.
Obwohl er es hätte kommen sehen müssen, traf es ihn hart. Wann hatte er das letzte Mal mit Anna gesprochen? Es mussten jetzt... 4 Tage her sein? War es sogar vor seinem Gespräch mit der Teamleitung gewesen? Sie hatte das letzte Mal vor Wochen richtig mit ihm gesprochen, hatte sie ihm gerade erzählt. Wann hatten sie das letzte mal miteinander geschlafen? Auch das wusste er nicht. Sie schon. Es war 12 Juni gewesen. Klar würden sie sich selten sehen. Klar hatte er neben dem Radsport kaum Platz in seinem Leben. Klar bräuchte er eine Stütze, eine feste Beziehung zum Leben ausserhalb des Sportes. Aber sie hätte sich ausgenutzt gefühlt, nicht wahr genommen. Und sie hatte Recht. Wann hatte er das letzte Mal an sie gedacht? Während er den Topf vom Herd riß, die Tränen zischend auf dem Herd verdampften, musste sich eingestehen, das er schuld war. Das er sie nicht verdient hatte. Er hatte es versaut. Und mit Fehlern zu leben fiel ihm schwer.

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arkon
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Beitrag: # 302858Beitrag arkon
5.9.2005 - 22:43

bevor sich einer zu früh freut: ich bin noch nicht zurück. aller voraussicht nach werde ich am 1. oktober in mein neues trautes heim einziehen, aber bis ich dort internet habe und im stürmischen berlin zeit finde, mich auf so etwas banales zu konzentrieren, steht in den sternen. für den moment kann ich nur sagen, das mir das schreiben unheimlich spass macht und der aar davon wohl weiter leben wird (müssen).

danke fürs reinschauen

arkon

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shadow
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Beitrag: # 303184Beitrag shadow
6.9.2005 - 18:03

Weiterhin mein einer meiner Lieblings-AAR! Ich hoffe du kannst uns so bald wie möglich weiter beglücken! :lol:
gruß shadow

Mein AAR: Fly Like A Bird

Seien wir realistisch, versuchen wir das unmögliche!

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arkon
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Beitrag: # 303335Beitrag arkon
7.9.2005 - 0:08

7. Juli 2005

Jerdona gönnte sich einen Moment der Ruhe nachdem er durch seine Wohnungstür gekommen war, bevor er den alltäglichen und unvermeidbaren Ritus der Abendgestaltung initiierte. Fast schon mechanischen legte er seine Kleidung ab, duschte, während die Nudeln kochten, aß, trug seine heutigen Werte in eine Tabelle ein...
Der Automatismus konnte nicht ganz seine guten Leistungen und die Freude über seine Fortschritte überdecken. Er hatte sich die vergangenen Tage gefordert, nun könnte er eigentlich... eine Pause einlegen? Er lachte über sich selber. Eine Pause. Alleine der Gedanke war schon komisch.
In den letzten Tagen hatte er absolut automatisch trainiert, eine masochistische Ader würde ihm ein externer Beobachter zutrauen, aber er wusste es besser. Es war die Flucht in eine geistlose Selbstbestrafung die ihn zu diesem harten Trainingsplan trieb. So war auch die Freude über seine Fortschritte eher begrenzt.
Die Trennung hatte ihn hart getroffen. Härter, als er selbst es für möglich gehalten hatte, härter, als es Julian Gorospe vorausgesehen hatte. Er war nicht am Boden zerstört, aber ein Teil von ihm war gestorben. In einem ersten Impuls hatte er daran gedacht, alles hinzuwerfen, zu ihr zu fahren und sich irgendeinen Job zu suchen. Aber er wusste, das der Radsport ein zu großes Opfer war und ihm in Nachhinein nur Unglücklich machen würde.
Er öffnete sich noch eine Cola und zog sein Handy heraus. Julian hatte versucht, ihn zu erreichen. Wahrscheinlich machte er sich mittlerweile Sorgen um seinen Schützling. Er schrieb eine Mail in der er grob seinen Trainingsplan und die bisherigen Resultate umriss, zurück. Julian würde tun, was er für richtig hielt, seine Reaktion konnte ihn nur unwesentlich von seinem Plan abbringen. Wenn er vorhatte ihn in die Teamzentrale zurück zu holen, würde er das tun. Andernfalls wusste er, das er den Willen des Sportlers zu respektieren hatte.
Das er sie in nächster Zeit nicht, vielleicht nie mehr sehen würde, machte die Situation nicht einfacher. Obwohl er den Kontakt verloren hatte, aufgrund seiner fehlenden Initiiative die Beziehung eingegangen war wie eine Blume ohne Wasser in der Wüste, hatte er sie immer geliebt. Es klang komisch, vielleicht sogar paradox, aber es war so. Der Radsport hatte ihn in letzter Zeit einfach zu sehr in seinen Bann gezogen. Er wusste bereits die Lösung dieses Dilemmas, nämlich das der Radsport für die nächsten Jahre seine einzige echte Liebe sein würde, aber er strebte sich noch dagegen, diese allzu nahe liegende Schlussfolgerung zu akzeptieren. Würde er es verkraften, durchziehen können? Er wusste es nicht, aber er hatte viel investiert und wollte es um jeden Preis versuchen.
Noch bevor er Schlafen ging hatte Julian geantwortet. Ja, er durfte in seinem Nest tief im Baskenland ausharren. Und diese Chance würde er sich sicher nicht vermiesen. Nach seinem Auftritt bei der Dauphinee wusste er ziemlich genau, wo er im Vergleich zu der Weltelite stand. Im Zeitfahren war er gut, aber nicht Weltklasse. Am Berg dagegen... er hatte sie alle abgehängt, hatte am Mount Ventoux seine Klasse unter Beweis gestellt. Und in den darauffolgenden Etappen... Der Berg war seine Stärke, also konzentrierte er sich darauf.

(Eine kurze Nachbemerkung: Wer die Dreistheit besitzt, über Themen wie Regenaration o.ä. nachzudenken, ist hier fehl am platze. trainingsbetreuung etc. wird ebenfalls aussen vor gelassen. dieser aar ist nur so realistisch, wie es der story zuträglich ist.)

Squeezer
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Beitrag: # 303497Beitrag Squeezer
7.9.2005 - 16:46

immernoch ein hammer aar^^ einer der wenigen, die ich komplett verfolge.. gerfällt mir echt gut

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arkon
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Beitrag: # 303541Beitrag arkon
7.9.2005 - 18:56

9. Juli 2005
Gérardmer, Frankreich

Die heutige Etappe war mehr als nur ein großer Erfolg gewesen. Im Prolog hatte er schon auf sich aufmerksam gemacht, der dritte Platz war es gewesen, 15 Sekunden hinter David Zabriskie. Im Mannschaftszeitfahren hatte Phonak nur 32 Sekunden auf Discovery Channel verloren, allerdings als drittplatzierte nur 20 Sekunden, so das sein Gesamtrückstand vor dem heutigen Teilstück 33 Sekunden auf Armstrong betrug. Sein Antritt am letzten Anstieg, dem Col de la Schlucht, war von den großen Favoriten ignoriert worden, so das er sich alleine auf die Verfolgung von Pieter Weening hatte machen können. Als er diesen dann schließlich erreichte und von der zugespitzten Lage hinter sich im Rennen erfuhr, zögerte er nicht lange und griff an. Der Niederländer war schon angeschlagen gewesen und hatte nicht mehr viel zuzusetzen.
Alleine überquerte er den Gipfel und erreichte auch die letzten Kilometer. Noch immer gellten die Worte des Kommentators in seinen Ohren, als er den bisher ersten Sieg und mit Abstand größten Triumph in der Karriere des jungen Deutschen ankündigte, der er war. Doch nichts war vergleichbar mit dem Moment, in dem er schließlich die Ziellinie überquerte. Dieses Gefühl hatte er so lange vermisst, gebraucht. Seine immer sehr guten Resultate hatten ihn immer weiter voran gebracht, aber als er nun mit 22 hier stand und seinen ersten Sieg bei seiner ersten Tour de France einfuhr, wurde ihm doch schlagartig klar, was so lange gefehlt hatte und das Gefühl des Augenblickes motivierte ihn sehr, noch viele derartige zu suchen.
Nun, am Abend nachher gewissermaßen, hielt Fabian Schmidt sein erstes Gelbes Trikot in den Händen. Es war nicht das erste Trikot, das er jemals erobert hatte, aber es war mit Abstand am meisten wert und war gleichzeitig verbunden mit seinem ersten Profisieg. Zufrieden war er nicht, auch stolz konnte er sich nun nicht nennen. Er hatte gewonnen! An Morgen dachte er nicht.
Zuletzt geändert von arkon am 2.1.2007 - 1:26, insgesamt 1-mal geändert.

Squeezer
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Beitrag: # 303597Beitrag Squeezer
7.9.2005 - 21:26

hä? jetz verstehe ich gar nichts mehr!? 1. was fürn rennen war das? 2. wer ist fabian schmidt???

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arkon
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Beitrag: # 303647Beitrag arkon
8.9.2005 - 1:01

(oh menno, denk doch mal nach: datum? natuerlich tdf. und fabian schmidt ist einfach ein neuer protagonist in dieser geschichte. denn einer alleine... hatte eigentlich vor, ihn etwas später einzuführen, aber da sich der beginn der vuelta wohl noch etwas heraus zögert wird ein bisschen was umgestellt. ein beispiel dafür, das sich ein aar vor der realität beugen muss ;))

Squeezer
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Beitrag: # 303873Beitrag Squeezer
8.9.2005 - 20:43

oh shit aufs datum ahtte ich gar nicht geachtet^^... na wenn das so ist, dann.... dann ist das wiedermal genial! :D wie immer halt

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arkon
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Beitrag: # 308338Beitrag arkon
24.9.2005 - 1:55

12. Juli 2005
Courchevel, Frankreich

Zwei schöne Tage in Gelb hatte er gehabt. Fabian Schmidt konnte zufrieden sein. Der Ruhetag und dann noch eine gebirgige Etappe hatte er als Spitzenreiter der Tour genießen können. Doch heute sollte es etwas anders kommen. Die erste Bergankunft stand auf dem Programm.
Es war ein harter Tag vom Start weg gewesen. Der heutige, sehr attraktive, Etappensieg hatte Ausreißergruppen geradezu herausgefordert. Das Tempo wurde am Anfang noch verschleppt, aber Phonak hatte dann schnell Tempo gemacht. Am Cormet-de-Roselend wurde es dann richtig schwer. Doch als guter Bergfahrer hatte er ohne größere Probleme Anschluss halten können. Das Tempo war hoch, aber noch nicht zu hoch gewesen.
Die Abfahrt schien jedoch kurz, zu kurz, um wieder zu Kräften zu kommen. Am Fuße des Anstiegs nach Courchevel dann hatte er es schon spüren können. Die Gesichter der anderen Fahrer hatten ihm schon genug gesagt. Heute würde die Abrechnung für den Ritt vor 3 Tagen geben.
Und tatsächlich - schon bei der ersten Tempoverschärfung hatte sich Fabian mit dem minimieren des Rückstandes begnügen müssen. Der Weg hinauf ins Ziel war noch lange. Viel zu lange. Während er noch die Tage zuvor sich auf die Berge gefreut hatte, musste er nun Lehrgeld zahlen. Noch eben hatte er sich gut gefühlt... nich übermäßig, aber doch stark. Und nun musste er hier alleine hinaufkraxeln.
Im Ziel waren es dann über 5 Minuten gewesen. Den genauen Rückstand hatte er sich nicht gemerkt. Irrelevant. Er hatte zwei Tage das gelbe Trikot getragen und sich einen Etappensieg geholt. Er war nun im Kreise der Großen Profis angekommen. Und so schnell würde er sich auch nicht mehr verabschieden...

Squeezer
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Beitrag: # 308367Beitrag Squeezer
24.9.2005 - 11:54

endlich mal wieder ein lebenszeichen^^

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arkon
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Beitrag: # 318014Beitrag arkon
12.11.2005 - 17:42

25. Juli, Berlin

Tobias Schuster saß über seinen Schreibtisch gebeugt. Der Redakteur, ein eingefleischter Radsportfan und Kenner der Szene, hatte keine einfache Woche gehabt. Er war als freier Schreiberling tätig und musste oft nach jedem Strohhalm greifen. Besonders wählerisch konnte man bei einer so harten Konkurrenz auch nicht sein. Aber es war für ihn als ehemaliger Jungprofi, er hatte Verletzungsbedingt aufgeben müssen, weiterhin im Umfeld des Radsports tätig zu sein. Während die Radsportwelt nach Frankreich blickte, hatte er die Aufgabe bekommen, für "Der Gegensatz", einem aufstrebenden deutschen Radsportmagazin, Iban Mayo, den vermeintlichen Topfahrer der kommenden Vuelta, zu interviewen und so die Vorberichtserstattung der spanischen Landesrundfahrt frühzeitig zu sichern. Der etwas eingebildete Baske war denn auch relativ einfach aufzuspüren und für das Interview zu begeistern gewesen. Das lief natürlich nicht immer so gut. Voller Freude ob des einfachen Jobs und des lockenden Urlaubs in Spanien hatte er gepackt, den nächsten Flieger runter genommen und Mayo in seiner Heimat im Baskenland besucht.
Ein kleines Vorinterview hatte er gemacht, dann war Mayo trainieren gefahren um einige tolle Bilder für die Kamera zu liefern. Direkt auf der ersten Abfahrt hatte er die tolle, neue, windschnittige Fahrhaltung für die Kamera demonstriert, dabei kurz den Blick von der Straße gewendet...
Das Bildmaterial war super gewesen, nur leider hatte er es nicht veröffentlichen dürfen. Statt eines tollen Artikels über Mayo's Siegambitionen oder wenigstens über seinen Unfall hatte er nun gar nichts in der Hand. Den Artikel über Mayo's Unfall hatte dann auch noch jemand anders schreiben müssen, um eventuelle "persönliche Verwicklungen" aussen vor zu lassen.
Und nun stand er da. Die Vuelta war zwar noch weit, aber jetzt, nach dem Ende der Tour, die wiedereinmal mit einem denkbar langweilig Erfolg Armstrongs geendet hatte, dürstete die Radsport, vor allem die Fans, nach spannenden Klassikern, einem knappen Pro-Tour Finale und vor allem nach einer klasse Vuelta. Nicht das Schmidt den Druck fürchtete. Er liebte ihn sogar. Doch nun musste er ein Interview aus dem Ärmel zaubern, einen Riesenbericht über einen Favoriten aus der zweiten Reihe. Die großen Namen waren schon alle abgedeckt. Die Leser sollten Informationen bekommen, die es sonst niergendwo gab.
Er fuhr sich durchs Gesicht, nahm einen Schluck aus einem Glas mit irgendeinem Klaren, in dem 3 Eiswürfel herumtrieben und ihrer Vernichtung entgegenblickten, dem Lauf schon so vieler Artgenossen an diesem Abend folgend. Er blickte hinaus auf die Stadt. Blinckend schauten viele Lichter in sein Büro hinein. Er brauchte einen Fahrer. Einen Unbekannten. Warum unbekannt? Nunja... den Gedanken musste er zu Ende gehen... Vielleicht würde er ihn begleiten, durch die ganze Vuelta hindurch... Aber er musste seine Story gut verkaufen. Wenn er es gut machte... Er schwenkte sein Glas ein wenig herum, blickte gedankenverloren durch das Fenster nach draussen. Er brauchte nur einen Fahrer. Ein junges Talent vielleicht? Keine schlechte Idee. Vielleicht "Die erste Vuelta". Aber er müsste auch etwas unter der Haube haben, einfach nur Berichte über die erste Rundfahrt gibt es schon zu Hauf.
Aber er hatte da schon jemandem im Hinterkopf...

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Henrik
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Beitrag: # 318018Beitrag Henrik
12.11.2005 - 17:52

Wer könnte das wohl sein...?

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arkon
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Beitrag: # 318348Beitrag arkon
14.11.2005 - 16:07

28. Juli, Hombrechtikon, Schweiz

Die verdammte Ampel wurde einfach nicht grün. Er kannte sie schon ziemlich genau. Jedesmal blieb er während des Trainings auf dem Weg zurück zu der Phonakzentrale an ihr kleben. Die Straße war einfach ein bisschen zu groß, um darüber hinweg zu springen. Und so musste er halt ein bisschen warten. Während sein Puls sich wieder zu normalisieren drohte, trat Fabian Schmidt im Stehen ein wenig, um nicht ganz auszukühlen. Nach schier endlosen Sekunden, Minuten, er konnte es nicht sagen, konnte er endlich weiterfahren.
Angekommen, sprang er direkt unter die Dusche. Das war immer das beste. Er genoß das tägliche Training noch mehr seit dem Ende der Tour, seit dem Beginn des Rummels, der über ihn hereingebrochen war. Das alles war noch etwas viel für ihn. Nicht, das er es nicht gemocht hätte, auf der Straße von fremden Leuten gegrüßt zu werden, die hupenden Autos... Es hatte schon was. Aber er musste sich noch daran gewöhnen. Im Augenblick waren die Trainingsfahrten alleine eine willkommene Abwechslung von den Interviews und Talkshows der letzten Tage. Die Tour war zwar langweilig gewesen, aber er war ihre größte Entdeckung. Und nun hatte sich sein Leben für immer geändert.
Sein Handy klingelte und schreckte ihn aus den Gedanken. Eilig drehte er das Wasser ab, trocknete sich ein wenig ab und hielt dann das Handy an sein noch nicht ganz trockenes Ohr.
"Ja, Schmidt hier" Auch diese professionelle Begrüßung wollte ihm noch nicht so ohne weiteres über die Lippen kommen, aber seine Handynummer war an zu viele hohe Reporter, Sponsoren und andere weitergegeben worden.
"Nein, da habe ich noch nichts vor" konnte er, ohne auf seinen Terminplan zu schauen, antworten. Auch das würde sich ändern. Sein Jahresplan würde wesentlich dichter und unflexibler werden. Das war eben die Kehrseite der Medaille.
"Ja, ich denke das würde gehen" ein breites Grinsen. Damit hatte er nicht gerechnet.
"Dann bis demnächst. Tschüss"
Er legte das Handy weg, schloss die Augen und fühlte für einen Moment nur das Wasser an sich herablaufen. Ein Freudenschrei. Er würde zur Vuelta fahren!

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arkon
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Beitrag: # 318736Beitrag arkon
16.11.2005 - 23:07

29. Juli, Baskenland

Es war schnell gegangen. Er hatte Zeres schon am nächsten Tag erreicht und ihn von seiner Idee überzeugt. Das war nicht besonders schwer gewesen. Zeres schien das Rampenlicht nicht gerade zu verabscheuen. Noch am gleichen Tag war er zusammen mit seinem Kameraman herunter geflogen und mit einem Mietwagen in das kleine Dorf gefahren. Bis dahin schien der Auftrag wie geschmiert zu laufen. Er hatte sich in Zeres selbst jedoch offenbar radikal getäuscht. Der Mann liebte nicht etwa das Rampenlicht, genauso wenig lief er davor weg. Es war ihm im Grunde genommen egal. Wobei, egal war vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Es war einfach nebensächlich. Ob nun ein Kameraman dabei war während er trainierte, ob ihm ein Reporter fragen stellte, während er aß, es interessierte ihn nicht im geringsten. Aber auch das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Er war immer freundlich, beantwortete alle Fragen, jedoch zog er sein Training durch, als ob er Luft wäre.
Tobias Schuster hatte eigentlich geplant, nach zwei bis drei Tagen wieder abzureisen, mit einigen Fotos und reichlich Interviewmaterial in der Tasche, hatte den Plan jedoch schon am ersten Tag wieder verworfen. Dieser Mensch faszinierte ihn. Sein Kollege war schon längst wieder abgereist, er hatte selbst einen Fotoapparat dabei, um eventuell anfallende Fotos schiessen zu können.
Im Augenblick saß er im Cafe am Marktplatz des kleinen Dörfchens und schrieb am Artikel für "Der Gegensatz". Neben ihm lagen etliche Notizen aufgetürmt, hauptsächlich seine Interviews aber auch Hintergrundinformationen, die er sich zusammengesucht hatte. Die Recherchen über die Vergangenheit des Fahrers zogen sich ein bisschen in die Länge. Er war auf jedenfall schon im 3. Jahr bei Euskatel Profi. In seiner Jungkarriere war er ein aufgehender Stern gewesen, frühe Erfolge und sklavische Disziplin. Nicht so viele Rennen, wie die meisten anderen, dafür aber mehr Erfolge. Gorospe hatte ihn dann mit 20 Jahren ins Team geholt und langsam aufgebaut. Die Erfolge blieben zunächst aus, was für neue Profis eigentlich auch nicht besonders ungewöhnlich ist. Jedoch war er immer weniger Rennen gefahren, kaum mehr aufgestellt worden. Seine Leistungen waren Durchschnittlich, hie und da mal ein vorderer Platz, ein paar kleinere Siege. Dann kam der Durchbruch im Frühjahr bei Lüttich-Bastogne-Lüttich. Seitdem machte der Junge wirklich von sich reden. Aber kein Start bei der Tour. Auch das ein weiteres Fragezeichen. Im Herbst die Vuelta war die erste große Rundfahrt für ihn.
All das zusammen... deutete ziemlich stark auf... was hin? Eine Erklärung wäre gewesen, das man ihn als Jungprofi noch nicht so stark auslaugen wollte, langsam aufbauen. Darauf deutete auch seine Fahrweise als Amateur hin. Aber warum war er dann immer weniger Rennen gefahren? Und warum waren die Ergebnisse immer nur Mittelmaß, bis zu diesem Jahr? Doping? Eine Möglichkeit. Die Teamleitung, seine Beziehung zu Gorospe... Vielleicht auch eine Möglichkeit.
Der Artikel würde ohne die Antwort auf dieses Rätsel auskommen müssen. Er schrieb fertig und sendete sein Werk an die Redaktionszentrale. Er hatte ja mit Hoffmann, dem Chefredakteur, eine Serie vereinbart. Die Leser würden daher in einigen Wochen die Fortsetzung bekommen, und damit auch hoffentlich einen tieferen Einblick in den Hintergrund von Jerdona Zeres...

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Beitrag: # 318739Beitrag arkon
16.11.2005 - 23:26

also, wie manch einem scharfäugigen beobachter nicht entgangen sein dürfte hab ich jetzt inet. juhu!
daher: isch mehr schreiben werden
isch brauchen kraaaass support von den leuden da drauzzen!

UND: ich werde den sich andeutenden riesenlangenweg zur vuelta ein wenig abkürzen. gebt fein acht:

(ps: berlin IST geil! ;))

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Beitrag: # 319513Beitrag arkon
22.11.2005 - 23:08

14. August, Deutschland, Voralpen

Nachdenklich legte Fabian Schmidt die neue Ausgabe vom Gegensatz zurück auf den Tisch. Er hatte gerade ein wenig in der Serie zur Vuelta gestöbert und einiges über die Fahrer gelesen, gegen die er demnächst würde fahren müssen, oder besser dürfen. Auf der einen Seite freute ihn das natürlich. Nach der Tour, bei der er durch viel Glück und eher mäßige Leistungen hineingerutscht war, hatte er nun bei der Vuelta die Gelegenheit, ein wenig Konstanz zu demonstrieren. Einmal einen Coup zu reissen macht noch keinen großen Rennfahrer aus einem. Klar, er hatte das gelbe Trikot getragen, eine Etappe gewonnen... aber er wollte nicht sein ganzes Leben von diesem einen Tag profitieren. Eine gute Etappe. Das konnten viele. Das er mit dem gelben Trikot davon gekommen war... war vor allem Glück gewesen. Naja, zumindestens mochten das noch die Zeitungen denken. Die Vuelta war seine Gelegenheit.
Auf der anderen Seite stand natürlich die Konkurrenz. Auch sie suchte eine Gelegenheit, ihre Qualität unter Beweis zu stellen. Und dann waren da noch die ganz großen. Sie würden, wie immer, den größten Anteil der Siege einfahren. Sich da noch einen Sieg zu sichern würde mit Sicherheit sehr schwer werden. Aber war es das nicht immer?
Und nicht zuletzt machte ihm auch der gestiegene Druck ein wenig Sorgen. Er würde nicht mehr so völlig befreit Auffahren können wie noch in Frankreich. Da man von seinen Berg- und Zeitfahrqualitäten wusste, war er, wenn auch ein kleiner, aber immer noch ein Konkurrent.
Lächelnd lehnte er sich zurück. Er würde auf jedenfall sein Glück versuchen und "Die Großen" ärgern. Voller Tatendrang sprang er auf. Die anderen trainierten und so musste er es auch tun.

Einen Telefonanruf, einen Kleiderwechsel und 5 Minuten später war er mit seinem Trainingspartner Johann Tschopp. Der Junge Schweizer hatte sich mit ihm zusammen in Kochel, einem kleinen Dorf quasi am Fuße der Alpen, einquartiert. Die letzten Tage hatten sie zusammen die Gegend erkundet, und in den nächsten Wochen würden sie alles befahren, was sich hier finden ließ.
Das Training war lang, aber nicht zu lange. Sie testeten sich an einigen Rampen, fuhren im großen Schnitt aber ein eher ruhiges Tempo. Fabian hatte den Eindruck, das Johann heute ein wenig besser drauf war als er, also hielt er sich den größten Teil der Strecke zurück. Gegen Ende, sie fuhren am Walchensee entlang, stand nur noch ein kurzer Anstieg hoch zum Kesselberg an. Da sie aber vom Walchensee her fuhren, war der Anstieg nur etwa 50 - 75 m hoch. Danach stand nur noch die Abfahrt den Kesselberg runter an, in Kochel selber war der Verkehr zu dicht, dort fuhren sie immer langsam.
Obwohl, oder gerade weil, er sich heute schlechter fühlte, griff er am Fuße des kleinen Hügels an. Mehr aus Spass, aber solche Spielereien taten sowohl dem Körper als auch der Psyche gut. Im Ernstfall konnte man auch nicht mehr abwinken. Daher trat auch Johann in die Pedale. Oben auf Kuppe war ein kleines Loch war da, die Abfahrt würde wohl entscheiden. Fabian konnte schon beim kurzen Blick zurück erkennen, das Johann ihm den Angriff nicht übel nahm und schon mit so etwas gerechnet hatte. Also hieß es Autos jagen auf der berühmten Kesselbergstrasse. Für Motoräder war sie ein echtes Mekka, Autos jedoch konnten die vielen Kurven und Serpentinen nicht so recht genießen. Daher kam es immer mal wieder vor, das sie auf den Abfahrten runter den ein oder anderen Autofahrer überholten.
Und schon hatte Fabian den ersten vor sich. Ein schwarzer BMW fuhr etwas vorsichtig die Strasse hinab. Eine echte Verschwendung des Autos. Aber man musste es ja mit dem Risiko nicht übertreiben. Er bremste ab und fuhr schön brav hinter dem Trödler her. Er drehte sich kurz nach Johann um. Der fuhr fast schon neben ihm und klopfte ihm lachend auf die Schulter. "Klasse Attacke. Dachte schon, du hättest heute gar nichts auf dem Kasten"
"Ne, heute nicht genug gefrühstückt. Dann kannst sogar du mich schlagen" stichelte der Deutsche zurück.
"Ha, pass auf!"
Mit diesen Worten preschte Johann auf und davon am Auto vorbei. 'Dieser Irre' grinste Fabian in sich hinein. Doch noch bevor er selber reagieren konnte, war sein Freund hinter einer Linkskurve verschwunden. Er fuhr dichter an das Auto heran, stellte sich schon im Sattel auf...
und hörte das Motorrad zu spät. Tschopp war dem Raser, der bergauf entgegenkam, auf der Geraden begegnet. Der Fahrer hatte noch ausweichen können, hatte nun aber in der Kurve plötzlich ein Auto vor sich. Scharf zug er rüber... zu scharf. Er verlor den Halt und wurde nach innen gegen das Auto gepresst. Fabian versuchte zu bremsen, war aber zu schnell. Sein Gehirn registrierte, was vor sich ging, und schüttete einen Riesencoktail an Hormonen aus. In diesem Moment aber war es zu spät, um noch zu reagieren. Das folgende gehorchte nur noch den Gesetzen der Physik.
Das Motorrad, mittlerweile ohne Fahrer, schlitterte ihm entgegen und fetzte durch seine Räder hindurch. Fabian wurde das Fahrrad weggerissen, er selber aber nicht abgebremst. Er segelte weiter durch die Luft. Die Strasse kam ihm nicht rasendschnell, sondern geradezu in Zeitlupe entgegen. Der Schmerz durchflutete ihn, noch bevor er ganz erkannt hatte, das er gerade auf eine Strasse aufschlug. Dann wurde es dunkel vor seinen Augen, viel zu schnell und viel zu früh.

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Beitrag: # 319642Beitrag arkon
23.11.2005 - 19:25

25. August 2005, Granada

Zeres wollte ursprünglich mit dem Auto nach Granada fahren, aber das Teammanagement bestand auf den Flug und der letzte Wille zum Widerstand fehlte dann doch. Der Hitzeschlag beim verlassen des Flugzeugs war, wie immer, mörderisch gewesen, aber er hatte sich im Flugzeug extra dick eingepackt um auf den letzten Metern auch ja keine Erkältung zu bekommen. Er war alleine angereist, ein Fahrer des Teams hatte ihn am Flughafen aufgesammelt und in die Teamzentrale gebracht. Erst hier hatte er seine Teamkameraden wiedergesehen. Sie logierten in einem Hotel am Parque Garcia Lorca. Von hier aus konnte man schnell ein paar Runden drehen, was auch notwendig war.
Zeres hatte zwar seine Ausrüstung mitgebracht, sein Trainingsrad war jedoch noch im Baskenland. Daher war es seine Aufgabe für heute gewesen, sein Rad neu einzustellen. Er fuhr gleich zwei Räder ein, um immer ein Auswechselmöglichkeit zu haben. Dieses würde zwar nicht mit auf die Strecke genommen werden, aber er konnte immer noch im Etappenziel tauschen.
Die professionelle Kühle, die vor Ort herrschte, hatte schlagartig die Nervosität, die sich in den letzten Tagen aufgebaut hatte, erschlagen. Er hatte nicht einmal richtig Zeit, sich Gedanken über seinen ersten Auftritt bei einer großen Landesrundfahrt zu machen. Jede Minute wurde genutzt. Ob es nun Massagen, Voruntersuchungen, Technikergespräche, Streckenanalysen, Teammeetings oder einfach nur Training war, er hatte immer eine Aufgabe. Das gesamte Umfeld war 100% auf die vor ihnen liegende Vuelta eingestimmt. Keiner sprach es aus, aber der Druck lastete natürlich auf jedem.
Heute abend würden sich noch ein letztes Mal weggehen, vielleicht sogar ein kleines Bier trinken, auf keinen Fall mehr. Man brauchte ab und zu auch den Abstand. Ein Betreuer hatte ihm und ein paar anderen Fahrern den Peatón Pub empfohlen, eher eine Rock-Adresse. Dort würden sie nocheinmal die Gelegenheit haben, sich gemeinsam auf die kommenden drei Wochen einzustimmen.
Vorher nutzte er aber die Gelegenheit, um alleine hoch zur Alhambra zu fahren, eine alte Burg im Osten der Stadt, und der höchste Punkt des Prologs. Es war schon Abend, die Sonne würde bald untergehen. Er sprintete fluchs den Berg hoch, um den Augenblick nicht zu verpassen, wenn die goldene Scheibe den Horizont berührte. Heute war sein letzter Tag in Freiheit. Morgen stand die Teampräsentation an, und der Rest des Tages war bis obenhin verplant. Er bekam keinen Stress, aber auch keine Freizeit mehr. Das sollte ihn ablenken von der Nervosität, die sich in solchen Momenten ganz natürlich breitmachen würde. Es war schließlich die Chance seines Lebens. Er konnte sich drei Wochen permanent beweisen. Grinsend erreicht er die Burg und blickte hinab über Granada, nach Westen, der Sonne hinterher. Er würde alles geben, um die Großen zu ärgern.
Als die Sonne ganz hinter dem Horizont verschwunden war, schwang er sich auf sein Rad und brauste gen Tal. Es würde seine Vuelta werden.

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arkon
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Beitrag: # 319691Beitrag arkon
23.11.2005 - 23:07

27. August 2005, Granada, Spanien

Die Luft brannte. Nicht nur vor Hitze, auch vor Spannung. Alles flirrte und schwirrte unter der Mittagshitze. Die wenigen Menschen, die herumwuseln mussten, dankten Gott das sie nicht zu den wenigen verdammten zählten, die heute auf Fahrräder mussten, um den, glücklicherweise, nur 7 km langen Prolog in Angriff zu nehmen. Die wenigen, die gestern zur Teampräsentation gegangen waren und heute nicht zu den unmittelbar beteiligten gehörten, hatten noch die gestrige Nacht in den Knochen, und nicht wenige Reporter wünschten sich, den frühen Schlaf der heissen Spanierin vorgezogen zu haben.
Die Präsentation war aber nicht nur eine Party gewesen, im Mittelpunkt stand natürlich die Vorstellung der Teams und Fahrer. Im Prinzip waren keine großen Überraschungen dabei. Der verletzte Fabian Schmidt war in letzter Minute noch von J.E. Gut. Cataluña ersetzt worden. Schmidt ging es dem Vernehmen nach schon wieder besser, genaueres war aber noch nicht zu erfahren gewesen. Vermutlich wollte die Teamleitung den Medienrummel so weit es irgend ging von dem Jungprofi fernhalten.
Heras war als großer Favorit wieder am Start, ebenso Valverde und Mancebo. Auch im Auge behalten sollte man Popovych, der eine ordentliche Tour an der Seite von Armstrong abgeleistet hatte, Cunego, von dem in diesem Jahr noch nicht viel zu sehen gewesen war und vielleicht noch Botero, der als Kapitän von Phonak angereist war. Auch Simoni tauchte als großer Name noch auf, dahinter viele, die als gute Kletterer bekannt waren. Während die Tour in diesem Jahr dem Duell Armstrong vs. Ullrich gewidmet war, und beim Giro nur "lokale Konkurrenz" angereist war, hatte sich der Showdown der Saison nach Spanien verlagert. Wie immer würde sich die Antwort auf die Frage, wer mitmischen können würde, noch hinziehen.
Alles in allem versprach das Rennen spannend und hochklassig zu werden, was den Durst der Anwesenden gestern noch verstärkt hatte. Während die Athleten also früh ins Bett gegangen waren, vielleicht noch eine Massage genossen hatten, waren die versammelten Presseleute in den Genuss einer Party nach spanischen Maßstäben gekommen.
Auch Tobias konnte ein Lied davon singen. Nach der Teampräsentation hatte er noch ein kurzes Interview mit Jerdona Zeres geführt, und sich dann, nachdem das Gewissen beruhigt war, ins Getümmel gestürzt.
Mittlerweile bereute er es, aber nur fast. Mit 37 war er nicht mehr der Jüngste, aber er hatte gelernt, das Leben zu geniessen. Und Frauen aufzureißen, wie er sich lächelnd selbst bestätigte.
Er schlürfte an einem kühlen Getränk in der Pressezone des Zielbereichs. Hier würde er den Rennverlauf auf ausreichend großen Leinwänden verfolgen können, mit einigen deutschen Kollegen fachsimpeln, und schließlich auch Live den Zieleinlauf sehen. Eigentlich hatte er heute morgen kaum Lust verspürt, sein Hotelzimmer zu verlassen und schon mit dem Gedanken gespielt, das Rennen auf dem Hotelfernseher zu verfolgen. Aber schließlich hatte doch das Pflichtgefühl gesiegt.
"Na, wer wird es heute machen?" Es war der Bild Reporter. Ein besonderes lockerer Typ, aber nur nach außen.
"Ich tippe auf Rogers, der ist heiß" meinte ein anderer, den Tobias nicht kannte
"Ich setze ein Bier auf Botero" meinte der FAZ-Vertreter. Er war gestern auch lange dabei gewesen...
"Ich gehe mit" entgegnete der Rogers-Fan
Nun musste auch Schuste seine Fachkenntniss aufblitzen lassen. "Cancellara, ganz sicheres Ding. Und auf jedenfall ein Bier wert"
Einige andere Presseleute setzten auch, insgesamt wurden es 6, eine stolze Summe oder, besser gesagt, Menge für den Sieger.
Es waren noch wenige Minuten bis zum Start des ersten Fahrers.

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arkon
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Beitrag: # 319709Beitrag arkon
24.11.2005 - 9:19

hallo, liest hier eigentlich noch irgendjemand mit?
abgesehen natürlich von squeezer, von dem ich das natürlich erwarte ;). ich schreib den aar nich für mich, sondern für euch, ich weiss ja schon, wie es ausgeht!
also mal bitte das ein oder andere kommentar, sonst trocknet es wohl wieder aus.

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HansFuchs
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Beitrag: # 319730Beitrag HansFuchs
24.11.2005 - 13:02

Heißt denn: Nichts schreiben, gleich nicht lesen?
#fragschusti

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